Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenzuständigkeit für den Krankengeldanspruch bei Kassenwechsel sowie Beiladung der neuen Krankenkasse
Leitsatz (redaktionell)
Ist streitig, ob der Anspruch auf Krankengeld mit Beginn einer neuen Drei-Jahres-Frist iS des § 183 Abs 2 RVO wieder auflebt und kommt für die Wiedergewährung des Krankengeldes wegen Kassenwechsels auch eine landwirtschaftliche Krankenkasse in Betracht, so ist diese dem Rechtsstreit notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG).
Orientierungssatz
Krankengeldanspruch - Krankengeldwiedergewährung - Kassenwechsel - Begrenzung der Leistungspflicht.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12, § 212 Fassung: 1972-08-10; SGG § 75 Abs. 2 Alt. 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 05.03.1980; Aktenzeichen L 8 Kr 89/79) |
SG Kassel (Entscheidung vom 23.11.1978; Aktenzeichen S 12 Kr 12/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse verpflichtet ist, dem Kläger über den 31. Oktober 1977 hinaus Krankengeld zu gewähren.
Der Kläger, der auch einen landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, war aufgrund einer Beschäftigung als Straßenwärter bei der Beklagten versichert. Diese gewährte ihm wegen einer Arbeitsunfähigkeit vom 5. August 1974 bis zum 20. Oktober 1974 und ab 8. November 1974 Krankengeld bis zum Ende der gesetzlichen Bezugszeit von 78 Wochen innerhalb eines 3-Jahreszeitraumes iS des § 183 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung -RVO- (sogenannte Block- oder Rahmenfrist) am 19. Februar 1976. Von der Landesversicherungsanstalt H (LVA) erhielt der Kläger nach Bewilligung eines Heilverfahrens rückwirkend Übergangsgeld für die Zeit vom 10. Mai 1975 an, und zwar bis zum Abbruch des Heilverfahrens am 5. Oktober 1976. Die Ablehnung eines zuvor gestellten Rentenantrages wurde vom Kläger angefochten.
Am 6. September 1977 ging bei der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, die aufgrund einer ärztlichen Feststellung vom 2. September 1977 eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab 5. August 1977 (Beginn einer neuen Blockfrist) bestätigte. Nachdem sich die Beklagte dem Kläger gegenüber wiederholt zur Wiedergewährung von Krankengeld schriftlich und (fern-)mündlich geäußert hatte, erkannte sie schließlich mit Bescheid vom 9. Dezember 1977 einen Anspruch des Klägers auf Krankengeld für die Zeit vom 3. September bis 31. Oktober 1977 an. Gleichzeitig stellte sie fest, für die Zeit ab 1. November 1977 entfalle ein Krankengeldanspruch, weil der Kläger von diesem Tage an gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) Pflichtmitglied der Landwirtschaftlichen Krankenkasse (LKK) H - N sei. Der hiergegen vom Kläger erhobene Widerspruch wurde zurückgewiesen. Klage und Berufung blieben ebenfalls ohne Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) geht in seinem Urteil davon aus, die Beklagte habe mit Bescheid vom 9. Dezember 1977 für die Zeit vom 3. September bis 31. Oktober 1977 abermals Krankengeld gewährt, gleichzeitig aber auch das Krankengeld für die Zeit ab 1. November 1977 entzogen, weil der Kläger Pflichtmitglied der LKK Hessen-Nassau geworden sei. Das LSG hält diese Entscheidung für zutreffend. Da der Anspruch auf Krankengeld mit dem Ende der Bezugszeit am 19. Februar 1976 erschöpft gewesen sei, habe die Mitgliedschaft des Klägers als Versicherungspflichtiger nicht nach § 311 Abs 1 Nr 2 RVO fortbestanden. Daran ändere nichts die begrenzte Wiedergewährung des Krankengelds mit Bescheid vom 9. Dezember 1977. Der Kläger sei Inhaber eines zirka 15 ha umfassenden und auf Bodenbewirtschaftung beruhenden landwirtschaftlichen Unternehmens, das eine Existenzgrundlage bilde. Deshalb sei er gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG kraft Gesetzes Mitglied der LKK geworden. Diese Mitgliedschaft werde auch nicht durch § 3 KVLG ausgeschlossen. Die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten nach § 315a RVO (als Rentenantragsteller) und die daran anschließende Mitgliedschaft nach § 311 RVO bestünden nur fort, solange nicht eine andere gesetzliche Versicherung wie die nach dem KVLG hinzutrete (§ 315a Abs 3 iVm § 165 Abs 6 RVO). Somit habe die LKK die weiteren Leistungen nach ihrer Satzung zu übernehmen (§ 212 RVO).
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der vom Senat zugelassenen Revision. Er rügt eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 182 Abs 1 Nr 2 Satz 1 und des § 183 Abs 2 RVO sowie eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Er beanstandet im einzelnen: Dem Berufungsurteil liege die unrichtige Rechtsauffassung zugrunde, ein Krankengeldanspruch entstehe mit Beginn einer neuen Blockfrist nur dann neu, wenn zu diesem Zeitpunkt eine Mitgliedschaft mit entsprechender Anspruchsberechtigung vorliege. Unzutreffend stelle das LSG auch darauf ab, daß der Kläger nicht mehr Mitglied der Beklagten sei. Das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs setze nur die Zugehörigkeit zu einer Krankenkasse voraus. Ein Kassenwechsel bringe den Krankengeldanspruch nicht in Wegfall. Das Berufungsurteil beruhe darüber hinaus auf einem rügbaren Verfahrensverstoß. Das LSG habe § 136 Abs 1 Nr 5 iVm § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt. Der von ihm festgestellte Tatbestand sei in sich widersprüchlich und unvollständig. Er stelle keine ausreichende Grundlage zur Überprüfung durch das Revisionsgericht dar. Widersprüchlich sei insbesondere die Feststellung, die Beklagte habe dem Kläger mit Bescheid vom 9. Dezember 1977 Krankengeld zeitlich begrenzt vom 3. September bis 31. Oktober 1977 gezahlt. Wenn dies stimme, bedürfe es keiner Entziehung der Leistung. Wenn aber im Bescheid vom 9. Dezember 1977 ein Entziehungsbescheid zu sehen sei, habe die Beklagte dem Kläger Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung gewährt. Dann hätte das LSG prüfen müssen, ob Gründe des § 1744 RVO die Entziehung rechtfertigten. Das LSG hätte den Verwaltungsakten entnehmen können, daß dem Kläger aufgrund des "Auszahlungsscheines", der "Vorladung" zum Sozialärztlichen Dienst vom 4. Oktober 1977 sowie des Schreibens der Beklagten an den Kläger vom 20. Oktober 1977 das Krankengeld nicht erst mit Bescheid vom 9. Dezember 1977 rückwirkend bewilligt worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts
vom 5. März 1980 und das Urteil des Sozialgerichts
Kassel vom 23. November 1978 aufzuheben und die
Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom
9. Dezember 1977 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 6. März 1978 zu verurteilen, ihm auch über den
31. Oktober 1977 hinaus Krankengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie erwidert: Die Versicherungspflicht des Klägers beruhe auf § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG. Das KVLG sehe für landwirtschaftliche Unternehmer kein Krankengeld, sondern Betriebshilfe vor. Beide Leistungen entsprächen einander nach Rechtsgrund und Funktion. Daraus ergebe sich, daß während einer Versicherung nach § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG, die den Anspruch auf Betriebshilfe einschließe, nicht gleichzeitig ein Anspruch auf Zahlung von Krankengeld nach den Bestimmungen der RVO gegeben sein könne.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts sind, wie der Kläger zutreffend rügt, unvollständig und widersprüchlich. Sie können nicht Grundlage einer revisionsgerichtlichen Überprüfung sein. Schon deshalb ist dem Senat eine Entscheidung in der Sache selbst nicht möglich. Dem Berufungsurteil ist vor allem nicht zu entnehmen, ob die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. Dezember 1977 erstmals über die Wiedergewährung von Krankengeld in der am 5. August 1977 begonnenen zweiten Blockfrist entschieden hat oder ob andere Verwaltungsentscheidungen, gegebenenfalls mit welchem Inhalt, vorausgegangen waren. Das LSG beschränkt sich zwar bei seiner rechtlichen Prüfung auf die Entscheidung der Beklagten vom 9. Dezember 1977 und verneint an einer Stelle seiner Urteilsbegründung ausdrücklich, daß es sich um eine unbeschränkte Wiedergewährung von Krankengeld gehandelt habe, deren spätere Entziehung nur unter den Voraussetzungen des § 1744 RVO - idF vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren am 1. Januar 1981 - möglich gewesen wäre (S 6 des Berufungsurteils). An einer anderen Stelle führt das LSG aber aus, im selben Bescheid - vom 9. Dezember 1977 - sei das Krankengeld ab 1. November 1977 "entzogen" worden. Dieser Widerspruch bedarf der Aufklärung, zumal den Verwaltungsakten, auf die im Berufungsurteil Bezug genommen wird, zu entnehmen ist, daß die Beklagte dem Kläger gegenüber bereits vor Erteilung des Bescheides vom 9. Dezember 1977 schriftlich, mündlich und telefonisch Erklärungen abgegeben hat, die sich auf die Wiedergewährung des Krankengelds in der zweiten Blockfrist beziehen. Sollte dabei ein Anspruch auf Krankengeld unbegrenzt für die weitere Dauer der Arbeitsunfähigkeit anerkannt worden sein, wäre zu prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit sie an diese Anerkennung gebunden ist, ob sie die Anerkennung zurücknehmen und eine neue Entscheidung treffen durfte (§ 1744 RVO aF) oder ob eine Änderung der Verhältnisse ihre Leistungspflicht begrenzte (zB ein Übertritt des Versicherten zur LKK nach § 212 RVO).
Sollte die Beklagte bei Erteilung des Bescheides vom 9. Dezember 1977 berechtigt gewesen sein, über den Krankengeldanspruch des Klägers für die Zeit ab 1. November 1977 eine (neue) Entscheidung zu treffen, hätte die LKK H - N zum Rechtsstreit beigeladen werden müssen. Die Beiladung wäre in diesem Fall nach § 75 Abs 2 SGG notwendig gewesen.
Die Notwendigkeit der Beiladung ergäbe sich dann bereits aus der ersten Alternative des § 75 Abs 2 SGG, denn die LKK H - N wäre an dem hier streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß die gerichtliche Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen könnte. Die Beklagte bestreitet ihre Verpflichtung zur Gewährung von Krankengeld über den 31. Oktober 1977 hinaus ausschließlich mit der Begründung, der Kläger sei ab 1. November 1977 in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung versichert, sie sei daher ab diesem Zeitpunkt nicht mehr leistungspflichtig. Die Entscheidung darüber, ob dem Kläger auch für die Zeit ab 1. November 1977 ein Krankengeldanspruch gegen die Beklagte zusteht oder ob dieser Anspruch deshalb ausgeschlossen ist, weil der Kläger eventuell Mitglied der landwirtschaftlichen Krankenversicherung geworden ist, und allein der Träger dieser Versicherung Versicherungsschutz zu gewähren hat (vgl § 212 RVO), kann unmittelbar in die Rechtssphäre der LKK H - N eingreifen. Die Entscheidung kann die mitgliedschaftlichen Beziehungen zwischen dem Kläger einerseits und der Beklagten sowie der LKK H - N andererseits betreffen. Sie kann auch für den Umfang der Leistungsverpflichtung der LKK von Bedeutung sein, wenn diese am 1. November 1977 oder bereits vorher der für den Kläger zuständige Krankenversicherungsträger geworden ist.
Da weder die fehlenden Tatsachenfeststellungen noch die Beiladung im Revisionsverfahren nachgeholt werden dürfen (§ 163 bzw § 168 RVO), muß der Senat von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit der Zurückverweisung an das LSG Gebrauch machen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten.
Fundstellen