Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigungsverhältnis von Ordensangehörigen
Orientierungssatz
Ein Beschäftigungsverhältnis iS von § 16 FRG zwischen einer Ordensangehörigen (hier: als Volksschullehrerin) und einem Schulträger ist zu bejahen, wenn sie bei diesem entsprechend § 2 Abs 1 Satz 1 AVG "als Angestellte gegen Entgelt beschäftigt" war, das gezahlte Gehalt ihr und nicht dem Orden zustand und dem Zeit, Dauer, Ort und Art des Schuldienstes umfassenden Weisungsrecht des Dienstherrn unterlag und damit persönlich von ihm abhängig war. Ob sie vom Dienstgeber außerdem wirtschaftlich abhängig war, ist unerheblich.
Normenkette
FRG § 16 S 1 Fassung: 1960-02-25; AVG § 2 Abs 1 Nr 7 Fassung: 1957-02-23; AVG § 2 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 5 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 30.09.1981; Aktenzeichen L 13 An 106/79) |
SG München (Entscheidung vom 09.08.1973; Aktenzeichen S 12 An 86/72) |
Tatbestand
Die 1905 geborene Klägerin begehrt Altersruhegeld. Sie wohnt seit Oktober 1970 in der Bundesrepublik und ist anerkannte Vertriebene aus Ungarn. Dort war sie Angehörige der Kongregation der Armen Schulschwestern Unserer Lieben Frau und von 1926 bis 1948 als Volksschullehrerin tätig. Sie gehört dem Orden seit seiner Auflösung in Ungarn nicht mehr an. Über ihren Antrag auf Gewährung von Versorgungsbezügen nach dem G 131 ist noch nicht abschließend entschieden.
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Altersruhegeld ab, weil es in Ermangelung von Versicherungszeiten an der Erfüllung der Wartezeit fehle. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab, das Landessozialgericht (LSG) gab ihr mit der Begründung statt, daß die Dienstzeit der Klägerin im Hinblick auf die ungarische Nachkriegsgesetzgebung als Beschäftigungszeit nach § 16 Fremdrentengesetz (FRG) zu berücksichtigen sei. Auf die Revision der Beklagten hob der erkennende Senat das Berufungsurteil durch Urteil vom 15. März 1979 (SozR 5050 § 15 Nr 11) auf und verwies die Sache an das LSG zurück; ob eine Beschäftigungszeit iS von § 16 FRG vorliege, sei in tatsächlicher Hinsicht nur aufgrund der seinerzeit gegebenen Verhältnisse und in rechtlicher Hinsicht nur unter Anwendung des für das deutsche Recht geltenden Begriffs der Beschäftigung zu beurteilen. Nunmehr wies das LSG die Berufung zurück. Es stellte fest, daß die Klägerin meist mit anderen Ordenslehrerinnen zur Dienstleistung in Schulen an Klosterorten abgestellt worden sei. Einberufung und Versetzung der einzelnen Ordenslehrerinnen habe die Schulbehörde im Einvernehmen mit dem Mutterhaus verfügt. Schulträger der konfessionellen Schulen sei die Kirchengemeinde, vertreten durch den Schulstuhl gewesen. Als Dienstherr der kirchlichen Lehrkräfte habe er diesen gegenüber Weisungsbefugnis gehabt. Das Gehalt habe dem weltlicher Lehrer entsprochen und sei zu 90 % an das Kloster am Schulort, zu 10 % an das Mutterhaus abgeführt worden, entweder über die einzelne oder eine von ihr bevollmächtigte Ordensschwester oder unmittelbar, wobei dann jede Schwester den Empfang habe bestätigen müssen. Bei Geldbedarf hätten sich die Schwestern an das Kloster oder den Orden zu wenden gehabt. Obgleich sonach die Klägerin dem Direktionsrecht des Dienstherrn unterlegen habe und in dessen Betrieb wie eine sonstige Lehrerin eingegliedert gewesen sei, nehme die Rechtsprechung (BSGE 13, 76) bei solchen Sachverhalten indessen ein Beschäftigungsverhältnis nur an, wenn die Ordensangehörigen die Beschäftigung aufgrund eines Einzelvertrages übernommen hätten, nicht aber, wenn sie aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Orden und dem Dienstgeber abgestellt wurden. Daran änderten auch etwaige unmittelbare vertragliche oder dienstrechtliche Beziehungen zwischen Schulträger und einzelnen Ordensschwestern nichts. Im übrigen fehle es hier ferner an der wirtschaftlichen Abhängigkeit, zudem wäre die Klägerin wegen der Gewährleistung von Versorgungsanwartschaft nicht nach Bundesrecht gem § 2 Abs 1 Nr 7 des Angestelltenversicherungsgesetzes alter Fassung (AVG aF) versicherungspflichtig gewesen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 16 FRG. Sie meint, das LSG habe den Begriff der Beschäftigung verkannt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Urteile der Vorinstanzen sowie den ablehnenden Bescheid aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung von Altersruhegeld zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat entgegen der Ansicht des LSG durch Zurücklegung von Beschäftigungszeiten iS von § 16 FRG die Wartezeit für das Altersruhegeld erfüllt.
Nach § 16 Satz 1 FRG steht eine nach vollendetem 16. Lebensjahr vor der Vertreibung ua in Ungarn verrichtete Beschäftigung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Geltungsbereich des Gesetzes, für das Beiträge entrichtet sind, gleich, soweit sie nicht mit einer Beitragszeit zusammenfällt, was hier nicht der Fall ist; vorausgesetzt wird ferner, daß diese Beschäftigung nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht begründet hätte, wenn sie im Bundesgebiet verrichtet worden wäre, wobei ua Vorschriften über die Beschränkung der Versicherungspflicht wegen der Gewährleistung von Versorgungsanwartschaften nicht anzuwenden sind (§ 16 Satz 2 FRG).
Zur Auslegung des § 16 FRG hat der Senat bereits in seinem zurückverweisenden Urteil ausgeführt, daß es hierbei nicht darauf ankomme, ob ein Sachverhalt vorlag, der nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG Voraussetzung für die unter den dortigen Voraussetzungen festgelegte Versicherungspflicht ist; § 16 FRG stelle vielmehr auf eine im fremden Gebiet "verrichtete Beschäftigung" ab; mit diesem Begriff verbinde er den gleichen Sinn wie § 2 Abs 1 Nr 1 AVG, dh, die fremdbestimmte Beschäftigung in persönlicher Abhängigkeit.
Nach den nicht angefochtenen tatsächlichen Feststellungen des LSG hat die Klägerin entgegen der Meinung des Berufungsgerichts in Ungarn als Volksschullehrerin eine Beschäftigung in dem dargelegten Sinne des § 16 FRG verrichtet. Es sind alle Merkmale erfüllt, die erforderlich sind, um danach ein Beschäftigungsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Schulträger zu bejahen. Aufgrund des festgestellten Sachverhalts war die Klägerin bei diesem entsprechend § 2 Abs 1 Satz 1 AVG "als Angestellte gegen Entgelt beschäftigt". Sie unterlag dem Zeit, Dauer, Ort und Art des Schuldienstes umfassenden Weisungsrecht des Dienstherrn und war damit persönlich von ihm abhängig. Ob sie vom Dienstgeber außerdem wirtschaftlich abhängig war - was das LSG wegen der Sicherung durch den Orden verneint hat -, ist unerheblich. Für ihre Dienste bezog die Klägerin außerdem ein "Entgelt"; das gezahlte Gehalt stand ihr und nicht dem Orden zu, was sich insbesondere daran erweist, daß sie bei unmittelbarer Abführung an das Kloster bzw den Orden den Empfang bestätigen mußte.
Das Beschäftigungsverhältnis ist nicht, wie das LSG aus einer früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) folgern wollte, deshalb zu verneinen, weil die Klägerin aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Orden und dem Dienstherrn zum Schuldienst abgestellt worden ist. Bei "Abstellungen" kann zwar ein sogenanntes Gestellungsverhältnis zwischen dem Orden und dem Empfänger der Dienste vorliegen. Auch hat der Senat in seinem nach dem Berufungsurteil ergangenen Urteil vom 19. Mai 1982 - 11 RA 34/81 - (zur Veröffentlichung bestimmt) bereits dargelegt, daß im Falle eines Gestellungsverhältnisses kein Beschäftigungsverhältnis des Ordensmitglieds zu dem Dienstempfänger bestehen kann, weil sich Gestellungsverhältnis und Beschäftigungsverhältnis gegenseitig ausschließen.
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG stehen hier jedoch der Annahme eines Gestellungsverhältnisses entgegen. Nach dem ebenfalls nach dem Berufungsurteil ergangenen Urteil des Senats vom 18. März 1982 (SozR 2200 § 1232 Nr 12) wird ein Beschäftigungsverhältnis nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Ordensangehörige mittels der Beschäftigung "für den Orden" tätig wird und daß er das Entgelt der Gemeinschaft zukommen läßt. Ebenso reicht es nach den Ausführungen im Urteil vom 19. Mai 1982 für ein Gestellungsverhältnis nicht aus, daß eine Tätigkeit mit Zustimmung, Genehmigung oder sonstwie mit dem Willen der Gemeinschaft ausgeübt wird; hierfür wäre erforderlich vielmehr, daß für Beginn und Ende der Tätigkeit ausschließlich Vereinbarungen zwischen der Gemeinschaft und dem Empfänger der Dienstleistungen maßgebend sind; dann werde allerdings auch nicht der Dienstleistende von dem Dienstempfänger ein Entgelt, sondern allenfalls der Orden von diesem eine Vergütung erhalten.
Aus den Feststellungen des LSG über die "Abstellung" der Klägerin für den Schuldienst kann nicht entnommen werden, daß Beginn und Ende der Tätigkeit der Klägerin im Schuldienst ausschließlich auf Vereinbarungen zwischen dem Orden und dem Schulträger beruhten. Die Mitwirkung des Ordens überschritt nicht den Rahmen einer auch sonst möglichen Mitwirkung bei dem Zustandekommen von Beschäftigungsverhältnissen zwischen Ordensmitgliedern und dritten Arbeitgebern. Auch angesichts aller übrigen festgestellten Umstände kann somit die zwischen dem Orden und der Schulbehörde vereinbarte "Abstellung" der Klägerin für den Schuldienst nicht dem Schluß entgegenstehen, daß die Klägerin - wie an sich auch das LSG annahm - als Arbeitnehmerin in den "Betrieb" des Schulträgers eingegliedert und von ihm also iS des § 16 FRG "beschäftigt" war.
Die Beschäftigung hätte nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht begründet. Die Klägerin wäre nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG versicherungspflichtig gewesen; dieser Versicherungspflicht steht, wie der Senat im Urteil vom 18. März 1982 dargelegt hat, nicht entgegen, daß die Klägerin zu den Personen gehört, für die § 2 Abs 1 Nr 7 AVG unter den dort bestimmten Voraussetzungen ebenfalls Versicherungspflicht begründet. Soweit das LSG gemeint hat, die Klägerin wäre wegen der Gewährleistung von Versorgungsanwartschaften nicht versicherungspflichtig gewesen, übersieht es, daß § 16 Satz 2 FRG ausdrücklich eine Anwendung von Vorschriften über die Beschränkung der Versicherungspflicht wegen der Gewährleistung von Versorgungsanwartschaften ausschließt; insoweit kommt allein eine Anwendung von § 18 Abs 3 FRG in Betracht, dessen Voraussetzungen jedenfalls zur Zeit nicht erfüllt sind, da über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Versorgungsbezügen noch nicht abschließend entschieden ist.
Nach alledem war unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen mit der sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebenden Kostenfolge in der Sache zu entscheiden (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Da Beschäftigungszeiten iS des § 16 FRG jedenfalls in einem Umfang vorliegen, der zur Erfüllung der Wartezeit für das begehrte Altersruhegeld ausreicht, hat der Senat die Beklagte gem § 130 SGG dem Grunde nach zur Gewährung dieser Leistung an die Klägerin verurteilt. Der Rentenbeginn ergibt sich aus § 67 Abs 1 Satz 1 AVG iVm § 1 Buchst a) FRG.
Fundstellen