Leitsatz (amtlich)
1. Eine Beitragszeit iS von FRG § 15 liegt - abgesehen von dem Falle einer Beitragsnachentrichtung - nur vor, wenn der Versicherte während der Zeit, spätestens mit ihrem Ende, dann aber ex tunc, in ein auf Beitragsleistung beruhendes Sicherungssystem einbezogen war, wenn auch möglicherweise ohne konkrete Beiträge; eine nachträgliche Einbeziehung genügt nicht (Fortführung von BSG 1971-12-10 11 RA 64/71 = SozR Nr 16 zu § 15 FRG, BSG 1975-06-25 4 RJ 237/74 = SozR 5050 § 15 Nr 1, BSG 1977-08-31 1 RA 155/75 = SozR 5050 § 15 Nr 8, BSG 1977-08-31 1 RA 87/76 = SozR 5050 § 15 Nr 9, BSG 1973-01-17 11 RA 34/72 = SozR Nr 6 zu § 1 FRG).
2. Ob eine Beschäftigung iS von FRG § 16 vorlag, ist in tatsächlicher Hinsicht aufgrund der seinerzeit gegebenen Verhältnisse und in rechtlicher Hinsicht unter Anwendung des für das deutsche Recht geltenden Begriffs der Beschäftigung zu beurteilen.
Leitsatz (redaktionell)
Beitragszeit iS des FRG § 15:
Für die Annahme einer Beitragszeit iS des FRG § 15 genügt es nicht, wenn die Zeit einer Lehrtätigkeit an Volksschulen in Ungarn von 1926 bis 1948 bei der späteren Rentengewährung in Ungarn offenbar wie eine Beitragszeit behandelt worden ist.
Normenkette
FRG § 15 Fassung: 1960-02-25, § 16 Fassung: 1960-02-25; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 7 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 23.11.1977; Aktenzeichen L 13 An 220/73) |
SG München (Entscheidung vom 09.08.1973; Aktenzeichen S 15 An 86/72) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. November 1977 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die 1905 geborene Klägerin begehrt von der Beklagten Altersruhegeld. Sie wohnt seit Oktober 1970 in der Bundesrepublik und ist anerkannte Vertriebene aus Ungarn. Dort war sie von September 1926 bis August 1948 als Angehörige der Kongregation der Armen Schulschwestern Unserer Lieben Frau als Lehrerin an römisch-katholischen Volksschulen tätig. Nach ihren Angaben ließ der Direktor der Schule ihr Gehalt unmittelbar dem Kloster zukommen; sie hatte jedoch den Empfang durch Unterschrift zu bestätigen. Nach der Verstaatlichung der Schulen in Ungarn im Juni 1948 erklärte sie sich zum Übertritt in den Staatsdienst bereit und konnte deshalb weiter unterrichten, bis sie im August 1948 wegen einer Lungenerkrankung behandlungsbedürftig wurde. Nach ihren Angaben erhielt sie noch für einige Monate ihr volles Gehalt, sodann Invalidenpension bzw Invalidenrente und nach Vollendung des 55. Lebensjahres Altersrente. Einen Anspruch auf kirchenrechtliche Versorgung hat sie nicht, da sie seit 1950 keiner Ordensgemeinschaft mehr angehört. Ihr Antrag auf Versorgung nach dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) war bisher erfolglos.
Den im Mai 1971 gestellten Rentenantrag der Klägerin lehnte die Beklagte ab, weil nach den §§ 15, 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) anrechenbare Zeiten fehlten und die Wartezeit somit nicht erfüllt sei. Der Klage gab das Landessozialgericht (LSG) nach Abweisung im ersten Rechtszuge statt. Nach Ansicht des LSG sind die Voraussetzungen des § 25 Abs 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) gegeben. Zwar seien die Zeiten von 1926 bis 1948 nicht als Beitragszeiten im Sinne des § 15 FRG anrechenbar, weil eine Beitragsleistung zur ungarischen Sozialversicherung nicht glaubhaft gemacht, die Klägerin nach damaligem ungarischen Recht von der Versicherungspflicht vielmehr ausgenommen gewesen sei. Diese Zeiten stellten jedoch Beschäftigungszeiten im Sinne von § 16 FRG dar. Dabei könne dahinstehen, ob ursprünglich ein Beschäftigungsverhältnis bestanden habe; ein solches sei jedenfalls nachträglich durch den ungarischen Gesetzgeber hergestellt worden. Aufgrund von Vorschriften aus dem Jahre 1948 sei die Klägerin mit der Maßgabe in den Ruhestand versetzt worden, daß die Zeiten im nichtstaatlichen Schuldienst als solche im öffentlichen Dienst anerkannt wurden. Daraus folge zwingend, daß rückwirkend der ungarische Staat als Arbeitgeber und damit auch ein Arbeitsverhältnis mit wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit fingiert werde. Somit sei ein Rechtsverhältnis anzunehmen, aufgrund dessen eine Beschäftigung verrichtet worden sei, die nach dem seit dem 1. März 1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht begründet hätte.
Auf die Beschwerde der Beklagten hat der Senat zur Klärung der Frage, ob eine Beschäftigung im Sinne von § 16 FRG nachträglich durch die Gesetzgebung des Herkunftslandes fingiert werden kann, die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und macht geltend, daß die Voraussetzungen der §§ 15, 16 FRG nicht nachträglich hergestellt werden könnten. Soweit sich hinsichtlich des § 15 FRG aus neueren Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) etwas anderes zu ergeben scheine, könne dem nicht gefolgt werden.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt
Zurückweisung der Revision.
II
Die Revision ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet.
Das LSG hat die Wartezeit des § 25 Abs. 7 Satz 2 AVG als durch Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG erfüllt angesehen. Diese Auffassung findet in den bisher getroffenen Feststellungen keine ausreichende Stütze.
Nach § 16 Satz 1 FRG steht eine nach vollendetem 16. Lebensjahr vor der Vertreibung ua in Ungarn verrichtete Beschäftigung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Geltungsbereich des Gesetzes, für die Beiträge entrichtet sind, gleich, soweit sie nicht mit einer Beitragszeit zusammenfällt; vorausgesetzt wird ferner, daß diese Beschäftigung - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht begründet hätte, wenn sie im Bundesgebiet verrichtet worden wäre (§ 16 Satz 2 FRG).
Das LSG ist davon ausgegangen, daß die in Frage stehenden. Zeiten nicht mit Beitragszeiten (§ 15 FRG) zusammenfallen; es hat auch keine Feststellungen getroffen, aus denen auf das Vorliegen von Beitragszeiten zu schließen wäre. Dem steht nicht entgegen, daß die Zeiten bei der Feststellung der der Klägerin in Ungarn nach 1948 aus der dortigen Rentenversicherung gewährten Renten offenbar wie Beitragszeiten behandelt, ihnen zumindest gleichgestellt worden sind. Damit haben diese Zeiten nachträglich allenfalls den Charakter von Ersatzzeiten, nicht jedoch von Beitragszeiten der Rentenversicherung erhalten. Von einer Beitragsnachentrichtung abgesehen, liegen Beitragszeiten im Sinne des § 15 FRG nur vor, wenn der Versicherte während der Zeiten, spätestens aber mit dem Ende der Zeiten (in diesem Falle: ex tunc) - wenn auch möglicherweise ohne konkrete Beiträge - in ein auf Beitragsleistung (einem "irgendwie gearteten Beitragsaufkommen", vgl BSGE 6, 263, 265) beruhendes Sicherungssystem einbezogen war (SozR Nr 16 zu § 15 PRG; SozR 5050 § 15 Nrn 8 und 9); eine spätere Einbeziehung genügt dagegen nicht (SozR Nr 6 zu § 1 FRG; SozR 5050 § 15 Nr 1). Dem von der Beklagten zitierten Urteil des 1. Senats vom 31. August 1977 - 1 RA 13/76 - ist ein gegenteiliger Standpunkt nicht zu entnehmen; in den Gründen findet sich kein Anhalt dafür.
Bei der somit möglichen Anwendung des § 16 FRG hat das LSG zu Recht nicht geprüft, ob bei der Klägerin ein Sachverhalt vorlag, der nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG alter oder neuer Fassung im Bundesgebiet Versicherungspflicht begründet hätte. § 16 stellt vielmehr auf eine im fremden Gebiet "verrichtete Beschäftigung" ab. Eine solche hat das LSG bejaht. Daß die Klägerin in den streitigen Zeiten eine Beschäftigung im Sinne des § 16 FRG verrichtet habe, hat es daraus gefolgert, daß der ungarische Gesetzgeber den Zeiten nachträglich im Wege einer Fiktion den Charakter von Dienstzeiten und somit von Beschäftigungszeiten verliehen habe. Dieser Auffassung kann der erkennende Senat nicht folgen. Denn ob zu einer früheren Zeit eine Beschäftigung im Sinne des § 16 FRG vorlag, kann in tatsächlicher Hinsicht nur aufgrund der damals gegebenen Verhältnisse und in rechtlicher Hinsicht nur unter Anwendung des für das deutsche Recht geltenden Begriffs der Beschäftigung entschieden werden. Es ist daher im Rahmen des § 16 FRG unerheblich, was die ungarische Nachkriegsgesetzgebung über frühere Zeiten im nachhinein bestimmt hat.
§ 16 FRG verbindet mit dem Begriff der Beschäftigung den gleichen Sinn wie § 2 Abs 1 Nr 1 AVG (BSGE 23, 69, 71). Danach ist Beschäftigung eine fremdbestimmte Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit (vgl BSGE 38, 53, 57). Ob die Klägerin in den streitigen Zeiten in dieser Weise beschäftigt war, ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Das LSG hat im Gegenteil bewußt offengelassen, ob ursprünglich ein Beschäftigungsverhältnis vorlag.
Hiernach muß der Rechtsstreit an das LSG zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Das LSG wird nunmehr prüfen müssen, ob die Klägerin während der streitigen Zeiten im Sinne von § 16 FRG beschäftigt war. In Betracht käme ein Beschäftigungsverhältnis zu den Schulträgern (vgl BSGE. 13, 76, 77; 28, 208, 210; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 40. Nachtrag S. 618a; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Aufl,. Anm 19a zu § 1227 RVO). Dabei wäre in erster Linie darauf abzustellen, ob der Vertrag zwischen der Klägerin und dem Schulträger oder zwischen diesem und dem Orden abgeschlossen ist; es ist aber auch die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß nach ungarischem Recht die Klägerin durch einen zwischen dem Orden und dem Schulträger abgeschlossenen Vertrag unmittelbar verpflichtet wurde oder daß sie einem Weisungsrecht im Rahmen der Dienstaufsicht unterworfen war, das über das fachliche Weisungsrecht etwa des Arztes gegenüber der aufgrund eines Gestellungsvertrages tätigen Krankenschwester (vgl BSGE 28, 208, 210 f) hinausging und den Tatbestand einer vollen Eingliederung in den "Betrieb" des Schulträgers erfüllte.
Bei seinem Schlußurteil wird das LSG auch über die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Revisionsverfahren zu befinden haben.
Fundstellen