Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung von Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG bei Auslandsaufenthalt
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, ob es im Rahmen des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG beim Bezug von Altersruhegeld auf die Erfüllung einer Wartezeit von 60 oder von 180 Kalendermonaten ankommt (abweichende Auffassung zu BSG 1976-12-14 3 RK 24/75 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 8).
2. Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG ist auf den Fall entsprechend anzuwenden, daß die Nachentrichtung nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG überhaupt erst zur Zahlbarkeit einer Rente geführt hat.
Orientierungssatz
Der Anspruch auf einen Beitragszuschuß ist nach Sinn und Zweck des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG auch deswegen ausgeschlossen, wenn nur durch die Nachentrichtung nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG eine Auszahlung einer Rente gleichviel welcher Art in das Ausland (hier: nach Israel) ermöglicht worden ist.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 3 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs 3 Fassung: 1977-06-27, § 1248 Abs 7 S 2 Fassung: 1977-06-27, § 1304e Fassung: 1977-06-27; ArVNG Art 2 § 51a Abs 4 Fassung: 1977-06-27; ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1319 Abs 2 S 2 Buchst a Fassung: 1960-02-25
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.09.1981; Aktenzeichen S 12 J 1/81) |
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung eines Beitragszuschusses zur Rente des ursprünglich klagenden Versicherten, dessen Witwe den Rechtsstreit als Rechtsnachfolgerin fortführt, für die Zeit vom 27. Dezember 1976 bis zum 31. Dezember 1980.
Der 1901 im heutigen Rumänien geborene und am 14. Dezember 1980 in Israel verstorbene Versicherte war seit 1965 freiwilliges Mitglied der H-M-Krankenversicherung und hatte Anspruch auf umfassende Krankenhilfe. Seinen Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres lehnte die Beklagte im November 1978 ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Im Mai 1979 entrichtete der Versicherte, der nur Beitragszeiten in Rumänien zurückgelegt hatte, nach Art 2 § 51a Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) Beiträge nach. Darauf gewährte ihm die Beklagte ab 1. Januar 1974 Altersruhegeld. Die Gewährung eines Zuschusses zu seinen Krankenversicherungsbeiträgen lehnte die Beklagte ab, weil die Rentenzahlung auf nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG nachentrichteten Beiträgen beruhe und die Rente deshalb in analoger Anwendung des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG nicht als Rente iS von § 1304e der Reichsversicherungsordnung (RVO) gelte. Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage gab das Sozialgericht (SG) statt. Nach seiner Ansicht steht Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG dem Anspruch aus § 1304e RVO, dessen Voraussetzungen erfüllt seien, nicht entgegen. Die Wartezeit sei auch ohne die Beiträge nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG mit einer Versicherungszeit von 139 Monatsbeiträgen erfüllt. Zwar werde die Auszahlung der Rente nur durch die nachentrichteten Beiträge ermöglicht; auf einen solchen Fall könne die Vorschrift des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG aber nicht entsprechend angewandt werden. Eine Gesetzeslücke als Voraussetzung einer analogen Gesetzesanwendung sei nicht erkennbar. Gegen ihre Annahme spreche bereits der eindeutige Gesetzeswortlaut. Sinn und Zweck der getroffenen Regelung ließen erkennen, daß es nur auf die Wartezeiterfüllung als Anspruchsvoraussetzung, nicht aber auf Voraussetzungen für die Rentenzahlung ankommen solle.
Das SG hat auf Antrag der Beklagten mit Zustimmung der Klägerin die Sprungrevision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und rügt eine Verletzung der Vorschriften der §§ 1304, 1317 RVO, Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG. Nach ihrer Ansicht kann ein allein auf den nachentrichteten Beiträgen beruhender Rentenbezug einen Anspruch auf den Beitragszuschuß nicht auslösen. Das ergebe sich schon daraus, daß ein voll ruhender Rentenanspruch einen Beitragszuschußanspruch nicht begründe. Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG solle verhindern, daß die beitragsunabhängige Zusatzleistung solchen Versicherten zugute komme, für deren Rente freiwillige Beiträge nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG kausal seien. Außerdem dürfe nicht übersehen werden, daß nach § 1321 Abs 3 RVO idF des Rentenanpassungsgesetzes (RAG) 1982 ab 1982 die Gewährung von Beitragszuschüssen zu Auslandsrenten grundsätzlich nicht mehr in Betracht komme.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; die Beklagte hat die Gewährung eines Beitragszuschusses zu Recht abgelehnt.
Als Anspruchsgrundlage kommt für die Zeit bis zum 1. Juli 1977 § 381 Abs 4 RVO in der bis dahin geltenden Fassung (§ 381 RVO aF), von da an § 1304e Abs 1 Satz 1 RVO idF des 20. RAG (§ 1304e RVO aF) in Betracht. Nach den Feststellungen des SG sind die unter den Beteiligten nicht streitigen Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt; umstritten ist lediglich, ob Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG den Anspruch ausschließt. Das ist entgegen der Ansicht des SG der Fall.
Nach Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG gilt eine Rente nicht als Rente iSv § 381 Abs 4 RVO aF oder § 1304e RVO aF, wenn "weder die Wartezeiten nach § 1246 Abs 3, § 1247 Abs 3 und § 1248 Abs 7 Satz 2 RVO" ohne Anrechnung von Beiträgen nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG noch die Voraussetzungen des § 1259 Abs 3 RVO erfüllt sind. Daß es an einer Erfüllung der Voraussetzungen der zuletzt genannten Vorschrift fehlt, ist offensichtlich. Das SG hat jedoch in Übereinstimmung mit der Beklagten angenommen, daß die Wartezeit ohne die nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG nachentrichteten Beiträge erfüllt sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Der Versicherte hat ohne die nachentrichteten Beiträge nur eine Versicherungszeit von 139 Monaten zurückgelegt; für die Erfüllung der Wartezeit für das Altersruhegeld, das der Versicherte bezogen hat, hätte es aber der Zurücklegung einer Versicherungszeit von 180 Monaten (§ 1248 Abs 7 Satz 2 RVO) bedurft. Der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat freilich die Ansicht vertreten, daß beim Bezug von Altersruhegeld im Rahmen des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG die Erfüllung der Wartezeit von 60 Kalendermonaten ausreiche (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 8). Diese Ansicht ist jedoch, wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 19. November 1981 (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 50) zum Ausdruck gebracht hat, mit Wortlaut und Sinn des Gesetzes nicht vereinbar. Wenn Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG die Wartezeit des § 1248 Abs 7 Satz 2 RVO ausdrücklich erwähnt, so kann das schlechterdings nur bedeuten, daß es bei Altersruhegeldempfängern auf die Erfüllung der Wartezeit von 180 Monaten ankommen soll. Dies erscheint auch als sinnvoll; denn wenn ein Anspruch auf den Beitragszuschuß nicht mittels einer Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG soll erlangt werden können (vgl BT-Drucks VI/2916, S 48), ist es nur folgerichtig, wenn darauf abgehoben wird, daß ohne die nachentrichteten Beiträge die Wartezeit gerade der Rente erfüllt ist, die der Berechtigte bezieht und zu der allein ein Beitragszuschuß gewährt werden kann. Zu bedenken ist ferner, daß auch die Wartezeit für eine Erwerbsunfähigkeitsrente "nach § 1247 Abs 3 RVO" in Betracht kommt, gemäß dessen Buchst b eine Versicherungszeit von sogar 240 Kalendermonaten gefordert werden kann.
Der Anspruch auf einen Beitragszuschuß ist aber nach Sinn und Zweck des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG hier auch deswegen ausgeschlossen, weil nur durch die Nachentrichtung eine Auszahlung einer Rente gleichviel welcher Art an den Versicherten nach Israel ermöglicht worden ist. Maßgebend für die Zahlung der Rente dorthin waren die §§ 1315 bis 1319 RVO in der bis zum 31. Mai 1979 geltenden, aber auch für die Folgezeit anwendbaren (Art 2 § 41b Abs 3 Satz 1 ArVNG) Fassung (§§ 1315 ff RVO aF). Die Anwendung dieser Vorschriften wird gemäß Nr 3 des Schlußprotokolls zum deutsch-israelischen Abkommen vom 17. Dezember 1973 (BGBl 1975 II, 246) durch Art 4 dieses Abkommens nicht ausgeschlossen. Damit ruhte nach den §§ 1317, 1318 RVO aF jede Rente des Versicherten, der nach Art 3 des Abkommens einem Deutschen iSv Art 116 Abs 1 Grundgesetz (GG) gleichstand, solange nur die in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten iS des § 15 FRG anzurechnen waren; erst durch die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG wurde nicht nur die Wartezeit des § 1248 Abs 7 Satz 2 RVO, sondern auch der Tatbestand des § 1319 Abs 2 Satz 2 Buchst a, RVO aF erfüllt und damit das jeder Rentenzahlung entgegenstehende Ruhen beseitigt.
Der dem Gesetzeswortlaut und der Entstehungsgeschichte zu entnehmende Gesetzeszweck gebietet es, Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG auch auf den Fall entsprechend anzuwenden, daß die Nachentrichtung überhaupt erst zur Zahlbarkeit einer Rente geführt hat. Wie der Senat in seinem Urteil vom 19. November 1981 (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 50) unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte ausgeführt hat, sollen durch eine Nachentrichtung von Beiträgen nach Abs 2 aaO keine Ansprüche auf Leistungen der Krankenversicherung der Rentner entstehen; daraus hat der Senat die Folgerung gezogen, daß auch solche Beiträge außer Betracht bleiben müssen, die auf der Grundlage der nachentrichteten Beiträge entrichtet sind; in ähnlicher Weise hatte sich bereits vorher der 4. Senat zur Frage der Berücksichtigung von Ersatzzeiten, deren Anrechenbarkeit auf der Nachentrichtung beruht, geäußert (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 1). In beiden Fällen ist die Rechtsprechung durch Rückgriff auf den Grundgedanken der getroffenen Regelung im Wege der Auslegung bereits zu Ergebnissen gelangt, die dem bloßen Gesetzeswortlaut nicht unmittelbar zu entnehmen sind. Nichts anderes kann dort gelten, wo nicht die Erfüllung der Wartezeit, sondern eine gleichsam unmittelbare, nicht erst durch die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen der Rente vermittelte Erlangung des Anspruchs auf den Beitragszuschuß in Frage steht. Der dem Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG zugrundeliegende Gedanke, daß durch eine Nachentrichtung nach Abs 2 aaO kein Anspruch auf einen Beitragszuschuß entstehen soll, ist im Gesetzeswortlaut nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt. Bei der Ausformung des Gesetzestextes hat dem Gesetzgeber offenbar nur der Fall vor Augen gestanden, daß allein ohne die nachentrichteten Beiträge die Wartezeit nicht erfüllt wäre; schon die Fälle einer in der einen oder anderen Form von nachentrichteten Beiträgen abhängigen Anrechenbarkeit weiterer Versicherungszeiten hat er offenbar nicht gesehen, erst recht nicht den fernerliegenden, daß die Nachentrichtung einen Ruhenstatbestand beseitigt. Ein einleuchtender Grund, den vorliegenden Fall anders zu behandeln als den unmittelbar im Gesetz geregelten und die von der Rechtsprechung geklärten Fälle, ist nicht ersichtlich. Der Gedanke, daß die nachentrichteten Beiträge im Bereich der Krankenversicherung der Rentner und damit auch für die Frage eines Anspruchs auf Beitragszuschuß unbeachtet sein sollen, trifft in allen diesen Fällen in gleicher Weise zu.
Wenn das SG demgegenüber aus dem Schweigen des Gesetzgebers den Schluß ziehen will, daß der Gesetzgeber andere als die im Gesetz ausdrücklich geregelten Sachverhalte nicht habe erfassen wollen, so übersieht es, daß ein solcher Schluß nur bei einem "beredten Schweigen" des Gesetzgebers zulässig ist; von einem solchen kann aber nur gesprochen werden, wenn dem Gesetzgeber die Problematik vor Augen gestanden hat, wofür es hier sowohl von der Abgelegenheit des Sachverhalts wie vom Gesetzeszweck her an jedem Anhalt fehlt. Einer Analogie steht ferner § 31 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) nicht entgegen; entgegen der Ansicht des SG läßt sich dieser Vorschrift ein Analogieverbot nicht entnehmen. Wenn es dort heißt, Rechte dürften nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein "Gesetz" es vorschreibt oder zuläßt, so kann hier dahinstehen, was im einzelnen unter einem Gesetz im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist; aus der durch sie vorgeschriebenen Bindung an Rechtsnormen läßt sich jedenfalls nichts für die Frage, wie der Normeninhalt zu ermitteln ist, insbesondere kein Ausschluß hergebrachter Auslegungsgrundsätze, zu denen auch die Analogie zählt, herleiten (vgl hierzu Schnapp, Bochumer Kommentar zum SGB, Allgemeiner Teil, RdNrn 32ff zu § 31).
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und mit der sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebenden Kostenfolge in der Sache zu entscheiden (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).
Fundstellen