Leitsatz (amtlich)
Der nach BVG § 71b auf die Versorgungsverwaltung übergegangene Anspruch auf die Erwerbsunfähigkeitsrente geht dem nach RVO § 183 Abs 3 auf die KK übergegangenen Anspruch auch dann nicht vor, wenn der Träger der Kriegsopferversorgung den Anspruch beim Rentenversicherungsträger vor der KK angemeldet hat.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Finanzierungsquelle der Leistung, zu deren Ausgleich ein Übergang des Rentenanspruchs vorgesehen ist, ist für den Rang der Forderung des Leistungsträgers grundsätzlich ohne Bedeutung.
2. Beim Zusammentreffen mehrere kraft Gesetzes eintretender Übergänge des Rentenanspruches richtet sich der Rang der übergegangenen Ansprüche nicht danach, wann sie von den neuen Gläubigern beim Rentenversicherungsträger geltend gemacht worden sind.
3. Der Übergang des Rentenanspruchs auf das Versorgungsamt nach BVG § 71 b geht dem Übergang des Rentenanspruchs auf die KK nach RVO § 183 Abs 3 S 2 nicht vor.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12; BVG § 71b Fassung: 1960-06-27
Tenor
Die Sprungrevision des beigeladenen Landes gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 14. November 1967 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Übergang des Rentenanspruchs nach § 71b des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) dem Übergang nach § 183 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorgeht.
Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bewilligte durch Bescheid vom 7. Dezember 1963 dem Versicherten J W in G mit Wirkung vom 1. August 1960 an Erwerbsunfähigkeitsrente. Das beigeladene Land Baden-Württemberg beanspruchte von der Rentennachzahlung gemäß § 71b BVG für die Zeit vom 1. August 1960 bis zum 31. Dezember 1962 den Betrag von 3.108,- DM. Die Klägerin (die Allgemeine Ortskrankenkasse G) beanspruchte gemäß § 183 Abs. 3 RVO für die Zeit vom 27. Oktober 1961 bis zum 20. Dezember 1962 den Betrag von 820,37 DM. Die Beklagte zahlte an den Beigeladenen den von ihm geforderten Betrag von 3.108,- DM, an die Klägerin jedoch nur 353,70 DM mit der Begründung, beide Ersatzansprüche seien zwar gleichrangig, der Ersatzanspruch des Versorgungsamtes sei aber voll zu befriedigen, weil der Antrag des Versorgungsamtes früher als der der Klägerin gestellt worden sei. Hiergegen hat die Klägerin Klage mit der Begründung erhoben, die Ersatzansprüche seien gleichrangig, auf den Zeitpunkt der Anmeldung des Anspruchs komme es nicht an.
Das Sozialgericht (SG) hat das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg gemäß § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beigeladen und auf die Klage hin den Beigeladenen verpflichtet, der Klägerin 177,55 DM zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Forderungen der Klägerin und des Beigeladenen seien gleichrangig. Bei gleichrangigen Forderungen komme es nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs der Mitteilung über die Höhe des Erstattungsanspruchs an. Dies sei nur notwendig bei solchen Ansprüchen, zu deren Wirksamwerden eine Anzeige erforderlich sei. Nicht entscheidend sei, daß der Ersatzanspruch des Beigeladenen für die Zeit vom 1. August 1960 an zu laufen beginne und der der Klägerin erst vom 27. Oktober 1961 an. Vielmehr ständen sich die Ersatzforderungen für die Zeit vom 27. Oktober 1961 bis zum 20. Dezember 1962 des Beigeladenen und der Klägerin einander gegenüber. Dabei sei ohne Bedeutung, daß die Versorgungsbezüge in der Regel monatlich im voraus und die Krankengelder erst nachträglich gezahlt würden. Da die Forderungen gleichrangig seien, seien sie ähnlich wie im Konkursrecht anteilmäßig zu befriedigen. Der Betrag von 177,55 DM errechne sich aus dem Unterschied zwischen dem Anspruch des Beigeladenen wegen zuviel gezahlter Versorgungsbezüge und dem anteilmäßigen Betrag. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Der Beigeladene hat gegen das Urteil mit Einwilligung der übrigen Beteiligten Sprungrevision eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die angefochtene Entscheidung des Vordergerichts verletze § 71b BVG (in einem weiteren, nach Ablauf der Revisionsbegründung eingegangenen Schriftsatz vom 15. März 1968 hat der Beigeladene eine ausführliche Revisionsbegründung gegeben).
Der Beigeladene beantragt,
das Urteil des SG Ulm vom 14. November 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Sprungrevision ist zulässig.
Die Begründung im Revisionsschriftsatz vom 19. Dezember 1967, daß die angefochtene Entscheidung § 71b BVG verletze, entspricht den Anforderungen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG, wonach die Revisionsbegründung die verletzte Rechtsnorm bezeichnen muß (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 21. Februar 1969 - 3 RK 67/65). Dies bringt der Beigeladene dadurch zum Ausdruck, daß er eine unrichtige Anwendung des § 71b BVG rügt. Er will damit sagen, daß die Gleichrangigkeit der beiderseitigen Ansprüche, wie es das SG angenommen hat, nicht mit dem Grundgedanken dieser Vorschrift in Einklang stehe, daß vielmehr der Übergang nach § 71b BVG anderen Rechtsübergängen vorgehe. Das Rechtsmittel ist damit zulässig. Es erweist sich jedoch als nicht begründet.
Nach § 183 Abs. 3 RVO endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird. Ist über diesen Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden, so geht der Anspruch auf die Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Kasse über, wobei die Kasse von dem Versicherten nichts zurückfordern kann, wenn das Krankengeld die Rente übersteigt. Diese Regelung beruht darauf, daß die Krankenkasse bis zur Bewilligung der Rente noch Krankengeld zahlen mußte, obwohl - rückwirkend gesehen - der Versicherte schon erwerbsunfähig war und deshalb einen Anspruch auf Rente hatte. Deshalb soll der Anspruch auf Rente als Ausgleich für diese Zahlung auf die Krankenkasse übergehen. Es handelt sich um einen gesetzlichen Forderungsübergang, der ohne Benachrichtigung oder Überleitungsanzeige an den Schuldner eintritt, sobald alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Entscheidender Zeitpunkt ist damit die letzte der Voraussetzungen, nämlich die Bewilligung der Rente.
Ähnlich verhält es sich mit dem Forderungsübergang nach § 71b BVG. Nach dieser Vorschrift gehen, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde Versorgungsbezüge gewährt und wenn der Versorgungsberechtigte für dieselbe Zeit Ansprüche gegen einen Träger der Sozialversicherung ... hat, diese Ansprüche insoweit auf den Kostenträger der Kriegsopferversorgung über, als sie zur Minderung oder zum Wegfall der Versorgungsbezüge führen. Diese Vorschrift setzt also voraus, daß Versorgungsbezüge gezahlt worden sind, die bei rechtzeitiger Rentenzahlung nicht zu zahlen gewesen wären. Das war im vorliegenden Fall die Ausgleichsrente. Diese ist nach § 33 BVG um das anzurechnende Einkommen zu mindern. Einkommen im Sinne dieser Vorschrift sind dabei u.a. auch Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG vom 11. Januar 1961 - BGBl I 19). Im vorliegenden Falle wäre also die Ausgleichsrente nicht in der gezahlten Höhe zu gewähren gewesen, wenn die Rente schon in den Zeiträumen gezahlt worden wäre, für die sie rückwirkend bewilligt worden ist. Damit sind die Voraussetzungen des § 71b BVG erfüllt. Auch hier handelt es sich wie bei § 183 Abs. 3 RVO um einen gesetzlichen Forderungsübergang, der in dem Augenblick eintritt, in dem alle seine Voraussetzungen erfüllt waren.
§ 183 Abs. 3 RVO und § 71b BVG sind ihrer Gestaltung nach gleichartige Überleitungsvorschriften. Ihre Wirkungen treten ohne eine Überleitungsanzeige ein, sie stehen also nicht in einem Verhältnis von gesetzlichem Forderungsübergang zur Überleitungsanzeige (vgl. BSG 24, 16 und Urteil vom 11. März 1969 - 4 RJ 107/68 -).
Schon das Reichsversicherungsamt (RVA) hat in der Grundsätzlichen Entscheidung 2118 vom 18. September 1915 (AN 1915, 772) ausgesprochen, die frühere Anmeldung des Ersatzanspruchs eines Armenverbandes sei beim Vorliegen eines weiteren Ersatzanspruchs eines anderen Armenverbandes für denselben Zeitraum jedenfalls dann ohne Einfluß auf den Rang des Forderungsübergangs, wenn beide Ersatzansprüche angemeldet seien, bevor die Rentenüberweisung erfolgt und der sich hieran anschließende Ersatz streit entschieden sei. Die Ersatzansprüche der beiden Verbände seien also gleichberechtigt. Träfen aber mehrere gleichberechtigte Ersatzansprüche von Armenverbänden auf die gleiche Versicherungsleistung zusammen, so sei diese unter entsprechender Kürzung der Ansprüche nach dem Verhältnis der Aufwendungen zu teilen.
In demselben Sinne hat der Bundesgerichtshof (BGH) in BGHZ 28, 68 entschieden: Wenn ein Unfall für den Versicherungsträger der Unfallversicherung und den Träger der Rentenversicherung Rentenverpflichtungen auslöse und wenn der gemäß § 1542 RVO übergegangene Anspruch auf Schadenersatz der Höhe nach nicht ausreiche, so seien die Versicherungsträger, soweit sie konkurrieren, Gesamtgläubiger. Für den Innenausgleich sei das Größenverhältnis der beiderseitigen Rentenbelastungen maßgebend. Es komme dabei nicht darauf an, welcher Versicherungsträger seine Rückgriffsforderungen aus § 1542 RVO zuerst geltend mache, da der für die Zwangsvollstreckung geltende Grundsatz der Priorität für die Beurteilung der materiellen Rechtslage nicht maßgebend sei. Als sachgerechter Maßstab der Verteilung biete sich von selbst das Größenverhältnis an, das zwischen den Versicherungsleistungen der beiden Versicherungsträger in einem bestimmten Zeitraum bestehe. Voraussetzung sei dabei, daß es sich um gleichartige Versicherungsleistungen handele, die sachlich und zeitlich dem Schaden kongruent seien, auf dessen Erstattung der gemäß § 1542 RVO übergegangene Anspruch bestehe und daß sich nicht aus besonderen rechtlichen Gesichtspunkten ein Vorrecht eines Versicherungsträgers ergebe.
Zu denselben Schlußfolgerungen kommen für das Gebiet der Sozialversicherung Hanisch (Die Ersatzansprüche gegen die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, Die Angestelltenversicherung 1964, 95) und Tiedt (Rangfolge der gegen die Träger der Rentenversicherung gerichteten Ersatzansprüche, Die Sozialversicherung 1963, 74). Der Senat schließt sich dem jedenfalls insoweit an, als in solchen Fällen des mehrfachen Forderungsüberganges grundsätzlich Gleichrangigkeit angenommen wird.
Bei § 183 Abs. 3 RVO und §71b BVG handelt es sich ihrer Funktion nach um gleichartige Forderungen. Beide Leistungsverwaltungen mußten einspringen, weil die Rente noch nicht gezahlt war. Unerheblich ist für den Rang des Forderungsüberganges, daß die Leistung des Trägers der Kriegsopferversorgung aus Steuermitteln, die der Krankenkasse aus Beiträgen erbracht worden ist; denn die Finanzierungsquelle sagt nichts über das höhere Schutzbedürfnis der einen oder anderen Leistungsverwaltung aus. Allenfalls könnte zugunsten eines vorgehenden Rangs des Übergangs auf die Krankenkasse angeführt werden, daß diese zum Ausgleich für das im Endergebnis zu Unrecht gezahlte Krankengeld nur auf die Rentennachzahlung angewiesen ist und keine weiteren Ansprüche hat (vgl. § 183 Abs. 3 RVO und Urteil des Senats vom 15. Oktober 1968 - SozR RVO § 183 Nr. 36), während die Versorgungsverwaltung bei zu Unrecht gezahlten Versorgungsbezügen einen (wenn auch eingeschränkten) Rückerstattungsanspruch nach § 47 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung hat.
Der Senat ist jedoch einer abschließenden Stellungnahme hierzu enthoben. Da die Klägerin mit der Klage nur eine Forderung geltend gemacht hat, die auf der Grundlage der Gleichrangigkeit beider Forderungsübergänge errechnet ist, genügt es in diesem Zusammenhang festzustellen, daß der Forderungsübergang nach § 71b BVG nicht etwa seiner Natur nach "aus besonderen rechtlichen Gesichtspunkten" (vgl. die oben erwähnte Entscheidung des BGH in BGHZ 28, 68, 73) dem nach § 183 Abs. 3 RVO vorgeht.
Entgegen der Auffassung der beklagten BfA kommt es für den Rang des Forderungsüberganges auch nicht darauf an, welche Verwaltung die auf sie übergegangene Forderung zuerst geltend macht. Wie der BGH (aaO 28, 72) zutreffend dargelegt hat, kann der für die Zwangsvollstreckung geltende Grundsatz der Priorität des Zugriffs des Gläubigers für die Beurteilung der materiellen Rechtslage nicht maßgebend sein. Die sich allein aus dem materiellen Recht ergebende Rechtsstellung des Gläubigers einer Forderung ist - abgesehen von Ausschluß- oder Verjährungsfristen, die hier keine Rolle spielen - unabhängig von der Geltendmachung. Ob im Interesse des Schuldners ein Vorbehalt für den vom RVA erwogenen Fall (AN 1915, 774) zu machen ist, daß bereits ein Anspruch befriedigt worden ist, ehe der zweite geltend gemacht wurde, kann offenbleiben; denn im vorliegenden Fall hat die beklagte BfA erst nach Anmeldung beider Ansprüche geleistet.
Demnach hat die beklagte BfA zumindest den von der Klägerin geltend gemachten Betrag zu Unrecht an das beigeladene Land gezahlt. Die BfA wäre daher an sich verpflichtet, den streitigen Betrag, den sie zu Unrecht an das Land gezahlt hat, der Klägerin zu zahlen. Im vorliegenden Fall macht jedoch die Klägerin den Anspruch gegen den Beigeladenen geltend. Hierzu ist sie nach § 816 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches berechtigt, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 27. April 1966 (BSG 25, 6, 9) ausgesprochen hat. Prozeßrechtlich ergibt sich die Zulässigkeit einer solchen Verurteilung aus einer entsprechenden Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG, wie das SG zutreffend angenommen hat.
Die Sprungrevision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen