Orientierungssatz
Berufliche Rehabilitation - Umschulung - Anerkennungspraktikum - Förderungsdauer - sozialrechtlicher Herstellungsanspruch - Beratungsfehler:
1. Bei einer Rehabilitationsmaßnahme bestimmt sich, das maßgebende Gesetz nach dem Zeitpunkt, zu dem die Maßnahme erforderlich geworden ist (vgl BSG 15.3.1979 11 RA 38/78 = SozR 2200 § 1236 Nr 16); ist die Maßnahme zur Zeit der Bescheiderteilung schon begonnen worden, bestimmt als - spätester - Zeitpunkt der des Maßnahmebeginns das anzuwendende Recht.
2. Das HBegleitG 1983 enthält keinen Hinweis darauf, daß die in § 58 Abs 1 S 1 im Hinblick auf § 34 Abs 2 AFG erfolgte Änderung auf vor dem 1.1.1983 schon laufende Fälle oder in anderer Weise rückwirkend anzuwenden wäre.
3. Durch eine unrichtige Informierung entsteht keine Verpflichtung des Sozialleistungsträgers, sich dementsprechend gesetzwidrig zu verhalten; der Vertrauensschutz des Bürgers in die Richtigkeit einer Auskunft oder formlosen Zusage findet seine Grenze in dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl BSG 25.10.1978 1 RA 1/78 = SozR 2200 § 1237 Nr 10).
4. Der Herstellungsanspruch darf nicht zur Herbeiführung eines gesetzwidrigen Zustandes führen; er kann nicht bewirken, daß die Vorschriften über die Regelförderungsdauer außer acht gelassen werden (vgl BSG 12.12.1984 7 RAr 74/83 = SozR 4100 § 56 Nr 18).
Normenkette
AFG § 56 Abs. 4 Sätze 1-2, § 58 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1975-12-18, S. 1 Fassung: 1982-12-20, § 34 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1982-12-20; HBegleitG 1983
Verfahrensgang
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte ab Oktober 1982 die mit dem Anerkennungspraktikum drei Jahre umfassende Umschulung des Klägers zum Heilerziehungspfleger (HEP) als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation zu fördern hat.
Der 1955 geborene Kläger, gelernter Fernmeldehandwerker, begehrte wegen eines Wirbelsäulenleidens, die Ausbildung zum HEP zu fördern. Der ärztliche Dienst der Beklagten hielt eine Umschulung auf eine körperlich leichte Arbeit für geraten, der begutachtende Psychologe bejahte eine Eignung für den angestrebten Beruf. Die Beklagte lehnte die Förderung ab, weil sich der Arbeitsmarkt in diesem Bereich zunehmend verschlechtere und die auf zwei Jahre begrenzte Dauer der Umschulungsförderung überschritten werde (Bescheid vom 21. Juni 1982; Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1982).
Hiergegen hat der Kläger, der im Mai 1982 sein Arbeitsverhältnis gekündigt und ab 5. Oktober 1982 an einer Fachschule für Heilerziehungspflege und Heilerziehungshilfe mit der Ausbildung begonnen hatte, sich mit der Klage gewandt und diese Bescheide sowie den weiteren Bescheid vom 25. Mai 1983 aufzuheben begehrt, mit dem die Beklagte den Antrag abgelehnt hat, Förderungsleistungen ab dem 1. Januar 1983 zu gewähren.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (Urteile vom 15. September 1983 und 27. Februar 1985). Nach der Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) ist der Kläger Behinderter iS von § 56 Abs 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und kann durch die Ausbildung zum HEP beruflich eingegliedert werden. Einer Förderung stehe indes der Absatz 4 der Vorschrift entgegen; danach dürfe eine länger als zwei Jahre dauernde Maßnahme nur ausnahmsweise gefördert werden. Eine innerhalb der Regeldauer bleibende Eingliederungsmöglichkeit ergäbe sich in dem verwandten Beruf des Heilerziehungshelfers. Die zum 1. Januar 1983 in Kraft getretene Änderung des § 58 Abs 1 Satz 1 AFG, aufgrund deren ein Anerkennungspraktikum im Rahmen der Rehabilitation nicht mehr gefördert werde, komme dem Kläger nicht zugute; auch eine Teilförderung ab diesem Zeitpunkt mit Wirkung für die Zukunft sei ausgeschlossen. Aus einem etwa fehlerhaften Verhalten des Sachbearbeiters sei der Anspruch auf Förderung nicht herzuleiten. Eine formgerechte Zusage sei nicht erfolgt und eine falsche Auskunft oder Beratung binde die Beklagte insoweit nicht.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine unrichtige Anwendung bzw eine Nichtanwendung von § 56 AFG, § 2 Abs 2 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) und eine Verletzung der Beratungspflicht. Die Bescheide seien unvollständig, weil ihm darin kein zweckmäßigerer Eingliederungsweg aufgezeigt worden sei. Anstelle der Beklagten habe das hierfür nicht zuständige LSG entschieden, daß eine Ausbildung zum Heilerziehungshelfer in Betracht gekommen wäre; von einer solchen Möglichkeit habe er erst nach Abschluß der Ausbildung zum HEP erfahren. Insofern hätte das LSG einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wegen unterlassener Beratung zu prüfen gehabt. Da eine Beratungspflichtverletzung der Beklagten für den Schaden ursächlich sei, habe sie ihn so zu stellen, als hätte er nur durch die längere Umschulung eingegliedert werden können.
Der Kläger beantragt, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, für die Ausbildung zum HEP Übergangsgeld, Schulgeld und Fahrtkosten zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet; zutreffend hat das LSG entschieden, daß die Beklagte nicht verpflichtet ist, die Umschulung des Klägers zum HEP als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation zu fördern.
Als Rechtsgrundlage für den Anspruch kommen die §§ 56, 58 AFG in Frage, die idF des Haushaltsstrukturgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) anzuwenden sind. Denn bei einer Rehabilitationsmaßnahme bestimmt sich, wie der erkennende Senat bereits wiederholt in Übereinstimmung mit den anderen für das Leistungsrecht der Rehabilitation zuständigen Senaten des BSG entschieden hat (BSGE 44, 231 = SozR 2200 § 1236 Nr 3; BSGE 48, 92 = SozR 2200 § 1236 Nr 15; aaO Nrn 16 und 35; § 1237a Nr 10; § 182 Nr 29), das maßgebende Gesetz nach dem Zeitpunkt, zu dem die Maßnahme erforderlich geworden ist; ist die Maßnahme zur Zeit der Bescheiderteilung, wie hier beim Kläger bei Erlaß des Widerspruchsbescheides, schon begonnen worden, bestimmt als - spätester - Zeitpunkt der des Maßnahmebeginns das anzuwendende Recht.
Mit dem LSG ist davon auszugehen, daß die allgemeinen in § 56 Abs 1 Satz 1 AFG enthaltenen Voraussetzungen berufsfördernder Maßnahmen gegeben sind. Gleichwohl kann eine Förderung nach Abs 1 nicht erfolgen, weil dem die in Abs 4 Satz 1 und 2 von § 56 AFG geregelten weiteren Leistungsvoraussetzungen entgegenstehen. Hiernach sollen berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation für die Dauer gewährt werden, die zur Erreichung des Berufsziels vorgeschrieben oder allgemein üblich ist; Leistungen für die Umschulung in der Regel nur, wenn die Maßnahme bei ganztägigem Unterricht nicht länger als zwei Jahre dauert. Der Kläger erstrebt indes, worauf sich die Feststellung und Prüfung des LSG zu Recht erstreckt haben, Leistungen für eine berufliche Umschulung, die bei ganztägigem Unterricht länger als zwei Jahre dauert; sie umfaßt drei Jahre, weil das im dritten Jahr abzuleistende Anerkennungspraktikum zur Erlangung einer auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Qualifikation erforderlich ist und erst eine berufliche Eingliederung auf Dauer ermöglicht (s hierzu SozR 2200 § 1236 Nrn 15 und 16; § 1237a Nr 10).
Mit Hilfe von § 58 Abs 1 Satz 1 AFG läßt sich insoweit kein anderes Ergebnis gewinnen. Denn in der hier maßgebenden Fassung des HStruktG-AFG hat diese Vorschrift § 34 Abs 2 bis 4 AFG von der entsprechenden Geltung für die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation ausgenommen; das bedeutet, daß Zeiten einer der beruflichen Bildungsmaßnahme folgenden Beschäftigung, die der Erlangung der staatlichen Anerkennung zur Ausübung des Berufes diente, im Rehabilitationsrecht einen Bestandteil der Maßnahme darstellten. Eine Leistungspflicht der Beklagten hätte sich sonach außer auf die zweijährige Fachschulausbildung auch auf das nachfolgende einjährige Anerkennungspraktikum zu erstrecken gehabt und damit die in § 56 Abs 4 AFG festgelegte Regelförderungsdauer überschritten. Das am 1. Januar 1983 in Kraft getretene Haushaltsbegleitgesetz 1983 (HBegleitG 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1857) hat dies zwar dahin geändert, daß nur noch die Absätze 3 und 4 des § 34 AFG bei den berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahmen ausgenommen sind; das hat zur Folge, daß ein Anerkennungspraktikum seitdem auch im Rehabilitationsrecht nicht mehr gefördert werden darf und dieses deshalb nicht mehr Bestandteil der Maßnahme sein kann. Dieser letztere Umstand, der sich beim Kläger als Vorteil auswirken könnte, kann jedoch keine Berücksichtigung zu seinen Gunsten finden. Das HBegleitG 1983 enthält keinen Hinweis darauf, daß die in § 58 Abs 1 Satz 1 im Hinblick auf § 34 Abs 2 AFG erfolgte Änderung auf vor dem 1. Januar 1983 schon laufende Fälle oder in anderer Weise rückwirkend anzuwenden wäre; das kann auch nicht aus dem Sinn des Gesetzes heraus konstruiert werden, zumal das Gesetz im Grundsatz keine Verbesserung, sondern wegen der Herausnahme des Anerkennungspraktikums aus der Förderung eine Verschlechterung bringt. Ebensowenig kann aber eine Teilförderung ab 1. Januar 1983 auf der Grundlage des neuen Rechts unter Beachtung des geänderten § 58 Abs 1 Satz 1 AFG stattfinden. Denn das bei Beginn einer Maßnahme geltende Recht bleibt ungeachtet späterer Änderungen für die gesamte Dauer maßgebend (SozR 2200 § 1236 Nrn 16 und 35; § 182 Nr 29; § 1237 Nr 10); auch kann eine länger dauernde Maßnahme, um die es sich hier handelt, hinsichtlich des anzuwendenden Rechts nicht in Teilmaßnahmen zerlegt werden (SozR aaO Nr 16).
Daß eine Eingliederung des Klägers nur durch eine länger als zwei Jahre dauernde Maßnahme zu erreichen sei (§ 56 Abs 4 Satz 2 letzter Halbsatz AFG), vermag der Senat ebensowenig zu erkennen wie vor ihm das LSG. Wie dessen Feststellungen ergeben, schließen weder Art und Umfang der Gesundheitseinschränkung noch Eignung und Neigung eine zweijährige Umschulung in andere Berufe als den des HEP aus. Davon, ob der Kläger durch eine Umschulung bis zur Dauer von zwei Jahren oder ob er nur durch eine längerdauernde Umschulung eingegliedert werden konnte, mußte das LSG sich entgegen dem Kläger selbst überzeugen. Das hat der Senat in Berücksichtigung des Umstandes, daß es nach dem Gesetz für die Überschreitung der Zweijahresdauer nur eine einzige Ausnahme gibt und diese in einer Weise festgelegt ist, die keinen Raum für ein Ermessen läßt, im Urteil vom 31. Januar 1980 (SozR 2200 § 1237a Nr 10, S 17) bereits entschieden; die Argumente der Revision geben keinen Anlaß, hiervon abzugehen. Inwiefern das LSG kompetenzwidrig anstelle der Beklagten "verwaltungsmäßig" entschieden haben soll, läßt sich nicht erkennen, es hat vielmehr im Rahmen der rechtlichen Erörterungen zu § 56 Abs 4 Satz 2 letzter Halbsatz AFG die erforderlichen Feststellungen dazu getroffen, ob der dort genannte Ausnahmefall gegeben ist oder nicht. Daß es hierbei zu anfechtbaren Ergebnissen gekommen sei, ist nicht ersichtlich.
Auf eine andere rechtliche Grundlage als auf §§ 56, 58 AFG ist der Anspruch nicht zu stützen.
Die Rüge, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, da sie mangels eines Hinweises auf andere gangbare Umschulungswege unvollständig seien, übersieht, daß nur die Ablehnung der Förderung zum HEP angefochten ist. Sie geht aber außerdem deshalb fehl, weil der Kläger sich von vornherein auf die Umschulung zum HEP festgelegt hat. Infolgedessen bestand für die Beklagte kein Anlaß, sich in den Verwaltungsentscheidungen mit weiteren Ansprüchen zu befassen und ihm zusätzlich einen anderen Weg zur Leistung aufzuzeigen (vgl hierzu SozR 2200 § 1237 Nr 18). Eine Regelung, daß ein auf dem Gebiet der beruflichen Rehabilitation ergehender ablehnender Verwaltungsakt immer "Alternativvorschläge" einzubeziehen habe, gibt es nicht.
Sollte mit dem Vorbringen der Vorwurf verknüpft sein, die Beklagte habe ihre im Rahmen der §§ 56 ff AFG obliegenden Nebenpflichten verletzt, indem der betreffende Sachbearbeiter bis Anfang Juni 1982 die falsche Auskunft bzw - mündliche - Zusage gegeben habe, es werde in Kürze ein positiver Bescheid ergehen, läßt sich auch daraus keine Grundlage für die begehrte Umschulungsförderung zum HEP herleiten. Durch eine unrichtige Informierung entsteht keine Verpflichtung des Sozialleistungsträgers, sich dementsprechend gesetzwidrig zu verhalten; der Vertrauensschutz des Bürgers in die Richtigkeit einer Auskunft oder formlosen Zusage findet seine Grenze in dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (st Rechtspr, s SozR 2200 § 1237 Nr 10 mit Nachweisen).
Schließlich verhilft das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs der Klage auch nicht deshalb zum Erfolg, weil der Kläger eine rechtzeitige Beratung darüber vermißt, sich anstatt zum HEP zum Heilerziehungshelfer umschulen zu lassen. Der vom BSG entwickelte Herstellungsanspruch ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungs- bzw Leistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (so in jüngster Zeit der 7. Senat in SozR 4100 § 56 Nr 18). Wesentlich ist demnach das Ausbleiben von gesetzlich vorgesehenen Vorteilen infolge eines rechtswidrigen Verhaltens des Leistungsträgers. Deshalb kann ein aus unterlassener Beratung entstehender Herstellungsanspruch nicht entgegen den gesetzlichen Regelungen zu einer Förderung der Umschulung zum HEP führen, weil jede Art der Beratung nichts daran ändern konnte, daß eine derartige Förderung gesetzwidrig war. Der Herstellungsanspruch darf nicht zur Herbeiführung eines gesetzwidrigen Zustandes führen; er kann nicht, wie der 7. Senat aa0 für einen vergleichbaren Fall zu Recht entschieden hat, bewirken, daß die Vorschriften über die Regelförderungsdauer außer acht gelassen werden. Inwiefern § 2 Abs 2 SGB 1 an dieser rechtlichen Konsequenz etwas Wesentliches zu ändern vermöchte, ist nicht ersichtlich.
Nach allem war das Urteil des LSG zu bestätigen. Das führte mit der aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes entnommenen Kostenfolge zur Zurückweisung der Revision.
Fundstellen