Beteiligte
… Kläger und Revisionskläger |
… Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) dem Kläger Kindergeld zu gewähren hat.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Ein von ihm betriebenes Asylverfahren wurde im April 1983 mit einer ablehnenden Entscheidung rechtskräftig abgeschlossen. Zur Zeit ist ihm der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 2 des Ausländergesetzes (AuslG) vorübergehend gestattet, bis sein erkrankter Sohn Fehmi ohne Schaden für seine Gesundheit in die Türkei zurückkehren kann.
Nachdem bereits ein Kindergeldantrag mit dem bindenden Bescheid vom 22. März 1984 abgelehnt worden war, beantragte der Kläger am 8. Juli 1984 erneut, ihm für seine drei Kinder, Fehmi, geb. 1970, Mehmet, geb. 1974, und Sibel, geb. 1978, Kindergeld zu gewähren. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 23. August 1984 ab. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13. September 1984).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Dem Kläger sei kein Kindergeld zu gewähren, weil er weder im Geltungsbereich des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Wenn einem Ausländer, der als Asylbewerber abgelehnt worden sei, aus humanitären Gründen wie hier eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt werde, führe dies nicht dazu, daß er nunmehr seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet habe.
Mit der - vom SG durch Beschluß vom 11. Oktober 1985 zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1 Nr 1 BKGG und macht geltend, entgegen der Annahme der Vorinstanz habe sein Aufenthalt im Bundesgebiet nicht nur einen vorläufigen oder vorübergehenden Charakter. Gegen eine solche Annahme spreche bereits, daß er sich seit über acht Jahren hier aufhalte. In dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. Juni 1982 (BSGE 53, 294), auf das das SG seine Entscheidung gestützt habe, sei über den Kindergeldanspruch eines Asylbewerbers entschieden und ausgeführt worden, daß in der Regel kein Kindergeldanspruch während des Asylverfahrens bestehe, weil es nicht wahrscheinlich sei, daß sich Asylbewerber unbegrenzt lange in der Bundesrepublik aufhielten und es demgemäß auch unwahrscheinlich sei, daß sie durch das Aufziehen ihrer Kinder einen Beitrag zur künftigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz der Gesellschaft in diesem Staate leisten würden. Diese Erwägungen träfen im vorliegenden Falle nicht zu. Vielmehr bestehe Grund zu der Annahme, daß er der Kläger, sich mit seinen Kindern auf eine nicht absehbar lange Zeit in der Bundesrepublik Deutschland, aufhalten dürfe. Er habe zwar zunächst nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, könne aber davon ausgehen; daß sein Aufenthalt zumindest bis zum 1. Januar 1986 aus den Gründen andauern werde, die der befristeten Aufenthaltserlaubnis zugrunde lägen. Da türkische Staatsangehörige aufgrund des Assoziationsabkommens der EG mit der Türkei vom 23. November 1970 ab 1. Januar 1986 hinsichtlich der Freizügigkeit den Angehörigen der EG-Staaten gleichgestellt seien, sei davon auszugehen, daß er auch über das Jahr 1985 hinaus auf unbegrenzte Zeit im Bundesgebiet bleiben könne.
Der Kläger beantragt,das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 12. Juli 1985 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. August 1984 idF des Widerspruchsbescheides vom 13. September 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für seine drei Kinder Fehmi, Mehmet und Sibel Kindergeld bis einschließlich März 1986 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und macht ergänzend geltend, die dem Kläger nach rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags erteilte und bereits mehrfach verlängerte vorübergehende Aufenthaltserlaubnis nach § 2 AuslG werde nur solange seinen Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglichen, bis er mit seinem Sohn Fehmi ohne Schaden für dessen Gesundheit in die Türkei zurückkehren könne. Damit stehe aber fest, daß sein Aufenthalt nur vorübergehender Natur sei. Auch der Hinweis auf das Assoziationsabkommen vermöge die Klage nicht zu stützen. Die Frage, ob die Freizügigkeit für türkische Staatsangehörige tatsächlich eingeführt werde, sei immer noch umstritten und nicht abschließend geregelt. Nach derzeit geltendem Recht habe der Kläger jedenfalls keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG und deshalb auch keinen Anspruch auf Kindergeld.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte und das SG haben den geltend gemachten Anspruch zu Recht verneint.
Nach § 1 Nr 1 BKGG hat Anspruch auf Kindergeld für seine Kinder, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Kläger hat während des Zeitraumes, für den er Kindergeld verlangt, weder im Bundesgebiet einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Nach der auch für das Kindergeldrecht geltenden (BSG 49, 254, 255) Legaldefinition des § 30 Abs 3 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Für die Bestimmung des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts sind - wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt - die tatsächlichen, Umstände maßgebend. Es kommt nicht nur auf den Willen einer Person an, an einem Ort einen Wohnsitz zu begründen oder sich nicht nur vorübergehend dort aufzuhalten. Die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dürfen diesem Willen nicht entgegenstehen, (BSGE 49, 254, 256 mwN). Der Kläger hat daher während der hier strittigen Zeit nicht schon deshalb einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG gehabt, weil er sich auf Dauer im Bundesgebiet aufhalten wollte. Sein Aufenthalt war, unabhängig von seinem Willen, nur vorübergehender Natur. Dies ergibt sich aus den hier anwendbaren Vorschriften des AuslG.
Nach den nicht angegriffenen und deshalb für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des SG (§ 163 SGG) wurde dem Kläger, der türkischer Staatsangehöriger ist, nach rechtskräftiger Ablehnung eines von ihm gestellten Asylantrags eine befristete Aufenthaltserlaubnis (§ 2 Abs 1, § 5 und § 7 Abs 2 AuslG) erteilt, bis sein Sohn Fehmi ohne Schaden für seine Gesundheit in die Türkei zurückkehren kann. Entgegen der Auffassung der Revision führt eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu dem genannten Zweck nicht dazu, daß der Ausländer nunmehr einen Wohnsitz im Geltungsbereich des BKGG begründen kann oder hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Zwar besteht, solange die Aufenthaltserlaubnis gilt, keine Pflicht, den Geltungsbereich des AuslG unverzüglich zu verlassen (§ 12 Abs 1 Satz 1 AuslG). Auch dürfen die Behörden einen solchen Ausländer nicht abschieben (§ 13 AuslG). Gleichwohl hat der Aufenthalt aufgrund einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, die nur wegen der Erkrankung eines Familienangehörigen erteilt worden ist, lediglich vorübergehenden Charakter. Schon die Befristung macht deutlich, daß der Aufenthalt kein Dauerzustand werden soll. Im übrigen kann der Inhaber einer befristeten Aufenthaltserlaubnis sich nicht einmal darauf verlassen, daß er bis zum Ablauf der festgesetzten Frist im Bundesgebiet bleiben darf. Die Ausländerbehörde hat nämlich nach § 7 Abs 4 AuslG die Möglichkeit, die Aufenthaltserlaubnis nachträglich weiter zeitlich zu beschränken, (BVerwGE 65, 174, 176 f). Von dieser Möglichkeit könnte sie beispielsweise dann Gebrauch machen, wenn der Grund für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entfallen ist, zB wenn der erkrankte Familienangehörige inzwischen wieder genesen oder transportfähig geworden ist.
Allerdings wäre erdenkbar; daß auch ein Ausländer, der sich nur aufgrund einer befristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufhält nach mehrfacher Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 8 AuslG erfüllt. Diese Frage kann hier jedoch offenbleiben. Denn der Kläger hat sich seit der im April 1983 erfolgten rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrags noch nicht mindestens fünf Jahre im Bundesgebiet rechtmäßig aufgehalten. Dies wäre aber nach § 8 Abs 1 AuslG eine der Voraussetzungen dafür, daß die Ausländerbehörde aufgrund eines entsprechenden Antrags des Klägers ihm im Wege einer Ermessensentscheidung (vgl dazu Nr 3 der Verwaltungsvorschriften zu § 8 AuslG und Kanein, Ausländergesetz, 3. Aufl. § 8 Anm. 2) eine Aufenthaltsberechtigung erteilen könnte, die dann zeitlich unbeschränkt wäre (§ 8 Abs 2 Satz 1 AuslG).
Die Auffassung der Revision; der Kläger habe einen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG, weil er bereits seit mehreren Jahren in der Bundesrepublik lebe, ist unzutreffend. Im Sozialrecht gilt keine bestimmte Zeitgrenze, von der an ein Aufenthalt nicht mehr als vorübergehend angesehen werden kann (BSGE 53, 294, 298). Der tatsächliche Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet wird erst dann zum gewöhnlichen Aufenthalt iS von § 30 Abs 3 SGB I, wenn nach dem Ausländerrecht und der Handhabung der einschlägigen Ermessensvorschriften durch die Behörden davon auszugehen ist, daß der Ausländer nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer im Bundesgebiet bleiben kann. Auf die Dauerhaftigkeit eines Aufenthalts kann nicht rückwirkend geschlossen werden; vielmehr kommt es auf die voraussehbare Dauer an. Diese Unterscheidung zwischen einem rein tatsächlichen, aber vorübergehenden Aufenthalt und dem gewöhnlichen Aufenthalt, der für den Bezug von Kindergeld vorausgesetzt wird (§ 1 Nr 1 BKGG), ist auch durch den Zweck des BKGG gerechtfertigt. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 17. Dezember 1981 - 10 RKg 4/81 - (SozR 5870 § 2 Nr 24) ausgeführt hat, kommt in der Begrenzung der Kindergeldgewährung auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, der das Kindergeldrecht beherrschende Gedanke zum Ausdruck: Wer im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein Kind aufzieht und dadurch einen Beitrag zur künftigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz der Gesellschaft in diesem Staat leistet, soll dafür einen gewissen Ausgleich von der Gesellschaft erhalten. Von den Kindern eines Ausländers, der sich nur aufgrund einer befristeten Aufenthaltserlaubnis vorübergehend im Bundesgebiet aufhält, kann indessen nicht erwartet werden, daß die hier von ihm aufgezogenen Kinder zur künftigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz den Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland beitragen werden (vgl dazu auch BSGE 53, 294, 295 f für Asylbewerber).
Soweit die Revision schließlich meint, der Aufenthalt des Klägers sei nunmehr schon deshalb als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen, weil für türkische Staatsangehörige ab 1986 aufgrund des Assoziationsabkommens der EG mit der Türkei vom 23. November 1970 Freizügigkeit bestehe, er also unbegrenzte Zeit im Bundesgebiet bleiben dürfe, ist diese Rechtsauffassung ebenfalls unzutreffend. Der Senat kann offenlassen, ob aus dem genannten Assoziationsabkommen unmittelbar derartige Rechte hergeleitet werden können (verneinend Hailbronner, Ausländerrecht, Ein Handbuch, 1984, RdNrn 881 ff, insbesondere 887; vgl dazu auch das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des BSG vom 9. September 1986 - 7 RAr 67/85 -, Urteilsabdruck S 19 ff). Jedenfalls war nach ganz herrschender Auffassung bis zum Ablauf der 30. November 1986 die Freizügigkeit türkischer Staatsangehöriger in den EWG-Mitgliedstaaten aufgrund des Assoziationsabkommens noch nicht hergestellt (so auch BSG, Urteil vom 9. September 1986). Da Mit der Klage nur Kindergeld für die Zeit bis einschließlich März 1986 begehrt wird, hat der Kläger - jedenfalls in der hier strittigen Zeit - keinen gewöhnlichem Aufenthalt und keinen Wohnsitz im Bundesgebiet gehabt.
Die Revision konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen