Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 05.10.1990) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 5. Oktober 1990 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob das beklagte Land und die beigeladene Bundesrepublik verurteilt werden können, auf Antrag eines im Ausland lebenden Ausländers, der nach dem Krieg im Ausland durch eine dort gefundene Granate verletzt worden ist, nach § 8 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) eine Ermessensentscheidung nach Prüfung des Einzelfalls zu treffen.
Der Kläger ist nach dem Krieg in Jugoslawien geboren und jugoslawischer Staatsangehöriger. Im Alter von sechs Jahren wurde er 1954 in Jugoslawien beim Spielen mit einer Granate erheblich verletzt; es mußte ihm die rechte Hand amputiert werden. Er bezieht von seinem Heimatstaat eine Invalidenrente als Zivilkriegsopfer.
Am 19. Februar 1988 stellte er beim Versorgungsamt Fulda Antrag auf Versorgung nach dem BVG. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 18. April 1989 (Widerspruchsbescheid vom 17. August 1989) abgelehnt: Der Kläger gehöre – unstreitig – nicht zu dem Personenkreis, für den sich das BVG nach § 7 Abs 1 Geltung beimesse. Er gehöre aber auch nicht zu den „anderen als den in § 7 bezeichneten besonders begründeten Fällen”, in denen nach § 8 Satz 1 BVG mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) Versorgung gewährt werden könne. Da er einen Anspruch auf Versorgung gegen einen ausländischen Staat besitze, sei er nach § 7 Abs 2 BVG auch von den nach § 8 BVG denkbaren Ermessensleistungen ausgeschlossen. Aber selbst wenn Ermessensleistungen möglich seien, müsse der Antrag hier abgelehnt werden, weil der BMA allgemein erklärt habe, Aussicht auf Zustimmung bestehe nur, wenn deutsche Truppen zur Zeit der Schädigung anwesend gewesen seien.
Das Sozialgericht (SG) hat das beklagte Land verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Nach Auffassung des Gerichts liegt ein besonders begründeter Fall iS des § 8 Satz 1 BVG vor. Die Versorgungsverwaltung dürfe eine dem Kläger günstige Ermessensentscheidung nicht schon deshalb ablehnen, weil der BMA die Zustimmung allgemein, dh ohne Prüfung des Einzelfalls, abgelehnt habe. Das Land müsse gemäß einer bis 1989 erfolgten Praxis den Fall des Klägers dem BMA vorlegen. Dann müsse kooperativ eine Ermessensentscheidung getroffen werden, in der die maßgebenden Gesichtspunkte nach § 35 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) deutlich gemacht werden müßten. Zur Leistung könne nicht verurteilt werden, weil nach § 39 SGB I nur Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Verwaltung bestehe. Insoweit hat das SG die Klage abgewiesen.
Mit der zugelassenen Sprungrevision macht der Beklagte geltend, das SG habe den Ausnahmecharakter des § 8 BVG verkannt.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Beigeladene nimmt auf ihren Vortrag vor dem SG Bezug und beantragt demgemäß dasselbe wie der Beklagte.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung nach § 8 Abs 1 BVG, denn er gehört nicht zu dem Personenkreis, für den diese Vorschrift gilt. § 8 Satz 1 BVG gilt nämlich nur „in anderen als den im § 7 BVG bezeichneten Fällen”; der Kläger gehört jedoch zu den in § 7 BVG bezeichneten Fällen. Dadurch daß die in § 7 BVG bezeichneten Fälle ausgenommen werden, macht das Gesetz deutlich, daß die Verwaltung nicht ermächtigt ist, Personen Leistungen zu bewilligen, über deren Zugehörigkeit zum Kreis der Versorgungsberechtigten der Gesetzgeber selbst positiv oder negativ eine Regelung in § 7 BVG getroffen hat. Der Hinweis auf § 7 BVG bedeutet nicht, daß, wie ihn das SG offenbar verstanden hat, nach Ablehnung eines Rechtsanspruchs gemäß § 7 BVG die Verwaltung ermächtigt sei, zu prüfen, ob eine Ermessensleistung gewährt werden könne.
Eine solche Auslegung würde auch dem erkennbaren Sinnzusammenhang zwischen §§ 7 und 8 BVG widersprechen. In § 8 BVG wird die Exekutive – Versorgungsverwaltung und BMA – ermächtigt, den durch die Kriegsopferversorgung erfaßten Personenkreis, den das Gesetz selbst in § 7 BVG bezeichnet hat, in besonderen Fällen zu erweitern. Diese mit dem Begriff der „Besonderheit” recht unbestimmt umschriebene Ermächtigung ist jedenfalls insoweit klar begrenzt, als die Fälle ausgeschlossen sind, in denen der Gesetzgeber selbst eine ausdrückliche Entscheidung gegen die Einbeziehung getroffen hat. Eine solche Entscheidung hat der Gesetzgeber jedenfalls in § 7 Abs 2 BVG getroffen.
Danach wird das Gesetz auf Kriegsopfer nicht angewendet, die aus derselben Ursache einen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat besitzen. Dabei hat der Gesetzgeber bereits selbst eine Ausnahmeregelung getroffen: Der Ausschluß gilt nicht, wenn zwischenstaatliche Vereinbarungen etwas anderes bestimmen. Es besteht kein Grund anzunehmen, daß der Gesetzgeber die Exekutive ermächtigen wollte, weitere Ausnahmen zu Lasten des Bundes zu bestimmen, obwohl der Abschluß zwischenstaatlicher Vereinbarungen zum außenpolitischen Handlungsspielraum des Bundes gehört.
Daß Kriegsopfer, die nach § 7 Abs 2 BVG aus dem berechtigten Personenkreis herausgenommen sind, nicht über § 8 Satz 1 BVG im Ermessenswege einbezogen werden dürfen, hat das Bundessozialgericht durch Urteil vom 25. November 1977 (SozR 3100 § 7 Nr 2) bereits entschieden. In diesem Urteil ist allerdings darauf hingewiesen worden, daß § 7 Abs 2 BVG den Zweck habe, Doppelleistungen zu vermeiden. Dieser Hinweis hat den Zweck des § 7 Abs 2 BVG nur unvollständig beschrieben. Aus diesem Hinweis ist nämlich gefolgert worden, bei besonders geringen Leistungen des ausländischen Staates sei ein Ermessensbereich nach § 8 Satz 1 BVG noch eröffnet. Das ist nicht der Fall. Der Senat hat in einem Urteil vom heutigen Tage (9a RV 12/91, zur Veröffentlichung bestimmt) klargestellt, daß § 7 Abs 2 BVG nicht in gleicher Weise wie § 65 BVG der Höhe nach Doppelleistungen verhindern will, sondern daß sämtliche Ansprüche nach dem BVG dem Grunde nach allein wegen der Zugehörigkeit zum Kriegsopferversorgungssystem eines anderen Staates ausgeschlossen sein sollen. Diese Zugehörigkeit wird durch jedweden durch Kriegsschäden begründeten Anspruch gegen diesen Staat dokumentiert. Das gilt vornehmlich für ausländische Staatsangehörige, die in ihrem Heimatland leben und dort versorgt werden. Ihr Heimatstaat übernimmt als sachnäherer Träger die Haftung für Kriegsschäden.
Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen kann grundsätzlich jeder Staat frei entscheiden, welche Kriegsopfer er wie entschädigt. Es gibt im internationalen Recht (Art 25 Grundgesetz) keine strenge Rangfolge der Verantwortlichkeit für Kriegsopfer, die etwa Deutschland vor jedem anderen Staat uneingeschränkt und unabwendbar für die Folgen der vom Deutschen Reich geführten Kriege eintreten ließe. Wenn der ausländische Staat sich der Kriegsopfer durch Gewährung von Versorgungsleistungen annimmt, muß einem dadurch Begünstigten nicht auch eine deutsche Kriegsopferleistung gewährt werden. Das gilt jedenfalls für Ausländer, die im Ausland wohnen. Andernfalls würden diese Kriegsopfer besser stehen als ihre anderen Mitbürger, die ebenfalls unter Kriegsfolgen leiden, aber nicht unter Umständen geschädigt worden sind, unter denen eine Versorgung nach deutschem Recht für Ausländer überhaupt in Betracht kommt (§ 7 Abs 1 Nr 3 BVG).
Diesem außenpolitischen Problem entspricht § 7 Abs 2 BVG in der Weise, daß jeglicher ausländischer Versorgungsanspruch einen deutschen ausschließt. Zur Vermeidung einer Störung internationaler Beziehungen kann auch innerhalb des deutschen Systems der Kriegsopferversorgung allgemein die Entschädigung, deren Grundvoraussetzungen (§§ 1 – 5 BVG) erfüllt sind, nach verschiedenen anderen Grundsätzen als denen des § 7 Abs 2 BVG eingeschränkt werden (vgl § 7 Abs 1 und §§ 64 ff BVG).
Die Feststellungen des Sozialgerichts zu den Voraussetzungen der Zivilkriegsopferrente zeigen, daß es sich um einen Anspruch iS des § 7 Abs 2 BVG handelt. Zweck des bosnisch-herzegowinischen Gesetzes vom 27. Dezember 1974, nach dem der Kläger versorgt wird, ist nach § 1 „der gesellschaftliche Schutz der Opfer des faschistischen Terrors, der Opfer der Kriegsereignisse und Opfer des Kriegsmaterials”. Damit sind auch die Ursachen erfaßt, die für eine Kriegsopferrente nach deutschem Recht in Betracht kämen. Auf die Höhe und die Ausgestaltung im einzelnen kommt es nicht an. Es kann nicht Aufgabe der deutschen Versorgungsverwaltung sein, die wirtschaftliche Bedeutung der ausländischen Leistung im dortigen Rechts- und Wirtschaftssystem zu prüfen und sie ggf als ungenügend im Vergleich zum deutschen Leistungssystem zu kennzeichnen. Insbesondere steht dem Leistungsausschluß nicht entgegen, daß hier der ausländische Staat nicht der Empfehlung der Zweiten internationalen Konferenz über die Gesetzgebung für ehemalige Kriegsteilnehmer und Kriegsopfer (BVBl 1962 S 31; dazu Ruh, BVBl 1962 S 62) gefolgt ist und nicht allgemein eine Rente nach dem abgestuften Grad der Invalidität als Beeinträchtigung der Unversehrtheit eingeführt hat. Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 7 Abs 2 BVG das jeweilige ausländische Rechtssystem respektiert und deshalb in Kauf genommen und nehmen dürfen, daß Kriegsopfer wegen ihrer Ansprüche nach ausländischem Recht, das auf einer andersartigen Auffassung über die Entschädigung von Kriegsopfern beruht, schlechthin keine deutsche Versorgung erhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen