Leitsatz (amtlich)
Auch ein Pachtbetrieb stellt im Regelfalle eine dauerhafte Existenzgrundlage dar, wenn das landwirtschaftliche Unternehmen nach seiner Größe, Art und Beschaffenheit geeignet ist, einer bäuerlichen Familie die Lebensgrundlage zu gewähren (GAL § 1 Abs 4). Ausnahmen sind zulässig, wenn das Unternehmen gerade die Mindesthöhe des GAL § 1 Abs 4 übersteigt und die Pacht so hoch ist, daß es ungerechtfertigt wäre, nur auf diese Überschreitung abzustellen oder wenn wegen besonderer Verhältnisse des Unternehmens keine normalen Erträge zu erreichen sind, zB bei Beginn des Pachtverhältnisses über verwahrloste Grundstücke oder bei Ungewißheit über die Dauer des Pachtverhältnisses, die sich nachteilig auf die Wirtschaftsführung auswirkt.
Normenkette
GAL § 1 Abs. 4 Fassung: 1957-07-27; GAL 1957 § 1 Abs. 4 Fassung: 1957-07-27; GALNReglG § 1 Fassung: 1961-07-03; GALNReglG 1961 § 1 Fassung: 1961-07-03
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Februar 1961 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Auf Grund eines jeweils zum Ende des Pachtjahres kündbaren Vertrages übernahm der Kläger im Jahre 1955 von der Nassauischen Siedlungsgesellschaft das Hofgut R. Hof. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1956 wurde das Hofgut dem früheren Eigentümer, der Freiherrlich W. von U. Gutsverwaltung, rückübereignet und im Jahre 1959 aufgeforstet. Das Pachtverhältnis mit dem Kläger wurde zum 31. Dezember 1958 aufgelöst. Als Einheitswert war für den früheren Eigentümer in der Zeit von 1951 bis 1955 ein Betrag zwischen 9100,-- DM und 12500,-- DM festgesetzt worden. Seit Auflösung des Pachtverhältnisses studiert der Kläger an einem Pädagogischen Institut, weil er keine andere Siedlerstelle erhalten konnte.
Die Beklagte nahm den Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 31. Dezember 1958 auf Zahlung von Beiträgen nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) in Anspruch, weil das Unternehmen eine dauerhafte Existenzgrundlage darstelle. Auf Klage hob das Sozialgericht (SG) die Beitragsbescheide der Beklagten auf. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, bei Anwendung des § 1 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes über eine Altershilfe, für Landwirte vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1063) - GAL aF- sei der von der landwirtschaftlichen Alterskasse festgesetzte Richtwert in Vergleich zu setzen mit dem Unternehmenswert, der sich aus den Unterlagen des Finanzamts ergebe. Besitze ein Unternehmen keinen Einheitswert, so sei § 1 Abs. 4 Satz 2 GAL aF nicht anwendbar. Für den Pachtbetrieb des Klägers sei kein Einheitswert festgesetzt worden. In diesem Falle könne auch nicht derjenige des Eigentümers zum Vergleich herangezogen werden, weil dieser auf den Eigentümer zugeschnitten sei und die besondere Belastung durch Pacht und sonstige Abgaben nicht unberücksichtigt bleiben dürfe. Vielmehr müsse auf die Besonderheiten der Betriebsstruktur, die Belastungen und die gesamten Vertragsverhältnisse Rücksicht genommen werden. Im vorliegenden Fall hätte das Unternehmen vor allem im Hinblick auf seine Größe eine dauerhafte Existenzgrundlage bilden können; die Tatsache, daß der Pachtvertrag jeweils zum Schluß des Pachtjahres kündbar war, hätte der Annahme einer dauerhaften Existenzgrundlage nicht entgegengestanden. Jedoch habe der Kläger durch die Rückübereignung des Betriebes auf den ursprünglichen Eigentümer nicht mehr mit einer Übernahme des Betriebes zu Eigentum rechnen können; außerdem habe die Aufforstung des Betriebes unmittelbar bevorgestanden. Damit sei das Unternehmen schon vor dem Inkrafttreten des GAL keine dauerhafte Existenzgrundlage mehr gewesen. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte gegen das am 7. März 1961 zugestellte Urteil am 1. April 1961 Revision ein und begründete sie am 30. Mai 1961, nachdem ihr die Revisionsbegründungsfrist bis zum 7. Juni 1961 verlängert worden war.
Sie trägt vor, der Hof sei mit seinen 20 ha Land eine dauerhafte Existenzgrundlage. Es mache dabei keinen Unterschied, ob es sich bei dem Unternehmen um einen Eigentümer oder um einen Pächter handele, da die Existenzgrundlage objektiv zu beurteilen sei. Ohne Bedeutung sei es, daß für den Pachtbetrieb kein Einheitswert festgelegt worden sei; denn durch Multiplikation des Hektarsatzes mit der Betriebsfläche könne ein vergleichbarer Unternehmenswert errechnet werden. Die Dauerhaftigkeit der Existenzgrundlage müsse objektiv betrachtet und könne nicht von den Absichten des Unternehmers abhängig gemacht werden. Es komme nur darauf an, ob das landwirtschaftliche Unternehmen zur Zeit der Erfassung oder Veranlagung eine Existenzgrundlage darstelle, die wegen der vorhandenen Einrichtungen und mit Rücksicht auf die regelmäßige Bewirtschaftung ihre Dauerhaftigkeit in sich trage.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Hessischen LSG vom 21. Februar 1961 und des SG Darmstadt vom 28. September 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist insoweit begründet, als die bisherigen Feststellungen des LSG nicht ausreichen, um die Frage der Beitragspflicht des Klägers abschließend zu entscheiden.
Nach § 8 Abs. 1 GAL aF ist beitragspflichtig jeder hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer. Hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer sind nach § 1 Abs. 4 GAL aF diejenigen, deren landwirtschaftliches Unternehmen eine dauerhafte Existenzgrundlage bildet; diese gilt als gegeben, wenn ein von dem Träger der Alterssicherung im Einvernehmen mit dem Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen nach billigem Ermessen auf Grund der örtlichen oder bezirklichen Gegebenheiten festgestellter Einheitswert überschritten ist. Diese Existenzgrundlage ist, wie der Senat in seinem Urteil vom 21. März 1962 - 7/3 RLw 4/59 - ausgeführt hat, nach objektiven Umständen zu beurteilen. Es ist nicht entscheidend, daß etwa wegen besonderer Tüchtigkeit des Betriebsinhabers und geringen Bedarfs der Familie ausnahmsweise ein ungewöhnlich kleines Unternehmen ausreicht, wie es umgekehrt ohne Bedeutung ist, wenn bei nachlässiger Wirtschaftsführung und erheblichem Aufwand ein größerer Betrieb die Bedürfnisse gerade der betreffenden Familie nicht decken kann. Vielmehr kommt es darauf an, ob ein Unternehmen dieser Größe nach objektiven Maßstäben normalerweise geeignet ist, den Lebensunterhalt einer bäuerlichen Familie zu gewährleisten. Es darf mithin grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob der Betrieb im Eigentum des Unternehmers steht oder nur gepachtet ist oder ob die Bewirtschaftung auf einer anderen Grundlage beruht (etwa Nießbrauch). Denn auch der Pächter oder Nießbraucher ist Unternehmer, weil der Betrieb auf seine Rechnung und Gefahr geht (§ 633 der Reichsversicherungsordnung). Er kann ihn in gleicher Weise nutzen wie der Eigentümer. Deshalb kann er im allgemeinen auch dieselben Erträgnisse erwirtschaften wie dieser. Zwar hat der Pächter Lasten, die den Eigentümer nicht treffen, vor allem den Pachtzins. Aber auch den Eigentümer treffen Leistungen, die der Pächter nicht aufzubringen hat, wie Vermögensteuer, Altenteilslasten und dergleichen. Daher unterscheidet § 1 Abs. 4 GAL aF nicht nach der Rechtsgrundlage des Unternehmens. Dies gilt auch, wenn es sich um Festsetzung des Einheitswertes nach § 1 Abs. 4 Satz 2 GAL aF handelt. Daran hat sich durch § 1 Abs. 4 GAL nF nichts geändert. Infolgedessen stellt in der Regel auch ein Pachtbetrieb eine dauerhafte Existenzgrundlage dar, wenn er die in § 1 Abs. 4 GAL genannten Grenzen überschreitet.
Bei der Beurteilung, ob eine dauerhafte Existenzgrundlage vorhanden ist, müssen Schulden und sonstige Belastungen, wie Zinsen und dergleichen, ausscheiden, weil diese ebenso wie bei einem Eigentümer jeweils verschieden sein können. Es darf nur darauf abgestellt werden, ob der Betrieb seiner Größe nach ausreicht, eine dauerhafte Existenzgrundlage zu bilden.
Grundsätzlich ist auch unerheblich, wie lange das Pachtverhältnis läuft. Vor allem kann keine Pachtdauer von mindestens neun (oder sechs) Jahren verlangt werden, wie sie § 2 Abs. 2 GAL aF vorschreibt. Denn dort wird eine Mindestdauer deshalb gefordert, weil nur eine lange andauernde Trennung des Verpächters von dem Betrieb als Veräußerung angesehen werden kann. Dagegen kommt es in der Frage der dauerhaften Existenzgrundlage nur darauf an, ob für die Zeit, für die Beiträge gefordert werden, ein Pachtverhältnis bestanden hat.
Es ist daher jeweils zu prüfen, ob das von dem Pächter bewirtschaftete Land den gemäß § 1 Abs. 4 GAL aF von der landwirtschaftlichen Alterskasse festgelegten Einheitswert überschreitet oder, falls eine solche Feststellung nicht erfolgt, ob die Größe des Betriebes eine Existenzgrundlage gewährleistet. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn das Unternehmen gerade die Mindestgröße des § 1 Abs. 4 GAL übersteigt und die Pacht so hoch ist, daß es ungerechtfertigt wäre, nur auf dieser Überschreitung zu fußen, oder wenn wegen besonderer Verhältnisse des Unternehmens keine normalen Erträge zu erzielen sind, zB bei Beginn des Pachtverhältnisses über verwahrloste Grundstücke oder bei Ungewißheit über die Pachtdauer, die sich nachteilig auf die Wirtschaftsführung auswirken. In allen diesen Fällen muß jedoch ein strenger Maßstab angelegt werden; es darf sich nur um Ausnahmen handeln, bei denen das Festhalten an den Grenzen des § 1 Abs. 4 GAL aF offensichtlich eine unbillige Härte wäre.
In dem anhängigen Rechtsstreit wäre angesichts der Größe des Hofes an sich eine dauerhafte Existenzgrundlage zu bejahen. Aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist jedoch nicht ersichtlich, ob eine der erwähnten Ausnahmen von dem Grundsatz der Gleichstellung von Pacht- und Eigenland gegeben ist. In der Ungewißheit über das Schicksal des Hofes und über die weitere Dauer des Pachtvertrages wegen der Verhandlungen. über die Rückübertragung des Hofes an den früheren Eigentümer kann eine beachtliche Beeinträchtigung für die Wirtschaftsführung des Klägers liegen. Unter diesen Umständen muß das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen