Entscheidungsstichwort (Thema)
Pachtbetrieb als dauerhafte Existenzgrundlage
Orientierungssatz
Auch ein Pachtbetrieb stellt im Regelfalle eine dauerhafte Existenzgrundlage dar, wenn das landwirtschaftliche Unternehmen nach seiner Größe, Art und Beschaffenheit geeignet ist, einer bäuerlichen Familie die Lebensgrundlage zu gewähren (§ 1 Abs 4 GAL). Ausnahmen sind zulässig, wenn das Unternehmen gerade die Mindesthöhe des § 1 Abs 4 GAL übersteigt und die Pacht so hoch ist, daß es ungerechtfertigt wäre, nur auf diese Überschreitung abzustellen, oder wenn wegen besonderer Verhältnisse des Unternehmens keine normalen Erträge zu erreichen sind, zB bei Beginn des Pachtverhältnisses über verwahrloste Grundstücke oder bei Ungewißheit über die Dauer des Pachtverhältnisses, die sich nachteilig auf die Wirtschaftsführung auswirkt (vgl BSG 1962-06-20 7/3 RLw 5/61 = BSGE 17, 133).
Normenkette
GAL § 8 Abs. 1 Fassung: 1957-07-27, § 1 Abs. 4 Fassung: 1957-07-27
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 25.04.1961) |
SG Kassel (Entscheidung vom 30.05.1960) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. April 1961 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger, der kein eigenes Grundvermögen hat, pachtete von 1951 an von 14 verschiedenen Eigentümern mündlich landwirtschaftliche Grundstücke, die insgesamt 7 ha ausmachten, nebst den landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden. Neben dieser Landwirtschaft führte er Lohnfuhren und im Winter Hausschlachtungen aus. Seine Ehefrau ist Eigentümerin von 30 a Land, die der Kläger ebenfalls bewirtschaftet. Seit dem 1. Oktober 1959 hat er nur noch 2 ha Pachtland inne.
Die Beklagte nahm ihn für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 30. September 1959 als beitragspflichtigen Unternehmer in Anspruch, weil bei einem festgesetzten Hektarwert von durchschnittlich 1000,- DM des Pachtbesitzes der gemäß § 1 Abs. 4 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1063) - GAL aF - festgesetzte Richtwert von 4000,- DM überschritten sei. Auf Klage hob das Sozialgericht (SG) den Bescheid auf. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten mit der Begründung zurück, der Kläger sei kein hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 8 Abs. 1 GAL aF, weil bei Pachtland nicht der gemäß § 1 Abs. 4 GAL aF festgesetzte Einheitswert maßgebend sei, der nur für Eigentümer gelte. Das Unternehmen des Klägers, das er sich von 1951 an durch Pachtung von zahlreichen kleineren Grundstücken aufzubauen versuchte, gewährleiste keine Dauer, weil mit keinem der Verpächter ein schriftlicher Vertrag zustandegekommen sei, die Verpächter also jeweils nur ein Jahr an die Verpachtung gebunden gewesen seien. Ein derartiges, in seinem Bestand völlig unsicheres Unternehmen, das mit erheblichen Miet- und Pachtzinsen belastet sei, begründe nicht die Aussicht, daß es zu einer Existenzgrundlage werden würde. Auch habe der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben nicht aus den Erträgnissen der Landwirtschaft leben können. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte gegen das am 10. Mai 1961 zugestellte Urteil am 6. Juni 1961 Revision ein und begründete sie am 22. Juni 1961.
Sie trägt vor, das LSG habe nicht festgestellt, ob, in welchem Umfang und wie lange der Kläger Grundstücke bewirtschafte, deren Einheitswert den gemäß § 1 Abs. 4 GAL aF festgestellten überschritten habe; aus Umfang und Dauer der Bewirtschaftung hätte sich ergeben, daß eine dauerhafte Existenzgrundlage gegeben gewesen sei. Bei einem Hektarsatz von 1000,- DM und einer Betriebsgröße von mindestens 7,30 ha sei der Mindesteinheitswert von 3500,- DM bzw. 4000,- DM erheblich überschritten. Es komme nicht darauf an, ob der betreffende Unternehmer seine dauerhafte Existenzgrundlage in dem Betrieb habe, vielmehr sei entscheidend, ob der Ertrag eines landwirtschaftlichen Unternehmens geeignet sei, unter normalen Verhältnissen und nach vernünftiger Anschauung einer bäuerlichen Familie eine angemessene Lebensgrundlage zu bieten. Fehlerhaft sei es, wenn das LSG die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 4 GAL aF nicht auf Pachtverträge anwenden wolle. Denn Pachtland müsse dem Eigenland grundsätzlich gleichgestellt werden. Ausnahmen könnten höchstens dann gemacht werden, wenn ein Pächter Flächen bewirtschafte, die den festgesetzten Mindestwert gerade erreichten oder nur geringfügig überschritten. Bei einer erheblichen Überschreitung des Mindestsatzes wie hier könnten keine Bedenken bestehen, das Unternehmen des Klägers als eine dauerhafte Existenzgrundlage anzusehen. Es habe bei Inkrafttreten des GAL schon mehrere Jahre bestanden; die laufende Verlängerung der nur mündlich abgeschlossenen Pachtverträge lasse den Schluß zu, daß dem Betrieb eine gewisse Dauerhaftigkeit innewohne.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Hessischen LSG vom 25. April 1961 und des SG Kassel vom 30. Mai 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet, weil die Feststellungen des LSG nicht zur Beurteilung ausreichen, ob der Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 30. September 1959 gemäß § 8 Abs. 1 GAL aF beitragspflichtiger Unternehmer war.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für das Bundessozialgericht gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden Feststellungen betrieb der Kläger in der streitigen Zeit eine Landwirtschaft, die sich aus 30 a Eigentum seiner Frau und 7 ha Pachtland zusammensetzt. In seinen noch nicht veröffentlichten Urteilen vom 20. Juni 1962 (7/3 RLw 5/61 u. 7/3 RLw 10/61) hat der Senat ausgesprochen, daß bei Prüfung der dauerhaften Existenzgrundlage im Sinne des § 1 Abs. 4 GAL aF ein Pachtbetrieb grundsätzlich dem Eigenbetrieb gleichzustellen ist. Für die Untersuchung, ob das landwirtschaftliche Unternehmen eine dauerhafte Existenzgrundlage bietet, kommt es in aller Regel nur darauf an, ob es nach Größe, Art, Bodenbeschaffenheit usw. geeignet ist, den Lebensunterhalt einer bäuerlichen Familie sicherzustellen. Dabei macht es grundsätzlich auch keinen Unterschied, wie lange das Pachtverhältnis läuft. Ausnahmen sind, wie in den genannten Urteilen dargelegt, nur zulässig, wenn das Unternehmen gerade die Mindestgröße des § 1 Abs. 4 GAL aF übersteigt und der Pachtzins so hoch ist, daß es ungerechtfertigt wäre, nur auf die Überschreitung der Mindestgrenze abzustellen, oder wenn wegen besonderer Verhältnisse des Unternehmens keine normalen Erträge zu erzielen sind, zB bei Beginn des Pachtverhältnisses verwahrloste Grundstücke oder bei Ungewißheit über die Dauer des Pachtverhältnisses, die sich nachteilig auf die Wirtschaftsführung auswirkt. Der Umstand, daß das Pachtverhältnis jeweils nur ein Jahr läuft, reicht für sich allein nicht aus, eine Existenzgrundlage zu verneinen, weil viele Pachtverhältnisse so abgeschlossen werden. Es müßte vielmehr hinzukommen, daß bei der Art der betreffenden Grundstücke eine normale Bewirtschaftung ausgeschlossen wäre, der Pächter müßte in seiner Wirtschaftsführung erheblich beeinträchtigt sein, so daß der Ertrag der Grundstücke nicht ausreichen würde, einer bäuerlichen Familie die Lebensgrundlage zu gewähren.
Aus den Feststellungen des LSG ist nicht zu ersehen, welche Einheitswert die Grundstücke haben, ob und in welchem Umfang der von der Beklagten festgesetzte Einheitswert überschritten ist und ob besondere Umstände vorliegen, die eine andere Betrachtung der Existenzgrundlage bei Pachtgrundstücken gegenüber Eigentumsgrundstücken rechtfertigen.
Da somit die Feststellungen des LSG nicht ausreichen, um eine abschließende Entscheidung des Senats zu ermöglichen, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 und 4 SGG).
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen