Leitsatz (amtlich)
Die Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefs nach VwZG § 4 Abs 1 ist nicht deshalb unwirksam, weil der nach VwZG § 4 Abs 2 erforderliche Aktenvermerk nicht mit der Unterschrift oder dem Handzeichen des zuständigen Bediensteten versehen ist, sofern das Datum des Absendevermerks mit dem Datum des in den Akten befindlichen Posteinlieferungsscheins übereinstimmt.
Normenkette
VwZG § 4 Abs. 2 Fassung: 1952-07-03, Abs. 1 Fassung: 1952-07-03
Tenor
Die Revision des Klägers vom 18./24. April 1969 gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 29. Oktober 1968 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Mit Beschluß des erkennenden Senats vom 14. Januar 1969 ist die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen vom 29.Oktober 1968 als unzulässig verworfen worden, weil die Revisionsschrift keinen bestimmten Antrag enthielt. Der daraufhin vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers gestellte Wiedereinsetzungsantrag ist mit weiterem Beschluß des erkennenden Senats vom 7. Februar 1969 abgelehnt und die formgerecht, aber verspätet eingelegte Revision als unzulässig verworfen worden. Hierauf hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 18. April 1969 - beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 24. April 1969 - erneut Revision eingelegt. Dazu hat er vorgetragen, die Revisionsfrist sei bisher nicht verstrichen, da das Urteil des LSG nicht wirksam zugestellt und damit die Revisionsfrist nicht in Lauf gesetzt worden sei. Nach § 63 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erfolge die Zustellung von Amts wegen nach den §§ 2 bis 15 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) vom 3. Juli 1952 (BGBl I 379). Im vorliegenden Falle sei mittels eines eingeschriebenen Briefes, also nach § 4 VwZG zugestellt worden. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung sei bei einer solchen Zustellung in den Akten zu vermerken, an welchem Tage der Brief zur Post gegeben sei. Nach der Rechtsprechung sei keine wirksame Zustellung gegeben, wenn der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in den Akten einen solchen Vermerk nicht anbringe oder den Vermerk bereits vor der Aufgabe zur Post fertige (RGZ 124, 22; BGHZ 8, 314; BGHZ 32, 370; BGH in MDR 1966, 131). Ein derartiger Vermerk nach § 4 Abs. 2 VwZG befinde sich nicht in den Akten. Diese enthielten lediglich die Durchschrift eines Begleitschreibens vom 18.11.1968 ohne Unterschrift und den Einlieferungsschein eines Einschreibens an den Kläger mit Poststempel vom 27.11.1968. Dieser Einlieferungsschein ersetze den Vermerk über die Aufgabe zur Post nicht. Auch aus dem anhängenden Formular mit dem Inhalt "gilt als zugestellt am 30.11.1968" ergebe sich nichts anderes. Aus der Postquittung mit der Wiederholung des Auflieferungsdatums sei nicht zu ersehen, wann das Urteil tatsächlich zur Post gegeben sei. Einmal lasse sich diesem Vermerk nicht genau entnehmen, ob er sich gerade auf die Absendung des Urteils vom 29. Oktober 1968 beziehe, und zum anderen ergebe sich daraus nicht einwandfrei, ob der Brief an diesem Tage zur Post gegeben oder ob er lediglich versandfertig gemacht oder dem entsprechenden Boten übergeben worden sei. Bereits das Wort "aufgeliefert" lasse in dieser Hinsicht jede Deutung offen. Der Einlieferungsschein könne nicht etwa zur Auslegung ergänzend herangezogen werden, da er nicht zu dem gem. § 4 Abs. 2 VwZG erforderlichen Vermerk gehöre. In diesem Zusammenhang werde auf die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in NJW 1967 Seite 264 (richtig: Seite 2064) hingewiesen. Das erwähnte Formular trage im übrigen keinerlei Unterschrift. Nach der Rechtsprechung sei ein Vermerk nach § 4 Abs. 2 VwZG nur dann wirksam, wenn er die Unterschrift des zuständigen Beamten trage (vgl. die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in NJW 1967). Auf die Rechtsprechung zu der gleichliegenden Frage im Falle des § 213 der Zivilprozeßordnung (ZPO) werde hingewiesen.
Die am 24. April 1969 erneut eingelegte Revision konnte keinen Erfolg haben, da die Zustellung des LSG-Urteils, das gem. § 4 VwZG mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, d.h. am 30. November 1968, als zugestellt gilt, nicht in dem von der Revision angedeuteten Sinne mangelhaft und damit die Revisionsfrist von einem Monat wirksam in Lauf gesetzt worden ist.
Aus Bl. 38 der LSG-Akten ist ersichtlich, daß mit Schreiben vom 18. November 1968 - Az.: L 10 V 805/68 - eine Ausfertigung des angefochtenen Urteils "durch Einschreiben" an den Kläger M S "zum Zwecke der Zustellung übersandt" worden ist. Bl. 40 der LSG-Akten enthält einen "Zustellungsnachweis mit Einlieferungsschein". Im linken Abschnitt dieses Zustellungsnachweises ist vermerkt, daß zum Az.: L 10 V 805/68 S ./. Land Niedersachsen eine Einschreibsendung am 27. November 1968 aufgeliefert worden ist, und daß sie am 30. November 1968 als zugestellt gilt; der rechte Abschnitt enthält einen Posteinlieferungsschein für die Einschreibsendung an M S, auf dem durch Poststempel vom 27. November 1968 und Unterschrift des Postbediensteten die Aufgabe zur Post beurkundet worden ist. Damit ist zunächst nachgewiesen, daß das angefochtene Urteil am 27. November 1968 zur Post gegeben worden ist. Denn durch den Vermerk "Aufgeliefert am 27.11.1968" i.V.m. dem rechts daneben befindlichen Posteinlieferungsschein, der das gleiche Postauflieferungsdatum trägt, ergibt sich eindeutig, daß die Einschreibsendung an diesem Tage nicht etwa nur versandfertig gemacht oder einem Boten übergeben, sondern tatsächlich zur Post gegeben worden ist. Der Umstand, daß sich der Zustellungsnachweis für den Kläger und das Empfangsbekenntnis des Beklagten unmittelbar hinter den Zustellungsschreiben für die Urteilsausfertigung befinden, und da kein Anhalt dafür besteht, daß zu dieser Zeit eine andere Sendung zur Post gegeben worden ist, läßt keinen begründeten Zweifel daran zu, daß mit der fraglichen Einschreibsendung die Urteilsausfertigung zur Post gegeben worden ist, zumal die Revision auch nicht behauptet, der Brief habe etwas anderes als die Urteilsausfertigung enthalten.
Diese Aktennachweise genügen auch den Erfordernissen, die das VwZG in § 4 für die Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes verlangt. Denn Abs. 2 dieser Vorschrift bestimmt insoweit lediglich: "In den Akten ist zu vermerken, an welchem Tage der Brief zur Post gegeben ist". Das Gesetz - wie auch die Verwaltungsvorschriften zu § 4 VwZG - schreibt dabei weder vor, von wem der in Abs. 2 genannte Vermerk anzubringen noch daß er von dem Urkundsbeamten oder einem sonstigen zuständigen Bediensteten zu unterzeichnen ist. Deshalb könnte schon fraglich sein, ob durch eine Mangelhaftigkeit oder das gänzliche Fehlen dieses Vermerkes überhaupt die Wirksamkeit der - tatsächlich erfolgten - Zustellung berührt wird. Verstöße gegen die Vorschriften über die Zustellung haben zwar grundsätzlich die Unwirksamkeit der Zustellung zur Folge (vgl. Eyermann-Fröhler, Komm. zur Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - Anm. 19 zu § 56 VwGO; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. S. 333 und § 9 Abs. 1 und 2 VwZG); dennoch wird im Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit von Peters/Sautter/Wolff (4. Aufl. Anm. zu § 63 SGG/§ 4 VwZG S. 186/60) die Auffassung vertreten, daß auch beim Fehlen eines Aktenvermerks die Gültigkeit der Zustellung dadurch nicht berührt, sondern lediglich der Dienststelle der Nachweis der Zustellung erschwert werde. Auch im Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 6. April 1967 in NJW 1967, 2064 ff, auf das sich die Revision bezieht und das sich mit der gleichlautenden Vorschrift des Art. 4 Abs. 2 des Bay. Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) zu befassen hatte, ist betont worden, daß zum VwZG des Bundes im Schrifttum mehrfach die Ansicht vertreten werde, § 4 Abs. 2 sei keine zwingende Zustellungsvorschrift, sondern nur für die widerlegbare Vermutung des § 4 Abs. 1 VwZG von Bedeutung. - Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu der ganz anders lautenden Vorschrift des § 213 ZPO, die bestimmt, daß bei Zustellung durch Aufgabe zur Post (§ 175 ZPO) der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in den Akten zu vermerken hat, zu welcher Zeit und unter welcher Adresse die Aufgabe geschehen ist, geht allerdings dahin, daß die Zustellung, sofern dieser Vermerk nicht vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterzeichnet ist, nicht wirksam sei (vgl. BGHZ 8, 314, 316, 317; 32, 370, 372, 374 und BGH in MDR 1966, 131 Nr. 27; - ähnlich: RGZ 124, 22, 24, 27 zur Zustellung mit Zustellungsurkunde nach § 190 Abs. 1 ZPO). Die Rechtsprechung zu § 213 ZPO kann jedoch für den vorliegenden Fall nicht maßgebend sein, weil die Zustellung im Verwaltungs- und Sozialgerichtsverfahren gegenüber der Zustellung nach den Bestimmungen der ZPO selbständig geregelt ist und auch eine entsprechende Anwendung der ZPO-Vorschriften insoweit ausscheidet. Denn diese Rechtsprechung ist zu einer Vorschrift ergangen, die, wie bereits betont, einen ganz anderen Inhalt hat, und die außerdem einen Sonderfall betrifft, nämlich den Fall, daß es die Partei unterläßt, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. In diesem Fall können "alle späteren Zustellungen" in der Art bewirkt werden, daß der Gerichtsvollzieher das Schriftstück unter der Adresse der Partei nach ihrem Wohnort zur Post gibt; die Zustellung wird bereits mit der Aufgabe zur Post als bewirkt angesehen, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt (vgl. § 175 Abs. 1 ZPO). Auch das Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 6. April 1967 hat nicht verkannt, daß diese Grundsätze nicht ohne weiteres auf die Zustellungen durch die Verwaltungsbehörden angewendet werden können. Soweit es sich aber auf die für Zustellungen im Besteuerungsverfahren geltende Vorschrift des § 17 Abs. 4 VwZG stützt, wo es heißt, die Absendestelle hat auf der bei den Akten verbleibenden Urschrift des Schriftstücks zu vermerken "zur Post am ...", der damit beauftragte Beamte "hat den Vermerk mit seinem Namenszeichen zu versehen", muß betont werden, daß diese Vorschrift unzweifelhaft eine nur für Zustellungen im Besteuerungsverfahren geltende Sonderregelung enthält, die sich von der Regelung in § 4 Abs. 2 VwZG ebenfalls ganz wesentlich unterscheidet. Denn hier ist ausdrücklich bestimmt, daß der damit beauftragte Beamte den Vermerk mit seinem Namenszeichen zu versehen hat. Deshalb wird hier die Zustellung als unwirksam angesehen, wenn der Absendevermerk (der mit dem Namenszeichen zu versehende Vermerk "zur Post am") auf der Urschrift fehlt (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung Bd. II, 1963 Anm. 5 b zu § 17 VwZG S. 756). In § 4 Abs. 2 VwZG fehlt aber eine solche Vorschrift über den Absendevermerk und ist nicht einmal die Person benannt, die den Aktenvermerk anzubringen hat, so daß - anders als in den Fällen des § 213 ZPO und des § 17 Abs. 4 VwZG - sich aus dem Gesetz auch nicht die Notwendigkeit ableiten läßt, durch Unterschrift oder ein Handzeichen den Nachweis zu erbringen, daß der Vermerk auch tatsächlich von dem "Urkundsbeamten der Geschäftsstelle" (§ 213 ZPO) bzw. von dem "damit beauftragten Beamten" (§ 17 Abs. 4 VwZG) angebracht worden ist.
Der Senat konnte es jedoch im vorliegenden Fall dahingestellt sein lassen, ob der nach § 4 Abs. 2 VwZG anzubringende Aktenvermerk über die Aufgabe zur Post etwa deshalb zumindest mit einem Handzeichen des Bediensteten versehen werden muß, weil es sich bei dieser Bestimmung um eine die Wirksamkeit der Zustellung beeinflussende Vorschrift handeln könnte, durch deren Nichtbeachtung für den die Zustellung Betreibenden Unklarheiten über die ordnungsgemäße Durchführung der Zustellung oder Erschwerungen des Nachweises der erfolgten Zustellung entstehen können, wie das BSG in der Entscheidung vom 1. Februar 1962 (SozR Nr. 1 zu § 195 ZPO) zum Fall einer Zustellung mit Zustellungsurkunde ausgesprochen hat. Denn die Anbringung einer Unterschrift oder eines Handzeichens erübrigt sich jedenfalls dann, wenn - wie hier - außer dem Aktenvermerk auf dem gleichen Blatt durch Poststempel und Unterschrift des Postbediensteten die tatsächliche Aufgabe zur Post beurkundet worden ist. Diese amtliche Beurkundung gibt in weit größerem Maß, als dies die Unterschrift oder das Handzeichen eines Bediensteten der absendenden Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde tun könnte, die Gewähr und Sicherheit dafür, daß die Einschreibsendung wirklich an diesem Tag zur Post gegeben und nicht etwa nur versandfertig gemacht oder einem Boten übergeben worden ist. Wenn der BGH demgegenüber im Urteil vom 15. Juni 1960 (BGHZ 32, 370, 373) entschieden hat, daß der fehlende Aktenvermerk des Urkundsbeamten im Falle des § 213 ZPO weder durch den bei den Akten befindlichen Posteinlieferungsschein über die Absendung des Urteils in eingeschriebenem Brief noch durch die vorhandenen Postrückscheine, in denen der Empfang des Urteils vom Empfänger bestätigt wird, ersetzt werde, so läßt sich eine solche Auffassung nur durch den oben erwähnten andersartigen Charakter der Vorschrift des § 213 ZPO und durch die sonstigen Zustellungsvorschriften der ZPO, die eine dem § 4 VwZG entsprechende Zustellungsart nicht kennen, rechtfertigen. Der BGH hat insoweit mit Recht Bedenken gehabt, im gerichtlichen Verfahren ein in der ZPO nicht vorgesehenes Zustellungsverfahren anzuwenden (aaO S. 374). Für die Zustellungen nach dem VwZG sind solche Bedenken aus den obigen Gründen jedoch nicht gerechtfertigt. Dieser Erkenntnis hat sich offenbar auch das Bayerische Oberste Landesgericht im Urteil vom 6. April 1967 nicht verschließen können, denn es hat dort ausdrücklich erklärt, es bedürfe keiner Stellungnahme zu der Frage, ob ein dem Art. 4 Abs. 2 VwZVG genügender Aktenvermerk vorliege, wenn der Einlieferungsschein der Post (oder gegebenenfalls der Rückschein, soweit er den Tag der Aufgabe ersehen läßt) in die Akten eingeheftet wird, wie es verschiedentlich für zulässig gehalten werde (NJW 1967, 2066).
Da nach alledem eine wirksame Zustellung vorliegt und die Revisionsfrist demnach einen Monat nach der Zustellung vom 30. November 1968 abgelaufen ist, ist die am 24. April 1969 erneut eingelegte Revision verspätet, weshalb sie nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen