Leitsatz (amtlich)

1. Die Leistungsverpflichtung der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bei Krankenhauspflege richtet sich auch nach Inkrafttreten des 2. KVÄG (1971-01-01) und der hierauf beruhenden Neufassung des RVO § 184 Abs 1 S 1 nach RAM-Erl 1943-11-02 Abschn 1 Nr 2 Buchst b.

2. Krankenhauspflege kann somit nach wie vor "im gleichen Umfang wie Krankengeld" gewährt werden.

 

Normenkette

RVO § 184 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1970-12-21; KVÄG 2; RAMErl 1943-11-02 Abschn. 1 Nr. 2 Buchst. b

 

Tenor

Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 3. August 1971 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beigeladenen deren Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beigeladene S. ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Sie hatte am 20. Juni 1969 einen Unfall erlitten und von der Beklagten wegen der hierdurch verursachten Arbeitsunfähigkeit Krankengeld bzw. Krankenhauspflege erhalten. Mit dem 17. Dezember 1970 hatte die Beklagte diese Leistungen eingestellt, weil der Anspruch der Beigeladenen nach Ablauf von 78 Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit zunächst erschöpft war.

Vom 10. bis 20. Januar 1971 wurde die Beigeladene wegen der Unfallfolgen erneut stationär behandelt. Die Beklagte lehnte die Übernahme der Kosten der Krankenhauspflege ab mit der Begründung, die Beigeladene habe für die fragliche Zeit keinen Anspruch auf Krankenhauspflege. Daraufhin trug der klagende Sozialhilfeträger die Kosten der Krankenhauspflege. Seine Ersatzforderung wurde von der Beklagten abgelehnt.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) hat der Kläger seinen Ersatzanspruch geltend gemacht. Er beruft sich auf die Neufassung des § 184 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (Art. 1 Nr. 7 des Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes - 2. KVÄG - vom 21. Dezember 1970 - BGBl I 1770; in Kraft getreten am 1. Januar 1971), wonach die Kasse nunmehr Krankenhauspflege "an Stelle der Krankenpflege" - vorher: "an Stelle der Krankenpflege und des Krankengeldes" - gewähren könne. Demnach sei Krankenhauspflege seit dem 1. Januar 1971 im gleichen Umfange wie Krankenpflege, also zeitlich unbegrenzt (§ 183 Abs. 1 Satz 1 RVO), zu gewähren.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger für seine Aufwendungen für die beigeladene Marianne S

im Krankenhaus Bad Aibling in der Zeit vom 10. Januar bis 20. Januar 1971 Ersatz bis zur Höhe von 400,- DM zu leisten.

Die Beklagte ist der Auffassung, daß die Leistungsdauer für Krankenhauspflege durch die Neufassung des § 184 Abs. 1 RVO nicht geändert worden sei. Nach wie vor sei Abschn. I Nr. 2 Buchst. b des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 betr. Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (AN 1943, 485), wonach Krankenhauspflege unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfange wie Krankengeld gewährt werden könne, für die Dauer der Krankenhauspflege maßgebend.

Das SG hat die Klage abgewiesen; die Berufung wurde zugelassen (Urteil vom 3. August 1971). Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Neufassung des § 184 Abs. 1 RVO habe die bestehende Regelung über die Leistungsdauer der Krankenhauspflege nicht berührt. Die zeitliche Begrenzung der Krankenhauspflege auf das Maß des Krankengeldanspruchs gemäß dem Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 sei nach wie vor gültig, wie sich auch aus der Entstehungsgeschichte des 2. KVÄG ergebe.

Hiergegen hat der Kläger unter Beifügung der Einwilligungserklärung der Beklagten Sprungrevision eingelegt und beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Ersatz für die Aufwendungen des Klägers anläßlich der Krankenhauspflege der Beigeladenen S. bis zur Höhe von 400,- DM zu leisten.

Der Kläger hält daran fest, daß sich die Neufassung des § 184 Abs. 1 RVO auf die Leistungsdauer der Krankenhauspflege dahin ausgewirkt habe, daß diese wie die Krankenpflege zeitlich unbegrenzt zu gewähren sei. Krankenhauspflege sei nunmehr keine Ersatzleistung für Krankengeld. Dieses sei vielmehr neben der Krankenhauspflege zu gewähren, auf die ein selbständiger Anspruch bestehe, der nicht wie der Krankengeldanspruch begrenzt sei.

Die Beklagte hat

Zurückweisung der Revision

beantragt. Sie hält die Auffassung des SG für richtig.

II

Die Sprungrevision ist zulässig.

Der Rechtsstreit betrifft eine Ersatzstreitigkeit zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts mit einem Beschwerdewert unter 500,- DM; die Berufung war daher grundsätzlich ausgeschlossen (§ 149 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie war jedoch kraft ausdrücklicher Zulassung durch das SG statthaft (§ 150 Nr. 1 SGG). In diesem Falle ist auch das Rechtsmittel der Sprungrevision gegeben (§ 161 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Sprungrevision ergeben sich daraus, daß der Kläger nur die Einverständniserklärung der Beklagten - nicht auch der Beigeladenen - der Revisionsschrift beigefügt hat. Nach der Entscheidung des erkennenden Senats vom 30. November 1965 (3 RK 7/63 in SozR § 161 SGG Nr. 20) ist ein Beigeladener nur dann "Rechtsmittelgegner" i. S. des § 161 Abs. 1 Satz 1 SGG, wenn er sich in der ersten Instanz mit einem Antrag gegen den Antrag des späteren Revisionsklägers gewandt hat. Die Beigeladene S., die in der mündlichen Verhandlung vor dem SG vertreten war, hat jedoch ausweislich der Niederschrift über diese Sitzung von einer Antragstellung abgesehen.

Auch wenn man die Einwilligung eines notwendig Beigeladenen in jedem Falle für erforderlich hält (vgl. BSG, Beschluß vom 8. Juli 1965 - 12/4 RJ 130/60 - in SozR § 161 SGG Nr. 19), bedurfte es im vorliegenden Fall nicht der Einwilligung der Beigeladenen in die Sprungrevision; die Versicherte S. ist nach § 75 Abs. 1 - nicht Abs. 2 - SGG beigeladen.

Die Sprungrevision ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, mit der der Kläger seinen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen für die Krankenhauspflege der Beigeladenen S. vom 10. bis 20. Januar 1971 geltend gemacht hat.

Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, daß die Neufassung des § 184 Abs. 1 RVO durch das 2. KVÄG die Leistungsdauer der Krankenhauspflege nicht berührt hat. Die frühere Regelung in der bis zum 31. Dezember 1970 gültigen Fassung, wonach Krankenhauspflege "an Stelle der Krankenpflege und des Krankengeldes" gewährt werden konnte, mußte der Umgestaltung des § 186 RVO angepaßt werden. Wenn nunmehr als Barleistung neben der Krankenhauspflege an Stelle des Hausgeldes Krankengeld treten sollte, so konnte das Krankengeld nicht mehr wie bisher als durch die Krankenhauspflege ersetzt bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang (§ 184 Abs. 1 Satz 1 RVO) war daher nicht mehr das Krankengeld als von der Krankenhauspflege verdrängte Leistung anzuführen.

Darin erschöpft sich der Zweck der Neuregelung des § 184 Abs. 1 Satz 1 RVO. Sowohl in der alten wie in der neuen Fassung hat die Vorschrift den Sinn klarzustellen, welche Leistungen der Krankenkasse entfallen, wenn sie Krankenhauspflege gewährt, und dies auch nur dann, wenn diese Leistungen überhaupt zu gewähren waren oder sind. So konnte nach bisherigem Recht Krankengeld - mangels Anspruchs hierauf - nicht durch Krankenhauspflege ersetzt werden bei Rentnern (§ 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 RVO), bei mitversicherten Familienangehörigen (§ 205 Abs. 1 Satz 1 RVO) und häufig bei freiwillig Versicherten (§ 215 RVO i. V. m. der Kassensatzung).

Wenn § 184 Abs. 1 Satz 1 RVO in seiner jetzigen Fassung bestimmt, daß die von der Krankenkasse gewährte Krankenhauspflege - nur noch - Krankenpflege ersetzt, so wird damit im Grunde lediglich dem Umstand Rechnung getragen, daß die Krankenpflege in der weiterreichenden Sachleistung der Krankenhauspflege enthalten ist und die Krankenkasse mit dieser Leistung die andere Verpflichtung miterfüllt. Ist dies nicht der Fall, d. h. erhält der Versicherte die Krankenhauspflege nicht "aus der Krankenversicherung" (vgl. Abschn. III des genannten Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943), so bleibt die Verpflichtung der Krankenkasse zur Gewährung der - grundsätzlich zeitlich unbegrenzten (§ 183 Abs. 1 Satz 1 RVO) - Krankenpflege "an sich" bestehen, wandelt sich aber in eine Verpflichtung zur Leistung eines Abgeltungsbetrags (vgl. den zitierten Erlaß des Reichsarbeitsministers).

Aus der dargelegten begrenzten Zwecksetzung des § 184 Abs. 1 Satz 1 RVO folgt, daß "Krankenpflege", die von der Krankenhauspflege verdrängt wird, für deren Dauer nicht bestimmend sein kann. Eine solche Verbindung zwischen Krankenpflege und Krankengeld einerseits und der Ersatzleistung der Krankenhauspflege andererseits hat es auch nach früherem Recht nicht gegeben, wie sich schon daraus ergibt, daß Krankenpflege und Krankengeld unterschiedliche Regelungen für die Leistungsdauer enthielten (vgl. § 183 Abs. 1 und 2 RVO) und deshalb hieraus nur unterschiedliche Folgerungen für die Krankenhauspflege hätten gezogen werden können. Was für die Leistungsdauer der Krankenhauspflege zu gelten hatte, mußte vielmehr besonders - wie in Abschn. I Nr. 2 Buchst. b des Erlasses des RAN vom 2. November 1943 geschehen - geregelt werden.

Diese Regelung bestimmt auch jetzt die Dauer der Krankenhauspflege. Daß mit der Neufassung des § 184 Abs. 1 Satz 1 RVO auch vom Gesetzgeber nichts anderes beabsichtigt wurde, als sich objektiv aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Vorschrift ergibt, wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt- Im Schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum 2. KVÄG wird zu dieser Neufassung hervorgehoben, "daß mit dieser Änderung" - gemeint ist: Krankengeld an Stelle von Hausgeld neben der Krankenhauspflege - "nicht die Dauer des Anspruchs auf Krankenhauspflege verändert werden soll"; überdies macht die zusammengefaßte Begründung für die beiden Gesetzesänderungen (§ 184 Abs. 1 und § 186 Abs. 1 RVO) deutlich, daß die Neufassung des § 184 Abs. 1 RVO nur eine Folge der allein materiell-rechtlich bedeutsamen Umgestaltung des § 186 Abs. 1 RVO war (Bundestags-Drucks. VI/1297, Abschn. II "Zu Nummern 7 und 8", S. 4). Die Bundesregierung hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie diese Auffassung teile: So in der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA), Rohde, in der Sitzung des Bundestags vom 10. Februar 1971 (100. Sitzung, Stenograph. Bericht S. 5695 A), ferner im Schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu verschiedenen Übereinkommen und Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation, in dem über eine Stellungnahme der Bundesregierung zur Ratifikation des Übereinkommens Nr. 130 berichtet wird in dem Sinne, die Ratifikation sei noch nicht möglich, weil das deutsche Recht u. a. in der Frage der zeitlichen Dauer der Krankenhauspflege noch nicht den Anforderungen des Übereinkommens entspreche (Bundestags-Drucks. VI/2302, Abschn. A II, 3. Absatz).

Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist schließlich, daß das Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte vom 10. August 1972 (BGBl I 1433), das insbesondere im Leistungsrecht im wesentlichen dem Recht der allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung nachgebildet ist, die zeitliche Dauer der Krankenhauspflege und des Krankengelds gleich geregelt (vgl. § 17 Abs. 3, § 20 Abs. 1 aaO) und beides wörtlich § 183 Abs. 2 RVO angepaßt hat.

Nach alledem richtet sich die zeitliche Dauer der Krankenhauspflege in der gesetzlichen Krankenversicherung auch nach der Neufassung des § 184 Abs. 1 Satz 1 RVO nach Abschn. I Nr. 2 Buchst. b des Erlasses des RAN vom 2. November 1943: Krankenhauspflege kann nach geltendem Recht - nur - "in gleichem Umfange wie Krankengeld", d. h. mit derselben zeitlichen Beschränkung (vgl. § 183 Abs. 2 RVO), gewährt werden. Zu Recht hat die beklagte Krankenkasse die Übernahme der Kosten für die Krankenhauspflege der Beigeladenen S. in der Zeit vom 10. bis 20. Januar 1971 abgelehnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669626

BSGE, 266

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