Orientierungssatz

ZPO § 78 Abs 2 findet auch für das BSG, soweit vor ihm Vertretungszwang besteht, über SGG § 202 entsprechende Anwendung.

Vom BSG ist auch über ein (Richter-)Ablehnungsgesuch eines Beteiligten zu entscheiden, der nicht zur Vertretung vor dem BSG zugelassen ist.

 

Normenkette

SGG § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO §§ 42, 44 Abs. 1, § 78 Abs. 2

 

Tenor

Die Klage auf Wiederaufnahme des durch Urteil des Bundessozialgerichts vom 18. März 1965 (10 RV 275/63) abgeschlossenen Verfahrens wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Versorgungsbehörde entzog dem Kläger die nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. gewährten Versorgungsbezüge durch den Bescheid vom 17. April 1957 gemäß § 63 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) mit Ablauf des Monats Mai 1957. Auf den Widerspruch des Klägers gewährte die Versorgungsbehörde die früheren Bezüge mit Bescheid vom 23. September 1957 noch für die Monate Juni bis August 1957, wies im übrigen aber den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 1957 zurück. Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat mit Urteil vom 28. Februar 1961 die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) hat die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers mit Urteil vom 30. Januar 1963 zurückgewiesen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat die vom LSG zugelassene Revision des Klägers mit Urteil vom 18. März 1965 als unbegründet zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, daß die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien. Der Kläger sei auf die Folgen des § 63 BVG im Falle der Verweigerung einer ärztlich angeordneten Untersuchung ordnungsgemäß hingewiesen worden. Die insoweit von der Versorgungsbehörde erlassenen Bescheide seien dem Kläger, obwohl er deren Annahme verweigert habe, nach § 27 Abs. 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (VerwVG) dem Gesetz entsprechend durch Übersendung als Einschreibebriefe zugestellt worden. Da somit die Tatbestandsmerkmale des § 63 BVG erfüllt gewesen seien, habe die Versorgungsbehörde die Rente nach dieser Vorschrift zu Recht entzogen.

Mit einem am 13. März 1967 beim BSG eingegangenen, vom Kläger persönlich unterzeichneten Schreiben vom 10. März 1967 beantragt er die Wiederaufnahme des anhängig gewesenen Verfahrens. Er ist der Auffassung, er sei selbst befugt, die Wiederaufnahme zu beantragen, weil er Mitglied des Reichsbundes sei. Er bittet, die Wiederaufnahmeklage nicht dem 10. Senat des BSG, sondern einem anderen Senat zuzuweisen, weil die Richter des 10. Senats bereits an der vorangegangenen Streitsache beteiligt gewesen seien Weiterhin führt der Kläger aus, daß mit der Entscheidung des 10. Senats vom 18. März 1965 zweierlei Recht hinsichtlich der Zustellung geschaffen worden sei; er weist ferner auf die unterschiedlichen Wirkungen der Zustellung bei Verweigerung der Annahme des zuzustellenden Schriftstücks nach §§ 3 und 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) und § 27 Abs. 2 VerwVG hin. Im übrigen wird zur Darstellung des Vorbringens des Klägers auf dessen Schreiben vom 10. März 1967 verwiesen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung erschien der beim BSG zugelassene Prozeßbevollmächtigte des Klägers und beantragte:

das Urteil des Bundessozialgerichts vom 18. März 1965 aufzuheben und eine sachliche Nachprüfung vorzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

den Wiederaufnahmeantrag des Klägers als unzulässig zu verwerfen.

Wegen seines Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 14. Juni 1967 verwiesen.

Die Wiederaufnahmeklage ist unzulässig.

Soweit der Kläger die Bitte ausgesprochen hat, seine Klage nicht dem 10. Senat des BSG, sondern einem anderen Senat zuzuweisen, will er offenbar geltend machen, daß die bei der Entscheidung vom 18. März 1965 mitwirkenden Richter, Senatspräsident Dr. T, Bundesrichter S und Bundesrichter Dr. B, von Amts wegen ausgeschlossen seien. Da es sich im vorliegenden Falle um einen von dem Kläger behaupteten Ausschluß der genannten Richter kraft Gesetzes bei der Entscheidung über die Wiederaufnahmeklage handelt, muß der Senat von Amts wegen entscheiden, ob der geltend gemachte Ausschließungsgrund vorliegt (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. SGb § 60 Anm. 6 zu § 41 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Aber auch dann, wenn in dem Vorbringen des Klägers ein Ablehnungsgesuch liegen sollte, müßte der Senat entscheiden, und zwar selbst dann, wenn der Kläger nicht zu dem Kreis der nach § 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur Vertretung vor dem BSG zugelassenen Personen gehört. In § 60 Abs. 1 SGG ist für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen u. a. der § 44 ZPO in Bezug genommen. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist das Ablehnungsgesuch bei dem Gericht anzubringen, dem der Richter angehört; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. Wie sich aus § 78 Abs. 2 ZPO ergibt, der auch für das BSG, soweit vor ihm Vertretungszwang besteht, über § 202 SGG entsprechende Anwendung finden muß, ist die Vertretung durch einen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten bei Prozeßhandlungen dann nicht erforderlich, wenn sie vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können. Das ist aber bei einem Ablehnungsgesuch nach § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 44 Abs. 1 ZPO zulässig. Mithin ist vom BSG auch über ein Ablehnungsgesuch eines Beteiligten zu entscheiden, der nicht zur Vertretung vor dem BSG zugelassen ist.

Die Richter des erkennenden Senats sind jedoch nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist ein Richter in solchen Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszug bei dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt. Senatspräsident Dr. T, Bundesrichter S und Bundesrichter Dr. B haben zwar bei dem Urteil vom 18. März 1965 mitgewirkt, durch das die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30. Januar 1963 als unbegründet zurückgewiesen worden ist. Ein Richter ist nach § 41 Nr. 6 ZPO jedoch nur dann vom Richteramt kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in einem "früheren Rechtszug" bei dem Erlaß der "angefochtenen" Entscheidung mitgewirkt hat. Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, daß eine Mitwirkung in der unteren und höheren Instanz desselben Verfahrens ausgeschlossen sein soll, nicht aber auch eine Mitwirkung in einem späteren Wiederaufnahmeverfahren (vgl. BSG in SozR ZPO § 41 Nr. 1 mit zahlreichen Literaturhinweisen). Die Richter des erkennenden Senats, die über den Antrag des Klägers auf Wiederaufnahme des durch das Urteil vom 18. März 1965 abgeschlossenen Verfahrens zu entscheiden haben, sind demnach nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen. Soweit der Kläger die erwähnten Richter zugleich hat ablehnen wollen, ist seine Ablehnung unbegründet, denn außer der Mitwirkung der Richter beim Urteil des BSG vom 18. März 1965, die keinen Ausschließungsgrund und daher auch keinen Ablehnungsgrund darstellt, hat er keine Ablehnungsgründe vorgebracht. Der erkennende Senat konnte daher in der Besetzung wie beim Urteil vom 15. März 1965 über die Wiederaufnahmeklage des Klägers entscheiden. Diese konnte keinen Erfolg haben.

Der Kläger gehört nicht zu den nach § 166 Abs. 2 SGG beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten. Zwar steht § 166 im SGG unter dem Abschnitt "Revision", doch ist aus dem allgemeingehaltenen Wortlaut des Absatzes 1 - "vor dem Bundessozialgericht" - zu entnehmen, daß der Vertretungszwang auch für andere Verfahren vor dem BSG gilt. Ein unter Vertretungszwang stehender Beteiligter kann daher Prozeßhandlungen jeder Art vor dem BSG wirksam nur durch einen nach § 166 Abs. 2 SGG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vornehmen, soweit nicht ausdrücklich eine Ausnahme im Gesetz vorgesehen ist. Nach § 179 SGG sind die § 578 bis 591 ZPO entsprechend auf eine Wiederaufnahmeklage im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden; nach § 585 ZPO gelten für die Erhebung der Wiederaufnahmeklage und das weitere Verfahren die allgemeinen Vorschriften entsprechend, soweit sich nicht aus den Vorschriften des Gesetzes eine Abweichung ergibt. Das Verfahren richtet sich somit grundsätzlich nach den für die Instanz geltenden Vorschriften, bei der die Wiederaufnahmeklage zu erheben ist. Da vor dem BSG nach § 166 SGG für den Kläger Vertretungszwang besteht, ist seine Wiederaufnahmeklage nur dann im Sinne des § 589 ZPO in der gesetzlichen Form erhoben, wenn sie durch einen nach § 166 Abs. 2 SGG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten erhoben ist (vgl. BSG 9, 55). Nach dieser Vorschrift sind als Prozeßbevollmächtigte vor dem BSG nur die Mitglieder und Angestellten von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen von Arbeitgebern und von Vereinigungen der Kriegsopfer zugelassen, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt sind. Auch jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwalt ist als Prozeßbevollmächtigter vor dem BSG zugelassen. Der Kläger gehört - entgegen seiner Auffassung - nicht zu den vor dem BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten. Er übersieht, daß nicht jedes Mitglied der in § 166 Abs. 2 SGG genannten Verbände und Vereinigungen zur Vertretung vor dem BSG befugt ist, vielmehr nur solche Mitglieder und Angestellten, "sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt sind". Das trifft für den Kläger aber offensichtlich nicht zu. Gehört aber der Kläger nicht zu diesem Personenkreis, so entspricht die Wiederaufnahmeklage nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form; sie ist daher unzulässig. Sie ist auch nicht etwa deshalb zulässig geworden, weil der Kläger, nachdem er die Wiederaufnahmeklage selbst erhoben hat, seinen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Rechte vor dem BSG beauftragt hat. Selbst wenn unterstellt wird, daß der zugelassene Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit der Stellung des Antrages im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 1967 die Wiederaufnahmeklage erheben oder gar die bisherigen Prozeßhandlungen des Klägers genehmigen wollte, ist die Wiederaufnahmeklage allein schon deswegen unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des Urteils des BSG vom 18. März 1965 erhoben worden ist (§ 586 ZPO i. V. m. § 179 SGG), die am 6. Mai 1965 erfolgt ist. Somit war die Wiederaufnahmeklage als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2296946

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