Leitsatz (amtlich)

1. Sind gegen ein Urteil des SG, das die Revision zugelassen hat, wahlweise Berufung und Revision statthaft, dann muß das SG im Urteil auch über den Rechtsmittelweg der Sprungrevision belehren; wenn diese Belehrung unterblieben ist, bestimmt sich die Revisionsfrist nach SGG § 66 Abs 2. Die früher anderslautende Rechtsprechung (vgl BSG 1956-10-04 8 RV 179/54 = SozR Nr 5 zu § 161 SGG und BSG 1957-08-05 3 RK 9/55 = SozR Nr 10 zu § 161 SGG) ist seit Januar 1975 infolge der Neufassung des SGG § 161 überholt (Abweichung von BSG 1976-08-20 4 RJ 37/76 = SozR 1500 § 66 Nr 5).

2. Zur Frage des zeitlichen Geltungsbereichs von GAL § 3 Abs 5 (Fassung: 1972-07-26).

 

Leitsatz (redaktionell)

Ansprüche auf Altersgeld an frühere Ehegatten entstehen nicht, wenn alle Voraussetzungen für dieses Altersgeld schon vor dem 1.10.1972 erfüllt waren (GAL § 3 Abs 5 idF vom 26.7.1972). Da das Gesetz nicht durch Übergangsvorschriften auf frühere Sachverhalte erstreckt worden ist, werden bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossene Sachverhalte von der Rechtsänderung nicht erfaßt.

 

Normenkette

SGG § 161 Fassung: 1974-07-30, § 66 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; GAL § 3 Abs. 5 Fassung: 1972-07-26

 

Verfahrensgang

SG Itzehoe (Entscheidung vom 07.12.1976; Aktenzeichen S 1 Lw 6/76)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 7. Dezember 1976 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin war mit dem 1966 verstorbenen landwirtschaftlichen Unternehmer Bahne C (C.) verheiratet. Im Juli 1965 war die Ehe geschieden worden. C. hatte bis zu seinem Tode Beiträge zur landwirtschaftlichen Altershilfe für 108 Kalendermonate entrichtet.

Mit Bescheid vom 18. Mai 1976 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab, ihr vorzeitiges Altersgeld aus der Versicherung von C. zu gewähren; die Klage hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat im Urteil vom 7. Dezember 1976 ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 bis 4 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) erfüllt seien. Die Klägerin habe schon deshalb keinen Anspruch auf Altersgeld nach ihrem geschiedenen Ehemann, weil die Leistungen an frühere (geschiedene) Ehegatten eines landwirtschaftlichen Unternehmers (§ 3 Abs 5 GAL) erst durch das 6. Änderungsgesetz zum GAL eingeführt worden seien; dieses Gesetz sei am 1. Oktober 1972 in Kraft getreten, dh nach Abschluß des Versicherungsverhältnisses durch den Tod von C.; es sei daher nicht anwendbar.

Das SG hat im Urteil die Revision zugelassen. Es entsprach damit einem in der Verhandlung von der Klägerin gestellten Antrag. Dort hatte auch die Beklagte ihre Zustimmung zur Sprungrevision erklärt. Die der Entscheidung beigefügte Rechtsmittelbelehrung (Formblatt SG 50) klärt die Beteiligten darüber auf, daß das Urteil mit der Berufung angefochten und daß "auf Antrag vom SG durch Beschluß die Revision zugelassen werden" könne.

Gegen das ihr am 17. Dezember 1976 zugestellte Urteil hat die Klägerin die (Sprung-) Revision eingelegt. Sie hat bis zum Ablauf der Revisionsfrist weder die Zustimmung der Beklagten vorgelegt, noch deswegen auf die - erst nach Ablauf der Frist eingegangenen - Akten des SG verwiesen. Mit am 15. März 1977 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, noch einmal Revision eingelegt und dieser Revisionsschrift eine beglaubigte Abschrift des Sitzungsprotokolls des SG mit der Zustimmungserklärung der Beklagten beigefügt.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr einen neuen Bescheid über die Gewährung von Altersgeld zu erteilen.

Zur Begründung rügt sie die unrichtige Anwendung des § 3 Abs 5 GAL. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift sei nicht zu entnehmen, daß Leistungen an frühere Ehegatten nur bei Tod des Versicherten nach dem Inkrafttreten des 6. Änderungsgesetzes zu gewähren seien. Nach dem Sinn und Zweck der Neuregelung sollten frühere Ehegatten nicht schlechter als Witwen (oder Witwer) gestellt werden; sonach dürfe sie von der Berechtigung zum Bezug des Altersgeldes nicht ausgeschlossen werden.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

1.

Die Revision ist zulässig, sie muß als frist- und formgerecht eingelegt gelten.

Zwar hatte der ursprünglichen Revisionsschrift keine Zustimmungserklärung der Beklagten beigelegen (§ 161 Abs 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetztes - SGG -). Eine solche ist auch nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils (§ 164 Abs 1 Satz 1 SGG), dh bis zum Ablauf der (normalen) Revisionsfrist, vorgelegt worden (SozR 1500 § 161 Nrn 2, 5 und 10). Der Hinweis des SG im Urteil auf die von der Beklagten erteilte Zustimmung war rechtlich wirkungslos; die Revisionszulassung im Urteil des SG war von der Zustimmung des Gegners unabhängig (anders bei einer späteren Zulassung durch Beschluß; vgl § 161 Abs 1 SGG). Der Formfehler war auch nicht durch den Eingang der SG-Akten mit der darin befindlichen Zustimmungserklärung geheilt worden (SozR 1500 § 161 Nrn 2 und 8). Hierfür hätte die Klägerin auf die Erklärung verweisen und hätten die Akten noch innerhalb der Revisionsfrist beim BSG eingehen müssen (SozR aaO).

Die Klägerin durfte die Zustimmung jedoch ausnahmsweise nach Ablauf der Revisionsfrist einreichen, weil § 66 SGG eingreift. Nach dessen Absatz 2 erstreckte sich die Rechtsmittelfrist auf ein Jahr, diese Frist hat die Klägerin gewahrt. Die Beifügung einer beglaubigten Abschrift des Sitzungsprotokolls mit der Zustimmungserklärung zu der "zweiten Revisionsschrift" entsprach dabei den Anforderungen des § 161 Abs 1 SGG. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher gegenstandslos.

Die Fristverlängerung kommt der Klägerin deshalb zugute, weil die Belehrung über das Rechtsmittel der Sprungrevision entgegen § 66 Abs 1 SGG unterblieben ist. Nach dieser Vorschrift beginnt die Frist für "ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf" nur zu laufen, wenn der Beteiligte "über den Rechtsbehelf" belehrt worden ist. Nur bei Belehrung über das Rechtsmittel der Revision konnte daher die Frist für die Revision zu laufen beginnen. Im Urteil des SG ist jedoch der Belehrungsvordruck für ein "Urteil mit Rechtsmittelbelehrung bei zulässiger oder zugelassener Berufung ohne zugelassene Revision" verwendet worden; die Beteiligten sind also nicht über den von der Klägerin beschrittenen Rechtsmittelweg der Revision aufgeklärt worden. Dies verstößt gegen das Gesetz.

Der 4. Senat des BSG hat im Beschluß vom 20. August 1976 (SozR 1500 § 66 Nr 5) zwar entschieden, er halte an der Rechtsprechung, daß die Rechtsmittelbelehrung im Urteil eines SG nicht unrichtig im Sinne des § 66 SGG sei, wenn darin nicht auf die Möglichkeit der Einlegung der Sprungrevision hingewiesen wird, auch für die Zeit nach dem 1. Januar 1975 und für den Fall fest, daß die Revision im Urteil ausdrücklich zugelassen worden sei. Hierbei hat der 4. Senat an die frühere Rechtsprechung des BSG zu § 161 SGG aF angeknüpft (SozR Nrn 5 und 10 zu § 161 SGG). Sie hielt die Sprungrevision für ein Rechtsmittel, das nur ausnahms- und ersatzweise an die Stelle der Berufung trete. Wer von ihr Gebrauch machen wolle, müsse daher von sich aus und mit besonderer Sorgfalt darauf achten, die für die Revision geltenden Form- und Fristvorschriften einzuhalten. Überdies sei es das vornehmliche Ziel der Rechtsmittelbelehrung, rechtsunkundige Beteiligte über den Weg für die Anfechtung der Entscheidung zu unterrichten; das könne nur bei einer möglichst einfachen und klaren Belehrung erreicht werden.

Diese Rechtsprechung hält der erkennende Senat durch die Neufassung des § 161 SGG (durch das Änderungsgesetz vom 30. Juli 1974 - BGBl I, 1625) für überholt. Abgesehen davon, daß nach § 136 Abs 1 Nr 7 SGG das Urteil "die Rechtsmittelbelehrung" enthält, das Gesetz sonach nicht die Einschränkung macht, es sei nur über bestimmte Rechtsmittel zu belehren, hat der früher herausgestellte Gedanke von Regel und Ausnahme für § 161 SGG nF keine Geltung mehr; der Ausnahmecharakter der Sprungrevision ist seit Januar 1975 entfallen. Die Berufung und die Sprungrevision stehen jedenfalls seither mit gleichem Rang nebeneinander. Dies ist auch die Auffassung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Beschluß vom 16. März 1976 - GmS - OGB 1/75 in BVerwGE 50, 369, 371); dort ist ausgesprochen, das Rechtsmittel der Sprungrevision stehe gleichgewichtig neben dem Rechtsmittel der Berufung (vgl auch Maetzel, MdR 1966, 93, 96).

Der weitere Gedanke, die Rechtsmittelbelehrung müsse so einfach und klar wie möglich gehalten sein, kann die inhaltliche Beschränkung auf die Belehrung über die Berufung gleichfalls nicht rechtfertigen. Die - zusätzliche - Aufklärung über die Sprungrevision muß die erforderliche Einfachheit und Klarheit nicht mindern. Dies zeigt der Vordruck, der von den Sozialgerichten für Urteile mit darin ausgesprochener Revisionszulassung verwendet wird. Im vorliegenden Fall hat sich das SG offenbar nur in der Wahl des Formulars vergriffen. Bei Verwendung des richtigen Vordrucks wäre der Hinweis auf die wahlweise offenstehenden Rechtsmittel der Berufung und der Revision unschwer möglich gewesen.

Hinzu kommt, daß § 161 SGG nF den Anwendungsbereich und das rechtstechnische Verfahren bei der Sprungrevision grundlegend verändert hat. Während die Sprungrevision früher auf Ausnahmefälle beschränkt war und ohne Mitwirkung des SG allein in der Hand der Beteiligten lag, ist sie seit 1975 vor allem für Fälle von grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache vorgesehen und von dem SG ausdrücklich zuzulassen; damit ist die Zulassung der Sprungrevision im Urteil zugleich zur prozessualen Nebenentscheidung geworden. Insbesondere auch diese veränderten Umstände lassen es nicht mehr zu, auf eine Belehrung über die Sprungrevision zu verzichten.

An dieser Rechtsauffassung sieht sich der erkennende Senat durch den Beschluß des 4. Senats vom 20. August 1976 (aaO) nicht gehindert; der 4. Senat hat auf Anfrage hin mitgeteilt, er halte an dem dort vertretenen Rechtsstandpunkt nicht mehr fest.

2.

Die nach alledem zulässige Revision ist jedoch nicht begründet. Der Klägerin kann kein (vorzeitiges) Altersgeld nach ihrem geschiedenen Ehemann gewährt werden; ihrem Anspruch fehlt die rechtliche Grundlage.

Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Altershilfe für Landwirte an frühere Ehegatten eines landwirtschaftlichen Unternehmers, deren Ehe mit ihm geschieden ist, hat erstmalig das 6. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 26. Juli 1972 (BGBl I 1293) eingeführt (§ 3 Abs 5 GAL 1972). Dieses Gesetz ist am 1. Oktober 1972 in Kraft getreten (Art 2 § 5); Übergangsvorschriften enthält es nicht. Sonach richtet sich die Frage seines zeitlichen Geltungsbereichs nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen. Sie besagen auch und gerade im Sozialrecht, daß Tatbestände, die nach neuem Recht anspruchsbegründend sind, aber dem Sachverhalt nach bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts abgeschlossen vorliegen, von der Rechtsänderung nicht erfaßt werden, sofern nicht das neue Recht ausdrücklich oder dem Sinne nach seinen Geltungsbereich auf diese Sachverhalte erstreckt (ständige Rechtsprechung, s. BSGE 23, 139, 140 mit weiteren Nachweisen; 14, 95, 97; SozR 5850 § 14 Nr 2 letzter Absatz). Dies muß die Klägerin gegen sich gelten lassen. In ihrem Fall lag der für § 3 GAL bedeutsame Sachverhalt schon vor dem 1. Oktober 1972. Nicht nur ist der Versicherte vorher verstorben; nach ihren aus den Akten zu entnehmenden Angaben war ihre Erwerbsunfähigkeit (§ 3 Abs 2 Buchst b GAL), worauf sie ihren Anspruch mit stützt, schon vorher eingetreten, weil sie schon seit 1969 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht. Daß das neue Gesetz nicht auf solcherart abgeschlossene Versicherungsverhältnisse ausgedehnt werden sollte, sagt auch die Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks VI/3463 zu Nr 5 Buchst d letzter Satz); danach sollen die Regelungen für Leistungen an frühere Ehegatten (nur) Anwendung finden, wenn der Tod des landwirtschaftlichen Unternehmers nach Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten ist. Dem ist im Gesetzgebungsverfahren nicht widersprochen worden.

Vergleichsweise ist im übrigen auf die spätere Einführung des Waisengeldes hinzuweisen. Dort hat der Gesetzgeber ausdrücklich geregelt (vgl §§ 17, 21 des Achtzehnten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen vom 28. April 1975 - BGBl I 1018), daß Waisengeld nach dem GAL auch dann gewährt wird, wenn der landwirtschaftliche Unternehmer vor Inkrafttreten verstorben ist. Wenn demgegenüber eine entsprechende Erstreckung bei der Geschiedenenversorgung fehlt, so ist auch aus diesem Grunde anzunehmen, daß dies nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprach.

Diese Handhabung widerspricht nicht dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes. Gesetzesänderungen für die Zukunft sind damit grundsätzlich vereinbar (BVerfGE 15, 167, 202); eine Angleichung der Rechtslage in die Vergangenheit hinein ist nicht erforderlich (BVerfGE 14, 288, 305; Beschluß vom 20. April 1977, 1 BvR 54/77).

Die Revision war hiernach zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 78

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