Orientierungssatz
Zu der Frage, wann die Annahme gerechtfertigt ist, daß es iS des RVO § 594 der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen.
Normenkette
RVO § 594 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. April 1972 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Ehemann der Klägerin (Versicherter) ist etwa sechs Monate nach der Eheschließung an den Folgen einer als Berufskrankheit anerkannten Quarzstaublungenerkrankung verstorben. Unter den Beteiligten ist streitig, ob nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, daß es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen (§ 594 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Der Versicherte bezog seit dem Jahre 1952 von der Beklagten wegen einer Quarzstaublungenerkrankung die Vollrente. Er verstarb am 22. Juli 1969 im Alter von 68 Jahren. Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 3. Februar 1970 an, daß der Versicherte an den Folgen der Quarzstaublungenerkrankung verstorben sei, lehnte aber die Gewährung einer Witwenrente ab, weil der Tod des Versicherten im ersten Ehejahr eingetreten sei und besondere Umstände, die die Rentengewährung rechtfertigen könnten, nicht vorlägen. Die gegen den Bescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Dortmund mit Urteil vom 18. Mai 1971 abgewiesen und die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 4. April 1972 zurückgewiesen. Das LSG ist der Ansicht, die Vermutung, daß die Ehe aus Versorgungsgründen geschlossen worden sei, könne nicht zugunsten der Klägerin als widerlegt angesehen werden. Die Vorschrift des § 594 RVO, die eine solche Widerlegung in Fällen der vorliegenden Art zur Voraussetzung einer Hinterbliebenenrente mache, widerspreche nicht dem Grundgesetz. Die Klägerin habe lediglich den Nachteil der Unaufklärbarkeit zu tragen, wenn sich bei der Amtsermittlung die Anspruchsvoraussetzungen - hier die besonderen Umstände im Sinne des § 594 RVO - nicht zur Überzeugung des Gerichts feststellen ließen. Der bei Eingehung der Ehe schon schwerkranke Versicherte sei zu diesem Zeitpunkt schon 68 Jahre und die Klägerin schon 61 Jahre alt gewesen. Die Aussicht der Klägerin auf eine angemessene Altersversorgung sei bei bestehender Ehe mit dem Versicherten, aber auch als dessen Witwe, wesentlich günstiger gewesen als wenn sie auf die künftige Rente aus ihrer eigenen Rentenversicherung angewiesen gewesen wäre. Das LSG sei überzeugt, daß die Klägerin mit der Eheschließung eine bessere Versorgung angestrebt habe. Darauf, ob sie vor der Heirat die genaue Höhe der dem Versicherten damals zustehenden Renten gekannt habe, komme es nicht entscheidend an. Jedenfalls habe sie aus den Briefen ihres künftigen Ehemannes ersehen können, daß sie nach den Vorstellungen des Versicherten ein schönes Leben habe führen können. Da der Versicherte in seinen Briefen an die Klägerin wiederholt die Vorzüge eines künftigen gemeinsamen Lebens herausgestellt habe, spreche viel dafür, daß er der Klägerin bei den vorehelichen Zusammenkünften auch die Einzelheiten seiner wirtschaftlichen Verhältnisse offenbart habe, um sie zur Heirat zu bestimmen. Nach den Umständen des Falles sei es nicht einleuchtend, daß es der Klägerin, die nahe vor der Notwendigkeit gestanden habe, sich zur Ruhe setzen zu müssen und dann auf eine geringe Rente aus eigener Versicherung angewiesen zu sein, nicht auf eine Versorgung, sondern ausschließlich oder vornehmlich auf ideelle Werte ihres künftigen Ehepartners angekommen sei. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, das LSG habe den Sachverhalt nicht vollständig erforscht und seine Aufklärungspflicht verletzt. Außerdem habe der Vorsitzende des Gerichts nicht ausreichend darauf hingewirkt, daß von ihr vollständigere Anträge gestellt würden. Auch sei § 594 RVO unrichtig angewendet worden. Zwischen ihr und ihrem Ehemann habe eine umfassende eheliche Lebensgemeinschaft bestanden und eine solche sei auch von ihr gewollt gewesen. Die erste Ehefrau des Versicherten sei am 8. November 1968 gestorben, sie (die Klägerin) habe den Versicherten am 17. Januar 1969 geheiratet. Aus der ersten Ehe des Versicherten sei ein Sohn hervorgegangen, der seit 1942 vermißt sei. Der Versicherte sei mithin nach dem Tode seiner ersten Ehefrau allein gewesen. Dieses Alleinsein habe ihn veranlaßt, auf eine Heiratsanzeige der Klägerin zu schreiben. Auch sei sie als Vertriebene aus Ostpreußen nach dem Tode ihrer Hutter und ihrer Schwester, die sie viele Jahre gepflegt habe, allein gewesen. Wegen der von ihr übernommenen Pflege sei sie vor dem Jahre 1962 geringfügig berufstätig gewesen. Danach habe sie als Raumpflegerin gearbeitet und auf Anregung einer Arbeitskollegin die Heiratsanzeige aufgegeben, die zu ihrer späten Ehe geführt habe. Sie und ihr verstorbener Ehemann hätten echt ehelich zusammenleben wollen, um nicht allein zu sein, und sie hätten dann auch eine echte Ehe geführt. Die Rentenbezüge des Ehemannes seien weder der alleinige noch der überwiegende Grund für die Eheschließung gewesen. Die Gründe für die Eheschließung seien vom LSG nicht ausreichend erforscht worden. Als sie ihren Ehemann kennengelernt habe, habe sie keinen Anlaß zu der Annahme gehabt, einen todesnahen Mann zu heiraten. Auch nach der Eheschließung habe er ihr noch im Haushalt helfen können, so habe er Kohlen aus dem Keller in die eheliche Wohnung in die dritte Etage geholt und ihr die Trockenwäsche auf den Boden getragen. Erst wenige Tage vor seinem Tode sei er zweimal zusammengebrochen und in ein Krankenhaus eingeliefert worden, wo er nach einer Woche verstorben sei. Im übrigen sei die in § 594 RVO getroffene Regelung auch verfassungswidrig, denn sie degradiere Ehen, wenn ein Ehegatte im ersten Jahr nach der Eheschließung an den Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit sterbe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. April 1972, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18. Mai 1971 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 1970 aufzuheben, soweit der Anspruch auf eine Witwenrente abgelehnt worden ist und die Beklagte zu verurteilen, ihr aus der Versicherung ihres am 22. Juli 1969 verstorbenen Ehemannes eine Hinterbliebenenrente zu zahlen,
hilfsweise,
die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 594 Reichsversicherungsordnung vorzulegen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, ein an sich nach § 589 RVO gegebener Anspruch auf Witwenrente bestehe gemäß § 594 RVO grundsätzlich dann nicht, wenn die Witwe die Ehe mit dem verstorbenen Versicherten erst nach dem Arbeitsunfall eingegangen und dessen Tod innerhalb des ersten Ehejahres eingetreten sei. Bei dieser Regelung gehe der Gesetzgeber von der auf der Lebenserfahrung beruhenden Vermutung aus, daß eine mit einem Verletzen kurz vor seinem Tode geschlossene Ehe, die durch dessen Tod innerhalb eines Jahres beendet werde, meist aus Versorgungsgründen geschlossen werde. Deshalb müsse der Anspruch versagt werden, wenn diese Vermutung nicht zugunsten des Hinterbliebenen entkräftet werde. Besondere Umstände, die in Abweichung von dem zunächst bestehenden Grundsatz der Anspruchsverneinung dennoch zur Gewährung einer Witwenrente führen könnten, lägen nicht vor.
II
Die zulässige Revision der Klägerin hat insofern Erfolg, als dem hilfsweise gestellten Antrag entsprechend das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen wird.
Das LSG hat die für die Entscheidung über den erhobenen Anspruch erforderlichen Tatsachen nicht in ausreichendem Umfang festgestellt und gewürdigt, insbesondere fehlen Feststellungen darüber, welche Motive den Versicherten zur Heirat bestimmt haben, obwohl nach den vorliegenden Umständen bei ihm die Annahme nicht gerechtfertigt sein könnte, daß es der alleinige oder überwiegende Zweck seiner Heirat war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen.
Die Beklagte hat anerkannt, daß der Versicherte an den Folgen der als Berufskrankheit anerkannt gewesenen Quarzstaublungenerkrankung verstorben ist. Nach § 589 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 590 RVO würde der Klägerin als Witwe des Versicherten eine Witwenrente zustehen, es sei denn, daß die Voraussetzungen des § 594 RVO gegeben wären. Nach dieser Vorschrift hat die Witwe keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe erst nach dem Arbeitsunfall (Beginn der Berufskrankheit) geschlossen und der Tod des versicherten Ehemannes innerhalb des ersten Jahres der Ehe eingetreten ist, es sei denn, daß nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, daß es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Da die Ehe der Klägerin erst nach dem Beginn der Berufskrankheit geschlossen und der Tod des Ehemannes etwa sechs Monate nach der Heirat eingetreten ist, ist also grundsätzlich zu vermuten, daß es der überwiegende Zweck der Heirat war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen. Für die Entscheidung kommt es nunmehr darauf an, ob diese Vermutung nach den hier feststellbaren besonderen Umständen nicht gerechtfertigt ist.
Wie der Senat bereits in einem Urteil vom 28. März 1973 (SozR Nr. 2 zu § 594 RVO) dargelegt hat, ist die in § 594 RVO getroffene Regelung nicht verfassungswidrig. Sie ist dem § 123 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) nachgebildet (vgl. BT-Drucks. IV/120 S. 59, Begründung zu § 592 des Entwurfs zum Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz - UVNG -). Da das Motiv der Eheschließenden, mit der Heirat einem Eheschließenden nach dem Tode des anderen eine Versorgung zu verschaffen, in der Praxis nur schwer nachzuweisen sein wird, hat der Gesetzgeber davon abgesehen, dieses Motiv der Eheschließung allgemein zum Tatbestandsmerkmal für den Ausschluß des Anspruchs zu erheben. Er ist vielmehr von folgenden Überlegungen ausgegangen: "Nach der Lebenserfahrung wird eine mit einem Verletzten kurz vor seinem Tod geschlossene Ehe, die nicht länger als ein Jahr dauert, meist aus Versorgungsgründen geschlossen. Deshalb muß grundsätzlich der Anspruch versagt werden, wenn nicht zugunsten des Hinterbliebenen diese Vermutung widerlegt wird" (vgl. dazu BT-Drucks. IV/120 S. 59, Begründung zu § 592 des Entwurfs zum UVNG). Der § 594 RVO stellt also in seinem ersten Teil die widerlegbare Vermutung auf, daß es unter den dort genannten Umständen der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen Das Gesetz knüpft an dieses vermutete Motiv die Rechtsfolge, daß der Anspruch auf die Hinterbliebenenrente nicht besteht. In dem genannten Urteil hat der Senat dargelegt, daß es ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers ist, einem Mißbrauch der Ehe vorzubeugen und manipulierte Folgen nicht eintreten zu lassen. Damit verstößt er nicht gegen den in Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) garantierten Schutz der Ehe, denn er schützt gerade das Institut der Ehe vor Mißbrauch. Entgegen der Ansicht der Klägerin verletzt § 594 RVO auch nicht die nach Art. 1 GG unantastbare Würde des Menschen; insbesondere enthält er keinen unzulässigen Eingriff in die Intimsphäre. Die Vorschrift zwingt die Witwe nicht, ihre Beweggründe für die Eheschließung zu offenbaren. Der Umstand allein, daß sie bei einem Verschweigen ihrer Motive Nachteile erleiden könnte, weil sie unter Umständen die vermutete Versorgungsabsicht nicht widerlegen kann, ändert nichts daran, daß § 594 RVO nicht gegen ihren Willen zu einem Eingriff in die Intimsphäre führt; denn sie kann durchaus die Offenlegung der Heiratsabsichten unterlassen, allerdings mit der Folge, daß ihr der Gegenbeweis nicht gelingt. Die Vorschrift verstößt schließlich auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Wenn § 594 RVO auch trotz ähnlicher rechtspolitischer Zielvorstellungen wie § 123 Abs. 1 Nr. 1 BBG für die Vermutung der Versorgungsehe eine von dieser Vorschrift verschiedene Frist bestimmt, so liegt dafür doch ein sachlicher, den Unterschied rechtfertigender Grund vor. Der Gesetzgeber mißt die Moral eines Beamten keineswegs mit anderen Maßstäben als die eines Unfallversicherten. Der wesentliche Unterschied liegt vielmehr darin, daß es sich bei § 123 Abs. 1 Nr. 1 BBG um eine Person handelt, die im Zeitpunkt der Eheschließung durchaus noch völlig gesund sein kann, während der Unfallversicherte des § 594 RVO zur Zeit der Heirat bereits an den Folgen eines - wie sich später herausstellt - zum Tode führenden Unfalls (Berufskrankheit) leidet, so daß die Lebenserwartung in beiden Fällen durchaus verschieden beurteilt werden kann. Es ist daher sachlich gerechtfertigt, die gesetzliche Vermutung, daß es sich um eine Versorgungsehe handelt, an verschiedene Fristen zu binden.
Das LSG hat in seiner Entscheidung im wesentlichen nur Umstände gewürdigt, die die Motive der Klägerin für die Eheschließung erhellen könnten, es hat nicht erkannt, daß die Vermutung des § 594 RVO auch dann widerlegt ist, wenn die Abwägung aller zur Eheschließung führenden Motive beider Ehegatten ergibt, daß es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zu § 101 Abs. 1 des Deutschen Beamtengesetzes (DBG) die Ansicht vertreten, die Beamtenwitwe verliere den Anspruch auf Witwengeld nur dann, wenn die Annahme gerechtfertigt sei, daß beide Ehegatten mit der Heirat allein oder überwiegend den Zweck verfolgt hätten, der Witwe den Bezug des Witwengeldes zu verschaffen (BGHZ 12, 347). Diese Entscheidung ist die Grundlage für die in der Literatur zu § 123 BBG vertretene Ansicht, der der Witwe obliegende Gegenbeweis sei dann erbracht, wenn die Vermutung der Versorgungsabsicht bei einem der Ehegatten durch besondere Umstände entkräftet werde (vgl. Plog/Wiedow, Kommentar zum BBG, 2. Aufl., 1965, Anm. III zu § 123, Randziff. 11; Bochalli, Kommentar zum BBG, 2. Aufl., 1958, Anm. II zu § 123). Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat unter Bezugnahme auf die zitierte Entscheidung des BGH angenommen, daß die in § 123 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BBG enthaltene Vermutung in aller Regel, aber nicht ausnahmslos dann widerlegt sei, wenn nachweislich für einen der Ehegatten die Absicht, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen, nicht maßgebend gewesen sei (BVerwG 25, 221; Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG 23.2 Nr. 7 zu § 123 BBG). Dem ist grundsätzlich auch für die Auslegung des § 594 RVO zuzustimmen. Da die Motive für die Eheschließung bei den beiden Ehepartnern voneinander abweichen können, ist nach einer Gesamtbetrachtung der verschiedenen Motive beider Ehegatten abzuwägen, welches der verschiedenen Motive insgesamt überwiegt. Unter den Voraussetzungen des § 594 RVO wird zunächst vermutet, daß bei einer Gesamtbetrachtung der Zielvorstellungen beider Ehegatten die Versorgungsabsicht insgesamt überwiegt. Hätte der Gesetzgeber es getrennt auf die Motive des einen oder des anderen Ehegatten abstellen wollen, so hätte er das leicht zum Ausdruck bringen können. Da er das aber nicht getan, sondern auf den Zweck der Heirat abgestellt hat, kann es sich nur um die Zielvorstellungen beider Personen handeln, die die Ehe schließen, so daß es auf die Motive beider Ehegatten ankommt. Geht die Vermutung aber von einer Gesamtabwägung der Motive beider Ehegatten aus, so können für die im Gesetz zugelassene Widerlegung der Vermutung nicht die Zielvorstellungen eines der Ehegatten außer Betracht bleiben. Es muß vielmehr eine Gesamtabwägung der beiderseitigen Motive erfolgen, wobei die Vermutung nur dann als widerlegt angesehen werden kann, wenn die Versorgungsabsicht insgesamt betrachtet nicht überwiegt. Zwar ist dem BVerwG darin zuzustimmen, daß die Vermutung in der Regel dann widerlegt ist, wenn nachweislich für einen Ehegatten die Versorgungsabsicht keine Rolle spielte. Sind die Ehegatten von verschiedenen, aber gleichstarken Motiven zur Eheschließung bestimmt worden, so kann weder das eine noch das andere Motiv überwiegen. Im allgemeinen wird jedoch jeder der Eheschließenden nicht nur einen, sondern mehrere Beweggründe haben. Selbst wenn für einen Ehegatten die Versorgungsabsicht in den Hintergrund tritt, so kann doch dieses für ihn weniger starke Motiv zusammen mit den Beweggründen des anderen Ehegatten ergeben, daß die Versorgungsabsicht insgesamt als der überwiegende Zweck der Heirat erscheint. Die vom BVerwG aufgestellte Regel, daß die Vermutung der Versorgungsabsicht dann widerlegt ist, wenn nachweislich für einen der Ehegatten die Versorgungsabsicht nicht maßgebend war, gilt daher nicht ausnahmslos, wie dieses Gericht selbst ausgeführt hat. Die vom BVerwG beispielhaft genannten Ausnahmefälle enthalten keine erschöpfende Aufzählung. Die Gewichtverteilung der Motive beider Ehegatten kann so vielfältig sein, daß es sich nicht generell sagen läßt, in welchen Fällen das auf die Versorgung gerichtete Motiv des einen Ehegatten bedeutungslos ist.
Besondere Umstände im Sinne des § 594 RVO sind alle Umstände des Einzelfalles, die geeignet sind, einen Schluß auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Bei der Gesamtwürdigung sind alle Umstände des Einzelfalles zu werten, die Schlüsse auf den Zweck der Heirat zulassen. Zu den von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründen gehört auch der Wunsch, künftig nicht mehr allein zu sein, d. h. die Angst vor der Einsamkeit, und auch der Wille eines Eheschließenden, sich durch die Heirat die nötige Betreuung und Pflege für eine Krankheit zu verschaffen bzw. der Wille des anderen Eheschließenden, dem kranken Versicherten durch die Heirat die nötige Betreuung und Pflege zukommen zu lassen. Wenn der Ehepartner, der sich zu Lebzeiten eine Betreuung und Pflege verschaffen will, davon ausgeht, daß dies nicht ohne Gegenleistung bleiben wird, weil er dem anderen dafür nach seinem Tode eine Versorgung schafft, so entfällt zwar die Versorgungsabsicht dieses Ehepartners nicht völlig, kann aber gegenüber der Absicht, sich selbst zu Lebzeiten eine Betreuung und Versorgung zu verschaffen, zurücktreten. Umgekehrt kann bei dem Ehepartner, der sich zwar durch die Ehe eine spätere Versorgung verschaffen will, aber dafür den anderen (kranken oder schon älteren) Ehepartner auch bis zu seinem Tode betreuen und pflegen will, die Betreuungsabsicht gegenüber der Absicht, sich eine Versorgung zu verschaffen, zurücktreten. Bei der Abwägung dieser mit einer Eheschließung verfolgten Zwecke wird der Gesundheitszustand und das Alter der Eheschließenden zu berücksichtigen sein.
Das LSG wird feststellen müssen, welche Motive die Klägerin und welche Motive der Versicherte für die Eheschließung hatte. Es wird zu prüfen haben, ob hierzu Bekannte des Versicherten aus der Zeit vor der Eheschließung und Bekannte der Klägerin, z.B. die Arbeitskollegin, die die Anregung zur Aufgabe einer Heiratsanzeige gegeben hat, gehört werden können. Auch aus dem Gesundheitszustand des Versicherten z.Zt. der Eheschließung sind Rückschlüsse auf die beiderseitigen Motive möglich. Erst nach diesen Ermittlungen ist eine Abwägung möglich, ob die Gesamtbetrachtung der beiderseitigen Motive nicht die (zunächst zu vermutende) Annahme rechtfertigt, daß es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen.
Der Senat hat daher das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen