Leitsatz (amtlich)
Unter den "Beiträgen der Höherversicherung" im Sinne des AnVNG Art 2 § 33 sind Beiträge zu verstehen, die auf Grund des HöVG durch Verwendung von Beitragsmarken mit dem Aufdruck "HV) entrichtet worden sind, nicht auch die freiwilligen Beiträge, die nach AnVNG Art 2 § 15 Abs 2 als Beiträge der Höherversicherung gelten.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 15 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 33 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 15 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 34 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Mai 1959 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der im Jahre 1890 geborene Kläger erstrebt ein Altersruhegeld, das den Höchstbetrag des Art. 2 § 33 des "Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten" (AnVNG) überschreitet.
Der Kläger trat 1906 in die Rentenversicherung der Arbeiter (ArV.) ein. Als er 1913 angestelltenversicherungspflichtig wurde, leistete er weiterhin Beiträge zur damaligen Invalidenversicherung (JV.), und zwar freiwillig auch über die Zeit der notwendigen Doppelversicherung (bis 1922) hinaus. Beiträge zur Höherversicherung (HöVers.) nach dem Gesetz über die "Höherversicherung in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten" ( HöVersG ) vom 14. März 1951 entrichtete er jedoch nicht.
Die Umstellung seines ihm vom 1. Januar 1956 an zustehenden Altersruhegeldes (Ruhegeld von 335,80 DM, davon Steigerungsbetrag 194,88 DM, Umstellungsfaktor nach der Anlage 3 zu Art. 2 § 31 AnVNG 4, 5) ergab rechnerisch einen monatlichen Betrag von 877,- DM. Die Beklagte setzte das Ruhegeld nach Art. 2 § 33 AnVNG auf 562,50 DM fest (Umstellungsmitteilung vom 1.7.1957).
Vor dem Sozialgericht (SG.) Nürnberg beantragte der Kläger, die Beklagte zu verurteilen, die neben den Beiträgen zur Rentenversicherung der Angestellten (AnV.) freiwillig entrichteten Beiträge zur JV. als Beiträge der HöVers. zu behandeln. Das SG. entsprach diesem Antrag mit Urteil vom 13. Oktober 1958. Auf die Berufung der Beklagten hin hob das Bayerische Landessozialgericht (LSG.) dieses Urteil wieder auf und wies die Klage ab. Es ließ die Revision zu (Urteil vom 15.5.1959).
Der Kläger legte gegen das ihm am 4. Juni 1959 zugestellte Urteil des LSG. am 20. Juni 1959 Revision ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Er begründete die Revision am 7. Juli 1959 und rügte allgemein "die Verletzung materiellen Rechts"; im einzelnen beanstandete er zunächst nur, daß das LSG. den Rechtsstreit nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Frage vorgelegt habe, ob die Einführung der Höchstbeträge für Renten (Art. 2 § 33 AnVNG) mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes - GG - (Art. 14 GG) vereinbar sei. Erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist rügte er die Verletzung des Art. 2 § 33 AnVNG an sich und legte dar, das LSG. habe den Begriff der HöVers. zu eng ausgelegt. Art. 2 § 15 AnVNG, der freiwillig entrichtete Beiträge den Beiträgen zur Höherversicherung gleichstelle, sei auch auf Versicherungsfälle aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des AnVNG (1.1.1957) anzuwenden.
Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig. Zwar hat der Kläger die Verletzung der einschlägigen Vorschriften des AnVNG zunächst nicht gerügt. Die Rüge, das durch Art. 14 GG garantierte Eigentum sei verletzt worden, ist aber rechtzeitig erfolgt. Den gesetzlichen Formerfordernissen ist damit genügt (§ 164 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Revision ist jedoch unbegründet.
Renten, die - wie die des Klägers - auf Versicherungsfällen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des AnVNG beruhen, sind für die Zeit vom 1. Januar 1957 an "umzustellen", und zwar nach den "besonderen Vorschriften für die Umstellung von Renten" (Art. 2 §§ 30, 31 AnVNG). Für die umgestellten Renten sind Höchstbeträge vorgeschrieben; diese dürfen jedoch um den Steigerungsbetrag aus etwaigen Beiträgen der HöVers. überschritten werden (Art. 2 § 33 AnVNG). Auf diese Vorschrift stützt der Kläger seinen vermeintlichen Anspruch. Die von ihm freiwillig zur JV. entrichteten Beiträge können aber nicht wie Beiträge der HöVers. behandelt werden.
Unter den "Beiträgen der HöVers." im Sinne des Art. 2 § 33 AnVNG sind Beiträge zu verstehen, die auf Grund des HöVersG geleistet worden sind. Andere freiwillige Beiträge fallen nicht darunter. Darauf deutet schon der Sprachgebrauch zur Zeit der Vorbereitung und Verkündung des AnVNG hin. Damals wurde unter HöVers. regelmäßig nur noch die Versicherung nach dem HöVersG verstanden, während die Entrichtung höherer Beiträge als notwendig (§ 170 a Angestelltenversicherungsgesetz - AnVG - a. F., § 1389 Reichsversicherungsordnung - RVO - a. F.), früher auch HöVers. genannt, üblicherweise als Überversicherung bezeichnet wurde. Auf die Begriffsbestimmung in Art. 2 § 15 AnVNG kann sich der Kläger in diesem Zusammenhang nicht berufen. Nach dieser Vorschrift gelten zwar freiwillige Beiträge, die bis Ende 1956 neben Pflichtbeiträgen entrichtet worden sind, als Beiträge der HöVers., doch hat diese Bestimmung nur eine begrenzte Bedeutung und kann im Umstellungsverfahren für Altrenten (sog. Bestandsrenten) nicht angewandt werden. Dies hat bereits das LSG. mit Recht so entschieden. Die Begründung dafür ergibt sich aus einer Betrachtung darüber, wie das AnVNG den Begriff Beiträge der HöVers. verwendet. Dieser Begriff kehrt sowohl im Art. 1 - also im AnVG n. F. - als auch im Art. 2 AnVNG wieder, wird aber nicht immer in der gleichen Bedeutung gebraucht. Der Sinn muß vielmehr jeweils ermittelt werden. Ein Vergleich von Vorschriften, die diesen Ausdruck enthalten, läßt erkennen, daß unter HöVers. in der Regel die nach dem HöVersG gemeint ist und daß der erweiterte Höherversicherungsbegriff, wie ihn Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG festlegt, im wesentlichen auf die Vorschriften über die Berechnung neu zugehender Renten (sog. Zugangsrenten) abgestellt ist. So wird innerhalb der Leistungsvorschriften mehrfach erwähnt, daß für die Gewährung von Leistungen aus Beiträgen der HöVers. die Erfüllung der Wartezeit nicht erforderlich ist (§§ 23 Abs. 4, 24 Abs. 4, 25 Abs. 5, 40 Abs. 3, 46 Abs. 2 AnVG n. F.). Diese Regelung entspricht dem § 5 Abs. 2 HöVersG . In diesen Fällen kann unter HöVers. nur die besondere Versicherung nach dem genannten Gesetz verstanden werden, weil nur diese Rentenleistungen kennt, die nicht an die Erfüllung der Wartezeit gebunden sind. Das AnVNG bietet keinen Anhalt dafür, daß auch für Leistungen aus anderen freiwilligen Beiträgen auf die Erfüllung der Wartezeit verzichtet werden sollte. Bis zur Neuregelung der Rentenversicherung im Jahre 1957 sind bei der Rentengewährung die freiwilligen Beiträge - mit Ausnahme der Beiträge nach dem HöVersG - wie Pflichtbeiträge behandelt worden. Wollte man den freiwilligen Beiträgen, die in Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG aufgeführt sind, nunmehr eine so auffällige Sonderstellung geben, so hätte diese weittragende Änderung einer ausdrücklichen Erwähnung im Gesetz bedurft. Eine solche Änderung ist im Art. 2 § 15 AnVNG jedoch nicht enthalten. § 62 AnVG n. F., der das Ruhen des Steigerungsbetrags aus Beiträgen zur HöVers. ausschließt, kann sowohl für umgestellte Renten als auch für Zugangsrenten bedeutsam werden. Soweit er umgestellte Renten erfaßt, dürfen darunter wohl nur Steigerungsbeträge aus Beiträgen nach dem HöVersG fallen; denn für diese Beiträge war der Ausschluß vom Ruhen bereits durch § 5 Abs. 3 HöVersG garantiert; er bleibt dem Berechtigten (z. B. dem berechtigten Ausländer bei freiwilligem Auslandsaufenthalt: § 60 AnVG n. F.) erhalten, wird aber nicht auf andere Beiträge ausgedehnt. Art. 2 § 15 AnVNG stellt eine Erläuterung zu den Berechnungsvorschriften für die Zugangsrenten dar. Das ergibt sich, wie schon das LSG. ausgeführt hat, einmal aus dem Hinweis in Art. 2 § 15 AnVNG auf § 38 AnVG n. F., einer Berechnungsvorschrift für die Renten neuen Rechts, sowie aus der gemeinsamen Überschrift zu den §§ 30 bis 39 AnVG n. F. "Zusammensetzung und Berechnung der Renten" und zum anderen auch aus dem Sinnzusammenhang. Für Renten, die nach neuem Recht festzusetzen sind (§§ 30 ff. AnVG n. F.), ist die Gleichstellung, wie sie Art. 2 § 15 AnVNG vorsieht, notwendig, weil bei der Anwendung der neuen Rentenformel nur solche Beiträge berücksichtigt werden sollen, die einen Schluß auf die Höhe des jeweiligen Arbeitsverdienstes zulassen. Das sind Pflichtbeiträge und Beiträge, die auf Grund der Berechtigung zur Selbst- oder Weiterversicherung entrichtet sind, weil hinter diesen Beiträgen der Lohn oder doch die Fiktion eines entsprechenden Lohnes steht (§ 32 AnVG n. F.; vgl. Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Einführung S 6). Diese Beiträge sind "lohnbezogen"; sie sollen von ihrem nominellen Geldwert gelöst und aktualisiert, d. h. nach der früher einmal erbrachten Arbeitsleistung des Versicherten bewertet werden und an der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit teilnehmen. Die von Art. 2 § 15 AnVNG erfaßten, freiwillig neben Pflichtbeiträgen entrichteten Beiträge sind aber nicht in dieser Weise "lohnbezogen" und können künftig nicht mehr - wie im früheren Recht - bei der Leistungsgewährung wie Pflichtbeiträge behandelt werden. Art. 2 § 15 AnVNG bietet die rechtliche Handhabe, bei der Rentenberechnung die nicht lohnbezogenen Beiträge von den übrigen zu trennen. Darin erschöpft sich seine Bedeutung. Er ist - soweit er zutrifft - dann anzuwenden, wenn es zu der Berechnung einer Rente nach neuem Recht kommt oder gekommen ist. Darüber hinaus gilt seine Begriffsbestimmung nicht. Sie gilt deshalb nicht im Rahmen des Umstellungsverfahrens, also auch nicht für Art. 2 § 33 AnVNG. An eine entsprechende Anwendung des Art. 2 § 15 AnVNG bei der Umstellung der Bestandsrenten könnte vielleicht deswegen gedacht werden, weil Bestands- und Zugangsrenten möglichst gleich behandelt und auch in den Höchstbeträgen weitgehend aneinander angeglichen werden sollen, doch steht einem Analogieschluß einmal entgegen, daß sich Art. 2 § 15 AnVNG selbst durch die Bezugnahme nur auf eine Berechnungsvorschrift im AnVG enge Grenzen gesetzt hat, und zum anderen, daß das Umstellungsverfahren in Art. 2 §§ 30 ff. AnVNG für sich geschlossen geregelt ist, wobei - wie der erkennende Senat schon anläßlich einer früheren Entscheidung zum Umstellungsrecht ausgeführt hat (vgl. BSG. 8 S. 234) - auch Abweichungen von der Systematik des neuen AnVG in Kauf genommen worden sind. Die Sonderstellung, die Art. 2 § 33 AnVNG den Beiträgen der HöVers. gegenüber anderen freiwilligen Beiträgen einräumt, erklärt sich daraus, daß das HöVersG diese Beiträge bereits besonders gestaltete und von vornherein mit einer Garantie ausstattete; das zwang bei der Rentenreform dazu, den aus dieser Versicherung kommenden Steigerungsbetrag in seiner nominellen Höhe zu erhalten und ihn nicht in einen Rentenhöchstbetrag aufgehen zu lassen. Für die übrigen freiwilligen Beiträge bestand diese Notwendigkeit nicht.
Dieses Ergebnis verletzt keine höherrangigen Normen des GG. Die Einführung von Höchstbeträgen für Renten anläßlich der Neuordnung der gesamten Rentenversicherung (Art. 2 § 33 AnVNG) stellt insbesondere keine entschädigungslose Enteignung - wie es der Kläger annimmt - dar (Art. 14 GG). Abgesehen von der umstrittenen Frage, ob Renten der Sozialversicherung überhaupt unter die Eigentumsgarantie des GG fallen (vgl. Zimmer, Bundesarbeitsblatt 1959 S. 584), greift die Begrenzungsvorschrift des Art. 2 § 33 AnVNG deshalb nicht in den Besitzstand ein, weil dieser ausdrücklich gewahrt wird; darüber hinaus nimmt der Rentenberechtigte in jedem Falle - ggf. durch die Gewährung eines Sonderzuschusses zur bisherigen Rente - an der allgemeinen Rentenerhöhung teil, die u. a. mit ein Ziel der Neuregelungsgesetze war (Art. 2 § 35 AnVNG). Aus diesen Erwägungen heraus hat der Senat schon früher die Vereinbarkeit des Art. 2 § 33 AnVNG mit dem GG bejaht (Urteil vom 15.9.1960 - 1 RA 151/59 -). Im übrigen mußte der Kläger, als er seine freiwilligen Beiträge entrichtete, davon ausgehen, daß diese das Schicksal aller sonstigen Beiträge zur Rentenversicherung teilen und keine Sonderbehandlung - wie die später eingeführten Beiträge nach dem HöVersG - erfahren würden. Ihm mußte klar sein, daß alle seine Beiträge in eine gemeinnützige Einrichtung flossen, deren Aufgabe es u. a. ist, dem sozialen Ausgleich unter den Versicherten zu dienen und nicht in erster Linie "prämiengerechte" Leistungen - wie etwa die private Individualversicherung - zu erbringen. Das System des sozialen Ausgleichs ermöglicht es, daß heute trotz Inflation und Währungsreform überhaupt angemessene Renten gezahlt werden können. Die heutigen Leistungen der Rentenversicherung werden wegen des zweimaligen Währungsverfalls nur zu einem geringen Bruchteil von den früheren Beiträgen der jetzigen Rentenempfänger gedeckt und müssen im wesentlichen von der heute arbeitenden Bevölkerung aufgebracht werden. Weil nun die neu hinzukommenden Versicherten künftig bei Anwendung der neuen Rentenformel nur begrenzt hohe Renten erhalten können (§ 32 AnVG), ist es folgerichtig, Höchstbeträge auch für die umgestellten Bestandsrenten gelten zu lassen. Dadurch wird verhindert, daß die jetzt arbeitende Generation höhere Renten finanzieren muß, als sie selbst jemals erwarten kann (vgl. Jantz-Zweng, a. a. O. S. 317). Das erscheint billig. Der Anregung des Klägers zu folgen, das Verfahren auszusetzen, und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift über die Rentenhöchstbeträge einzuholen, besteht deshalb keine Veranlassung (Art. 100 GG).
Im übrigen schwächen die Rentenanpassungen die - vom Kläger als solche empfundene - Benachteiligung bei der Rentenumstellung ab. Die Rentenanpassungen für die Jahre 1959 und 1960 sind in der Weise durchgeführt worden, daß der Rentenzahlbetrag - jeweils für Januar - mit einem Anpassungsfaktor vervielfältigt wurde; vor der Vervielfältigung war jedoch der Rentenzahlbetrag um den Steigerungsbetrag aus der HöVers. zu vermindern (§ 3 der Rentenanpassungsgesetze vom 21.12.1958 und 21.12.1959). Eine solche Verminderung des Rentenzahlbetrags scheidet beim Kläger naturgemäß aus. Dadurch wird das Vervielfältigungsprodukt größer, als wenn der Steigerungsbetrag aus den freiwilligen Beiträgen zur JV. wie ein Steigerungsbetrag aus der HöVers. behandelt - und dann abgesetzt - worden wäre. In Verbindung mit der allgemeinen Erhöhung der Rentenhöchstbeträge (vgl. § 4 des Rentenanpassungsgesetzes vom 21.12.1959) wird also die Differenz zwischen dem neuen Zahlbetrag und dem vom Kläger erstrebten von Mal zu Mal geringer.
Die Entscheidung des LSG. ist im Ergebnis richtig und muß bestätigt werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen