Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Urteil vom 11.03.1964) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 11. März 1964 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Unter den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger die Zeit vom 1. Februar 1953 bis zum 31. August 1957, während der er als Betriebsratsmitglied von der Arbeit freigestellt war, für den Leistungszuschlag anzurechnen ist.
Der Kläger hatte seine bis dahin verrichtete Tätigkeit als Kohlenhauer am 17. April 1951 wegen eines Betriebsunfalls aufgeben müssen. Nach der Wiederanfahrt wurde er vom 7. Juli bis zum 5. September 1951 als Transportarbeiter unter Tage beschäftigt; in der Folgezeit war er bis zum 31. August 1957 als Betriebsratsmitglied von der Arbeit freigestellt und erhielt den Hauerdurchschnittslohn. Anschließend arbeitete er als Ausbildungshauer. Wegen einer durch den Unfall bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. hat er bis Ende September 1954 Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezogen. Die Beklagte hatte ihm vom 1. August 1951 an die Knappschaftsrente alten Rechts bewilligt, diese Rente aber zum 31. Januar 1953 wieder entzogen, und zwar mit der Begründung, er verrichte als Betriebsratsmitglied im Hauerdurchschnittslohn eine seiner Tätigkeit als Kohlenhauer gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit.
Die Beklagte hat dem Kläger vom 1. Juni 1959 an die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres bewilligt, es dabei aber abgelehnt, die Zeit vom 1. Februar 1953 bis zum 31. August 1957 bei der Berechnung des Leistungszuschlages (§ 59 des Reichsknappschaftsgesetzes – RKG –) zu berücksichtigen. Der Kläger habe unmittelbar vor seiner Freistellung keine Hauerarbeit verrichtet, sondern sei als Transportarbeiter beschäftigt worden; die anschließende Tätigkeit im Betriebsrat könne daher nicht der Hauerarbeit gleichgestellt werden. Der hiergegen erhobene Widerspruch des Klägers war erfolglos. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, den genannten Zeitraum bei der Berechnung des Leistungszuschlags zu berücksichtigen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Kläger sei durch die Betriebsratstätigkeit an der Wiederaufnahme seiner nur infolge eines Arbeitsunfalls unmittelbar vorher nicht mehr ausgeübten Hauertätigkeit verhindert worden. Da er unmittelbar nach Beendigung der Betriebsratstätigkeit wieder eine Hauerarbeit aufgenommen habe, müsse angenommen werden, daß er das ohne Berufung in den Betriebsrat schon zu einem früheren Zeitpunkt getan hätte. Ein Versicherter, der durch die Betriebsratstätigkeit an der Wiederaufnahme einer unter die Hauerarbeiten-Verordnung (HaVO) fallenden Tätigkeit verhindert ist, dürfe aber nicht schlechter gestellt werden als der Versicherte, der aus einer solchen Tätigkeit in den Betriebsrat berufen wird. Denn der Wille des Gesetzgebers gehe dahin, den Versicherten so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht Betriebsvertreter geworden wäre. Da der Kläger auch den Hauerdurchschnittslohn erhalten habe, also vom Betrieb selbst als Hauer eingestuft worden sei, könne die Beklagte, die ja von dieser Entlohnung die Beiträge erhalten habe, nicht von einer anderen Tätigkeit ausgehen. Dadurch setze sich die Beklagte zudem in Widerspruch zu ihrem eigenen Vorgehen, weil sie dem Kläger zu Ende Januar 1953 die Knappschaftsrente entzogen habe. Sie könne daher jetzt auch nicht einwenden, der Kläger sei im Februar 1953 noch nicht wieder zu einer Hauerarbeit tauglich gewesen. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß dem Kläger die Wiederaufnahme einer entsprechenden Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen unmöglich gewesen sei. Revision wurde zugelassen.
Mit der Revision rügt die Beklagte unrichtige Anwendung des § 7 Nr. 2 HaVO. Hiernach sei die Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrats den Hauerarbeiten unter Tage nur gleichgestellt, wenn unmittelbar vor der Freistellung eine der in den §§ 1–6 HaVO bezeichneten Arbeiten verrichtet worden sei. Es dürfe zwischen der Betriebsratstätigkeit und der vorher ausgeübten Hauerarbeit keine Unterbrechung eingetreten sein. Tatsächlich sei der Kläger aber vom 7. Juli 1951 bis zur Freistellung für den Betriebsrat am 6. September 1951 als Transportarbeiter tätig gewesen und würde diese Tätigkeit auch fortgesetzt haben. Aus der Entlohnung mit dem Hauerdurchschnittslohn dürfe nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß die Betriebsratstätigkeit an die Stelle der Hauerarbeit getreten sei. Der Hauerdurchschnittslohn sei dem Kläger als freitgestelltem Betriebsratsmitglied offensichtlich nur vergönnungsweise gewährt worden. Es komme hinzu, daß der Kläger zur Zeit der Freistellung bereits die Knappschaftsrente alten Rechts bezogen habe, wodurch die Verrichtung von Hauerarbeit im Sinne der HaVO grundsätzlich ausgeschlossen werde (§ 8 HaVO).
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 7. Oktober 1963 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für richtig.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist wenigstens zum Teil begründet. Es kommt darauf an, ob die Zeit, während der der Kläger nach Entziehung der Knappschaftsrente alten Rechts noch freigestelltes Mitglied des Betriebsrats war, als Zeit der Hauerarbeit oder gleichgestellter Arbeiten bei der Berechnung des Leistungszuschlags (§ 59 RKG) zu berücksichtigen ist.
Nach § 7 Nr. 2 HaVO wird die Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrates den Hauerarbeiten gleichgestellt, wenn der Versicherte bisher eine der in den §§ 1–6 HaVO bezeichneten Arbeiten ausgeübt hat und er im Anschluß daran wegen der Betriebsratstätigkeit von diesen Arbeiten freigestellt worden ist. Durch die Worte „im Anschluß daran” ist festgelegt, daß die Hauerarbeit die letzte Tätigkeit des Versicherten vor der Freistellung gewesen sein muß. Als insoweit unschädliche Unterbrechung der bisher verrichteten Hauerarbeit wird man allerdings eine aus betrieblichen Gründen angeordnete „vorübergehende sonstige Beschäftigung” im Rahmen des § 7 Nr. 3 HaVO anzusehen haben. Gleiches muß sinngemäß dann gelten, wenn ein Versicherter, der bisher Hauerarbeiten verrichtet hat, von der Arbeit in einer Zeit freigestellt wird, während der er gerade wegen Krankheit oder Unfalls oder auch anschließend zum Zwecke der Schonung vorübergehend für eine begrenzte, kürzere Zeit eine sonstige Tätigkeit ausübt. Das ist hier aber nicht der Fall. Dem Kläger wurde nämlich, nachdem er im Anschluß an eine unfallbedingte Krankheitszeit am 7. Juli 1951 die Tätigkeit als Transportarbeiter (keine Hauer- oder gleichgestellte Arbeit) aufgenommen hatte, noch am 19. Februar 1952 die Knappschaftsrente alten Rechts mit Wirkung vom 1. August 1951 an bewilligt, er bezog auch noch bis zum 30. September 1954 Unfallrente. Es handelt sich demnach offenbar nicht um eine Krankheit oder Schonungsbedüftigkeit von kürzerer Dauer. Der Kläger ist demnach nicht als Hauer, sondern als Transportarbeiter von der Arbeit freigestellt worden. Demgemäß könnte an sich seine Betriebsratstätigkeit nicht als der Hauerarbeit gleichgestellte Tätigkeit im Sinne des § 7 Nr. 2 HaVO gelten.
Indessen kann diese Bestimmung der HaVO nur in Verbindung mit dem allgemeinen Grundsatz des Betriebsverfassungsrechts verstanden und ausgelegt werden, wonach dem Betriebsratsmitglied aus seiner ehrenamtlichen Tätigkeit weder Vorteile noch Nachteile wirtschaftlicher Art. erwachsen sollen. Für das knappschaftliche Rentenrecht bedeutet dies, daß als Zeit der Hauerarbeit immer und nur die Zeit anzurechnen ist, in der der Versicherte an Stelle sonst tatsächlich verrichteter Hauerarbeit im Betriebsrat tätig war. Gegen diesen Grundsatz würde aber verstoßen werden, wenn man es für die Frage der Gleichstellung mit der Hauerarbeit ausschließlich auf die Situation bei Beginn der Freistellung abstellen und nicht auch entscheidende Veränderungen während der Freistellungszeit berücksichtigen würde. Schon im Urteil des Senats vom 13. März 1964 – 5 RKn 7/62 – ist dementsprechend ausgeführt, daß ein aus einer Hauerarbeit heraus freigestellter Versicherter nicht mehr die Vergünstigung des § 7 Nr. 2 HaVO genießt, wenn er während der Freistellung für die Hauerarbeit völlig untauglich wird oder als Angestellter in eine höhere, aber von der HaVO nicht erfaßte Stellung aufrückt, wenn er also auch ohne Freistellung auf keinen Fall mehr Hauerarbeiten verrichten würde. Entsprechendes muß notwendig auch für den umgekehrten Fall gelten, wenn nämlich bei einem zu Beginn der Freistellung nicht mit Hauerarbeit beschäftigten Versicherten während der Freistellung Umstände eintreten, die es eindeutig als sicher erscheinen lassen, daß er nunmehr, wäre er nicht freigestellt, wieder Hauerarbeiten verrichten würde. Da für die Aufnahme solcher Arbeiten ein regelmäßig nicht nachweisbarer besonderer Willensentschluß erforderlich ist, muß an das Gewicht der objektiv hierfür sprechenden Gründe allerdings ein strenger Maßstab angelegt werden. Bloße Vermutungen oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügen nicht, die gesetzliche Vermutung der Fortdauer der letzten Tätigkeit zu widerlegen.
Das LSG hat das Urteil des SG bestätigt, wonach die Zeit vom 1. Februar 1953 bis zum 31. August 1957 als Zeit mit Hauerarbeit anzurechnen ist. Dafür reichen aber die tatsächlichen Feststellungen nicht aus. Zwar ist die Annahme des Berufungsgerichts, der Versicherte würde, wenn er nicht freigestellt gewesen wäre, mit Sicherheit seine frühere Hauertätigkeit wiederaufgenommen haben, nicht zu beanstanden. Das LSG schließt das daraus, daß der Kläger diese Tätigkeit nur wegen der Unfallfolgen aufgeben mußte und unmittelbar nach Beendigung der Freistellung auch tatsächlich wieder eine Hauerarbeit aufgenommen hat. Das gesamte Berufsbild des Klägers spricht auch für diese Annahme. Es fehlt aber die Feststellung, daß er spätestens vom 1. Februar 1953 an gesundheitlich wieder zur Verrichtung der Hauertätigkeit in der Lage gewesen ist. Da der Kläger vorher die Arbeit als Hauer aus gesundheitlichen Gründen hatte aufgeben müssen, hätte es dieser Feststellung unbedingt bedurft. Die bloße Feststellung, es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß dem Kläger die Wiederaufnahme einer entsprechenden Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen unmöglich gewesen sei, reicht unter diesen Umständen nicht aus; es muß vielmehr der Nachweis des Wiedereintritts der Tauglichkeit für Hauerarbeiten zu dem maßgeblichen Zeitpunkt verlangt werden. Mit Recht wendet sich die Revision gegen die Ansicht des LSG, die hypothetische Hauertätigkeit müsse schon deshalb unterstellt werden, weil der Kläger während seiner Betriebsratstätigkeit den Hauerdurchschnittslohn bezogen und die Beklagte hieraus die Beiträge erhalten habe. Für die Gleichstellung der Betriebsratstätigkeit mit den Hauerarbeiten ist die Beitragshöhe nicht von entscheidender Bedeutung. Die Entlohnung könnte nur als ein Indiz dafür gewertet werden, daß der Betrieb den Kläger als freigestellten Hauer angesehen hat, falls der Hauerdurchschnittslohn nicht überhaupt nur vergönnungsweise gewährt wurde.
Schließlich verkennt das LSG auch die Bedeutung der Entziehung der Knappschaftsrente zum 31. Januar 1953. Es ist hier nicht zu prüfen, ob diese Entziehung berechtigt war oder nicht, denn sie geschah jedenfalls nicht deshalb, weil der Kläger wegen einer Besserung seines Gesundheitszustandes wieder zur Verrichtung von Hauerarbeiten tauglich geworden wäre, sondern weil er als Betriebsratsmitglied mit Hauerdurchschnittslohn beschäftigt war. Die Beklagte setzt sich also keineswegs mit ihrem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch, wenn sie jetzt geltend macht, der Kläger wäre damals noch nicht wieder zur Verrichtung von Hauerarbeiten tauglich gewesen. Im übrigen setzt die Entziehung der Knappschaftsrente alter Art. bei einem Hauer auch nicht notwendig die Tauglichkeit zu Hauerarbeiten voraus, weil ein Hauer im Rahmen der Prüfung der knappschaftlichen Berufsunfähigkeit (§ 35 RKG aF) auch auf Tätigkeiten verwiesen werden konnte, die nicht unter die HaVO fallen.
Es ist daher zu prüfen, ob und zu welchem Zeitpunkt bereits vor dem 1. September 1957 der Kläger gesundheitlich so weit wiederhergestellt war, daß er seine – vom LSG bereits festgestellte – Bereitschaft, die Hauerarbeit wiederaufzunehmen, verwirklicht haben würde, wenn er nicht Betriebsratsmitglied gewesen wäre. Erst von diesem Zeitpunkt an kann die Betriebsratstätigkeit der Hauerarbeit gleichgestellt werden. Zum Zwecke dieser Prüfung muß der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden, das auch über die Kosten zu befinden hat.
Unterschriften
Richter, Dr. Dapprich, Dr. Witte
Fundstellen