Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz kraft Satzung. Wegeunfälle
Leitsatz (redaktionell)
Der Versicherungsschutz nach RVO § 544 Nr 1 iVm der Satzung des Unfallversicherungsträgers für Personen, die nicht im Unternehmen beschäftigt sind, aber die Betriebsstätte besuchen oder auf ihr verkehren, erstreckt sich nicht auf die Wege nach und von dem Ort der Betriebsstätte.
Orientierungssatz
Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes eines Arbeitnehmers auf der Rückkehr von einer Firma, bei der er sich auf deren Veranlassung vorgestellt hatte, nachdem sein bisheriges Beschäftigungsverhältnis gekündigt worden war.
Normenkette
RVO § 550 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, § 544 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Auf die Revision der Beigeladenen wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. November 1970 geändert. Die Klage gegen die Beigeladene wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger, dessen Beschäftigungsverhältnis bei der Firma I T & C (...) GmbH in H zum 30. Juni 1969 gekündigt worden war, erlitt am 18. Juni 1969 mit seinem Kraftwagen auf der Autobahn in der Nähe von M einen Unfall, bei dem er sich eine Querschnittslähmung zuzog. Er befand sich auf der Rückfahrt von der Firma Farbenfabriken B AG in L, wo er sich auf deren Veranlassung vorgestellt hatte. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 26. September 1969 die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab, weil der Unfall sich auf der Rückfahrt von einer nichtversicherten eigenwirtschaftlichen Tätigkeit ereignet habe.
Die Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg ist ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 17. Februar 1970). Während des Berufungsverfahrens lehnte auch die Beigeladene durch Bescheid vom 18. Juni 1970 Entschädigungsansprüche des Klägers ab, weil im Zeitpunkt des Unfalls noch kein Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnis zur Firma B bestanden habe. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat durch Urteil vom 19. November 1970 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und die Beigeladene verurteilt, unter Anerkennung des Unfalls vom 18. Juni 1969 als Arbeitsunfall dem Kläger die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Es hat gemäß den §§ 544 Nr. 1, 550 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit § 48 der Satzung der Beigeladenen den Kläger auf der Rückfahrt von der Firma B als versichert angesehen. Die Revision hat es zugelassen.
Die Beigeladene hat dieses Rechtsmittel eingelegt und unter Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 25. August 1970 - 2 RU 51/68 (BSG 31, 275, 276 f) vorgetragen, daß sich der Versicherungsschutz nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 RVO aF und nach § 544 Nr. 1 RVO nF nicht auf Unfälle auf dem Wege nach und von der Betriebsstätte erstrecke. Im übrigen bestehe auch kein Zusammenhang zwischen dem Besuch des Klägers bei der Firma B und dem späteren Unfall. Die Besprechung bei der Firma B sei um 12 Uhr beendet gewesen. Im Anschluß daran habe sich der Kläger mit einem bei der Firma B beschäftigten Bekannten zum gemeinsamen Mittagessen getroffen und sei mit ihm bis gegen 15 Uhr zusammen gewesen. Auf der Rückfahrt habe er unterwegs noch gerastet und in seinem Wagen geschlafen. Der Unfall habe sich erst gegen 18,50 Uhr ereignet.
Die Beigeladene beantragt,
unter Aufhebung bzw. entsprechender Änderung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen in der Vorinstanz, insbesondere im Ergebnis auf Klagabweisung, hilfsweise aber auf Zurückweisung an die Vorinstanz zu erkennen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt er vor, daß das Urteil des erkennenden Senats vom 25. August 1970 (aaO) zu § 540 RVO aF ergangen sei. Durch § 544 RVO sei lediglich der Grundgedanke der alten Vorschrift insoweit übernommen worden, als der Träger der Unfallversicherung durch Satzung bestimmte Personen, die nicht schon nach anderen Vorschriften versichert seien, in den Versicherungsschutz einbeziehe. Der Wortlaut des § 544 RVO sei aber ein wesentlich anderer. Ihm könne nicht mehr entnommen werden, daß nur das Wagnis für Unfälle auf der Betriebsstätte versichert sei. Durch die Neufassung sowohl des § 544 RVO als auch des § 550 Satz 1 RVO, der u.a. auf § 544 RVO verweise, habe der Gesetzgeber unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß der Unfallschutz solcher Personen, die nach § 544 RVO durch die Satzung in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen werden können, auch den Wegeunfall umfasse. Versicherungsschutz habe aber, wenn nicht nach den §§ 544, 550 RVO, so doch nach den §§ 539 Abs. 1 Nr. 1, 550 RVO bestanden. Er sei auf Anforderung der Firma B nach L gefahren. Diese habe auch die Kosten der Hin- und Rückfahrt übernommen. Das bereits durch Vorbesprechungen in H angebahnte Beschäftigungsverhältnis sei durch die Unterredung im Betrieb der Firma B insoweit fest vereinbart worden, als sich die Firma B bereits einseitig gebunden hatte. Die Entscheidung habe nur von ihm abgehangen; er habe sich zwei Tage Bedenkzeit ausbedungen gehabt.
Die Beklagte bezieht sich - ohne einen Antrag zu stellen - auf das Vorbringen der Beigeladenen.
II
Die Revision der Beigeladenen ist begründet.
Nachdem das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen hat, steht bindend fest (§ 77 SGG), daß der Kläger aus Anlaß des Unfalls vom 18. Juni 1969 keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen gegen die Beklagte hat.
Aber auch gegen die Beigeladene besteht kein Anspruch auf Leistungen.
Zutreffend hat das LSG im angefochtenen Urteil ausgeführt, daß der Kläger auf Grund seiner Vorstellung bei der Firma B noch nicht nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versichert war. Ein Dienstverhältnis war weder rechtlich noch tatsächlich zustande gekommen. Der Kläger hatte sich seine Entscheidung über den Abschluß eines Dienstvertrages mit der Firma B ausdrücklich vorbehalten; irgendwelche, dem Unternehmen der Firma B förderliche Tätigkeit hatte er noch nicht ausgeübt, und das lag am Tage der Vorstellung auch nicht in seiner Absicht. Die Verhandlung über den Abschluß eines Dienstvertrages diente eigenwirtschaftlichem Interesse, der Kläger war dabei nicht versichert. Das gilt auch für den Weg zu und von dieser Verhandlung (Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 8, Stichworte: "Arbeitssuche, Aufnahme der Arbeit" zu § 550 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 7. Aufl., S. 484 g und die dort zitierte Entscheidung des erkennenden Senats vom 29. Juni 1967 - 2 RU 144/64).
Entgegen der Ansicht des LSG bestand für den Kläger auch kein Versicherungsschutz nach § 544 Nr. 1 RVO. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 25. August 1970 (aaO) zu § 540 Abs. 1 Nr. 1 RVO aF entschieden, daß sich der Versicherungsschutz nicht auf Unfälle auf den Wegen nach und von der Betriebsstätte erstreckt. Entsprechend dem Grundgedanken, daß Personen, die, ohne im Betrieb beschäftigt zu sein, mit Betriebseinrichtungen in Berührung kommen, bei einem Unfall nicht auf zivilrechtliche Haftungsansprüche verwiesen werden sollen, erstreckt sich der Versicherungsschutz auf Unfälle, die sich auf der Betriebsstätte, nicht jedoch auf solche, die sich auf dem Heimweg ereignen. Der in § 544 Nr. 1 RVO gegenüber § 540 Abs. 1 Nr. 1 RVO aF geänderte Wortlaut hat den materiellen Gehalt der Vorschrift unberührt gelassen. Die Änderung bezieht sich lediglich darauf, daß die Versicherung von Personen, die nicht im Unternehmen beschäftigt sind, aber die Stätte des Unternehmens (Betriebsstätte) besuchen oder auf ihr verkehren, nur noch durch die Satzung des Trägers der Unfallversicherung und nicht mehr durch den Unternehmer erfolgen kann. § 544 Nr. 1 RVO ist hinsichtlich des Umfanges des Versicherungsschutzes nicht anders auszulegen als § 540 Abs. 1 Nr. 1 RVO aF.
Auch der Wortlaut des § 550 Satz 1 RVO zwingt nicht zu einem anderen Ergebnis. Nach dieser Vorschrift gilt als Arbeitsunfall u.a. auch ein Unfall auf einem mit einer der in § 544 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Begriff "Tätigkeit" ist in § 544 RVO im Zusammenhang mit den Mitgliedern der Organe und Ausschüsse der Versicherungsträger verwendet, die nach Nr. 2 dieser Vorschrift bei ihrer Tätigkeit in den Organen und Ausschüssen der Verbände der Versicherungsträger kraft Satzung der Träger der Unfallversicherung gegen Arbeitsunfälle versichert werden können. Bei dieser Tätigkeit sind auch Wegeunfälle i.S. des § 550 RVO denkbar. Durch § 544 Nr. 1 RVO sind dagegen Personen nicht bei einer Tätigkeit versichert, sondern bei dem in vielen Fällen sonst nicht versicherten Aufenthalt auf der Stätte eines Unternehmens, in dem sie nicht beschäftigt sind, mag auch ihr Aufenthalt - wie im Falle des Klägers - eigenwirtschaftlichen Interessen dienen. Diese nur subsidiär geltende Vorschrift ("... soweit sie dies nicht schon nach anderen Vorschriften sind ...") hat somit Ausnahmecharakter; sie gibt dem Senat keinen Anlaß, von seiner Rechtsprechung (BSG 31, 275, 276 f) abzuweichen.
Das angefochtene Urteil war somit hinsichtlich der Verurteilung der Beigeladenen und der Kostenentscheidung aufzuheben; die Klage gegen die Beigeladene mußte abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen