Leitsatz (amtlich)
1. In die ersten 5 Ausfallzeiten darstellenden Jahre der Hochschulausbildung sind auch Studienzeiten einzubeziehen, die aufgrund des Studiums (hier: Ostberliner Verordnung über die Pflichtversicherung der Studenten vom 25.11.1950) versicherungspflichtig gewesen sind.
2. Solche Studienzeiten sind sowohl Beitragszeiten als auch Ausfallzeiten (Fortentwicklung von BSG 1984-02-09 11 RA 6/83 = BSGE 56, 151 = SozR 2200 § 1259 Nr 82).
Normenkette
AVG § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1965-06-09; RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1965-06-09; FRG § 15 Abs 1 S 1, § 17 Abs 1 Buchst a
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 23.11.1983; Aktenzeichen III ANBf 41/82) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 09.07.1982; Aktenzeichen 8 AN 332/81) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, welche Zeiten einer Hochschulausbildung als Ausfallzeiten (§ 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-) vorzumerken sind.
Im Bescheid vom 14. November 1979 erkannte die Beklagte bei dem 1941 geborenen Kläger, Inhaber des Flüchtlingsausweises C, die an der Humboldt-Universität in Ostberlin verbrachten mit Pflichtbeiträgen belegten Zeiten als Student der Finanzökonomik vom 1. September 1960 bis 9. Mai 1961 und vom 11. Juni 1961 bis 4. September 1961 als Beitragszeiten nach § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) - "Lehrzeit mit Pflichtbeiträgen während Ausfallzeit" - an, ohne im beigefügten Versicherungsverlauf vom 2. November 1979 diesen Zeiten Arbeitsentgelte zuzuordnen (§ 22 Abs 1 Satz 2 FRG); im Leistungsfalle würden sie wie Beitragszeiten angerechnet. Dieselbe (11 Monate umfassende) Zeit sowie die Ausbildungszeit des Klägers an der Universität in Göttingen für ein Studium der Betriebswirtschaft vom 14. März 1962 bis 10. Mai 1968 merkte die Beklagte als Ausfallzeiten einer Hochschulausbildung vor; im Versicherungsverlauf kennzeichnete sie die ab April 1966 verbrachte Zeit als "begrenzte Hochschulausbildung". Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1981).
Die Vorinstanzen haben die Beklagte verurteilt (Urteile vom 9. Juli 1982 und vom 23. November 1983), zusätzlich die Zeit vom 1. April 1966 bis zum 28. Februar 1967 - dh weitere 11 Monate - als (nicht begrenzte) Ausfallzeit vorzumerken, da erst dann die in § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG für eine Hochschulausbildung vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren erfüllt sei. Die ostberliner Studienzeiten können nach Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) ihrer Rechtsnatur nach schon deshalb keine Ausfallzeiten sein, weil das FRG anzurechnende Ausfallzeiten nicht kenne. Darüber hinaus scheitere ihre Berücksichtigung als Ausfallzeit auch daran, daß diese Studienzeiten Beitragszeiten (iS von § 15 Abs 1 Satz 1 FRG) darstellten, was die Berücksichtigung beitragsloser Zeiten grundsätzlich ausschließe. § 32 Abs 7 Satz 2 AVG, wonach während einer anzurechnenden Ausfallzeit entrichtete Pflichtbeiträge unberücksichtigt blieben, widerspreche dem nicht. Diese Vorschrift dürfe dem Versicherten nicht zum Nachteil gereichen. Die Auffassung der Beklagten über eine Doppelnatur der in Ostberlin verbrachten Studienzeit als Ausfall- und zugleich Beitragszeit sei somit rechtlich nicht zu billigen. Daß die Beklagte diese Studienzeit vom Kläger unbeanstandet als mit Pflichtbeiträgen belegte Ausfallzeit bewertet habe, zwinge nicht zu ihrer Berücksichtigung als Ausfallzeit.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte (sinngemäß), die Urteile der Vorinstanzen zu ändern, soweit sie verurteilt worden ist, die Zeit vom 1. April 1966 bis 28. Februar 1967 als Ausfallzeit vorzumerken und die Klage auch in diesem Umfang abzuweisen.
Zur Begründung rügt sie eine rechtsfehlerhafte Anwendung von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG. Die Höchstdauer an Hochschulausbildung von 5 Jahren sei mit März 1966 ausgeschöpft, da die Studienzeiten in Ostberlin aufgrund der ostberliner Verordnung über die Versicherungspflicht der Studenten, Hoch- und Fachschüler vom 25. November 1950 nicht nur Pflichtbeitragszeiten nach § 15 Abs 1 FRG seien, sondern auch Ausfallzeiten darstellten; nur solche Pflichtbeiträge, die aufgrund einer Beschäftigung entrichtet würden, verdrängten gleichzeitig vorhandene Ausfallzeiten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 24. November 1976 - 1 RA 149/75; SozR 2200 § 1259 Nr 13; SozR Nr 16 zu § 15 FRG), die - geringen - Pflichtbeiträge des Klägers als Student beruhten indes nicht auf einer Beschäftigung. Die vom LSG vertretene Ansicht führe zu einer Besserstellung der Studenten, die in beiden Teilen Deutschlands studiert hätten, gegenüber denen in der Bundesrepublik. Erhielten dagegen sämtliche Absolventen von Universitäten ohne Rücksicht auf den Sitz der Unterrichtsstätte über § 32 Abs 7 Satz 2 AVG die Werte der Anlage zu § 32a AVG, werde der Eingliederungsgedanke des FRG verwirklicht.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist von Erfolg; entgegen den Vorinstanzen ist sie nicht verpflichtet, die Zeit von April 1966 bis Februar 1967 als - weitere - Ausfallzeit für den Kläger vorzumerken (zum Wesen eines Vormerkungsstreits s das Urteil des Senats vom 9. Februar 1984, BSGE 56, 151, mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall ist der Ausfallzeittatbestand § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG zu entnehmen. Danach sind Ausfallzeiten ua Zeiten einer abgeschlossenen Hochschulausbildung, jedoch nur bis zur Höchstdauer von fünf Jahren. Daß der Kläger sich während der betreffenden Zeit - wie vorher und nachher - in Ausbildung an einer Hochschule befunden und daß er die Ausbildung vorschriftsmäßig abgeschlossen hat, ist keine Frage. Entscheidend ist allein, wann die Höchstdauer von fünf Jahren erreicht ist, denn eine die Höchstdauer überschreitende Ausbildungszeit stellt keine Ausfallzeit iS des Gesetzes mehr dar. Für die Feststellung der Höchstdauer kommt es außer auf die Studienzeit in Göttingen auch auf die an der Humboldt-Universität in Ostberlin an. Der Senat hat bereits entschieden (SozR 2200 § 1259 Nr 80), daß der Ausfalltatbestand einer Hochschulausbildung nicht auf Ausbildungen im Inland beschränkt ist; dies hat auch im Verhältnis zur DDR bzw Ostberlin zu gelten. Handelt es sich bei der ostberliner Hochschulausbildung aber um eine grundsätzlich anerkennungsfähige Ausfallzeit, dann sind die fünf Jahre für die Höchstdauer vom Studienbeginn in Ostberlin an zu berechnen (so 11. Senat in SozR Nr 43 zu § 1259 der Reichsversicherungsordnung -RVO- und ihm folgend der 12. Senat in SozR 2200 § 1259 Nr 38), gleichviel, ob bei der Ausbildung in Ostberlin und in Göttingen ein und derselbe Studiengang oder, wie der Kläger vorträgt, zwei voneinander getrennte Studiengänge vorgelegen haben. Denn die Höchstdauer gilt nicht für jeden Studiengang gesondert, sie bezieht sich vielmehr auf die Hochschulausbildung insgesamt, selbst wenn ein anfängliches Studienfach nicht beendet, nach einem Wechsel das später begonnene Studienfach jedoch erfolgreich abgeschlossen wird (so 1. Senat in BSGE 30, 34 = SozR Nr 24 zu § 1259 RVO; Urteil vom 29. August 1984 - 1 RA 31/83 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; 12. Senat in SozR 2200 aaO in einem Fall zweier abgeschlossener Hochschulausbildungen). Diese Rechtsprechung ist für die Versicherten in der Regel vorteilhaft, insbesondere, wenn der zweite Studiengang keine fünf Jahre erreicht; der Senat sieht keinen Anlaß, nicht an ihr festzuhalten nur deshalb, weil sie sich hier möglicherweise für den Kläger nachteilig auswirkt. Der Kläger hat daher mit den 11 Monaten Studium in Ostberlin und weiteren 49 Monaten Studium in Göttingen mit März 1966 die Höchstdauer erreicht, die § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG an berücksichtigungsfähiger Ausfallzeit für eine Hochschulausbildung vorsieht; Zeiten ab April 1966 bis zum Examen vermögen - wegen der Höchstdauerbegrenzung - keine Ausfallzeit mehr darzustellen.
An diesem Ergebnis ließe sich nur dann etwas ändern, wenn die Möglichkeit bestünde, die berücksichtigungsfähigen Ausbildungszeiten zu verschieben. Als Ansatzpunkt hierfür käme in Betracht, daß die ostberliner Studienzeit eine Beitragszeit iS des § 15 FRG ist. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger aufgrund der ostberliner Verordnung über die Pflichtversicherung der Studenten vom Jahre 1950 (auch) in der Rentenversicherung durch seine Studienanstalt versichert gewesen und daß die dortige Studienzeit mit Pflichtbeiträgen belegt ist. Hiervon ausgehend stellt die Hochschulzeit in Ostberlin in der Tat, wie der erkennende Senat und im Anschluß der 1. Senat des BSG (SozR Nr 16 zu § 15 FRG; SozR 5050 § 15 Nr 9) schon entschieden haben, eine Beitragszeit nach § 15 Abs 1 Satz 1 iVm § 17 Abs 1 Buchst a FRG dar. Entgegen der Auffassung des LSG kann dies jedoch keinen Einfluß auf die Berechnung der Fünfjahresfrist bei der Hochschulausbildung haben.
Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob "Zeiten einer Hochschulausbildung" im Rahmen des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG überhaupt dann verschiebbar sind, wenn sie teilweise Beitragszeiten darstellen. Der Wortlaut des Gesetzes bietet dafür keine Handhabe; nach ihm ist "eine Hochschulausbildung nur bis zu einer Höchstdauer von fünf Jahren" Ausfallzeit; die fünf Jahre werden also auf die Hochschulausbildung bezogen. Aus dem Wesen der Ausfallzeit als einer beitragslosen Zeitspanne, mit der zu Lasten der Allgemeinheit die Vergünstigung anrechnungsfähiger Versicherungsjahre für den Versicherten geschaffen wird, könnte jedoch gefolgert werden, daß mit "Zeiten einer Hochschulausbildung" diejenigen gemeint sind, die als Ausfallzeit klassifiziert werden können; das würde bedeuten, daß Hochschulzeiten, die keine Ausfallzeiten darstellen, bei der als Ausfallzeit berücksichtigungsfähigen Hochschulausbildung auszuklammern wären. Selbst von diesem Standpunkt kann aber die Klage ebenfalls keinen Erfolg haben, weil im vorliegenden Fall die ostberliner Studienzeit ihrem Rechtscharakter nach nicht nur Beitragszeit, sondern zugleich eine Ausfallzeit ist.
Entgegen der Meinung des LSG steht dem nicht schon die Konzeption der Fremdrentenzeiten entgegen; daß das FRG keine Ausfallzeiten kenne, wird schon durch die in § 29 Abs 1 und 2 iVm § 21 dieses Gesetzes enthaltenen Regelungen und weiter durch den auf die allgemeinen Vorschriften verweisenden § 14 widerlegt. Des weiteren hat der Senat in der oben angegebenen Entscheidung vom 9. Februar 1984, der der 5. Senat im Urteil vom 3. Oktober 1984 - 5b RJ 96/83 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, mittlerweile gefolgt ist, bereits näher dargelegt, daß Pflichtbeiträge, also auch solche nach § 15 Abs 1 FRG, Ausfallzeiten nicht schlechthin ausschließen. Eine Zeit kann danach ihrem Charakter nach sowohl Beitragszeit als auch Ausfallzeit sein; dem stehen weder der Sinn und Zweck der Ausfallzeiten, fehlende Pflichtbeiträge auszugleichen noch eine zwischen den Zeiten bestehende Rangfolge entgegen, wonach im Versicherungsfall die "stärkeren" die "schwächeren" Zeiten verdrängen. Eine Rangfolge bedeutet nämlich nicht, daß eine Zeit immer nur eine der "stärkeren" Art darstellen kann; vielmehr vermag sich die Rangfolge erst bei weiteren Rechtsfolgen (zB der späteren Rentenberechnung) auszuwirken, was dann jeweils zu prüfen ist. Auch von der Funktion her müssen Beiträge eine Ausfallzeit nicht ausschließen; es ist denkbar, daß ohne den Ausfalltatbestand andere oder höhere Beiträge entrichtet worden wären. Aus § 32 Abs 7 Satz 2 AVG ergibt sich nichts Gegenteiliges. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat im vorliegenden Fall fest.
Allerdings hat der Senat auch entschieden, daß Ausbildungszeiten, die innerhalb eines zumindest an sich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zurückgelegt werden, keine Ausfallzeiten sind (so in SozR 2200 § 1259 Nr 79 unter Hinweis auf SozR 2200 § 1255 Nr 6; § 1255a Nr 6 und SozSich 1978, 252). Wie der Senat im Urteil vom 9. Februar 1984 - 11 RA 6/83 - fortgeführt hat, ist dazu Voraussetzung, daß die Ausbildung - in dem in SozR aaO Nr 79 entschiedenen Fall in einer militärischen Ausbildungseinrichtung, im Urteil vom 9. Februar 1984 an einer Ingenieurschule - im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses (Dienstverhältnis) Inhalt der Arbeits- bzw Dienstpflicht ist; liegt ein bloßes Nebeneinander von Ausbildungszeit und Beschäftigungsverhältnis vor, ist eine Ausbildungsausfallzeit nicht ausgeschlossen. Beim Kläger hat es demgegenüber an einem Beschäftigungsverhältnis während der ostberliner Studienzeit überhaupt gefehlt; bei ihm war auslösender Sachverhalt für die Versicherungspflicht die Teilnahme am Unterricht an der Universität, dh in alleinigem Umfang die Ausbildung selbst. Für einen solchen Sachverhalt besteht kein Grund, in der Ausbildungszeit nicht zugleich eine Ausfallzeit zu sehen; soweit es in SozR Nr 16 zu § 15 FRG heißt, wegen der Versicherungspflicht verbiete es sich, diese Zeit als Ausfallzeit zu werten, hält der Senat daran nicht fest.
Aber auch wenn insoweit allein von einer Beitragszeit auszugehen wäre, würde dies keine Verschiebung der anrechnungsfähigen Hochschulausbildung rechtfertigen können. Es müßte dann entscheidend sein, daß gerade die Hochschulausbildung diese Beitragszeit hat entstehen lassen und daß der Kläger schon hierdurch - ohne eigene Beitragsanteile - ein versicherungsrechtliches Äquivalent der Hochschulausbildung erhalten hat. Deshalb erschiene es nicht angemessen, unabhängig davon ihm noch weitere Zeiten der Hochschulausbildung als Ausfallzeit zugute kommen zu lassen. Das würde auch der anzustrebenden Gleichbehandlung der Studenten widersprechen. Es ist nicht einsichtig, Versicherte mit Studienzeiten in der DDR gegenüber den nur in der Bundesrepublik Studierenden allein deshalb besserzustellen, weil die Studienzeiten nach dem Recht der DDR - ohne eigene Beiträge der Studenten - versicherungspflichtig gewesen sind.
Nach alledem stellt sich der angefochtene Vormerkungsbescheid in dem vom erkennenden Senat zu überprüfenden Umfang als rechtmäßig dar. Das führte mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zur Änderung der vorinstanzlichen Urteile und zur Abweisung der Klage insgesamt.
Fundstellen