Leitsatz (amtlich)
Zum Rechtsstreit eines Rentners mit einer Krankenkasse über seine Krankenversicherungspflicht als Rentner ist der Rentenversicherungsträger beizuladen.
Orientierungssatz
1. Greift somit eine positive Entscheidung über die Versicherungspflicht des Rentners unmittelbar in die Rechtssphäre der BfA ein und kann sie daher auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen, so gilt dies entsprechend auch für den Fall, daß die Versicherungspflicht des Klägers verneint wird.
2. Die Stellung der BfA ist der eines Arbeitgebers vergleichbar, dessen Arbeitnehmer auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses klagt.
Normenkette
SGG § 141 Abs 1, § 75 Abs 2; AVG § 83e Abs 1 Nr 1; RVO § 393a Abs 1 Fassung: 1984-06-27, § 1304e Abs 1 Nr 1; SGB 5 § 255 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.10.1989; Aktenzeichen L 16 Kr 102/87) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 24.07.1987; Aktenzeichen S 8 Kr 258/86) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) bei der beklagten Ersatzkasse versichert ist.
Der 1924 geborene Kläger nahm im Februar 1949 als kaufmännischer Lehrling erstmals eine Erwerbstätigkeit auf. Von Mai 1949 bis Ende 1957 befand er sich in juristischer Ausbildung und war dann ab Februar 1958 als Angestellter tätig. Bei der Beklagten ist er seit Juli 1971 freiwillig versichert.
Im August 1986 beantragte er bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersruhegeld, das ihm nach seinen Angaben seit Januar 1987 gewährt wird. Gleichzeitig meldete er sich bei der Beklagten zur KVdR an. Mit Bescheid vom 17. November 1986 stellte die Beklagte fest, daß der Kläger in der KVdR nicht versicherungspflichtig geworden sei. Er erfülle nicht die Vorversicherungszeit von § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a Reichsversicherungsordnung in der Fassung, die bis zum 31. Dezember 1988 galt (RVO aF). Danach hätte er nämlich seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, jedoch frühestens seit dem 1. Januar 1950 bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens die Hälfte der Zeit Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sein müssen. Da er 1949 erstmalig erwerbstätig geworden sei, beginne die für die Berechnung der Halbdeckung maßgebliche Rahmenfrist am 1. Januar 1950 und ende mit der Stellung des Rentenantrages am 29. August 1986. Er sei nicht mindestens in der Hälfte dieser Zeit bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen. Der Kläger legte hiergegen Widerspruch mit der Begründung ein, vor dem 1. Januar 1950 liegende Zeiten der Erwerbstätigkeit dürften für den Beginn der Rahmenfrist des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO aF keine Rolle spielen. Vielmehr beginne diese Frist bei ihm erst im Februar 1958. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 1986 zurück.
Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die hiergegen erhobene Klage durch Urteil vom 24. Juli 1987 abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 13. Oktober 1988 die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Bereits aus dem Wortlaut des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO aF ergebe sich, daß die Rahmenfrist stets dann am 1. Januar 1950 beginne, wenn zuvor eine Erwerbstätigkeit ausgeübt worden sei. Diese Auslegung entspreche auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 2200 § 165 Nr 69) und dem Willen des Gesetzgebers, der grundsätzlich die erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zum maßgebenden Zeitpunkt für den Beginn der Rahmenfrist bestimmt habe, aus verwaltungs- und beweistechnischen Gründen aber vor 1950 liegende Zeiten der Erwerbstätigkeit nicht berücksichtigt haben wollte (BT-Drucks 8/338, S 60, zu Art 1 Nr 1). Unter Hinweis auf das zitierte Urteil des BSG und den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 1986 (SozR 2200 § 165 Nr 87) sieht das LSG in der Regelung des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO aF keinen Verstoß gegen Art 3 des Grundgesetzes, da sie nicht willkürlich sei.
Gegen das Urteil richtet sich die - vom Senat zugelassene - Revision des Klägers, mit der er die rechtsfehlerhafte Anwendung von § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und von § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO aF rügt und im wesentlichen geltend macht: Die BfA hätte notwendig beigeladen werden müssen, weil auch ihr gegenüber eine Entscheidung nur einheitlich ergehen könne. Ihre Interessen seien insofern berührt, als im Falle der Mitgliedschaft des Klägers in der KVdR Erstattungsansprüche der Beklagten gegen die BfA bestünden. Auch im Falle einer gerichtlichen Feststellung der Nichtmitgliedschaft seien die Interessen der BfA berührt, weil sie dadurch die Gewißheit erhalte, daß die zur Zeit an den Kläger gezahlten Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung auch rechtens geleistet würden. In der Sache vertritt er die Auffassung, aus Sinn und Zweck der Rahmenfrist sei herzuleiten, daß diese Frist nur dann am 1. Januar 1950 beginne, wenn der Betroffene zu diesem Zeitpunkt auch tatsächlich im Erwerbsleben gestanden habe. Andernfalls beginne auch die Frist nicht zu laufen. Dann sei es auch unerheblich, wenn der Betroffene schon vor dem 1. Januar 1950 erwerbstätig gewesen sei; denn § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO aF habe verhindern wollen, daß vor diesem Datum liegende Zeiten in irgendeiner Weise noch in die Prüfung mit einzubeziehen seien. Werde die Vorschrift so ausgelegt, so erfülle der Kläger das Erfordernis der Halbdeckung, da die Rahmenfrist dann erst am 1. Februar 1958 begonnen habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. November 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 1986 aufzuheben und festzustellen, daß er seit dem 29. August 1986 in der KVdR versichert sei.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen, hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Sie hält das Urteil das LSG für zutreffend. Die Zulassung der Revision wegen des Verfahrensmangels der unterlassenen notwendigen Beiladung bedeute nicht, daß das LSG-Urteil auch tatsächlich auf diesem Mangel beruhe.
Entscheidungsgründe
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil das LSG die notwendige Beiladung der BfA als des für den Kläger zuständigen Rentenversicherungsträgers unterlassen hat.
Nach § 75 Abs 2, 1. Fall SGG sind Dritte zum Rechtsstreit beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die zu erwartende Entscheidung zugleich in die Rechtssphäre des Dritten unmittelbar eingreift (BSGE 11, 262, 265; 46, 232, 233; SozR 1500 § 75 Nr 49). Würde dieser nicht am Rechtsstreit beteiligt werden, so würde die Rechtskraft der Entscheidung ihn nicht binden (§ 141 Abs 1 SGG), und es könnte ihm gegenüber später anders entschieden werden. Um dies zu vermeiden, ist er zum Rechtsstreit beizuladen (vgl Urteile des erkennenden Senats vom 24. Juni 1981 - SozR 1500 § 75 Nr 36 - und vom 15. Februar 1989 - 12 RK 67/87).
Im vorliegenden Rechtsstreit erfüllt die BfA die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung. Sie ist an dem zwischen der beklagten Ersatzkasse und dem Kläger streitigen Rechtsverhältnis, in dem es um die Feststellung seiner KVdR-Pflicht geht, insofern beteiligt, als sie bei Bejahung dieser Pflicht einen monatlichen Zuschuß zur Rente nach § 83e Abs 1 Nr 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) zu leisten hat, dabei den vom Kläger zu tragenden Beitragsanteil von der Rente einzubehalten und zusammen mit ihrem Zuschuß (ihrem eigenen Beitragsanteil) an die Krankenversicherung abzuführen hat (vgl jetzt § 255 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung - und für die Zeit bis zum 31. Dezember 1988 § 393a Abs 1 RVO aF).
Greift somit eine positive Entscheidung über die Versicherungspflicht des Rentners unmittelbar in die Rechtssphäre der BfA ein und kann sie daher auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen, so gilt dies entsprechend auch für den Fall, daß die Versicherungspflicht des Klägers verneint wird. Dann nämlich hätte die Entscheidung für die BfA die Wirkung, daß sie dem Kläger weder Zuschüsse nach § 83e Abs 1 Nr 1 AVG zu leisten noch Beiträge einzubehalten und an die Krankenversicherung weiterzuleiten hätte. Ohne Beiladung könnte sie sich aber nicht auf die Rechtskraft eines im vorliegenden Rechtsstreit ergehenden klageabweisenden Urteils berufen, falls der Kläger von ihr den Zuschuß verlangte.
Die Stellung der BfA ist damit unabhängig vom Ausgang dieses Rechtsstreits der eines Arbeitgebers vergleichbar, dessen Arbeitnehmer auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses klagt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), insbesondere des erkennenden Senats, muß zu einem solchen Rechtsstreit der Arbeitgeber nach § 75 Abs 2, 1. Fall SGG beigeladen werden, weil über die Bejahung oder Verneinung der Versicherungspflicht des Arbeitnehmers auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nur einheitlich entschieden werden kann (BSGE 25, 34, 35; SozR 1500 § 75 Nr 36 und Nr 56). Ebenso ist nach dieser Rechtsprechung der Arbeitnehmer zu einem Rechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Krankenkasse beizuladen.
Die Beiladung der BfA erübrigt sich auch nicht deshalb, weil sie nach Angaben des Klägers ihm ohnehin einen Beitragszuschuß nach § 83e Abs 1 Nr 2 AVG zahlt. Abgesehen davon, daß der Kläger aus der freiwilligen Versicherung bei der Beklagten ausscheiden könnte und als Privatversicherter einen möglicherweise niedrigeren Zuschuß erhielte, hat die BfA ein berechtigtes Interesse daran, daß über das Bestehen oder Nichtbestehen ihrer Pflicht zur Einbehaltung von KVdR-Beiträgen bindend entschieden wird.
Auch das Urteil des 3. Senats des BSG vom 11. November 1975 (SozR 2200 § 381 Nr 5) hindert den erkennenden Senat nicht, hier eine Beiladung der BfA zu fordern. Dabei läßt er offen, ob ein Rentenversicherungsträger, der seinerzeit nach § 381 Abs 4 RVO aF von einem Rentner auf Zahlung eines Beitragszuschusses zu seiner privaten Krankenversicherung in Anspruch genommen wurde und der damals nur dann zuschußpflichtig war, wenn der Rentenberechtigte nicht in der KVdR pflichtversichert war, schon kraft Tatbestandswirkung an eine in einem Vorprozeß ergangene negative Entscheidung über KVdR-Pflicht gebunden war, wie der 3. Senat gemeint hat. Nach der Neuregelung der KVdR kann dies jedenfalls für die Rentenversicherungsträger, die nunmehr jedem krankenversicherten Rentenbezieher gegenüber zuschußpflichtig sind, nicht mehr gelten.
Das Fehlen einer notwendigen Beiladung ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten (vgl Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 3. Aufl, RdNr 13 zu § 75 mwN). Da die unterbliebene Beiladung nach geltendem Recht im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden kann (§ 168 SGG), muß das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an dieses Gericht zurückverwiesen werden, damit dieses die Beiladung der BfA nunmehr nachholt.
Fundstellen