Leitsatz (amtlich)

Eine dauerhafte Existenzgrundlage im Sinne des GAL § 1 Abs 4 aF ist gegeben, wenn die Erträgnisse der Landwirtschaft für sich allein ausreichen, um eine bäuerliche Familie zu ernähren; es kommt nicht darauf an, ob die Landwirtschaft die Haupteinnahmequelle darstellt.

 

Normenkette

GAL § 1 Abs. 4 Fassung: 1957-07-27

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. März 1959 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger ist Eigentümer einer Landstelle von 7,11 ha, die er 1948 von seinem Vater übernommen hat. Er betreibt daneben eine Gastwirtschaft und einen Krämerladen. Von 1924 bis 1948 war er als Arbeitnehmer tätig und als solcher in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Diese Versicherung setzt er seit 1948 als freiwilliges Mitglied fort.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 1957 nahm die Beklagte den Kläger als beitragspflichtigen Unternehmer nach dem. Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1063) - GAL aF - in Anspruch. Demgegenüber machte der Kläger in seinem Widerspruch geltend, seine kleine Landwirtschaft sei keine Existenzgrundlage; er sei im Hauptberuf Gastwirt. Der Widerspruch wurde an 19. Juni 1958 zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) gab der Klage auf Aufhebung der Beitragsbescheide statt (Urteil vom 19. September 1958), das Landessozialgericht (LSG) wies sie ab (Urteil vom 19. März 1959). Zur Begründung führte es aus, der Kläger sei hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer. Die Beklagte habe nicht gemäß § 1 Abs. 4 GAL aF einen Einheitswert festgestellt, bei dessen Überschreitung eine dauerhafte Existenzgrundlage als gegeben gelte. Es müsse daher geprüft werden, ob das Unternehmen des Klägers eine dauerhafte Existenzgrundlage sei. Diese Prüfung müsse nach einer abstrakten Betrachtungsweise vorgenommen werden. Von einer dauerhaften Existenzgrundlage könne nur gesprochen werden, wenn der notwendige Lebensunterhalt aus den Einkünften des Unternehmens bestritten werden könne. Ob noch Einkünfte aus anderen Erwerbszweigen vorhanden seien, sei unerheblich. Die dauerhafte Existenzgrundlage derjenigen Betriebe sei gesichert, bei denen die Betriebsinhaber ihre volle Arbeitskraft ihrem Unternehmen widmeten. Die notwendigen Lebenshaltungskosten einer bäuerlichen Familie seien durch eine Summe gedeckt, die ungefähr in der Mitte zwischen dem im "Grünen Bericht 1958" genannten Betrag von 4 700 DM und dem vom Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Schleswig-Holstein für ausreichend gehaltenen Betrag von 3 200 DM, mithin etwa bei 4 000 DM jährlich liege. Wie ein Vergleich mit ähnlichen Fällen ergeben habe, entspreche ein Reineinkommen von 4 000 DM jährlich einem berichtigten Einheitswert von etwa 5 500 DM. Es könne deshalb davon ausgegangen werden, daß eine dauerhafte Existenzgrundlage dann gegeben sei, wenn das jährliche Einkommen aus dem landwirtschaftlichen Betrieb die Summe von 4 000 DM übersteige und ein berichtigter Einheitswert von etwa 5 500 DM vorhanden sei. Beim Kläger könne von einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von reichlich 6 ha ausgegangen werden. Der Einheitswert betrage 19 600 DM, von dem 9 500 DM auf den landwirtschaftlichen Grundbesitz entfalle. Ein Einheitswert von 9 500 DM ergebe bei einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von etwa 6 ha einen Hektarsatz von 1 583 DM und dies einen berichtigten Einheitswert von 7 740 DM, der wesentlich höher liege als der Einheitswert von 5 500 DM, der die unterste Grenze einer dauerhaften Existenzgrundlage darstelle. Bei der Berechnung der objektiven Betriebseinnahmen sei von einer Ertragswertklasse 12 auszugeben. Nach den Berechnungen des Sachverständiger M… ergebe sich ein objektives Betriebseinkommen von jährlich 4 572 DM. Auch dieser Betrag sei höher als die Mindestsumme von 4 000 DM, die für die Sicherstellung eines ausreichenden Lebensunterhalts erforderlich sei. Der Kläger sei daher beitragspflichtig. Gründe für eine Beitragsbefreiung lägen nicht vor; insbesondere könne sich der Kläger nicht auf § 8 Abs. 2 GAL aF berufen, weil er keine versicherungspflichtige Tätigkeit mehr ausübe, desgleichen auch nicht auf § 26 GAL aF, da die freiwillige Weiterversicherung keinen Lebensversicherungsvertrag im Sinne dieser Vorschrift darstelle. Das LSG ließ die Revision zu.

Der Kläger legte gegen das am 20. Mai 1959 zugestellte Urteil am 19. Juni 1959 Revision ein und begründete sie am 2. Juli 1959.

Die Revision rügt Verletzung des § 1 Abs. 4. GAL aF: Der Kläger sei nicht hauptberuflicher landwirtschaftlicher Unternehmer, da seine Haupterwerbsquelle die Gastwirtschaft und der Laden seien; die Landwirtschaft stelle nur einen Nebenerwerb dar. Als Mindestbetrag der Lebenshaltungskosten müsse der Betrag angesetzt werden, der dem Berechnungsverfahren für den Grünen Bericht zugrunde gelegt worden sei, nämlich 4 700 DM. Dieser Betrag sei schon geringer als der Lohn jedes landwirtschaftlichen Arbeiters. Auch bei intensivster fachmännischer Bewirtschaftung sei es ausgeschlossen, daß der Kläger aus seinem Betrieb ein jährliches Einkommen von 4 572 DM herauswirtschaften könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 19. März 1959 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Schleswig vom 19. September 1958 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht begründet, weil das LSG den Kläger zutreffend als hauptberuflichen landwirtschaftlichen Unternehmer angesehen und seine Beitragspflicht bejaht hat.

Nach § 8 Abs. 1 GAL aF ist beitragspflichtig jeder hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer, dessen Unternehmen im Bereich der Alterskasse seinen Sitz hat. Hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer sind nach § 1 Abs. 4 GAL aF diejenigen, deren landwirtschaftliches Unternehmen eine dauerhafte Existenzgrundlage bildet. Die dauerhafte Existenzgrundlage gilt als gegeben, wenn ein von dem Träger der Alterssicherung im Einvernehmen mit dem Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen nach billigem Ermessen auf Grund der örtlichen oder bezirklichen Gegebenheiten festgestellter Einheitswert überschritten ist. Die Beklagte hat für ihren Bezirk keinen derartigen Wert festgestellt. Es ist daher jeweils zu prüfen, ob das betreffende Unternehmen nach seiner Größe und nach seinem Ertrag eine Existenzgrundlage bildet. Dabei ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht darauf abzustellen, ob er die Landwirtschaft als Haupt- oder Nebenerwerb betreibt bzw. ob die Landwirtschaft oder der andere Betrieb die Haupteinnahmen abwirft, sondern nur darauf, ob die Landwirtschaft für sich allein ohne die Einnahmen des anderen Betriebes ausreicht, um damit eine bäuerliche Familie zu ernähren. Zu diesem Zweck darf nicht konkret untersucht werden, ob gerade der betreffende Unternehmer nach seinen persönlichen Verhältnissen, seiner Tüchtigkeit und dem Umfang seiner Mitarbeit im Betrieb auch tatsächlich den erforderlichen Bedarf erwirtschaften kann. Denn hierbei würden zu viele unsichere Faktoren zugrunde gelegt werden, die jeweils verschieden sein können, und unter Umständen käme es noch darauf an, ob die betreffende Familie große oder bescheidene Ansprüche stellt. Vielmehr ist eine abstrakte Betrachtungsweise geboten. Es muß geprüft werden, ob ein typisches Normalunternehmen dieser Größe mit seinem Ertrag zur Bestreitung des Lebensunterhalts ausreicht. Es sind diejenigen landwirtschaftlichen Unternehmen maßgebend, die nach Lage dem Durchschnitt in einen einheitlichen Wirtschaftsgebiet entsprechen (ebenso Schewe/Zöllner, Alterssicherung der Landwirte, § 1 Anm. II 4 b). Dies ergibt sich auch aus § 1 Abs. 4 GAL aF, wo bei Festlegung eines Einheitswertes ebenfalls auf den Durchschnitt abgestellt wird und nicht etwa auf den einzelnen Betrieb. Dem LSG kann daher beigetreten worden, wenn es von dieser abstrakten Betrachtungsweise ausgehend geprüft hat, ob das Unternehmen des Klägers ohne Berücksichtigung des Ladens und der Gastwirtschaft eine dauerhafte Existenzgrundlage darstellt.

Das LSG hält im vorliegenden Fall die Existenzgrundlage für gegeben. Es hat im einzelnen geprüft, welche Mindesteinkommensbeträge im Grünen Bericht und in einer Stellungnahme des Schleswig-Holsteinischen Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als ausreichend angesehen werden, und hat auf den Mittelwert dieser beiden Beträge abgestellt. Weiter hat es den Einheitswert des Unternehmens, soweit er den landwirtschaftlichen Grundbesitz des Klägers betrifft, zugrunde gelegt und einen berichtigten Einheitswert von 7 740 DM errechnet, den es als höher angesehen hat als die untere Grenze einer dauerhaften Existenzgrundlage, die nach Auffassung des LSG etwa bei 5 500 DM Einheitswert liegt. Es hat auch weiter eine Berechnung des objektiven Betriebseinkommens vorgenommen, wobei es auf jährlich etwa 4 572 DM gekommen ist, einen Betrag, der ebenfalls höher ist als die Mindestsumme von 4 000 DM, die nach der Überzeugung des LSG zur Sicherstellung eines ausreichenden Lebensunterhalts erforderlich ist. Dabei hat es sich auf Berechnungen des Sachverständigen M gestützt. Die Schlußfolgerungen des LSG sind nicht zu beanstanden, weil sie sich im Rahmen der Befugnis bewegen, nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 128 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Der Kläger hat nicht vorgetragen, daß diese Würdigung willkürlich ist oder gegen Denkgesetze verstößt.

Das LSG hat somit zutreffend angenommen, daß das Unternehmen des Klägers eine dauerhafte Existenzgrundlage bildet und daß er deshalb nach § 8 Abs. 1 GAL aF beitragspflichtig zur Landwirtschaftlichen Alterskasse ist.

Zutreffend hat das LSG auch eine Beitragsbefreiung verneint. § 8 Abs. 2 GAL aF scheidet aus, weil der Kläger nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist; er ist vielmehr freiwillig versichert. Desgleichen tritt keine Beitragsbefreiung nach § 26 GAL aF ein; denn die freiwillige Weiterversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ist keine Lebensversicherung im Sinne dieser Vorschrift (vgl. BSG 12, 88).

Im Rahmen dieses Rechtsstreits war nicht zu prüfen, ob der Kläger auf seinen Antrag hin gemäß § 9 Abs. 2 des Gesetzes zur Neuregelung der Altershilfe für Landwirte vom 3. Juli 1961 (BGBl I 845) von der Beitragspflicht befreit werden kann.

Die Revision ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 279

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