Entscheidungsstichwort (Thema)
Dauerhafte Existenzgrundlage
Leitsatz (redaktionell)
Es kommt darauf an, ob ein Unternehmen dieser Größe nach objektiven Maßstäben normalerweise geeignet ist, den Lebensunterhalt einer bäuerlichen Familie zu gewährleisten. Es darf mithin grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob der Betrieb im Eigentum des Unternehmers steht oder nur gepachtet ist oder ob die Bewirtschaftung auf einer anderen Grundlage beruht (etwa Nießbrauch). Schulden und sonstige Belastungen müssen ausscheiden.
Normenkette
GAL § 8 Abs. 1 Fassung: 1957-07-27
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. März 1961 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. November 1959 wird zurückgewiesen, soweit es sich um die Beitragspflicht des Klägers für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 30. April 1960 handelt.
Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger hatte im Jahre 1952 auf Grund eines bis 1964 laufenden Vertrages einen 6,72 ha großen landwirtschaftlichen Betrieb gepachtet. Dieses Pachtverhältnis wurde durch Vereinbarung vom 3. Mai 1960 mit Wirkung vom 1. Mai 1960 gelöst. Die Beklagte nahm den Kläger als beitragspflichtigen Unternehmer nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) in Anspruch, weil der Einheitswert des Betriebes den festgestellten Einheitswert von 4.600,-- DM übersteige (§ 8 Abs. 1, § 1 Abs. 4 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 27. Juli 1957 [BGBl I 1063] - GAL aF -). Demgegenüber machte der Kläger geltend, der Betrieb sei keine dauerhafte Existenzgrundlage. Denn er müsse 900,-- DM jährlich an Pacht entrichten und habe ein Darlehen von 13.000,-- DM aufgenommen, das er in jährlichen Raten von 520,-- DM zurückzahlen müsse. Neben diesen Aufwendungen und den freiwilligen Beiträgen zur Rentenversicherung der Arbeiter sei er nicht in der Lage, Beiträge nach dem GAL zu entrichten. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Dagegen hob das Landessozialgericht (LSG) die Beitragsbescheide auf. Zur Begründung führte es aus, das Unternehmen des Klägers sei keine dauerhafte, sondern lediglich eine vorübergehende Existenzgrundlage, weil der Pachtvertrag nur acht Jahre gegolten habe, nicht aber die in § 2 Abs. 2 GAL aF geforderte Mindestdauer von neun Jahren. Für den Kläger und seine Familie bestehe im übrigen eine anderweitige Alterssicherung durch Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte gegen das am 25. April 1961 zugestellte Urteil am 18. Mai 1961 Revision ein und begründete sie am 24. Juni 1961.
Sie trägt vor, eine dauerhafte Existenzgrundlage sei gegeben, wenn der Ertrag eines landwirtschaftlichen Unternehmens geeignet sei, unter normalen Verhältnissen und nach vernünftiger Anschauung einer bäuerlichen Familie eine angemessene Grundlage zu bieten. Dies müsse bei einem Betrieb von 6,72 ha angenommen werden. Unerheblich sei, daß es sich um ein Pachtverhältnis gehandelt habe und daß die ursprüngliche Pachtdauer von zwölf auf acht Jahre herabgesetzt worden sei. Es müsse auch bei der Beurteilung, ob eine Existenzgrundlage vorliege oder nicht, von den seinerzeit gegebenen Verhältnissen ausgegangen werden; am 1. Oktober 1957 habe aber ein Pachtvertrag auf zwölf Jahre vorgelegen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22. März 1961 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. November 1959 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist insoweit begründet, als das LSG die Beitragsbescheide der Beklagten für die Zeit bis zum 30. April 1960 aufgehoben hat; denn der Kläger war bis dahin beitragspflichtiger Unternehmer.
Da der von dem Kläger bewirtschaftete Betrieb von mindestens 6,72 ha mit einem Einheitswert von mindestens etwa 5.790,-- DM den von der Beklagten nach § 1 Abs. 4 GAL aF festgestellten Wert von 4.600,-- DM erheblich übersteigt, ist der Kläger nach § 8 Abs. 1, § 1 Abs. 4 GAL aF beitragspflichtiger Unternehmer, es sei denn, der Umstand, daß der Betrieb nur gepachtet war, ließe eine andere Beurteilung zu. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Nach § 8 Abs. 1 GAL aF ist beitragspflichtig jeder hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer. Hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer sind nach § 1 Abs. 4 GAL aF diejenigen, deren landwirtschaftliches Unternehmen eine dauerhafte Existenzgrundlage bildet; diese gilt als gegeben, wenn ein von dem Träger der Alterssicherung im Einvernehmen mit dem Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen nach billigem Ermessen auf Grund der örtlichen oder bezirklichen Gegebenheiten festgestellter Einheitswert überschritten ist. Diese Existenzgrundlage ist, wie der Senat in seinem Urteil vom 21. März 1962 - 7/3 RLw 4/59 - ausgeführt hat, nach objektiven Umständen zu beurteilen. Es ist nicht entscheidend, daß etwa wegen besonderer Tüchtigkeit des Betriebsinhabers und geringen Bedarfs der Familie ausnahmsweise ein ungewöhnlich kleines Unternehmen ausreicht, wie es umgekehrt ohne Bedeutung ist, wenn bei nachlässiger Wirtschaftsführung und erheblichem Aufwand ein größerer Betrieb die Bedürfnisse gerade der betreffenden Familie nicht decken kann. Vielmehr kommt es darauf an, ob ein Unternehmen dieser Größe nach objektiven Maßstäben normalerweise geeignet ist, den Lebensunterhalt einer bäuerlichen Familie zu gewährleisten. Es darf mithin grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob der Betrieb im Eigentum des Unternehmers steht oder nur gepachtet ist oder ob die Bewirtschaftung auf einer anderen Grundlage beruht (etwa Nießbrauch). Denn auch der Pächter oder Nießbraucher ist Unternehmer, weil der Betrieb auf seine Rechnung und Gefahr geht (§ 633 der Reichsversicherungsordnung). Er kann ihn in gleicher Weise nutzen wie der Eigentümer. Deshalb kann er im allgemeinen auch dieselben Erträgnisse erwirtschaften wie dieser. Zwar hat der Pächter Lasten, die den Eigentümer nicht treffen, vor allem den Pachtzins. Aber auch den Eigentümer treffen Leistungen, die der Pächter nicht aufzubringen hat, wie Vermögenssteuer, Altenteilslasten und dergleichen. Daher unterscheidet § 1 Abs. 4 GAL aF nicht nach der Rechtsgrundlage des Unternehmens. Dies gilt auch, wenn es sich um Festsetzung des Einheitswertes nach § 1 Abs. 4 Satz 2 GAL aF handelt. Daran hat sich durch § 1 Abs. 4 GAL nF nichts geändert. Infolgedessen stellt in der Regel auch ein Pachtbetrieb eine dauerhafte Existenzgrundlage dar, wenn er die in § 1 Abs. 4 GAL genannten Grenzen überschreitet.
Bei der Beurteilung, ob eine dauerhafte Existenzgrundlage vorhanden ist, müssen Schulden und sonstige Belastungen, wie Zinsen und dergleichen, ausscheiden, weil diese ebenso wie bei einem Eigentümer jeweils verschieden sein können. Es darf nur darauf abgestellt werden, ob der Betrieb seiner Größe nach ausreicht, eine dauerhafte Existenzgrundlage zu bilden.
Grundsätzlich ist auch unerheblich, wie lange das Pachtverhältnis läuft. Vor allem kann keine Pachtdauer von mindestens neun (oder sechs) Jahren verlangt werden, wie sie § 2 Abs. 2 GAL aF vorschreibt. Denn dort wird eine Mindestdauer deshalb gefordert, weil nur eine lange andauernde Trennung des Verpächters von dem Betrieb als Veräußerung angesehen werden kann. Dagegen kommt es in der Frage der dauerhaften Existenzgrundlage nur darauf an, ob für die Zeit, für die Beiträge gefordert werden, ein Pachtverhältnis bestanden hat.
Es ist daher jeweils zu prüfen, ob das von dem Pächter bewirtschaftete Land den gemäß § 1 Abs. 4 GAL aF von der landwirtschaftlichen Alterskasse festgelegten Einheitswert überschreitet oder, falls eine solche Feststellung nicht erfolgt, ob die Größe des Betriebes eine Existenzgrundlage gewährleistet. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn das Unternehmen gerade die Mindestgröße des § 1 Abs. 4 GAL übersteigt und die Pacht so hoch ist, daß es ungerechtfertigt wäre, nur auf dieser Überschreitung zu fußen, oder wenn wegen besonderer Verhältnisse des Unternehmens keine normalen Erträge zu erzielen sind, z. B. bei Beginn des Pachtverhältnisses über verwahrloste Grundstücke oder bei Ungewißheit über die Pachtdauer, die sich nachteilig auf die Wirtschaftsführung auswirken. In allen diesen Fällen muß jedoch ein strenger Maßstab angelegt werden; es darf sich nur um Ausnahmen handeln, bei denen das Festhalten an den Grenzen des § 1 Abs. 4 GAL aF offensichtlich eine unbillige Härte wäre.
In dem anhängigen Rechtsstreit ergeben die Feststellungen des LSG keine Gesichtspunkte, die eine abweichende Beurteilung des Pachtverhältnisses rechtfertigen. Der Kläger ist daher vom 1. Oktober 1957 bis zur Aufgabe des Pachtverhältnisses am 30. April 1960 beitragspflichtiger Unternehmer gewesen, weil der Einheitswert des Betriebes den gemäß § 1 Abs. 4 GAL aF von der Beklagten festgelegten erheblich überschritten hat. Die freiwillige Entrichtung von Beiträgen in der Invalidenversicherung gibt keinen Ansprung auf Beitragsbefreiung (BSG 12, 88). Dagegen besteht vom 1. Mai 1960 an keine Beitragspflicht mehr, weil der Kläger nicht mehr landwirtschaftlicher Unternehmer war. Entsprechend waren die angefochtenen Bescheide und die Urteile der Vorinstanzen abzuändern.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Die Beklagte ist etwa zu einem Drittel unterlegen.
Fundstellen