Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassung der Sprungrevision ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter. Übergang der Erhöhungsbeträge nach RAG 16 auf die KK

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter zustande gekommener Beschluß über die Zulassung der Sprungrevision muß - da die Auslegung der Neuregelung in SGG § 161 Abs 1 S 1 nach ihrem Inkrafttreten (1.1.1975) zunächst ungewiß war - für eine Übergangszeit noch als wirksam angesehen werden.

 

Orientierungssatz

Der nach RVO § 183 Abs 3 S 2 auf die KK übergehende Rentenanspruch erfaßt auch die Erhöhungsbeträge nach dem RAG 16. RAG 16 Art 3 § 1 greift hier nicht ein.

 

Normenkette

RAG 16 Art. 3 § 1 Fassung: 1973-06-08; RVO § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12; SGG § 161 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-07-30

 

Verfahrensgang

SG Speyer (Entscheidung vom 28.10.1975; Aktenzeichen S 3 K 68/73)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 28. Oktober 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe der Rentenanspruch der beigeladenen Versicherten auf die Klägerin übergegangen ist.

Die Beigeladene ... war Pflichtmitglied der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK). Wegen Arbeitsunfähigkeit zahlte ihr die Klägerin vom 7. März 1972 bis zum 4. Oktober 1973 ein Krankengeld von arbeitstäglich 17,30 DM. Die beklagte Landesversicherungsanstalt gewährte der Beigeladenen durch Bescheid vom 25. September 1973 ab 1. Juli 1972 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von monatlich 135,40 DM, die nach den Vorschriften des 16. Rentenanpassungsgesetzes - 16. RAG - vom 8. Juni 1973 (BGBl I 525) ab 1. Juli 1973 auf monatlich 150,80 DM erhöht wurde.

Die Klägerin forderte daraufhin von der Beklagten, ihr für das in der Zeit vom 1. Juli 1972 bis zum 4. Oktober 1973 an die Beigeladene gezahlte Krankengeld den auf diese Zeit entfallenden Rentenbetrag von 2.096,20 DM zu zahlen. Die Beklagte erkannte den Anspruch nur in Höhe von 2.048,40 DM an und vertrat die Auffassung, daß der auf die Zeit vom 1. Juli bis zum 4. Oktober 1973 entfallende Betrag der Rentenerhöhung nach dem 16. RAG nicht von dem Forderungsübergang nach § 183 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erfaßt werde. Dieser Betrag stehe vielmehr der Beigeladenen zu.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) Speyer hat die Klägerin von der Beklagten gefordert, ihr auch den Erhöhungsbetrag zu zahlen. Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 28. Oktober 1975): Der gesetzliche Forderungsübergang werde einerseits ohnehin durch die Höhe des gezahlten Krankengeldes begrenzt, er erfasse andererseits aber die Rente in vollem Umfang. Von diesem Grundsatz weiche auch das 16. RAG nicht ab. Die Vorschrift des Art 3 § 1 des 16. RAG, wonach Erhöhungsbeträge der Rente bei der Ermittlung anderen Einkommens nicht zu berücksichtigen seien, komme für Krankengeld nicht in Betracht, zumal anderenfalls der Rentner ungerechtfertigterweise doppelt begünstigt werde. Durch Beschluß vom 2. Dezember 1975 hat der Kammervorsitzende die Revision gegen das Urteil zugelassen.

Die Beklagte rügt mit der Revision die fehlerhafte Anwendung des Art 3 § 1 des 16. RAG. Sie ist der Auffassung, daß die Erhöhungsbeträge nach dem 16. RAG dem Rentner zugute kommen und nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet werden sollten. Da auch das Krankengeld eine Sozialleistung sei, könne der Erhöhungsbetrag nicht auf die Klägerin übergehen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil aufzuheben und die Klage der AOK ... in ... wegen Befriedigung ihres Ersatzanspruchs nach § 183 Abs 3 RVO aus den Erhöhungsbeträgen nach dem 16. RAG für die Zeit vom 1. Juli 1973 bis 4. Oktober 1973 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Gewährung und die Höhe des Krankengeldes seien von anderem Einkommen unabhängig und schon deshalb entfalle die Anwendung des Art 3 § 1 des 16. RAG. Im übrigen widerspreche eine Auszahlung des Erhöhungsbetrags an die Beigeladene auch dem Sinn der Regelung.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision ist zulässig. Ihre nachträgliche Zulassung allein durch den Vorsitzenden des SG entspricht zwar nicht dem Gesetz (§ 161 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Das Bundessozialgericht ist aber für eine Übergangszeit an solche Zulassungen gebunden (vgl SozR 1500 Nrn 4, 6 und 7 zu § 161 SGG). Diese Übergangszeit war hier noch nicht abgelaufen (vgl SozR 1500 Nr 12 zu § 161 SGG).

Die Revision der Beklagten ist jedoch unbegründet. Der Erhöhungsbetrag der Rente steht der Klägerin zu. Der Anspruch der AOK folgt aus § 183 Abs 3 RVO. Nach dieser Vorschrift endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird (Satz 1). Da der Beigeladenen mit dem Bescheid der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit Wirkung ab 1. Juli 1972 gewährt worden ist, endet mit diesem Termin der Anspruch der Beigeladenen gegen die Klägerin auf Krankengeld (vgl BSGE 19, 28, 29). Weiterhin bestimmt § 183 Abs 3 Satz 2 RVO, daß der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des Krankengeldes auf die Krankenkasse übergeht. Da die Klägerin der Beigeladenen bis zum 4. Oktober 1973 das Krankengeld ausgezahlt hatte, geht ihr Rentenanspruch gegen die Beklagte für diese Zeit auf die Klägerin über. Der Übergang des Rentenanspruchs wird der Höhe nach nicht begrenzt, weil das Krankengeld der Beigeladenen, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, weit höher war als ihre Rente.

Der kraft Gesetzes eintretende Forderungsübergang erfaßt auch die Erhöhungsbeträge nach dem 16. RAG. Art 3 § 1 dieses Gesetzes greift hier entgegen der Ansicht der Beklagten nicht ein. Nach dieser Vorschrift bleiben die auf die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1973 entfallenden Erhöhungsbeträge nach Art 3 § 1 des Gesetzes "bei der Ermittlung anderen Einkommens" unberücksichtigt, wenn bei Sozialleistungen auf Grund eines Gesetzes oder anderer Vorschriften die Gewährung oder die Höhe der Leistung "von anderem Einkommen abhängig ist". Diese Regelung kann für den vorliegenden Fall überhaupt keine Anwendung finden, weil sie eine Bestimmung darüber trifft, ob und wie sich die Erhöhung (der Rente) auf eine - andere - Sozialleistung auswirkt. Zwar hegt der Senat keinen Zweifel daran, daß das Krankengeld als eine Sozialleistung anzusprechen ist (vgl § 11 und § 21 Abs 1 Nr 3 SGB I iVm der Überschrift zum Zweiten Abschnitt, Zweiter Titel: Einzelne Sozialleistungen und zuständige Leistungsträger); aber auf das der Beigeladenen vom 1. Juli 1973 bis zum 4. Oktober 1973 ausgezahlte Krankengeld hat sich die Rentenerhöhung durch das 16. RAG weder faktisch noch rechtlich ausgewirkt.

Eine faktische Auswirkung konnte schon deshalb nicht eintreten, weil zu jener Zeit der Rentenbescheid noch gar nicht zugestellt noch überhaupt die Rente festgestellt war und daher auch nicht gezahlt wurde. Eine rechtliche Auswirkung konnte ebenfalls nicht eintreten, weil das Entstehen des Rentenanspruchs zugleich das Erlöschen des Krankengeldanspruchs bewirkte. Für die Zeit nach dem 1. Juli 1972 bestand überhaupt kein Krankengeldanspruch der Beigeladenen mehr, demgemäß konnte auch ab 1. Juli 1973 auf ihn kein anderes Einkommen mehr angerechnet werden. Die Rentenerhöhung (ab 1. Juli 1973) hatte mithin keinerlei Einfluß auf den Krankengeldanspruch. Für die Zeit ab Rentenbeginn (1. Juli 1972) bestand vielmehr nach § 183 Abs 3 Satz 1 RVO ausschließlich noch ein Rentenanspruch, und zwar in der Höhe, wie ihn die Beklagte festgestellt hat, und dieser ging nach § 183 Abs 3 Satz 2 RVO auf die Klägerin über.

Zu Recht hat das SG im angefochtenen Urteil darauf hingewiesen, daß die von der Beklagten vertretene Auffassung auch zu einem sinnwidrigen Ergebnis führte. Sinn und Zweck des Art 3 § 1 des 16. RAG liegt darin, dem Rentner den Erhöhungsbetrag zugute kommen zu lassen. In zahlreichen Fällen beziehen Rentner außer ihrer Rente noch andere Sozialleistungen, die ihrerseits auf die Vermögens- oder Einkommensverhältnisse des Rentners abstellen. Erhöhungen des (sonstigen) Einkommens sind bei solchen Sozialleistungen in aller Regel zu berücksichtigen und haben demgemäß den Effekt, die Höhe der Leistung zu vermindern. Art 3 § 1 des 16. RAG bezweckt, bei derartigen Sozialleistungen die Rentenerhöhungen durch das 16. RAG außerhalb der Anrechnung zu belassen und damit den Erfolg herbeizuführen, daß der Erhöhungsbetrag dem Rentner tatsächlich verbleibt. Durch die Vorschrift des § 183 Abs 3 Satz 3 RVO wird jedoch zumindest der gleiche, wenn nicht ein noch darüber hinausgehender Erfolg herbeigeführt. Das zeigt der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt mit aller Deutlichkeit. Der Beigeladenen stand vor der Rentenerhöhung eine Rente von monatlich 135,40 DM zu, nach dem 1. Juli 1973 betrug ihre Rente monatlich 150,80 DM. Als tatsächliche Krankengeldzahlung erhielt sie von der Klägerin in der Zeit bis zum 4. Oktober 1973 jedoch einen Betrag von 17,30 DM pro Arbeitstag, mithin etwa das Dreifache des ihr zustehenden Rentenbetrags. Diesen von der Klägerin gezahlten Betrag brauchte die Beigeladene auch auf Grund des § 183 Abs 3 Satz 3 RVO nicht zurückzuzahlen, er verblieb ihr vielmehr zur effektiven Verfügung. Bei dieser Sachlage ist kein Grund dafür zu erkennen, warum der Beigeladenen nochmals der Erhöhungsbetrag zukommen sollte, obwohl ihr bereits Zahlungen, die im Umfang weit über die erhöhte Rente hinausgingen, zugeflossen waren. Die Klägerin hat durch ihre Krankengeldzahlungen der Beigeladenen eine weit günstigere wirtschaftliche Position verschafft als diese gehabt hätte, wenn der Rentenbescheid bereits vor Erlaß des 16. RAG ergangen wäre. Diese Rechtslage gleicht § 183 Abs 3 Satz 2 RVO zutreffend dadurch aus, daß er den vollen Rentenanspruch auf die Klägerin übergehen läßt. Die Revision der Beklagten ist demnach unbegründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654540

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