Leitsatz (amtlich)

Der Rentenübergang auf die KK nach RVO § 183 Abs 3 S 2 erfaßt auch die Erhöhungsbeträge nach dem RAG 16.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12; RAG 16 Art. 3 § 1 Fassung: 1973-06-08

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 14.05.1976; Aktenzeichen L 1 An 30/75)

SG Osnabrück (Entscheidung vom 28.01.1975; Aktenzeichen S 14 An 129/74)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. Mai 1976 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 28. Januar 1975 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe der Rentenanspruch des Ge B (G.B.) auf die Klägerin übergegangen ist.

Der frühere Beigeladene G.B., der am 21. September 1975 verstorben ist, war Pflichtmitglied der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK). Wegen Arbeitsunfähigkeit zahlte ihm die Klägerin seit 1972 Krankengeld. Die Krankengeldzahlung endete am 29. Oktober 1973. Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gewährte dem G.B. durch Bescheid vom 26. Oktober 1973 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die sich ab Rentenbeginn - dem 1. April 1973 - auf monatlich 945,70 DM belief und die sich ab 1. Juli 1973 nach den Vorschriften des 16. Rentenanpassungsgesetzes - 16. RAG - vom 8. Juni 1973 (BGBl I 525) auf monatlich 1.053,10 DM erhöhte.

Die Klägerin forderte daraufhin von der Beklagten, ihr für das in der Zeit vom 1. April bis zum 30. Juni 1973 gezahlte Krankengeld vom 4.133,22 DM die Rentennachzahlung für diese Zeit in Höhe von 2.837,10 DM und für das vom 1. Juli bis zum 29. Oktober 1973 gezahlte Krankengeld vom 5.495,82 DM die Rentennachzahlung für diese Zeit in Höhe von 4.144,40 DM zu zahlen. Die Beklagte erkannte den Anspruch der Klägerin für die Zeit vom 1. April bis zum 30. Juni 1973 in vollem Umfang, für die Zeit vom 1. Juli bis 29. Oktober 1973 jedoch nur in Höhe von 3.721,80 DM an. Sie vertrat die Auffassung, daß der Rentenanspruch des G.B. nur in der Höhe auf die Klägerin übergegangen sei, die er vor Inkrafttreten des 16. RAG gehabt habe. Der Erhöhungsbetrag für die Zeit vom 1. Juli bis zum 29. Oktober 1973 von insgesamt 422,60 DM werde von dem Forderungsübergang nach § 183 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfaßt. Er stehe vielmehr dem G.B. zu.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück hat die Klägerin von der Beklagten gefordert, ihr auch den Erhöhungsbetrag zu zahlen. Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 28. Januar 1975): Die Vorschrift des Art 3 § 1 des 16. RAG, wonach Erhöhungsbeträge der Rente bei der Ermittlung anderen Einkommens nicht zu berücksichtigen seien, komme für das Krankengeld nicht in Betracht. Anderenfalls werde der Rentner ungerechtfertigt doppelt begünstigt.

Auf die Berufung der Beklagten hin hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Mai 1976): Da das Krankengeld eine Sozialleistung sei, durch die die Rentengewährung zum Wegfall gebracht werde und die Rente als Einkommen anzusprechen sei, erfülle der vorliegende Sachverhalt die Voraussetzungen des Art 3 § 1 des 16. RAG. Der Rentenerhöhungsbetrag stehe mithin der Klägerin nicht zu, er sei vielmehr an G.B. auszuzahlen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision der Klägerin. Sie vertritt die Auffassung, daß das Krankengeld von anderem Einkommen unabhängig sei. Der Einkommensbegriff in Art 3 § 1 des 16. RAG erfasse jedenfalls nicht die Rente.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 14. Mai 1976 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Osnabrück vom 28. Januar 1975 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das 16. RAG beabsichtige, dem Rentner die Erhöhungsbeträge voll zugute kommen zu lassen und sie nicht auf andere Sozialleistungen in Anrechnung zu bringen. Aus diesem Grund seien dem G.B. und nicht der Klägerin die Erhöhungsbeträge auszuzahlen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist erfolgreich. Das SG hat zutreffend entschieden, daß die Erhöhungsbeträge nach dem 16. RAG der Klägerin auszuzahlen sind.

Der Anspruch der AOK folgt aus § 183 Abs 3 RVO. Nach dieser Vorschrift endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird (Satz 1). Da dem G.B. mit dem Bescheid der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit Wirkung ab 1. April 1973 gewährt worden ist, endet mit diesem Termin der Anspruch des G.B. gegen die Klägerin auf Krankengeld (vgl BSGE 19, 28, 29). Weiterhin bestimmt § 183 Abs 3 Satz 2 RVO, daß der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des Krankengeldes auf die Krankenkasse übergeht. Da die Klägerin dem G.B. bis zum 29. Oktober 1973 das Krankengeld ausgezahlt hatte, geht sein Rentenanspruch gegen die Beklagte für diese Zeit auf die Klägerin über. Der Übergang des Rentenanspruchs wird der Höhe nach nicht begrenzt, weil das Krankengeld, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, weit höher war als die Rente.

Der kraft Gesetzes eintretende Forderungsübergang erfaßt auch die Erhöhungsbeträge nach dem 16. RAG. Art 3 § 1 dieses Gesetzes greift hier entgegen der Ansicht der Beklagten nicht ein. Nach dieser Vorschrift bleiben die auf die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1973 entfallenden Erhöhungsbeträge "bei der Ermittlung anderen Einkommens" unberücksichtigt, wenn bei Sozialleistungen aufgrund eines Gesetzes oder anderer Vorschriften die Gewährung oder die Höhe der Leistungen "von anderem Einkommen abhängig ist".

Diese Regelung kann für den vorliegenden Fall überhaupt keine Anwendung finden, weil sie eine Bestimmung darüber trifft, ob und wie sich die Erhöhung (der Rente) auf eine - andere - Sozialleistung auswirkt. Zwar hegt der Senat keinen Zweifel daran, daß das Krankengeld als eine Sozialleistung anzusprechen ist (vgl § 11 und § 21 Abs 1 Nr 3 SGB I iVm der Überschrift zum Zweiten Abschnitt, Zweiter Teil: Einzelne Sozialleistungen und zuständige Leistungsträger); aber auf das dem G.B. vom 1. Juli bis zum 29. Oktober 1973 ausgezahlte Krankengeld hat sich die Rentenerhöhung durch das 16. RAG weder faktisch noch rechtlich ausgewirkt. Eine faktische Auswirkung konnte schon deshalb nicht eintreten, weil zu jener Zeit der Rentenbescheid noch nicht zugestellt war und die Rente deshalb auch noch nicht gezahlt wurde. Eine rechtliche Auswirkung konnte ebenfalls nicht eintreten, weil das Entstehen des Rentenanspruchs zugleich das Erlöschen des Krankengeldanspruchs bewirkte. Für die Zeit nach dem 1. April 1973 bestand überhaupt kein Krankengeldanspruch des G.B. mehr. Demgemäß konnte auch ab 1. Juli 1973 auf ihn kein anderes Einkommen mehr angerechnet werden. Die Rentenerhöhung (ab 1. Juli 1973) hatte mithin keinerlei Einfluß auf den Krankengeldanspruch. Für die Zeit ab Rentenbeginn (1. April 1973) bestand vielmehr nach § 183 Abs 3 Satz 1 RVO ausschließlich noch ein Rentenanspruch, und zwar in der Höhe, wie ihn die Beklagte festgestellt hat, und dieser ging nach § 183 Abs 3 Satz 2 RVO auf die Klägerin über.

Zu Recht hat bereits das SG darauf hingewiesen, daß die von der Beklagten vertretene Auffassung auch zu einem sinnwidrigen Ergebnis führte. Sinn und Zweck des Art 3 § 1 des 16. RAG liegt darin, dem Rentner den Erhöhungsbetrag zugute kommen zu lassen. In zahlreichen Fällen beziehen Rentner außer ihrer Rente noch andere Sozialleistungen, die ihrerseits auf die Vermögens- oder Einkommensverhältnisse des Rentners abstellen. Erhöhungen des (sonstigen) Einkommens sind bei solchen Sozialleistungen in aller Regel zu berücksichtigen und haben demgemäß den Effekt, die Höhe der Leistung zu vermindern. Art 3 § 1 des 16. RAG bezweckt, bei derartigen Sozialleistungen die Rentenerhöhungen durch das 16. RAG außerhalb der Anrechnung zu belassen und damit den Erfolg herbeizuführen, daß der Erhöhungsbetrag dem Rentner tatsächlich verbleibt. Durch die Vorschrift des § 183 Abs 3 Satz 3 RVO wird jedoch zumindest der gleiche, wenn nicht ein noch darüber hinausgehender Erfolg herbeigeführt. Das zeigt der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt mit aller Deutlichkeit. Dem G.B. stand vor der Rentenerhöhung, dh für die Zeit vom 1. April bis zum 30. Juni 1973, ein Rentenbetrag von 2.837,10 DM zu. Die Klägerin zahlte ihm jedoch 4.133,22 DM Krankengeld. Nach der Rentenerhöhung, dh für die Zeit vom 1. Juli bis zum 29. Oktober 1973, stand ihm als Rente (einschließlich der Erhöhung von 422,60 DM) ein Betrag von insgesamt 4.144,40 DM zu. Als tatsächliche Zahlung erhielt er aber von der Klägerin für diese Zeit den Betrag von 5.495,82 DM, also weit mehr, als sein erhöhter Rentenanspruch ausgemacht hätte. Diesen von der Klägerin gezahlten Betrag brauchte G.B. auch aufgrund des § 183 Abs 3 Satz 3 RVO nicht zurückzuzahlen. Er verblieb ihm vielmehr zur effektiven Verfügung. Bei dieser Sachlage ist kein Grund dafür zu erkennen, warum G.B. der Erhöhungsbetrag nochmals zukommen sollte, obwohl ihm bereits Zahlungen zugeflossen waren, die im Umfang weit über die erhöhte Rente hinausgingen. Die Klägerin hat durch ihre Krankengeldzahlungen ihm eine weit günstigere wirtschaftliche Position verschafft als er gehabt hätte, wenn der Rentenbescheid bereits vor Erlaß des 16. RAG ergangen und sich bei ihm die Rentenerhöhung tatsächlich ausgewirkt hätte. Diese Rechtslage gleicht § 183 Abs 3 Satz 2 RVO zutreffend dadurch aus, daß er den vollen Rentenanspruch auf die Klägerin übergehen läßt.

Da der mit der Klage geltend gemachte Anspruch der Klägerin in vollem Umfang begründet ist und das SG in seinem Urteil dieser Rechtslage zutreffend Rechnung getragen hat, war auf die Revision der Klägerin hin das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654429

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