Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichstellung von nachentrichteten Beiträgen mit Pflichtbeiträgen
Leitsatz (amtlich)
Die Fiktion des WGSVG § 10 Abs 1 S 3 gilt nur für Beiträge, die seit dem Inkrafttreten des WGSVG (also seit dem 1971-02-01) entrichtet worden sind (Bestätigung von BSG vom 1973-12-13 1 RA 161/73).
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 24. Juli 1973 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der am 28. Juli 1908 geborene Kläger gehört zum Kreise der Verfolgten des Nationalsozialismus. Er hatte bis September 1938 Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) entrichtet. Nach einer kurzen Zeit verfolgungsbedingter Arbeitslosigkeit wanderte er nach Bolivien aus. 1964 kehrte er nach Deutschland zurück. Er wohnt jetzt in West-Berlin. Im Juni 1957 entrichtete er je 6 freiwillige Beiträge zur AnV für die Kalenderjahre 1953 bis 1956.
Seit dem 1. August 1968 erhält er vorgezogenes Altersruhegeld. Dabei ist nach § 28 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) die Zeit des Auslandsaufenthaltes vom 1. Oktober 1938 bis 31. Dezember 1949 mit 135 Monaten als Ersatzzeit angerechnet worden. Mit Bescheid vom 26. Juli 1971 wurde die Rente des Klägers nach dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVÄndG) vom 22. Dezember 1970 (BGBl I 1846) neu berechnet. Hierbei berücksichtigte die Beklagte die für die Kalenderjahre 1953 bis 1956 entrichteten 24 Beiträge als freiwillige Beiträge. Die pauschale Ausfallzeit nach Art. 2 § 14 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) betrug damit 32 Monate.
Hiergegen erhob der Kläger erfolglos Klage mit der Begründung, die für die Zeit von 1953 bis 1956 entrichteten Beiträge hätten nach § 10 WGSVG als Pflichtbeiträge behandelt werden müssen, was zu einer Erhöhung der pauschalen Ausfallzeit und damit zu einer besseren Rente führe.
Im Laufe des Berufungsverfahrens entrichtete der Kläger 3 freiwillige Beiträge für Januar und Februar 1950 sowie für Juli 1956 aufgrund des § 10 WGSVG nach. Daraufhin berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 2. Februar 1973 das Altersruhegeld für Bezugszeiten vom 1. Juni 1972 an neu. Der Bescheid vom 26. Juli 1971 wurde insoweit aufgehoben. Bei der Rentenberechnung ging die Beklagte nunmehr von einer Gesamtzeit i.S. des Art. 2 § 14 Satz 2 AnVNG vom 1. Juni 1923 bis 31. Juli 1956 aus. Hierdurch ergab sich eine pauschale Ausfallzeit von 60 Kalendermonaten, was zu einer entsprechend höheren Rente führte.
Der Kläger beantragte daraufhin,
das Urteil des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 6. November 1972 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 26. Juli 1971 und 2. Februar 1973 abzuändern und diese zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung der für die Zeit von Januar 1953 bis Juni 1956 entrichteten Beiträge als Pflichtbeiträge eine nochmals höhere Rente zu gewähren,
da sich alsdann für ihn eine noch längere pauschale Ausfallzeit ergeben würde.
Durch Urteil vom 24. Juli 1973 wies das Landessozialgericht (LSG) Berlin die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Berlin vom 6. November 1972 zurück und die Klage gegen den Bescheid vom 2. Februar 1973 ab. Die im Jahre 1957 entrichteten freiwilligen Beiträge für die Jahre 1953 bis 1956 würden nicht von § 10 Abs. 1 Satz 3 WGSVG erfaßt. Zwar hätten hiernach u.a. nachentrichtete Beiträge für Zeiten eines Auslandsaufenthaltes, der sich an einen als Verfolgungszeit anzurechnenden Auslandsaufenthalt anschließt, als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge zu gelten. Das gelte jedoch nur für Beiträge, die von nach § 9 WGSVG zur Weiterversicherung berechtigten Verfolgten nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WGSVG, also nach dem Inkrafttreten dieser Vorschriften zum 1. Februar 1971, für zurückliegende Zeiten entrichtet seien.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
das angefochtene Urteil aufzuheben und seinen in der Berufungsinstanz gestellten Anträgen stattzugeben.
Gerügt wird unrichtige Anwendung des § 10 WGSVG. Wenn auch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehle, daß bei Personen, die zur Beitragsnachentrichtung nach § 10 WGSVG befugt seien, die schon früher gezahlten Beiträge mit Wirkung vom 1. Februar 1971 als Pflichtbeiträge zu behandeln seien, müsse dennoch in diesem Sinne verfahren werden. Hätte er, der Kläger, nicht schon 1957 Beiträge entrichtet, sondern diese erst nach Inkrafttreten des WGSVG für die Jahre 1953 bis 1956 entrichtet, hätte er ab 1. Februar 1971 ein höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung von mehr Ausfallzeiten bekommen. Dadurch, daß er schon vor mehr als 15 Jahren Gelder an die Beklagte gezahlt habe, anstatt dies erst jetzt zu tun, werde er jetzt bestraft. Das könne nicht angehen. Vielmehr müsse die Vorschrift des § 8 Abs. 3 WGSVG entsprechend angewendet werden, wonach früher von einer Verfolgten aufgrund des Art. X des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG-SchlußG) vom 14. September 1965 (BGBl I 1315) nachentrichtete Beiträge ebenfalls als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge zu gelten hätten. Der gegenteiligen Auffassung des Senats in seinem Urteil 1 RA 161/73 vom 13. Dezember 1973 könne nicht gefolgt werden. In den Materialien zum WGSVG fänden sich keine Angaben darüber, daß von Verfolgten nachentrichtete Beiträge nur dann als Pflichtbeiträge zu gelten hätten, wenn die Nachentrichtung erst nach dem Inkrafttreten des WGSVG erfolgt sei. Dort sei stets nur die Rede von einer Beitragsnachentrichtung ohne Rücksicht darauf, ob sie vor oder nach dem Inkrafttreten des WGSVG vorgenommen worden sei. Weil er, der Kläger, schon vor langen Jahren freiwillige Beiträge gezahlt habe, anstatt dies erst jetzt nach dem Inkrafttreten des WGSVG zu tun, könne und dürfe er nicht benachteiligt werden. Hierauf sei der Senat in seinem Urteil vom 13. Dezember 1973 überhaupt nicht eingegangen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf die frühere Entscheidung des Senats vom 13. Dezember 1973.
II.
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 3 WGSVG gelten zwar von Verfolgten nachentrichtete Beiträge für Zeiten vor dem 1. Januar 1947 und für Zeiten eines Auslandsaufenthaltes, der sich an einen als Verfolgungszeit anzurechnenden Auslandsaufenthalt anschließt, als rechtzeitig entrichtete Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Wie der Senat in seinem Urteil 1 RA 161/73 vom 13. Dezember 1973 ausgeführt hat, erfaßt diese Fiktion jedoch nur solche Beiträge, die von Verfolgten seit dem Inkrafttreten des WGSVÄndG, d.h. seit dem 1. Februar 1971 für frühere Zeiten geleistet sind. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 WGSVG und aus der im genannten Urteil erwähnten Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WGSVG können Verfolgte, die nach § 9 zur Weiterversicherung berechtigt sind, auf Antrag für Zeiten vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes und vor Vollendung des 65. Lebensjahres bis zum 1. Januar 1933, längstens jedoch bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres zurück Beiträge nachentrichten, soweit diese Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt oder als Ersatzzeiten anzurechnen sind. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 steht dabei der Eintritt des Versicherungsfalles vor Ablauf der ersten zwölf Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes der Nachentrichtung nicht entgegen. Abs. 1 Satz 3 legt schließlich nur den nach diesen Vorschriften nachentrichteten Beiträgen die dort vorgesehene Wirkung bei, da er sich unmittelbar an die vorhergehenden Sätze 1 und 2 in ein und demselben Absatz anschließt. Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird dadurch bestätigt, daß nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WGSVG eine Nachentrichtung nur für Zeiträume zulässig ist, die nicht bereits mit Beiträgen belegt oder als Ersatzzeiten anzurechnen sind.
Zu Unrecht wendet der Kläger hiergegen ein, durch eine solche Auslegung werde er ungerechtfertigt benachteiligt. Würde er die jeweils 6 Beiträge für die Jahre 1953 bis 1956 erst jetzt nachentrichten, könnte ihm die dementsprechend höhere Rente erst vom Ersten des Monats an gewährt werden, der auf die Beitragsnachentrichtung folgt (Art. 4 § 2 Abs. 2 WGSVÄndG). Da er sie jedoch schon früher entrichtet hat, bezieht er bereits seit dem 1. August 1968 eine entsprechend höhere Rente.
§ 8 Abs. 3 WGSVG läßt sich nicht entsprechend anwenden, wie der Senat ebenfalls in seinem früheren Urteil bereits dargelegt hat. Er ist eine Ausnahmevorschrift für eine Verfolgte oder die Ehefrau eines Verfolgten, die sich früher ihre Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen wegen Heirat hat erstatten lassen. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 WGSVG sind auch diese Personen grundsätzlich befugt, für Zeiten vor Vollendung des 65. und nach Vollendung des 16. Lebensjahres bis zum 1. Januar 1924 zurück Beiträge nachzuentrichten, soweit diese Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt oder als Ersatzzeiten anzurechnen sind. Die so nachentrichteten Beiträge gelten wiederum unter gewissen einschränkenden Voraussetzungen als rechtzeitig entrichtete Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (Abs. 1 Satz 3). § 8 Abs. 3 WGSVG legt schließlich diese Wirkung auch den Beiträgen bei, die aufgrund des Art. X BEG-SchlußG vom 14. September 1965 nachentrichtet sind. Er bestätigt damit ebenfalls, daß die Fiktionen des § 8 Abs. 1 Satz 3 und entsprechend die des § 10 Abs. 1 Satz 3 für früher entrichtete Beiträge nicht gelten. Diese Vorschrift des § 8 Abs. 3 WGSVG ist vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung eingefügt worden (BT-Drucksache VI/1449 S. 8). Hierdurch sollte sichergestellt werden, daß Beiträge, die aufgrund der mit dem neuen Gesetz außer Kraft tretenden früheren Vorschriften nachentrichtet worden sind, dieselbe Wirkung haben wie Beiträge, die gemäß § 8 Abs. 1 und 2 WGSVG nachentrichtet "werden" (aaO S. 3).
Der Kläger hatte seine freiwilligen Beiträge für die Jahre 1953 bis 1956 im Juni 1957 nicht aufgrund von Vorschriften entrichtet, die nach Art. 4 § 5 Abs. 2 WGSVÄndG außer Kraft getreten sind, sondern nach den für alle geltenden Vorschriften. Der Gesetzgeber hat keinen Grund gesehen, ihn ebenso zu begünstigen wie die weiblichen Versicherten in § 8 Abs. 3 WGSVG. Art. X BEG-SchlußG war eine teilweise Vorwegnahme der seit langem geforderten Verbesserung der Wiedergutmachung in der Sozialversicherung. Hierin lag die innere Rechtfertigung für die Rückwirkungsklausel des § 8 Abs. 3 BEG. Entsprechende Erwägungen können für den Kläger nicht angeführt werden. Dem Gesetzgeber war es nicht verwehrt, die geplanten Verbesserungen schrittweise vorzunehmen und von neu eingeführten Vergünstigungen bereits abgeschlossene Tatbestände ganz oder teilweise auszunehmen (vgl. u.a. BSG 34, 287).
Somit muß die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen