Leitsatz (redaktionell)

1. Unter "Bestreiten des Unterhalts" iS des RVO § 1266 Abs 1 ist nur das Zurverfügungstellen der dem Unterhalt dienenden Mittel, nicht aber die Haushaltsführung zu verstehen.

2. Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand beginnt dort, wo letztmalig vor dem Tode der Versicherten eine wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse eines Familienmitgliedes mit Dauerwirkung eingetreten ist, und endet mit dem Tod der Versicherten.

 

Normenkette

RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Februar 1960 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der im Jahre 1894 geborene Kläger begehrt Witwerrente aus der Rentenversicherung seiner am 12. Februar 1958 verstorbenen Ehefrau.

Der Kläger bezieht seit dem Jahre 1947 Versichertenrente, die vor dem 1. Januar 1957 99,90 DM und seitdem 136,50 DM monatlich betragen hat. Seine Ehefrau war vom 1. August 1950 bis 4. November 1955 mit einem durchschnittlichen Arbeitsentgelt von 200,- DM monatlich erwerbstätig. Anschließend war sie arbeitslos und erhielt bis zum 7. November 1956 Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 24,90 DM, danach Arbeitslosenhilfe zunächst in Höhe von 24,60 DM, später, seit dem 1. Mai 1957, in Höhe von 23,10 DM wöchentlich bis zum 19. Oktober 1957. Vom 1. Oktober 1957 an wurde ihr das vorzeitige Altersruhegeld in Höhe von 124,30 DM monatlich aus der Arbeiterrentenversicherung gewährt.

Im März 1958 beantragte der Kläger die Gewährung der Witwerrente. Die Beklagte lehnte seinen Antrag ab, weil die versicherte Ehefrau ein niedrigeres Einkommen als er gehabt und daher den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend bestritten habe.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers im wesentlichen aus folgenden Gründen zurückgewiesen: Der Kläger habe einen Anspruch auf Witwerrente nach der - den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes nicht verletzenden - Vorschrift des § 1266 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht, weil seine Ehefrau ihre Familie nicht überwiegend unterhalten habe. Für die Frage der überwiegenden Unterhaltsgewährung seien zwar nicht nur die unmittelbar vor dem Tode der Versicherten bestehenden Verhältnisse maßgebend, sondern es sei eine beachtliche vorangegangene Zeitspanne zu berücksichtigen. Es müsse ein Zeitraum von etwa zwei Jahren der Beurteilung der Lebensverhältnisse der Eheleute zugrunde gelegt werden. Während der letzten beiden Jahre vor dem Tode der Ehefrau - vom 1. Februar 1956 bis 31. Januar 1958 - sei indessen das Einkommen des Klägers mit 3.317,30 DM höher gewesen als das seiner Ehefrau mit 3.032,50 DM. Aber auch im letzten Jahr, d.h. vom 1. Februar 1957 bis 31. Januar 1958, habe der Kläger mit 1.872,- DM ein höheres Einkommen als seine Ehefrau erzielt; ihr Einkommen habe in dieser Zeit nur 1.522,50 DM betragen. Das von 1950 bis 1956 erzielte Arbeitseinkommen der Versicherten sei für die hier maßgebliche Anspruchsvoraussetzung der überwiegenden Unterhaltsgewährung unerheblich.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision hat der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Berlin vom 11. Februar 1960 und das Urteil des SG Berlin vom 10. Juli 1959 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 1958 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Witwerrente seit dem 1. Februar 1958 zu gewähren.

Er rügt Verletzung des § 1266 RVO und meint, ihm sei nach dieser Vorschrift die Witwerrente zu Unrecht versagt worden. Die Prüfung der überwiegenden Unterhaltsgewährung dürfe nicht allein auf den Zeitraum kurz vor dem Tod seiner Ehefrau abgestellt werden. Seine Ehefrau sei zuletzt nur erwerbslos gewesen. Ihre Arbeitslosenunterstützungsbezüge seien aber nicht als Einkommen zu werten, da es sich nur um eine Notunterstützung gehandelt habe. Deshalb müsse die Prüfung sich auf die vorher bestehenden Einkommensverhältnisse erstrecken. Seine Ehefrau habe von 1947 bis 1955 mit etwa 200,- DM monatlich fast doppelt soviel verdient und auch vom 1. Februar 1956 bis 31. Januar 1957 ein höheres Einkommen erzielt als der Kläger. Sie habe fast zehn Jahre lang den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten und habe dadurch mit etwa 10.000,- DM den gemeinsamen Unterhalt vorfinanziert. Ferner müßten ihre Tätigkeiten im Haushalt zu ihren finanziellen Unterhaltsleistungen hinzugerechnet werden. Die Führung des Haushalts stelle ebenfalls einen wesentlichen wirtschaftlichen Einkommensfaktor dar, der auch nach dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft bei Beendigung der Ehe zugunsten der Ehefrau berücksichtigt werde.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und damit zulässig; sie ist jedoch nicht begründet. Das Berufungsgericht hat vielmehr zu Recht entschieden, daß dem Kläger Witwerrente nicht zusteht.

Da der Versicherungsfall, der Tod der versicherten Ehefrau, nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten ist, richtet sich der geltend gemachte Anspruch nach § 1266 RVO nF. Die in dieser Vorschrift enthaltene Regelung, die dem Witwer eine Hinterbliebenenrente nur dann zubilligt, wenn seine Ehefrau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat, ist mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) vereinbar. Dieser lautet: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt".

Wie ein Vergleich des § 1266 RVO mit § 1264 RVO zeigt, sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Witwerrente und Witwenrente zwar verschieden. Während der Witwe eines Versicherten, der die Wartezeit erfüllt hat, ohne weiteres Witwenrente gewährt wird, erhält ein Witwer Rente nur dann, wenn zusätzlich die soeben genannte Voraussetzung erfüllt ist. Diese unterschiedliche Regelung verstößt aber nicht gegen Art. 3 Abs. 2 GG. Das hat das BSG in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen (BSG 5, 17; 14, 129 und ferner BSG 14, 203, 205 zu § 589 RVO a.F. Davon abzugehen besteht kein Anlaß. Die gesetzliche Regelung enthält in Wahrheit keine Ungleichheit. Sowohl Witwenrente als auch Witwerrente sollen an die Stelle des von dem verstorbenen Versicherten gewährten Unterhalts treten. Der Unterschied zwischen beiden Renten ist lediglich der, daß bei der Witwerrente entsprechend der Lebenserfahrung stillschweigend als Regel vorausgesetzt wird, daß der Mann den Unterhalt der Familie tatsächlich bestritten hat, während es der Ausnahmefall ist, der also erwiesen sein muß, daß die Frau den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat. Diese Anspruchsvoraussetzung des § 1266 RVO steht daher mit Art. 3 Abs. 2 GG im Einklang.

Im vorliegenden Falle ist diese Anspruchsvoraussetzung nicht erfüllt.

Dem Wortlaut des § 1266 Abs. 1 RVO ist zwar nicht zu entnehmen, in welchem Zeitraum die Ehefrau den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten haben muß. Es besteht aber Einigkeit darüber, daß es nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht auf die Verhältnisse ankommen kann, die - vielleicht zufällig gerade - unmittelbar vor dem Tode der Versicherten bestanden haben. Das Berufungsgericht hat als maßgeblichen Zeitraum die letzten zwei Jahre vor dem Tode der Versicherten angesehen. Den Vorzug verdient jedoch die Auffassung, die das Bundessozialgericht (BSG) inzwischen in seiner Rechtsprechung vertreten hat, daß der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode der Versicherten maßgebend ist, und zwar deshalb, weil von diesem - mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit - angenommen werden kann, daß er sich fortgesetzt hätte, wenn die Versicherte nicht gestorben wäre. Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand beginnt dort, wo letztmalig vor dem Tode der Versicherten eine wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse eines Familienmitgliedes mit Dauerwirkung eingetreten ist, und endet mit dem Tod der Versicherten (BSG 14, 129, 132).

Die letzte wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse der Familie des Klägers war die Erhöhung seiner Rente durch das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG). Vom 1. Januar 1957 an wurde seine Rente von 99,90 DM auf 136,50 DM monatlich erhöht. Diese Rentenerhöhung war wesentlich, denn dadurch wurde der Kläger erstmalig wieder in die Lage versetzt, mehr als seine Ehefrau zum Unterhalt seiner Familie beizutragen. Die Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes an die Ehefrau vom 1. Oktober 1957 an, von der das Berufungsgericht ausgegangen ist, wäre zwar als weitere Änderung der Einkommensverhältnisse der Familie anzusehen. Aber selbst wenn die Ehefrau das Altersruhegeld in Höhe von 124,30 DM noch zu ihren Lebzeiten bezogen hätte, wäre ihr Einkommen auch in der Zeit vom 1. Oktober 1957 an niedriger als das des Klägers gewesen.

Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis 12. Februar 1958 ein Nettoeinkommen von insgesamt 2.184,- DM gehabt. Dieses setzte sich zusammen aus seiner Rente und seinen anteiligen Mieteinnahmen für die Zeit vom 1. Februar 1957 bis 31. Januar 1958 = 1.872,- DM zuzüglich je 136,50 DM Rente und 19,50 DM Mieteinnahme für die Monate Januar 1957 und Februar 1958. Das Nettoeinkommen der Ehefrau hat in dem gleichen Zeitraum insgesamt nur 1.796,50 DM betragen. Es umfaßte ihre Altersruhegeldbezüge, Arbeitslosenhilfe und anteilige Mieteinnahmen in der Zeit vom 1. Februar 1957 bis 31. Januar 1958 von zusammen 1.522,50 DM zuzüglich 110,70 DM Arbeitslosenhilfe für Januar 1957 sowie für Februar 1958 124,30 DM Altersruhegeld und für beide Monate je 19,50 DM anteilige Mieteinnahme.

In dem Zeitraum vom 1. Oktober 1957 bis 12. Februar 1958 hat der Kläger über ein Einkommen von 780,- DM verfügt, und zwar 682,50 DM Rentenbezüge (monatlich 136,50 DM) und 97,50 DM anteilige Mieteinnahme (monatlich 19,50 DM). Hingegen hat seine Ehefrau in demselben Zeitraum nur ein Einkommen von 719,- DM erzielt. Ihr standen für fünf Monate Altersruhegeld (monatlich 124,30 DM) in Höhe von 621,50 DM abzüglich gemäß § 149 Abs. 4 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) 55,40 DM Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. bis 19. Oktober 1957, mithin insgesamt 565,70 DM Altersruhegeldbezüge zu. Zusammen mit Arbeitslosenhilfe in Höhe von 55,80 DM und den anteiligen Mieteinnahmen in Höhe von 97,50 DM hat sie also ein Einkommen von 719,- DM erlangt.

Danach hat in dem maßgeblichen Zeitraum vom 1. Januar 1957 bis 12. Februar 1958 nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts das Gesamteinkommen beider Eheleute zusammen 3.980,50 DM betragen. Da davon auf den Einkommensanteil der Versicherten nur 1.796,50 DM entfielen, hat ihr Einkommen die Hälfte des gesamten Einkommens der Familie nicht überstiegen.

Selbst wenn der Zeitraum vom 1. Oktober 1957 bis 12. Februar 1958 als maßgebender letzter wirtschaftlicher Dauerzustand zugunsten des Klägers berücksichtigt wird, ergibt sich nichts anderes. Das Gesamteinkommen der Familie hat während dieses Zeitraumes 1.499,- DM, das der Versicherten aber nur 719,- DM betragen. Das Einkommen der Versicherten war mithin niedriger als die Hälfte des gesamten Familieneinkommens. Daraus folgt, daß die Versicherte, gleichgültig welcher Zeitraum letztlich als maßgebend angesehen wird, den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend bestritten hat.

Der Kläger hat demgegenüber vorgetragen, die Arbeit der Versicherten im Haushalt sei ebenfalls ein Beitrag zum Unterhalt der Familie und ein zusätzlicher Einkommensfaktor der Versicherten gewesen. Dieser Einwand greift nicht durch. "Bestreiten des Unterhalts" im Sinne des § 1266 RVO bedeutet nach der Rechtsprechung des BSG nur das Zurverfügungstellen der dem Unterhalt dienenden Mittel, nicht aber die Haushaltsführung (BSG 14, 129, 130). Auch das sonstige Vorbringen des Klägers kann nicht zu einer Entscheidung in seinem Sinne führen. Zu den Unterhaltsmitteln in diesem Sinne gehören auch die Arbeitslosenunterstützungsbezüge der Versicherten. Ob es sich dabei lediglich um eine Notversorgung handelte, wie der Kläger meint, ist ohne rechtliche Bedeutung. Es kommt insoweit nur darauf an, daß die Versicherte die Arbeitslosenhilfe tatsächlich erhalten und zum Unterhalt ihrer Familie zur Verfügung gestellt hat. Davon ist das LSG zu Recht ausgegangen. Soweit der Kläger geltend macht, die Beurteilung der Einkommensverhältnisse der Familie könne nicht auf die Erwerbslosenzeit der Versicherten, sondern müsse darauf abgestellt werden, daß sie vorher etwa zehn Jahre lang doppelt soviel verdient als er an Rente bezogen habe, verkennt er, daß die Versicherte nicht nur kurzfristig und vorübergehend erwerbslos war.

Sie war von November 1955 bis zu ihrem Tode am 12. Februar 1958 ununterbrochen arbeitslos. Sie stand also schon längere Zeit nicht mehr im Berufsleben und war seit dem 1. Januar 1957 auch nicht mehr zum überwiegenden Teil Ernährerin ihrer Familie. Die Versicherte hat, wenn sie von etwa 1947 bis 1955 ein doppelt so hohes Einkommen wie der Kläger erzielt hat und nur in dieser Zeit Anschaffungen aller Art möglich waren, den Unterhalt ihrer Familie nicht für den hier maßgeblichen letzten wirtschaftlichen Dauerzustand "vorfinanziert". Es handelte sich um Einkommen der Versicherten, das sie bis zum Ende des Jahres 1955 zum Unterhalt ihrer Familie zur Verfügung gestellt hat; dieses Einkommen kann nur als Unterhaltsleistung für die Zeit bis zum Ende des Jahres 1955 angesehen werden.

Das angefochtene Urteil ist somit im Ergebnis richtig. Die Revision des Klägers war daher mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380460

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