Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung der Betriebsvertretung
Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung des Arbeitgebers für das Verschulden Dritter an der verspäteten Abgabe der Schlechtwettergeld-Anzeige nach AFG §§ 88, 84.
Eingeschränkte Anwendung des BGB § 278 bei Obliegenheitsverletzungen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Da ein Bauunternehmer in Prozeßstandschaft ihrer Arbeitnehmer die Ansprüche auf Schlechtwettergeld geltend macht, steht der Betriebsvertretung das Recht zu, im Prozeß um das Schlechtwettergeld mitzuwirken. Sie ist daher notwendig beizuladen (SGG § 75 Abs 2).
2. Bei der Einhaltung der Frist des AFG § 84 Abs 1 Nr 3 handelt es sich um eine Obliegenheit des Bauunternehmers. Bei ihr ist BGB § 278 lediglich mit der Folge eingeschränkt anwendbar, daß nur für solche Personen gehaftet wird, die mit dem Gegenstand selbst befaßt gewesen sind, auf die sich die Obliegenheit bezieht.
Normenkette
AFG § 88 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-05-19, § 84 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1972-05-19; WinterbauAnO § 14 Abs. 3 Fassung: 1972-07-04; BGB § 278 Fassung: 1896-08-18; SGG § 75 Abs. 2
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 07.11.1975; Aktenzeichen L 4 Ar 22/75) |
SG Berlin (Entscheidung vom 29.01.1975; Aktenzeichen S 61 Ar 178/74) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 7. November 1975 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte an Arbeiter der Klägerin für die Zeit vom 2. bis 4. Januar 1974 Schlechtwettergeld (SWG) zu zahlen hat.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen des Baugewerbes. In der Woche vom 2. bis 4. Januar 1974 (Mittwoch bis Freitag) fiel an mehreren Baustellen der Klägerin die Arbeit wegen Schlechtwetters aus. Betroffen waren mehrere hundert Arbeiter. Am 10. Januar 1974 wurde aus dem Hausbriefkasten des Arbeitsamtes I Berlin (West) ein mit Datum vom 4. Januar 1974 gestempelter Briefumschlag entnommen, in dem sich die Anzeige über witterungsbedingten Arbeitsausfall der Klägerin befand.
Die Beklagte erkannte zwar für alle in der Anzeige aufgeführten Baustellen witterungsbedingten Arbeitsausfall dem Grunde nach an, lehnte jedoch die Zahlung von SWG ab, weil die Anzeige über den Arbeitsausfall nicht unverzüglich erstattet worden sei (Bescheid vom 11. Januar 1974; Widerspruchsbescheid vom 24. April 1974).
Die Klägerin räumte im Widerspruchsverfahren ein, daß der von ihr selbst am 4. Januar 1974 mit der Frankiermaschine gestempelte Brief erst am 10. Januar 1974 in den Hausbriefkasten des Arbeitsamtes geworfen worden sei. Am 4. Januar gegen 16.00 Uhr habe ihr zuständiger Sachbearbeiter die Sammelanzeige bereits ausgefüllt und mit dem Freistempler abgestempelt gehabt, als noch eine weitere Ausfallmeldung einer noch nicht erfaßten Baustelle eingegangen sei. Die Anzeige habe er daraufhin der übrigen Post entnommen, entsprechend ergänzt und wieder in den bereits gestempelten Umschlag gesteckt. Ein anderer Mitarbeiter, der dies nicht habe wissen können, habe einen Aktenstapellauf den Umschlag gelegt, so daß dieser bei der Zusammenstellung der letzten Ausgangspost des Tages übersehen und nicht weggeschickt worden sei. Auch am Montag, dem 7. Januar, als noch Zeit für eine rechtzeitige Abgabe der Meldung unmittelbar beim Arbeitsamt gewesen wäre, sei der Brief nicht entdeckt worden, da er sich an einer Heftklammer der darauf geschichteten Akte verfangen gehabt habe. Die Meldung sei erst am Mittwochabend gefunden und am Donnerstagvormittag (10. Januar) beim Arbeitsamt abgegeben worden.
Das Sozialgericht (SG) hat den Betriebswirt Jürgen K als Zeugen vernommen. Er hat die Darstellung der Klägerin bestätigt.
Das SG hat (Urteil vom 29. Januar 1975) die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Rechtzeitigkeit der Anzeige des witterungsbedingten Arbeitsausfalls in der Zeit vom 2. Januar bis 4. Januar 1974 festgestellt. Zwar, so hat es ausgeführt, sei das Versehen des Zeugen K schuldhaft gewesen, die Beklagte verstoße jedoch gegen Treu und Glauben, wenn sie wegen des verspäteten Eingangs der Anzeige den Schlechtwettergeldanspruch ablehne. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben sei dann anzunehmen, wenn trotz der Verspätung außer Zweifel stehe, daß der angezeigte Arbeitsausfall ausschließlich durch zwingende Witterungsgründe verursacht gewesen sei, die Verspätung auf einem Fehlverhalten beruhe, das einfache Fahrlässigkeit nicht überschreite und der Arbeitgeber nach dem bisherigen vertrauensvollen Zusammenwirken erwarten könne, daß ein vereinzeltes Fehlverhalten entschuldigt werde.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 7. November 1975 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Es hat ausgeführt:
Die unverzügliche Anzeige sei materiell-rechtliche Voraussetzung für den Schlechtwettergeldanspruch. In der Berufung auf die Versäumung der Anzeigefrist liege auch kein Verstoß der Beklagten gegen Treu und Glauben. Ein solcher Verstoß sei erst dann anzunehmen, wenn ein Handeln oder Unterlassen der Behörde vorliege, das mitursächlich für die fehlerhafte und mit Rechtsverlusten verbundene Handlungsweise des Berechtigten sei.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 84 Abs. 1 Nr. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), von § 14 Abs. 3 der Winterbauanordnung vom 4. Juli 1972 (ANBA S. 511) und von § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Während früher in der Regel die Anzeige eines witterungsbedingten Arbeitsausfalles telefonisch habe erfolgen können, sei nun entsprechend § 14 Abs. 3 der Winterbauanordnung vorgeschrieben, daß sie schriftlich auf einem Vordruck der Bundesanstalt vorzunehmen sei. Früher habe der Unternehmer bei der telefonischen Meldung sofort gewußt, daß seine Anzeige entgegengenommen worden sei und somit sein Anspruch angemeldet sei; jetzt müsse er sich darauf verlassen, daß die rechtzeitig zur Post gegebene Anzeige dort auch zügig bearbeitet und weitergeleitet werde. Zu berücksichtigen sei auch, daß infolge des Verzichtes auf die Einzelanzeige zugunsten der wöchentlichen Sammelanzeige (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 b und Abs. 3 der Winterbauanordnung) die Anzeige zur Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr erforderlich sei. Die Sammelanzeige gewährleiste nicht mehr die möglichst umgehende Prüfung des witterungsbedingten Arbeitsausfalls. Sie versetzte die Beklagte nicht mehr in die Lage, sofort an Ort und Stelle festzustellen, ob für eine bestimmte Zeit tatsächlich Witterungsverhältnisse vorlägen, die Bauarbeiten ausschlössen, und diese für den Arbeitsausfall auf der fraglichen Baustelle die einzige Ursache seien. Auch gehe es nicht mehr darum, das Arbeitsamt von dem Vorhandensein zeitweise unbeschäftigter Arbeitskräfte in Kenntnis zu setzen, damit es alsdann seine Pflicht zur vorrangigen Arbeitsvermittlung zu erfüllen vermöge. An eine nachträgliche Vermittlung der Aussetzer denke niemand. Die Zweckbestimmung der Sammelanzeige hindere auch nicht eine Anwendung des Grundsatzes des Großen Senats des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG 14, 246), daß eine Fristvorschrift nicht für solche Fälle gelte, in denen die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs zweifelsfrei gegeben seien. Ebenso könne der Grundgedanke des § 130 BGB keine uneingeschränkte und problemlose Anwendung im öffentlichen Recht finden. Eine Ausnahme von § 130 BGB gelte gerade für die Fälle, in denen die Mitwirkungshandlung für einen den Staatsbürger begünstigenden Verwaltungsakt vorliege. § 130 BGB beantworte nur die Frage, wann eine empfangsbedürftige Willenserklärung wirksam werde, d.h. in welchem Zeitpunkt der Erklärende an seine Erklärung gebunden und daraus verpflichtet werde, nicht jedoch, wann mit ihr eine Frist gewahrt werde. Die vorliegende Erklärung zur Anspruchssicherung (Schlechtwetteranzeige) sei allenfalls der kaufmännischen Mängelanzeige vergleichbar, für die Absendung genüge (§ 377 Abs. 4 Handelsgesetzbuch - HGB -).
Es vertrage sich nicht mit dem Zusammenwirken des Unternehmers mit der Beklagten bei der Durchführung der Schlechtwettergeldregelung, die Klägerin mit dem Aufwand für 943 Arbeiter zu belasten, die wegen schlechten Wetters mit der Arbeit hätten aussetzen müssen, obgleich der Leistungsberechtigung nur der spätere Eingang der Anzeige entgegenstehe. Eine derartige Sanktion auf das entschuldbare Versehen des Angestellten der Klägerin bei der Anzeigeerstattung sei übermäßig. Das LSG verkenne schließlich den Begriff des Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB. Verspätet abgesandt worden sei die Schlechtwetteranzeige schließlich deshalb, weil ein nicht mit der Beförderung befaßter Mitarbeiter einen Aktenstapel auf das an die Beklagte gerichtete Schreiben gelegt habe, so daß dieses sich mit der darüberliegenden Akte verfangen habe. Dieser Mitarbeiter sei schuldlos und überdies nicht Erfüllungsgehilfe für die Beförderung der Anzeige gewesen.
Die Klägerin beantragt,
|
|
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Januar 1975 zurückzuweisen. |
Die Beklagte beantragt,
|
|
die Revision zurückzuweisen. |
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist in dem Sinne begründet, daß die Sache aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Die Zurückverweisung ist erforderlich, weil das LSG die Beiladung des Betriebsrates nicht vorgenommen hat.
Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs. 2 Alternative 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr. 1; BSGE 38, 94; 98). Im Verfahren über die Gewährung von SWG ist die Betriebsvertretung notwendig beizuladen. Nach §§ 83, 85 AFG stehen die Ansprüche auf SWG materiell den Arbeitnehmern zu, die durch Schlechtwetter einen Lohnausfall erlitten haben; doch macht der Arbeitgeber die Rechte der Arbeitnehmer im eigenen Namen geltend. Er hat dem Arbeitsamt den Arbeitsausfall anzuzeigen (§ 88 Abs. 1 Satz 1, § 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG). Seine Aufgabe ist es auch, den Antrag auf SWG innerhalb der Ausschlußfrist von zwei Monaten nach dem Ende der Schlechtwetterzeit zu stellen (§ 88 Abs. 2 Satz 1 AFG); ihm gegenüber ergeht der Bescheid des Arbeitsamtes (Kranz, Schlechtwettergeld und Förderung der Bautätigkeit im Winter, Erl. 23 zu § 88). Der Klägerin steht daher auch das Recht zu, die Ansprüche ihrer Arbeitnehmer auf SWG gerichtlich geltend zu machen (BSG SozR Nr. 1 zu AVAVG § 188). Die Klägerin handelt in Prozeßstandschaft, während die Arbeitnehmer selbst keine eigene gerichtliche Durchsetzungsbefugnis haben (BSG 33, 64, 67). Wie beim Streit um Kurzarbeitergeld ist deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch beim Streit um SWG die Betriebsvertretung nach § 75 Abs. 2 SGG stets beizuladen (BSGE 22, 181, 183; 33, 64, 66; 38, 94, 95; 38, 98, 99; Urteile des Senats vom 30. September 1975 - 7 RAr 94/73 - und vom 20. April 1977 - 7 RAr 55/75, letzteres zum Wintergeld).
Das LSG wird im Rahmen der erneuten Prüfung und Entscheidung der Sache folgendes zu beachten haben:
Zu Recht hat das LSG das Verhalten der Beklagten nicht deshalb als fehlerhaft angesehen, weil die Beklagte nur über einen Teil der SWG-Ansprüche der Klägerin entschieden hat, und dies ohne den Antrag der Klägerin auf Auszahlung des SWG abzuwarten. Zwar sieht § 88 Abs. 2 Satz 1 vor, daß das SWG auf Antrag gewährt wird und daß der Antrag vom Arbeitgeber bis zum Ablauf der Ausschlußfrist von drei Monaten nach dem Ende der Schlechtwetterzeit zu stellen ist. Das schließt es aber nicht aus, daß schon während der Schlechtwetterzeit vom Arbeitsamt Entscheidungen gefällt werden, sobald über Teile des dem Arbeitgeber zu erstattenden SWG entschieden werden kann, diese Fragen also entscheidungsreif sind.
Die Beklagte hat alle Voraussetzungen für die Auszahlung des SWG hinsichtlich der streitigen Zeit an die Klägerin bejaht und lediglich angenommen, daß der Arbeitsausfall dem Arbeitsamt nicht unverzüglich angezeigt worden ist (§ 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG). Ob die Schlechtwetteranzeige unverzüglich erfolgt ist, läßt sich aufgrund der festgestellten Tatsachen jedoch nicht abschließend beurteilen.
Zu den Fragen des Rechtscharakters der Schlechtwetteranzeige und der Folgen der verspäteten Anzeige kann auf die Entscheidung des BSG vom 23. Juni 1976 (12/7 RAr 157/74) verwiesen werden. Das Problem der Wiedereinsetzung stellt sich hier nicht, da die Anzeigefrist materiell-rechtlicher Natur ist.
Zu Recht hat das LSG bei der Frage, ob die Klägerin ein Verschulden trifft, § 278 BGB angewandt. Nach § 278 BGB hat der Schuldner ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfange zu vertreten wie eigenes Verschulden. Diese Bestimmung beruht auf der Erwägung, daß der Gläubiger sein vertragliches Vertrauen dem Schuldner selbst und nicht dem Gehilfen gewährt hat. Deshalb muß der Schuldner das Risiko der Erfüllung durch Gehilfen tragen. Indem er sich der Vorteile der Arbeitsteilung bedient, muß er deren Gefahren hinnehmen, zumal der Gläubiger regelmäßig keinen Einfluß auf die Auswahl der Erfüllungsgehilfen hat, die vom Schuldner zur Erfüllungshandlung bestellt werden (Soergel/Siebert, Komm. zum BGB, 10. Aufl., § 278 Anm. 1). Für die Eigenschaft des Dritten als Erfüllungsgehilfen ist allein seine Funktion und Aufgabe innerhalb des betreffenden Schuldverhältnisses entscheidend. Er ist Erfüllungsgehilfe des Schuldners, wenn er eine beliebige Vertragspflicht zu erfüllen hat (Soergel/Siebert aaO Anm. 2). Diese Ausweitung des Begriffs des Erfüllungsgehilfen bedarf jedoch einer Einschränkung in den Fällen, in denen er nicht eine eigentliche vertragliche oder gesetzliche Pflicht zu erfüllen hat, sondern lediglich eine sogenannte Obliegenheit. Obliegenheiten sind bestimmte Verhaltenspflichten minderer Intensität, deren Verletzung regelmäßig nicht durch einen Schadensersatzanspruch des Obliegenheitsbegünstigten, sondern durch Rechtsverlust des Obliegenheitsbelasteten sanktioniert ist. Sie geben dem "Berechtigen" regelmäßig weder Erfüllungsanspruch noch Klag- und Vollstreckungsmöglichkeit, stellen vielmehr dem Belasteten für den Fall der Nichtbeachtung andere Rechtsnachteile in Aussicht (Soergel/Siebert Vorbem. zu § 241, Anm. 8; § 278 Anm. 11). Aus § 84 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 88 Abs. 1 AFG ist zu entnehmen, daß die Anzeige des Schlechtwetters dem Arbeitsamt vom Arbeitgeber, ersatzweise von der Betriebsvertretung, zu erstatten ist. Unterlassen beide die Anzeige, so setzen sie sich jedoch weder einer Strafe aus (§§ 228 ff AFG) noch geht die Bundesanstalt für Arbeit (BA) mit Zwangsmaßnahmen gegen den Arbeitgeber und die Betriebsvertretung vor, um die Anzeige zu erreichen. Die Folge der Nichtanzeige ist vielmehr lediglich, daß die Arbeiter ihren Anspruch auf das SWG verlieren. Der BA gegenüber ist daher das Gehaltensein des Arbeitgebers und der Betriebsvertretung zur Abgabe der Anzeige nach § 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG lediglich eine Obliegenheit und keine Verpflichtung, die mit den vertraglichen Pflichten zu vergleichen ist, welche § 278 BGB dem Regelfall nach voraussetzt. Eine andere Frage ist es, daß Arbeitgeber, bzw. Betriebsrat gegenüber den Arbeitnehmern des Betriebes zur Abgabe der Anzeige aus dem Arbeitsvertrag oder aus dem besonderen Verhältnis, in dem die Arbeitnehmer zu dem Betriebsrat stehen, verpflichtet sind. In diesem Verhältnis besteht nicht eine Obliegenheit, sondern eine echte Verpflichtung.
Der Pflicht minderer Intensität, wie sie für die Obliegenheit kennzeichnend ist, ist durch eine Einschränkung der Verantwortlichkeit für das Handeln Dritter Rechnung zu tragen; der Obliegenheitsbelastete hat nur für Vertreter und solche Personen einzustehen, denen er eine unmittelbare Möglichkeit eingeräumt hat, für ihn auf den Gegenstand einzuwirken, dessen Schutz die Nebenpflicht im Sinne einer Obliegenheit dient (Soergel/Siebert, § 278 Anm. 11 a.E.). Das bedeutet, daß die Klägerin nicht für das Verhalten jedes ihrer Angestellten einzustehen hat, der rein tatsächlich dazu beigetragen hat, daß die Schlechtwetteranzeige verspätet den Betrieb der Klägerin verlassen hat. Verantwortlich ist sie vielmehr nur für solche Personen, die sie damit beauftragt hat, die SWG-Anzeige zusammenzustellen und an die Beklagte abzusenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), die sich auf entsprechende Entscheidungen des Reichsgerichts stützt (vgl. BGH 11, 120, 123; VersR 1964, 475; 65, 149; NJW 1970, 43; RGZ 159, 357) hat bei der Verletzung von Obliegenheiten der Versicherungsnehmer nicht für alle Erfüllungsgehilfen, sondern nur für Repräsentanten einzustehen, also für Personen, die auf Grund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten sind (so auch Palandt 36. Aufl. 1977, § 278 Anm. 4 e; Esser, Schuldrecht Bd. 1, AllgT. 4. Aufl. 1970, § 39 II 2 f. S. 258; Werner bei Staudinger 10./11. Aufl. Teil II 1 c Anm. 33 zu § 278; RGRK 12. Aufl. 1976, § 278 Anm. 30). Das Reichsgericht (RGZ 159, 157) und die Literatur geben als Grund für diese Behandlung des Versicherungsnehmers die besondere Natur der Obliegenheiten an, die einer uneingeschränkten Anwendung des § 278 BGB entgegensteht. Aus der Erkenntnis heraus, daß für die Erfüllung von Pflichten, die nicht in der Erfüllung von schuldrechtlichen Verbindlichkeiten bestehen, sondern einen stärker geschäftlichen, prozessualen Charakter tragen, die uneingeschränkte Anwendung des § 278 BGB nicht angebracht ist, hat der Gesetzgeber auch in § 232 Abs. 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) bestimmt, daß der Prozeßführende nur für solche Personen bei der Versäumung von Fristen einzustehen hat, die er mit seiner Vertretung beauftragt hat.
Unter diesem Gesichtspunkt bedarf der Sachverhalt weiterer Aufklärung. Zu der Frage, wie es zu der verspäteten Absendung gekommen ist, hat das LSG keine Feststellungen getroffen. Es hat lediglich die von dem Zeugen K vor dem SG bestätigte Einlassung der Klägerin wiedergegeben, wonach der Zeuge die Anzeige auf den Schreibtisch für die ausgehende Post gelegt habe, und ein anderer Mitarbeiter diese zugedeckt habe. Wenn der Zeuge K derjenige war, der für die Abgabe der Sammelanzeige "Schlechtwetter" verantwortlich war, so war er im Verhältnis zur Beklagten Erfüllungsgehilfe der Klägerin. Auf sein Verschulden kommt es dann an. Entscheidend kann dann die Frage sein, ob er nach der Organisation der Klägerin darauf vertrauen durfte, daß der Brief noch rechtzeitig zur Post gebracht werde, wenn er ihn auf den Abtrag legte. Für das Verschulden oder Fehlverhalten von Personen, die dann mit der weiteren Beförderung des Briefes zu tun hatten, hätte die Klägerin dann nicht ohne weiteres einzustehen, es sei denn, daß ein Organisationsverschulden vorliegen würde. Zu der Frage, wie das Verschulden einer Person zu beurteilen ist, die für eine Partei eine Frist zu wahren hat, gibt die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 8. Mai 1974 (VersR 1974, 973) einen Hinweis, wonach ein unabwendbarer Zufall vorliegt, wenn ein Vorgang dem Anwalt versehentlich vor der Bearbeitung wieder weggenommen wurde und die mit der Fristenkontrolle betraute Angestellte entgegen erteilten Weisungen den Fristenkalender nicht oder nicht mit der genügenden Sorgfalt auf noch offenstehende: Eintragungen durchgesehen hat.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen