Leitsatz (redaktionell)

Die Kausalitätsnorm iS des Versorgungsrechts muß auch bei der Frage des beruflichen Betroffenseins angewandt werden.

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage des besonderen beruflichen Betroffenseins bei Verweigerung der Wiedereinstellung in den Polizeidienst wegen eines als Schädigungsfolge anerkannten Gehörschadens.

2. Zur Berücksichtigung der "Altersversorgung" bei Prüfung des "Betroffenseins".

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 12. Juli 1961 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger ist gelernter Kaufmann. Im Anschluß an seine Zugehörigkeit zur Hilfspolizei und zum SA-Feldjägerkorps wurde er im Jahre 1936 von der Schutzpolizei übernommen. 1944 kam er zu einem Panzer-Jagdkommando und geriet 1945 zunächst in russische, sodann in polnische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1946 entlassen wurde. Auf dem Rücktransport in die Heimat erkrankte er an Fleckfieber und behielt davon ein Ohrenleiden zurück. Er war zunächst im Geschäft seiner Eltern tätig, war in den Jahren 1952 bis 1955 überwiegend arbeitslos und dann Bademeister. Seine Bewerbung um Wiedereinstellung in den Polizeidienst wurde vom Regierungspräsidenten in Münster am 24. Januar 1955 auf Grund einer polizeiärztlichen Untersuchung abgelehnt, weil er wegen seines beschränkten Hörvermögens für den Polizeiexekutivdienst nicht mehr tauglich sei. Der Kläger stellte im Hinblick auf diesen ablehnenden Bescheid im Januar/März 1955 beim Versorgungsamt (VersorgA) Münster wegen seines Ohrenleidens einen Antrag auf Versorgung. Nach einer fachärztlichen Untersuchung und Begutachtung erkannte das VersorgA durch Bescheid vom 18. Mai 1955 "Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" als Schädigungsfolge im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) an; es lehnte die Gewährung einer Rente jedoch ab, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen des Schädigungsleidens 25 v.H. nicht erreiche. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein; er sei durch sein Ohrenleiden beruflich besonders betroffen, so daß ihm eine Rente zustehe. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg; (Bescheid vom 4. November 1955) der Kläger sei beruflich nicht besonders betroffen; es stehe weder fest, daß er einen dem Polizeidienst gleichwertigen Beruf nicht ausüben könne, noch sei die Möglichkeit auszuschließen, daß ihm ein Ruhegeld als Polizeibeamter nach dem Gesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes (GG) gewährt werde. Im übrigen sei auch die Frist des § 56 BVG versäumt, die Voraussetzungen des § 57 BVG lägen nicht vor.

Im Klageverfahren holte das Sozialgericht (SG) Münster ein Gutachten des HNO-Facharztes Dr. Sch (vom 4. Januar 1957) ein, in dem dieser die MdE des Klägers wegen seines Ohrenleidens "auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt" mit 20 v.H., "in einem besonders qualifizierten Beruf" mit 30 v.H. bewertete. Das SG verurteilte daraufhin den Beklagten unter Abänderung der Verwaltungsbescheide, dem Kläger mit Wirkung vom 1. März 1955 an eine Rente nach einer MdE um 30 v.H. zu zahlen. Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen das Urteil des SG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurück. Eine inzwischen bekanntgewordene Entscheidung des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26. August 1957 habe die früheren Beamtenrechte des Klägers anerkannt, dadurch sei eine neue Sachlage entstanden, die Frage der Möglichkeit, eine dem früheren Beruf gleichwertige Beschäftigung auszuüben, sei nicht hinreichend aufgeklärt worden.

In dem erneuten Verfahren vor dem SG hat der Kläger, der inzwischen einen Unterbringungsschein nach dem Gesetz zu Artikel 131 GG erhalten hatte und am 15. November 1957 als Registrator beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe eingestellt worden war, vorgetragen, seine Tätigkeit als Registrator entspreche nicht seinem früheren Beruf, da sein Einkommen aus ihr weit geringer sei; da er auch einen Pensionsausgleich nach dem Gesetz zu Artikel 131 GG nicht erhalte, sei er beruflich besonders betroffen. Demgegenüber hat der Beklagte ein besonderes berufliches Betroffensein verneint; der Kläger würde auch ohne den anerkannten Hörfehler nicht bei der Polizei wieder eingestellt worden sein,

a) weil er seinerzeit nur wegen seiner Beziehungen zu der früheren NSDAP in den Staatsdienst aufgenommen worden sei,

b) weil er 1953 rechtskräftig wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 300,- DM verurteilt worden sei,

c) weil er zwischenzeitlich an einer nicht kriegsbedingten Lungen-Tbc erkrankt sei.

Das SG hat die Klage nunmehr durch Urteil vom 10. Dezember 1958 abgewiesen. Es hat die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG verneint. Der Kläger sei in erster Linie im Hinblick auf die Bestrafung wegen Betrugs nicht wieder bei der Polizei eingestellt worden. Wenn der ablehnende Bescheid vom 24. Januar 1955 davon nichts erwähne, so könne dies darauf zurückzuführen sein, daß man die Gehörschädigung als kürzere und durchschlagendere Begründung angesehen habe. Außerdem sei auch gar nicht feststellbar, ob der Regierungspräsident von der Bestrafung seinerzeit schon etwas gewußt habe.

Das LSG hat im Berufungsverfahren eine Auskunft des Regierungspräsidenten in Münster vom 30. Dezember 1960 beigezogen. Danach ist der Kläger wegen der Schwerhörigkeit polizeidienstunfähig gewesen und ausschließlich aus diesem Grunde nicht wieder eingestellt worden. Damit sei eine Dienstfähigkeit für den Verwaltungsdienst und eine weitere Teilnahme an der Unterbringung jedoch nicht ausgeschlossen worden. Bei der jetzigen Tätigkeit des Klägers beim Landschaftsverband könne von einer gleichwertigen Beschäftigung im Sinne des Gesetzes zu Artikel 131 GG nicht gesprochen werden. Das LSG hat mit Urteil vom 12. Juli 1961 das Urteil des SG vom 10. Dezember 1958 abgeändert und den Beklagten unter Abänderung der Verwaltungsbescheide für verpflichtet erklärt, dem Kläger einen Bescheid des Inhalts zu erteilen, daß für die anerkannten Schädigungsfolgen vom 1. März 1955 an eine Rente nach einer MdE um 30 v.H. gewährt wird. Es hat ausgeführt. Der anerkannte Hörfehler des Klägers bedinge anatomisch zwar nur eine MdE um 20 v.H., der Kläger sei aber durch sein Ohrenleiden in seinem Beruf als Polizeivollzugsbeamter besonders betroffen, das ergebe sich aus dem Bescheid vom 24. Januar 1955 und aus der Auskunft des Regierungspräsidenten in Münster vom 30. Dezember 1960. Trotz des Umweges über das SA-Feldjägerkorps sei der staatliche Polizeidienst der vor der Schädigung ausgeübte Beruf gewesen. Die Beziehungen zur ehemaligen NSDAP könnten ebenfalls keine Rolle spielen. Zwar habe man deswegen die Rechte des Klägers aus der vorzeitigen Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit abgesprochen, nicht aber alle Rechte aus dem Beamtenverhältnis überhaupt; das gehe daraus hervor, daß er als Widerrufsbeamter (ehem. Hauptwachtmeister der Gendarmerie) einen uneingeschränkten Unterbringungsschein nach dem Gesetz zu Artikel 131 GG erhalten habe. Die - nicht schädigungsbedingte - Lungen-Tbc sei bei der für die Ablehnung der Wiedereinstellung ausschlaggebend gewesenen polizeiärztlichen Untersuchung am 19. Januar 1955 noch gar nicht vorhanden gewesen, so daß sie auch beim Ausschluß aus dem alten Beruf keine Rolle gespielt haben könne. Schließlich stehe der Feststellung des beruflichen Betroffenseins des Klägers im Sinne des § 30 BVG auch nicht seine Verurteilung wegen Betrugs im Jahre 1953 entgegen. Dabei könne die Behauptung des Beklagten, diese gerichtliche Bestrafung habe die Wiederverwendung im Polizeidienst ebenfalls ausgeschlossen, als richtig unterstellt werden. Dann hätten der Ausübung des letzten Berufes zwei Gründe entgegengestanden, von denen jeder, sowohl Gehörschädigung als auch gerichtliche Bestrafung, für sich allein ausgereicht hätte, um die Wiederbeschäftigung im Polizeidienst zu verhindern. Seien aber zwei selbständige und jeweils allein durchgreifende Ursachen eines tatbestandsmäßigen Erfolges - hier des beruflichen Betroffenseins - vorhanden, so seien beide als wesentlich anzusehen; der Kausalzusammenhang zwischen dem Gehörschaden des Klägers und seiner Berufsbehinderung müsse daher bejaht werden. Der Antrag des Klägers, ihm vom 1. März 1955 an die Mindestrente zu gewähren, sei deshalb von der Versorgungsbehörde zu Unrecht abgelehnt worden; die Nichtverwendung im früheren Beruf habe nach Lage der Sache erhebliche Nachteile zur Folge gehabt, die auch in der Zukunft weiterbestünden. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses ihm am 11. August 1961 zugestellte Urteil des Berufungsgerichts hat der Beklagte mit einem am 6. September 1961 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt, die er mit dem am 23. September 1961 eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Er rügt die Verletzung der §§ 30 BVG, 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und trägt vor: Die versorgungsrechtliche Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung gelte zwar auch für das berufliche Betroffensein; das LSG habe aber diese Kausalitätsnorm verkannt und nicht richtig angewandt. Denn die beim Kläger bestehende Gehörschädigung sei lediglich der Grund, nicht aber die Ursache für die Ablehnung der Wiedereinstellung in den Polizeidienst gewesen. Bei objektiver Betrachtung wäre der Kläger nämlich auch ohne die Schädigung wegen seiner gerichtlichen Vorstrafe nicht wieder eingestellt worden. Die Schädigungsfolge des Klägers sei für seinen beruflichen Werdegang völlig unerheblich, vielmehr sei das überwiegende Gewicht der fehlenden Unbescholtenheit beizulegen. Im übrigen lasse sich nur nach allgemeinen Erfahrungssätzen des täglichen Lebens bestimmen, welche Bedingung als wesentlich für einen Erfolg anzusehen sei. Wenn dabei das LSG von einem Erfahrungssatz ausgegangen sei, daß bei zwei selbständigen und jeweils allein durchgreifenden Ursachen (Bedingungen) für einen tatbestandsmäßigen Erfolg immer beide als wesentlich angesehen werden müßten, so habe es die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 SGG) überschritten, denn einen solchen Erfahrungssatz gebe es nicht. Ohne diese Überschreitung habe das Berufungsgericht auch der Auskunft des Regierungspräsidenten vom 30. Dezember 1960 nicht entnehmen können, welche Gründe objektiv für die Ablehnung der Wiedereinstellung des Klägers in den Polizeidienst maßgebend gewesen seien. Es hätte seiner Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) entsprechend der Anregung des Beklagten folgen und bei dem Innenminister allgemein die Bedeutung von Vorstrafen für die Einstellung in den Polizeidienst klären müssen. Die Unterstellung, auch die Bestrafung hätte die Wiederverwendung ausgeschlossen, sei jedenfalls nicht ausreichend. Im übrigen sei der Kläger nicht nur wegen des Betruges, sondern auch wegen Beihilfe beim Bezug bezugsbeschränkter Waren (1947) vorbestraft gewesen. Schließlich habe das Berufungsgericht zur Feststellung eines wirtschaftlichen Schadens den Sachverhalt nicht ausreichend festgestellt. Es hätte sich nämlich ergeben, daß der Kläger mit seinem Einkommen aus der Tätigkeit beim Landschaftsverband und als Bademeister nicht schlechter gestellt sei als bei einer Wiederverwendung im Polizeidienst. Darüber hinaus könne die bestehende Schwerhörigkeit den Kläger auch nicht hindern, seinen erlernten Kaufmannsberuf wieder auszuüben. Auch dies habe des LSG bei entsprechender Sachaufklärung feststellen können.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Juli 1961 abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 10. Dezember 1958 zurückzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten; der erkennende Senat hat seinen Antrag, ihm für die Durchführung des Revisionsverfahrens das Armenrecht zu bewilligen und einen Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigten beizuordnen, mit Beschluß vom 30. März 1962 abgelehnt, weil er nicht als arm im Sinne des Gesetzes anzusehen ist.

Der Beklagte hat die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§ 164 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Revision ist somit zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Zwischen den Beteiligten steht die Frage im Streit, ob der Kläger durch die als Schädigungsfolge anerkannte "Innenohrschwerhörigkeit beiderseits", die nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG) seine Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. mindert, beruflich besonders betroffen und deshalb die MdE höher zu bewerten ist.

Nach § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956 ist die - grundsätzlich zunächst nach dem allgemeinen Bewertungsmaßstab festzusetzende - MdE höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweisbar angestrebten Beruf besonders betroffen wird. Diese Vorschrift ist, soweit es sich um den vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder nachweislich angestrebten Beruf handelt, in ihrem Inhalt weder durch das Erste Neuordnungsgesetz zum Kriegsopferrecht vom 27. Juni 1960 noch durch das Zweite Neuordnungsgesetz vom 21. Februar 1964 geändert worden (zum Ersten Neuordnungsgesetz vgl. BSG 15, 208, 211, 212), so daß es im vorliegenden Fall keinen Unterschied macht, ob die streitige Frage auf Grund des § 30 Abs.1 Satz 2 BVG in der Fassung der 5. Novelle zum BVG oder auf Grund des § 30 Abs. 2 BVG in der Fassung des Ersten oder Zweiten Neuordnungsgesetzes geprüft und entschieden wird.

Nach dem Sachverhalt scheiden im Fall des Klägers begonnener und nachweislich angestrebter Beruf aus, es braucht daher nur entschieden zu werden, ob dieser in seinem "vor der Schädigung ausgeübten Beruf" durch die Art der anerkannten Schädigungsfolgen beruflich besonders betroffen ist. Dabei ist unstreitig, daß der Kläger vor der Schädigung den Beruf eines Hauptwachtmeisters der Gendarmerie im Polizeivollzugsdienst ausgeübt hat, daß er diesen Beruf nicht mehr ausübt, und daß er jetzt - auf Grund eines Unterbringungsscheins nach dem Gesetz zu Artikel 131 GG - beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Registrator und daneben als Bademeister tätig ist. Das Berufungsgericht ist, wie der Beklagte selbst einräumt, zutreffend davon ausgegangen, daß die Kausalitätsnorm im Sinne des Versorgungsrechts auch bei der Frage des beruflichen Betroffenseins angewandt werden muß; das ergibt sich zweifelsfrei aus den Worten "durch die Art der Schädigungsfolgen" im § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG aF, § 30 Abs. 2 BVG nF (vgl. BSG 14, 172, 176). Das bedeutet, daß für den "Erfolg des beruflichen Betroffenseins" alle diejenigen Ursachen als rechtserheblich anzusehen sind, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Eintritt dieses Erfolges wesentlich mitgewirkt haben, während sonstige etwaige Glieder der Kausalreihe, die nur rein philosophisch, nicht aber als Ursachen im Rechtssinn in Betracht kommen, auszuscheiden sind. Haben dabei mehrere Umstände zum Erfolg beigetragen, so sind sie rechtlich nebeneinanderstehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind; nur wenn einem der Umstände gegenüber dem - oder den - anderen eine überragende Bedeutung zukommt, ist er allein Ursache im Rechtssinn (BSG 1, 150, 156, 157).

Entgegen der Auffassung der Revision hat das LSG im vorliegenden Fall diese Kausalitätsnorm im Ergebnis richtig angewandt. Dabei kann allerdings zweifelhaft sein, ob das Berufungsgericht als Ursache für die Nichtwiedereinstellung des Klägers in den Polizeidienst überhaupt zwei in ihrer Bedeutung und Tragweite gleichwertige und deshalb rechtlich nebeneinanderstehende Mitursachen - die Gehörschädigung und die Bestrafung wegen Betruges im Jahre 1953 - hätte feststellen müssen. Denn nach dem Sachverhalt und besonders der Auskunft des Regierungspräsidenten in Münster vom 30. Dezember 1960, daß der Kläger ausschließlich wegen der auf seiner Schwerhörigkeit beruhenden Polizeidienstunfähigkeit nicht wieder eingestellt worden sei, bestand für das LSG an sich kein Anlaß, die Gehörschädigung nicht überhaupt als alleinige Ursache für die Ablehnung der Wiedereinstellung anzusehen, zumal auch in der ablehnenden Entscheidung vom 24. Januar 1955 als Grund allein die bei der polizeiärztlichen Untersuchung festgestellte Gehörschädigung angegeben worden war. Dabei läßt die im unmittelbaren Anschluß an die polizeiärztliche Untersuchung ergangene Entscheidung vom 24. Januar 1955 - ebenso wie die Auskunft vom 30. Dezember 1960 - in nichts erkennen, daß dem Regierungspräsidenten im Januar 1955 die Bestrafung des Klägers im Jahre 1953 überhaupt schon bekannt gewesen ist. War dies aber nicht der Fall, so ist der Gehörschaden des Klägers im Sinne der Kausalitätsnorm die einzige wesentliche Bedingung des Erfolgs und damit alleinige Ursache im Rechtssinne für die Nichtwiedereinstellung in den Polizeidienst gewesen. Dieser Kausalitätsablauf könnte auch später nicht deshalb anders beurteilt werden, wenn nachträglich für den gleichen Erfolg noch eine andere, spätere Bedingung mit einem anderen Kausalitätsablauf festgestellt worden wäre oder hätte festgestellt werden können, wenn also im vorliegenden Fall nachträglich festgestellt worden wäre, daß auch die Bestrafung im Jahre 1953 wegen Betrugs - für sich allein - der Wiedereinstellung in den Polizeidienst entgegengestanden hätte. War dagegen bei Erlaß des Ablehnungsbescheides vom 24. Januar 1955 die gerichtliche Bestrafung bereits bekannt und wäre sie, auch ohne Bezugnahme auf sie, ebenso wie der Gehörschaden ein Grund für die Ablehnung des Wiedereinstellungsantrages gewesen, so müßten beide, Gehörschaden und gerichtliche Bestrafung, schon deshalb in ihrer Bedeutung und Tragweite als mindestens gleichwertig für den Eintritt des Erfolges, als rechtserhebliche Mitursachen also, angesehen werden, weil nur die eine von ihnen, die Gehörschädigung, dem Kläger als Ablehnungsgrund bezeichnet worden ist und diese deshalb nicht weniger Gewicht haben kann als eine Ursache, die überhaupt nicht erwähnt worden ist. Nach allem hat das Berufungsgericht zutreffend entschieden, daß das beim Kläger als Schädigungsfolge anerkannte Ohrenleiden Ursache (Mitursache) im Rechtssinn dafür gewesen ist, daß sein Antrag auf Wiedereinstellung in den Polizeidienst abgelehnt worden ist.

Bei dieser Sach- und Rechtslage ist für die Rüge des Beklagten, das LSG habe gegen einen allgemeinen Erfahrungssatz des täglichen Lebens verstoßen, wenn es - auch - die Gehörschädigung des Klägers als wesentliche Bedingung und damit als Ursache im Rechtssinn für den Ausschluß aus dem Polizeivollzugsdienst angesehen habe, kein Raum. Der Beklagte kann ebenfalls mit seinem Vorbringen keinen Erfolg haben, das Berufungsgericht habe der Auskunft des Regierungspräsidenten in Münster vom 30. Dezember 1960 nicht entnehmen können und dürfen, welche Gründe objektiv für die Ablehnung der Wiedereinstellung des Klägers in den Polizeidienst maßgebend gewesen seien. Denn diese Auskunft: "nach dem Ergebnis der am 19. Januar 1955 durchgeführten polizeiärztlichen Untersuchung kam L. auf Grund der festgestellten Schwerhörigkeit für eine Wiedereinstellung in den Polizeidienst grundsätzlich nicht mehr in Betracht; ich habe ihm dies mit Schreiben vom 24. Januar 1955 mitgeteilt; die Polizeidienstunfähigkeit war der ausschließliche Grund für diese Entscheidung" ist klar und unmißverständlich und war deshalb ohne weiteres geeignet, die vom LSG aus ihr gezogenen Schlußfolgerungen zu rechtfertigen. Deshalb bestand kein Anlaß, noch weitere Ermittlungen hierzu anzustellen und eine - von der Revision vermißte - Auskunft des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen über die Bedeutung von Vorstrafen für die Einstellung in den Polizeidienst einzuholen. Im übrigen wird bei dieser Rüge nicht hinreichend beachtet, daß das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung die Richtigkeit der Auffassung des Beklagten, auch die gerichtliche Bestrafung des Klägers im Jahre 1953 habe - für sich allein - dessen Wiederverwendung im Polizeidienst ausgeschlossen, unterstellt hat. Was aber die Bestrafung des Klägers im Jahre 1947 wegen Beihilfe beim Bezug bezugsbeschränkter Waren betrifft, kann diese keine andere Rolle spielen als die Bestrafung im Jahre 1953, ganz abgesehen davon, daß es sich hierbei um eine Bagatellsache gehandelt haben dürfte, die, wie anzunehmen ist, als solche der Wiederverwendung im Polizeidienst nicht ernsthaft entgegengestanden hätte. Schließlich ist auch der Vorwurf nicht gerechtfertigt, das LSG habe seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, weil es außer acht gelassen habe, daß der Regierungspräsident in Münster dem Gericht des ersten Rechtszuges auf Anfrage eine Auskunft über die Beurteilung von gerichtlichen Vorstrafen bei der Einstellung in den Polizeidienst gegeben habe, die möglicherweise die Auskunft vom 30. Dezember 1960 geändert oder ergänzt habe. Denn der Beklagte trägt selbst dazu vor, daß diese Auskunft nach dem ausdrücklichen Willen des Regierungspräsidenten schon im sozialgerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden durfte und zurückgegeben werden mußte. Das aber bedeutet, daß sie weder vom SG noch vom LSG in die Würdigung einbezogen werden konnte, zumal sie dem Kläger als Beteiligtem in keinem Zeitpunkt des Verfahrens bekannt geworden ist. Dieser hätte sich deshalb auch nicht dazu äußern können, so daß das LSG, wenn es sein Urteil auf diese - nicht mehr in den Gerichtsakten befindliche - Auskunft mitgestützt hätte oder hätte mitstützen wollen, gegen § 128 Abs. 2 SGG verstoßen hätte.

Entgegen der Auffassung des Beklagten hat das Berufungsgericht letztlich zutreffend entschieden, daß der Kläger durch die Verweigerung der Wiedereinstellung in den Polizeidienst wegen des als Schädigungsfolge anerkannten Gehörschadens besonders betroffen ist und damit die Voraussetzungen zur Höherbewertung der MdE erfüllt sind. Dabei geht es, entgegen der Auffassung des Beklagten, nicht an, den Kläger auf seinen erlernten, aber schon seit langer Zeit nicht mehr ausgeübten Beruf als Kaufmann zu verweisen; denn der "vor der Schädigung ausgeübte Beruf" des Klägers ist der eines Polizeibeamten und nicht eines Kaufmanns. Deshalb bedurfte es keiner besonderen Ermittlungen und Auseinandersetzungen des Berufungsgerichts zu der von der Revision vorgetragenen Frage, ob und inwieweit der Gehörschaden den Kläger an der Ausübung des Kaufmannsberufes hindere. Im übrigen hat das LSG hierzu auch Stellung genommen und zutreffend ausgeführt, daß schon die Tatsache der langjährigen Arbeitslosigkeit des arbeitswilligen Klägers die Verweisung auf seinen in der Jugend erlernten Kaufmannsberuf nicht zulasse. Schließlich kann die Rüge, das Berufungsgericht sei unter Verstoß gegen zwingende Verfahrensvorschriften zu der Auffassung gelangt, daß ein wirtschaftlicher Schaden des Klägers durch seine Gehörschädigung und die damit verbundene Verweigerung der Wiedereinstellung in den Polizeidienst eingetreten sei, nicht zu einer für den Beklagten günstigeren Entscheidung zu führen. Denn selbst wenn es zutrifft, daß der Kläger durch seine Tätigkeiten als Registrator (im Angestelltenverhältnis) und als Bademeister einkommensmäßig so gestellt ist wie im Falle seiner Wiederverwendung im Polizeidienst, darf nicht übersehen werden, daß er der - im Verhältnis zu der Altersversorgung eines Registrators - günstigeren eines Polizeibeamten auf jeden Fall verlustig gegangen ist, zumal er nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG als früherer Widerrufsbeamter keinen Pensionsanspruch erhält. Darüber hinaus bedeutet die Tätigkeit als Registrator und als Bademeister - im vorgeschrittenen Alter wird er als Bademeister ohnehin nicht mehr tätig sein können - gegenüber der eines Polizeibeamten im Polizeivollzugsdienst ohne Zweifel - selbst bei einem Einkommen in gleicher Höhe - einen sozialen Abstieg im Sinne des § 30 BVG (vgl. dazu ua BSG 10, 69); das hat auch der Regierungspräsident in Münster zum Ausdruck gebracht, wenn er ausgeführt hat, "bei der jetzigen Tätigkeit des L. beim Landschaftsverband könne von einer gleichwertigen Beschäftigung im Sinne des G 131 nicht gesprochen werden".

Das LSG hat somit zu Recht angenommen, daß der Kläger "durch die Art der Schädigungsfolgen" in dem "vor der Schädigung ausgeübten Beruf" im Sinne des § 30 BVG besonders beruflich betroffen ist, und hat deshalb ebenso zu Recht die nach dem allgemeinen Bewertungsmaßstab mit 20 v.H. zu bewertende MdE vom 1. März 1955 an auf 30 v.H. erhöht, so daß dem Kläger von diesem Zeitpunkt an auch eine Rente nach einer MdE um 30 v.H. zusteht. Der Revision des Beklagten war deshalb der Erfolg zu versagen. Sie mußte als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2304638

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