Entscheidungsstichwort (Thema)

Freiwillige Weiterversicherung. Berechtigung

 

Orientierungssatz

Die Ersatzzeiten der Verfolgung können ebensowenig wie die anderen Ersatzzeiten auf die Mindestbeitragszeit von 60 Kalendermonaten angerechnet werden, die nach § 10 Abs 1 AVG (= § 1233 Abs 1 RVO) Voraussetzung für die Berechtigung zur freiwilligen Weiterversicherung ist (vgl BSG 1966-06-28 11 RA 106/65 = BSGE 25, 90).

 

Normenkette

AVG § 28 Abs. 1 Nr. 4; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 4; AVG § 10 Abs. 1; RVO § 1233 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 08.12.1964)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 12.06.1964)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Frankfurt vom 12. Juni 1964 und des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 1964 aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Kosten sind im Rechtsstreit nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um das Recht des Klägers zur Weiterversicherung in der Angestelltenversicherung (AV) und um die Wirksamkeit der freiwilligen Beiträge, die er durch Einkleben von Beitragsmarken in eine am 8. Januar 1957 ausgestellte Versicherungskarte Nr. 1 für die Monate Dezember 1956 bis Februar 1957 und Februar 1960 bis Oktober 1960 entrichtet hat. Die nach § 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) für die Weiterversicherung erforderlichen 60 Pflichtbeiträge kann der Kläger nicht aufweisen; er hat nur 15 Pflichtbeiträge in den Jahren 1933/34 und weitere 35 Pflichtbeiträge zwischen 1957 bis 1960 geleistet. Gleichwohl hält er sich nach § 10 AVG zur Weiterversicherung für befugt, weil bei ihm die Zeit von Dezember 1934 bis Juni 1946 als verfolgungsbedingte Ersatzzeit im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG anerkannt ist.

Die Beklagte hält die Voraussetzungen zur Weiterversicherung nicht für gegeben, sie hat die freiwilligen Beiträge als unwirksam beanstandet (Bescheid vom 25. März und Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1963). Das Sozialgericht (SG) Frankfurt hob ihre Bescheide auf; es verurteilte sie, die freiwilligen Beiträge anzuerkennen und die Weiterversicherung über Oktober 1960 hinaus zuzulassen. Die Berufung der Beklagten wies das Hessische Landessozialgericht (LSG) zurück. Es würdigte die Klage als eine Anfechtungsklage; es hielt sie zwar nicht nach Art. 2 § 5 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) und an sich auch dem Wortlaut des § 10 AVG nach nicht für begründet, wohl aber deshalb, weil aus Gründen der Wiedergutmachung die Verfolgten in der Rentenversicherung wie während der Verfolgungszeit versicherungspflichtig Beschäftigte zu behandeln seien; der Grundsatz der Wiedergutmachung müsse sich nicht nur auf Leistungsansprüche, sondern auch auf das Recht der Weiterversicherung nach § 10 AVG auswirken.

Mit der zugelassenen Revision rügte die Beklagte eine Verletzung des § 10 AVG; sie beantragte,

die Urteile des SG und LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger begehrte die Zurückweisung der Revision.

Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 SGG).

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 - SGG -) und auch begründet.

Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage für zulässig erachtet. In BSG 24, 13 ff hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) zwar entschieden, eine Beanstandung von Beiträgen durch den Versicherungsträger sei kein Verwaltungsakt, weil sie keine Regelung enthalte. Das würde eine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen die Beanstandung ausschließen. Ob der Auffassung des 1. Senats indes zuzustimmen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn bei Unzulässigkeit der Anfechtungsklage wäre die Klage - im ganzen - als Feststellungsklage zu verstehen, nämlich als Klage, mit der die Feststellung der Wirksamkeit der freiwilligen Beiträge und des Rechts zur Weiterversicherung begehrt wird; diese Feststellungsklage wäre nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Klage aber unbegründet. Der Kläger ist zur Entrichtung der freiwilligen Beiträge nicht berechtigt gewesen, er hat sich weder zur Zeit der Entrichtung noch später in der AV weiterversichern dürfen. Daß die Befugnis hierzu sich nicht aus Art. 2 § 5 Abs. 1 AnVNG herleiten ließ und läßt, hat das LSG zutreffend dargelegt und wird nunmehr auch vom Kläger selbst eingeräumt. Das Recht zur Weiterversicherung war und ist aber auch nach § 10 AVG nicht gegeben.

Mit Urteil vom 28. Juni 1966 hat der Senat in einem Parallelfall (11 RA 106/65) entschieden, daß auf die Mindestbeitragszeit von 60 Monaten, die nach § 10 Abs. 1 AVG Voraussetzung für die Weiterversicherung ist, verfolgungsbedingte Ersatzzeiten ebensowenig wie die anderen Ersatzzeiten angerechnet werden können. Der Senat sieht auch bei nochmaliger Prüfung der Rechtslage keinen Anlaß, die Rechtsauffassung aufzugeben, die er im Urteil vom 28. Juni 1966 ausführlich begründet hat. Hinsichtlich der Gründe ist, zumal der Kläger keine weiteren Ausführungen gemacht hat, auf jenes Urteil zu verweisen. Dort ist dargelegt, daß der Gesetzgeber die Verfolgtenzeiten in § 10 AVG nicht den Zeiten mit Pflichtbeiträgen gleichgestellt hat. In gleichem Sinne hat der Senat auch in einem weiteren Urteil vom heutigen Tage (11 RA 340/65) entschieden.

Auf die Revision der Beklagten sind daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, die Klage ist abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2347451

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge