Leitsatz (amtlich)

Der Wohnsitzbegriff in BKGG § 2 Abs 3 ist im Gegensatz zu dem des KGG § 34 nicht der des Steuerrechts, sondern der des bürgerlichen Rechts.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1964-08-17

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. April 1966 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Ehe des Klägers ist durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21. August 1958 rechtskräftig geschieden worden. Aus ihr sind drei Kinder hervorgegangen, und zwar

W T, geb. am 21. Juli 1954,

U T, geb. am 30. Mai 1956 und

E T, geb. am 4. September 1957.

Der Aufenthalt der Mutter der Kinder ist unbekannt. Durch Beschluß des Amtsgerichts in Schorndorf - Vormundschaftsgericht - vom 29. Juli 1960 ist die elterliche Gewalt dem Kläger übertragen worden.

Die Kinder Ursula und Edwin befinden sich seit 1958 bei einer Schwester des Klägers in Österreich. Für den Unterhalt dieser Kinder überweist der Kläger seiner Schwester monatlich 160,- DM, er trägt außerdem noch die Kosten für die Bekleidung.

Nach einer Bescheinigung der Firma B vom 27. Januar 1964 hatte er in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1963 brutto 7.485,92 DM verdient; davon wurden für Sozialversicherungsbeiträge 935,94 DM und für Gewerkschaftsbeiträge 68,- DM in Abzug gebracht.

Durch Bescheid vom 20. Oktober 1964 und Widerspruchsbescheid vom 10. November 1964 lehnte die Außenstelle der Kindergeldkasse in S den Antrag des Klägers auf Kindergeld mit der Begründung ab, die Kinder Ursula und Edwin hätten weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937. Daher könne für sie nach § 2 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) Kindergeld nicht bewilligt werden. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage gegen diese Bescheide durch Urteil vom 8. Februar 1965 abgewiesen.

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte gemäß der Neufassung des § 2 Abs. 3 Satz 5 BKGG (BGBl 1965 I 222) dem Kläger vom 1. April 1965 an Kindergeld für sein zweites und drittes Kind bewilligt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte sodann verurteilt, auch für die Zeit vom 1. Juli 1964 bis zum 31. März 1965 Kindergeld für die Kinder Ursula und Edwin zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, diese Kinder, die sich in Österreich befänden, hätten ihren Wohnsitz bei dem Kläger. Denn das BKGG verweise nicht mehr - wie früher § 34 Abs. 1 des Kindergeldgesetzes (KGG) - auf den Wohnsitzbegriff des Steuerrechts. Vielmehr sei jetzt der Wohnsitzbegriff des Zivilrechts maßgebend. Nach § 8 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) könne aber ein minderjähriges Kind ohne den Willen seines gesetzlichen Vertreters seinen Wohnsitz weder begründen noch aufheben. Auch wenn die beiden Kinder seit 1958 auf Veranlassung des Klägers bei seiner Schwester in Österreich untergebracht seien, so handle es sich hier um keine ständige Niederlassung im Sinne des § 7 BGB, sondern um eine vorläufige Unterbringung, weil der Kläger die Kinder in seinem frauenlosen Haushalt nicht genügend betreuen und versorgen könnte. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt im wesentlichen vor: Auch für § 2 Abs. 3 BKGG müsse der Wohnsitzbegriff des Steuerrechts gelten, selbst wenn diese Vorschrift im Gegensatz zu § 34 Abs. 1 KGG keine Verweisung mehr auf das Steuerrecht enthalte. Denn es sei keine Änderung des Rechtszustandes beabsichtigt gewesen, wie sich aus der amtlichen Begründung ergebe. Da Kinder, für die nach dem Steuerrecht Kinderfreibeträge gewährt würden, nahezu identisch seien mit denen, die Zweitkindergeld erhielten, müsse normalerweise auch der Wohnsitzbegriff der Kinder in beiden Rechtsgebieten der gleiche sein. Dieser Grundsatz des Zweitkindergeldgesetzes sei durch das BKGG für den noch streitigen Zeitraum voll übernommen worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 27. April 1966 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Stuttgart vom 8. Februar 1965 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Während § 34 Abs. 1 KGG hinsichtlich des Wohnsitzes auf das Steuerrecht verweist, so daß hier der Wohnsitzbegriff des Steuerrechts maßgebend ist (vgl. das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 7 RKg 2/65), fehlt eine solche Verweisung in § 2 Abs. 3 Satz 1 BKGG. Die amtliche Begründung zu § 2 Abs. 3 BKGG, der den Wohnsitz der Kinder regelt, besagt nur, daß für Kinder, die in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten, auch nach § 34 Abs. 2 KGG kein Kindergeld gewährt werde; es erscheine auch nicht gerechtfertigt, diese Kinder als erstes oder zweites Kind zu berücksichtigen. Dagegen wird bei § 1 Abs. 2 BKGG in der amtlichen Begründung ausgeführt, daß Personen, die im Geltungsbereich des Gesetzes weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, grundsätzlich kein Kindergeld erhielten und daß das dem geltenden Recht (§ 34 Abs. 1 KGG) entspräche (vgl. hierzu BT-Drucksache IV/818 S. 12 zu § 1 Abs. 2). Es kann dahinstehen, ob eine unterschiedliche Regelung angebracht ist, je nachdem, ob der Anspruchsberechtigte (§ 1 BKGG) oder das zu berücksichtigende Kind (§ 2 Abs. 3 BKGG) im Ausland wohnt. Auch wenn sich der Gesetzgeber nicht bewußt war, daß er durch den Wegfall der Verweisung auf das Steuerrecht eine Änderung des gesetzlichen Zustandes in § 2 Abs. 3 BKGG vorgenommen hat, so hat eine solche tatsächlich stattgefunden. Denn der Wegfall der Verweisung auf das Steuerrecht stellt eine Änderung des Wortlautes dar. Bei der Auslegung ist daher von der neuen Fassung auszugehen, und der etwa entgegenstehende Wille des Gesetzgebers ist nur dann von Bedeutung, wenn er irgendwie im Wortlaut zum Ausdruck gekommen ist. Das ist aber nicht der Fall. Es ist nicht selbstverständlich, wie die Beklagte meint, daß sich auch nach dem BKGG der Wohnsitzbegriff nach dem Steuerrecht richtet. Denn das Kindergeldrecht hat seinem Ziel und Zweck nach grundsätzlich nichts mit dem Steuerrecht zu tun. Nur soweit es sich um die Gewährung des vom Einkommen abhängigen Zweitkindergeldes handelt, wird der Einfachheit halber auf das Steuerrecht verwiesen, damit nicht bei der Einkommenshöhe zwei Prüfungen stattzufinden haben. Das Kindergeld ist eine Sozialleistung, bei ihr gelten, soweit das Gesetz nicht eigene Vorschriften enthält, die allgemeinen Begriffe; das muß auch für den des Wohnsitzes gelten. Da hierfür das Kindergeldrecht nach dem BKGG keine eigenen Vorschriften enthält, sind die allgemeinen Vorschriften, nämlich die des BGB anzuwenden. Hiernach kann ein Geschäftsunfähiger oder in der Geschäftsfähigkeit Beschränkter ohne den Willen seines gesetzlichen Vertreters einen Wohnsitz weder begründen noch aufheben (§ 8 Abs. 1 BGB). Des weiteren teilt nach § 11 BGB ein eheliches Kind den Wohnsitz der Eltern; falls diese nicht denselben Wohnsitz haben, so teilt das Kind den Wohnsitz des Elternteils, der es in seinen persönlichen Angelegenheiten vertritt. Die elterliche Gewalt über die Kinder ist aber im vorliegenden Fall dem Kläger übertragen. Wie das LSG festgestellt hat, hat der Kläger in seiner besonderen Lage keine Möglichkeit, die Kinder zu betreuen; er hat sie deshalb - zunächst als vorübergehende Maßnahme gedacht - bei seiner Schwester in Österreich untergebracht.

Er wollte damit nicht einen eigenen Wohnsitz dieser Kinder in Österreich begründen, sondern den bisherigen Wohnsitz der Kinder beibehalten.

Da also das zweite und dritte Kind des Klägers ihren Wohnsitz bei ihm haben, sind die Voraussetzungen des Kindergeldes für diese beiden Kinder für die Zeit vom 1. Juli 1964 bis zum 31. März 1965 gegeben.

Die Revision der Beklagten muß daher mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

BSGE, 159

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