Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Zusammenhangsbeurteilung. kriegseigentümlicher Gefahrenbereich
Orientierungssatz
Der Tatbestand, an welchen gemäß § 5 Abs 1 Bucht e) BVG der Versorgungsanspruch geknüpft ist, umfaßt eine Ursachenreihe, die sich aus drei Gliedern zusammensetzt: Kriegerischer Vorgang, kriegseigentümlicher Gefahrenbereich, schädigendes Ereignis in nachträglicher Auswirkung eines solchen Gefahrenbereichs. Dabei wird noch gefordert, daß die Gefahren nicht nur in kriegseigentümlicher Weise entstanden, sondern auch nach ihrer Entstehung fortwirkend kriegseigentümlich geblieben sind und bis zum Eintritt des schädigenden Ereignisses in dieser Weise fortbestanden haben (vgl BSG 1957-01-22 10 RV 435/55 = BSGE 4, 232, BSG 1958-05-14 11/9 RV 984/55 = BSGE 7, 183).
Normenkette
BVG § 5 Abs. 1 Buchst. e, § 1 Abs. 2 Buchst. a
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 18.02.1970) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 13.12.1968) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 1970 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin erhält nach ihrem im April 1945 verstorbenen Ehemann, einem Reichsbahnsekretär, die beamtenrechtliche Witwenpension. Im April 1965 beantragte sie die Gewährung von Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen des folgenden unstreitigen Sachverhalts, welcher, durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt und ergänzt worden ist:
Ihr Ehemann habe während des Krieges Dienst bei der Reichsbahn gemacht. Nach dem Angriff auf Dortmund vom 12. März 1945 hätten sie ihre Wohnung verloren und sich erst etwa fünf Tage später eine neue Unterkunft verschafft. Die Dienststelle ihres Ehemannes sei ebenfalls durch den Luftangriff zerstört worden. Er habe in einem Kellerraum gearbeitet, welcher keine normalen festschließenden Türen und Fenster gehabt habe und auf dessen Boden Wasser aus der zerstörten Heizung gestanden habe. Der Raum sei zugig, kalt und naß gewesen. Etwa 5 bis 10 Tage nach dem Luftangriff sei ihr Mann schwer erkrankt. Eine Einweisung ins Krankenhaus sei nicht möglich gewesen, weil diese überfüllt gewesen seien. Medikamente habe die Ärztin nicht verschreiben können. Sie habe von einer kirchlichen Stelle "Treupelsche Tabletten" bekommen. Ihr Mann sei an einer Lungenentzündung gestorben.
Durch Bescheid vom 18. Mai 1966 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil der Tod und das zum Tode führende Leiden keine Folgen einer unmittelbaren Kriegseinwirkung gewesen seien. Zustände, denen alle Bevölkerungskreise für längere Zeit ausgesetzt gewesen seien, wie Mangelzustände hinsichtlich der Ernährung, der Versorgung mit Arzneimitteln oder ungenügende Unterkunft und dadurch bedingte erhöhte Ansteckungsgefahr, fielen nicht unter diesen Begriff. Der Ehemann sei keinen größeren Belastungen ausgesetzt gewesen, als der überwiegende Teil der Bevölkerung. Der Widerspruch blieb ans den gleichen Gründen erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. 11. 1967).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) nach Beweisaufnahme den Beklagten am 13. Dezember 1968 verurteilt, der Klägerin Witwenversorgung zu gewähren. Die Erkrankung und der Tod des Ehemannes seien nach § 5 Abs. 1 Buchst. a) und b) des BVG als unmittelbare Kriegseinwirkung anzusehen. Die Verwaltungsvorschrift, auf welche sich der Beklagte gestützt habe, verstoße gegen aas Gesetz.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt und geltend gemacht, als Anspruchsgrundlage komme allenfalls § 5 Abs. 1 Buchst. e) BVG in Betracht; jedoch seien die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt. Die Versorgung der Bevölkerung mit Sulfonamiden sei zwar Anfang März 1945 angespannt, aber ausreichend gewesen. Apotheken und Krankenhäuser seien nicht alle außer Betrieb gewesen. Es habe sich nicht feststellen lassen, ob und welche Apotheken in Dortmund in den Märztagen 1945 ganz oder teilweise einsatzfähig und mit welchen Medikamenten sie noch versorgt gewesen seien. Das Landessozialgericht (LSG) hat Beweis erhoben durch Einholung einer Auskunft der Deutschen Bundesbahn und eines ärztlichen Gutachtens durch den Chefarzt der inneren Abteilung des M...-Hospitals in D... Dr. W....
Durch Urteil vom 18. Februar 1970 hat das LSG unter Abänderung des Urteils des SG die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Die Voraussetzungen weder des § 5 Abs. 1 Buchst. a) noch b.) BVG seien erfüllt. Für den Anspruch der Klägerin spiele es keine Rolle, daß die Bundesbahn das Ableben ihres Ehemannes auf die Dienstverrichtung im Kellerraum zurückgeführt habe. Dieser Kellerraum habe zwar bis zur Erkrankung des Ehemannes einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich i.S. des § 5 Abs. 1 Buchst. e) BVG dargestellt. Nachträgliche Auswirkungen dieses kriegseigentümlichen Gefahrenbereichs in Form gesundheitsschädigender Verhältnisse am Arbeitsplatz seien aber für die Erkrankung weniger bedeutsam gewesen als das Verhalten des Betroffenen selbst und seien deshalb keine Ursachen im Rechtssinne. Der Ehemann habe erkennen können, daß sich der offenkundige Zustand des Arbeitsraumes auf seine Gesundheit nachteilig auswirken könne und hätte sich dieser Einwirkung rechtzeitig entziehen und nach dem Ausbruch der Erkältung angesichts des gesundheitsschädigenden Zustandes des Dienstraumes, der eine lebensbedrohliche Verschlimmerung nach allgemeiner Lebenserfahrung zur Folge haben konnte, dem Dienst fernbleiben müssen. Erst infolge des Weiterarbeitens aus reiner Pflichterfüllung" habe die Krankheit den ernsten Verlauf genommen. Auf ein Verschulden komme es allerdings nicht an. Die Annäherung des beamtenrechtlichen Dienstverhältnisses an den militärischen oder militärähnlichen Dienst habe jedenfalls das Recht und die Pflicht des Beamten nicht ausgeschlossen, bei einer durch Krankheit bedingten Dienstunfähigkeit dem Dienst fernzubleiben und alles notwendige zu unternehmen, um die Dienstfähigkeit wiederherzustellen und eine Verschlimmerung der Krankheit zu vermeiden. Die Lungenentzündung sei auch nicht etwa wegen einer unzureichenden ärztlichen oder medikamentösen Behandlung, die einer unmittelbaren Kriegseinwirkung zuzurechnen wäre, tödlich verlaufen.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 1970 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13. Dezember 1968 zurückzuweisen.
Sie rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 5 Abs. 1 BVG. Die vom LSG festgestellten nachträglichen Auswirkungen des kriegseigentümlichen Gefahrenbereichs seien zumindest eine gleichwertige Mitursache der zum Tode führenden Erkrankung ihres Ehemannes gewesen. Außerdem rügt die Klägerin eine unzureichende Sachaufklärung und eine Verletzung des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG habe nicht hinreichend aufgeklärt, ob der Tod nach Infektion auch dann eingetreten wäre, wenn der Ehemann den ungesunden Arbeitsplatz nach den ersten Krankheitszeichen gemieden hätte, und ob die Erkrankung durch Tatbestände des § 5 Abs. 1 Buchst. e) BVG zumindest richtunggebend verschlimmert worden sei.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung im Ergebnis für zutreffend. Für den Zustand der Diensträume sei die Bahnbehörde verantwortlich gewesen. Zwischen ihm und der zum Tode führenden Erkrankung habe nur ein mittelbarer Zusammenhang bestanden.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Klägerin hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Ihr zulässiges Rechtsmittel kann keinen Erfolg haben.
Nach § 38 Abs. 1 BVG hätte die Klägerin dann einen Anspruch auf Witwenrente, wenn ihr Ehemann an den Folgen einer Schädigung gestorben wäre. Als Schädigung im Sinne des § 1 BVG kommt eine solche durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 1 Abs. 2 Buchst. a BVG) in Betracht. Zu Recht hat das LSG entschieden, daß die Tatbestände des § 5 Abs. 1 Buchst. a) und b) BVG hier nicht erfüllt sind, und hat geprüft, ob der streitige Anspruch auf § 5 Abs. 1 Buchst. e) BVG ("nachträgliche Auswirkungen kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben") gestützt werden kann. Es hat dies verneint, weil im Rechtssinne die überragende Bedingung und damit die Ursache für die zum Tode führende Erkrankung nicht dieser kriegseigentümliche Gefahrenbereich, sondern das eigene Verhalten des Beschädigten gewesen sei. Hiergegen sind - insbesondere auch zu medizinischen Fragen - Revisionsrügen erhoben. Ob sie durchgreifen, kann dahinstehen, weil die Entscheidung des Rechtsstreits hierdurch nicht berührt wird.
Das LSG hat den durch Bombeneinwirkungen stark beschädigten Keller des Dienstgebäudes der Reichsbahn, in welchem der Ehemann der Klägerin seinen Dienst verrichtet hat, als einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. e) BVG angesehen. Es kann dahinstehen, ob die tatsächlichen Feststellungen zu dieser rechtlichen Würdigung swingen; der Senat ist jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht nach der Sachlage davon ausgegangen, daß das Dienstgebäude einschließlich des Kellers während des Krieges durch kriegerische Einwirkungen beschädigt worden ist und daß auch infolge der kriegerischen Verhältnisse nach dem Luftangriff vom 12. März 1945 bis zur Erkrankung des Ehemannes keine Möglichkeit bestanden hat, die Bauschäden fachgerecht zu beseitigen (BSG 4, 230 ff). Damit aber ist der Tatbestand des § 3 Abs. 1 Buchst. e) BVG noch nicht erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (BSG 4, 232; 7, 183 ff 184) umfaßt der Tatbestand, an welchen gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. e) BVG der Versorgungsanspruch geknüpft ist, eine Ursachenreihe, die sich aus drei Gliedern zusammensetzt: Kriegerischer Vorgang, kriegseigentümlicher Gefahrenbereich, schädigendes Ereignis in nachträglicher Auswirkung eines solchen Gefahrenbereichs. Dabei wird noch gefordert, daß die Gefahren nicht nur in kriegseigentümlicher Weise entstanden, sondern auch nach ihrer Entstehung fortwirkend kriegseigentümlich geblieben sind und bis zum Eintritt des schädigenden Ereignisses in dieser Weise fortbestanden haben. Wie bereits in der soeben angeführten Entscheidung BSG 7, 183 ff ausgeführt ist (S. 185), stellt ein Gebäude, das durch Kriegsereignisse beschädigt oder zerstört worden ist, ebensowenig einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich dar wie ein Gebäude, dessen Mauerwerk durch Witterungseinflüsse brüchig geworden ist. "Die Möglichkeit, daß ein solches Gebäude einstürzt oder daß sich aus ihm einzelne Teile lösen, ergibt sich aus seiner Schadhaftigkeit; die Gefahr, die von ihm ausgeht, ist deshalb den allgemeinen Gefahrenquellen, denen das Leben auch ohne Kriegseinwirkungen ausgesetzt ist, zuzurechnen. Eine Gebäuderuine, die durch kriegerische Vorgänge entstanden ist, bildet danach wegen ihrer Einsturzgefahr allein noch keinen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. e) BVG; sie kann aber bis zu dem Zeitpunkt einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich darstellen, bis zu dem es infolge kriegseigentümlicher Umstände nicht möglich gewesen ist, den Gefahrenzustand zu beseitigen oder eine Schädigung durch ihn zu verhüten (BSG 4 S. 230, [233])."
Im vorliegenden Falle ist der Ehemann der Klägerin nicht durch eine der für eine Gebäuderuine typischen Gefahren zu Schaden gekommen. Er ist in dem gleichfalls beschädigten Keller des Dienstgebäudes weder durch Einsturz der Kellerdecke oder von anderen Gebäudeteilen oder infolge eines Sturzes durch den Kellerfußboden oder in anderer Weise durch unmittelbare Auswirkungen des Bombenschadens, wie etwa Verletzung an scharfkantigen Trümmern oder Sturz über ein infolge der Bombardierung entstandenes Hindernis, verletzt worden. Der Schaden ist vielmehr dadurch entstanden, daß der beschädigte Kellerraum zur Verrichtung von Dienstgeschäften benutzt worden ist. Die Gefahren, welche durch ungeeignete Diensträume für Beamte entstehen werden aber nicht durch das kriegerische Geschehen, sondern durch die Anordnungen und Maßnahmen der Behörde verursacht. Auch wenn man mit dem Beklagten unterstellt, daß damals für die Dienststelle, in welcher der Ehemann der Klägerin tätig war, keine anderweitige bessere Unterbringungsmöglichkeit bestanden haben sollte, so gehörte es doch zum Aufgabenbereich der zuständigen Reichsbahndienststelle, den Arbeitsraum im Keller wenigstens notdürftig so auszustatten, daß Kälte- und Nässeeinwirkungen auf ein den damaligen allgemeinen Kriegsverhältnissen entsprechendes Maß zurückgeführt wurden. Unabhängig hiervon bleibt die Ursache für die Erkrankung und den Tod des Ehemannes der Klägerin nicht die unmittelbar aus der Gebäuderuine drohende Gefahr, sondern die Benutzung dieser Ruine, die Tatsache, daß er seinen Dienst in dem beschädigten Keller weiter verrichten mußte. Demgemäß hat die Bundesbahn die Erkrankung als eine im Reichsbahndienst zugezogene anerkannt und beamtenrechtlich für die Versorgung der Witwe die entsprechenden Schlüsse daraus gezogen. Der durch Kriegseinwirkungen beschädigte Keller ist demgegenüber für die Erkrankung allenfalls von mittelbarem ursächlichem Einfluß gewesen; sie beruhte daher nicht auf einer unmittelbaren Kriegseinwirkung, wie sie § 1 Abs. 2 Buchst. a) BVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Buchst. e) BVG voraussetzt.
Die übrigen Feststellungen des LSG, daß eine unzureichende ärztliche oder medikamentöse Behandlung als Folge unmittelbarer Kriegseinwirkungen nicht festgestellt werden kann, sind von der Revision nicht substantiiert angegriffen. Sie begegnen unter Würdigung des in tatsächlicher Hinsicht nicht angegriffenen Sachverhalts auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Da es sonach schon an einer unmittelbaren Kriegseinwirkung fehlt, brauchte nicht mehr geprüft und abgewogen zu werden, ob und inwieweit außer der hier vorliegenden allenfalls nur mittelbaren Kriegseinwirkung noch andere Ursachen (wie z.B. Pneumococcen-Infektion oder eigenes Verhalten des Ehemannes) als wesentliche Bedingung für die Erkrankung und den Tod des Ehemannes der Klägerin in Betracht kommen.
Nach alledem ist das Urteil des LSG im Ergebnis nicht zu beanstanden; die Revision war daher - wie geschehen - als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1 124 Abs. 2 SGG erfüllt waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Fundstellen