Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein zeitlich unbegrenzter Anspruch geltend gemacht, enthält aber der Bescheid der Versorgungsbehörde eine zeitliche Begrenzung, so betrifft die Berufung nicht allein schon deswegen Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume. Die Berufung ist deshalb in solchen Fällen nicht nach SGG § 148 Nr 2 - letzte Alternative - ausgeschlossen.

2. Ein infolge Auflösung der 2. Ehe erworbener Unterhaltsanspruch ist auch dann (als fiktives Einkommen) auf die wiederaufgelebte Witwenrente nach BVG § 44 Abs 5 anzurechnen, wenn die Witwe den Unterhaltsanspruch nachträglich gem. EheG § 66 verwirkt (Anschluß an BSG 1971-05-26 12/11 RA 28/70 = SozR Nr 31 zu § 1291 RVO).

 

Normenkette

BVG § 44 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27, Abs. 5 Fassung: 1960-06-27; EheG § 66 Fassung: 1946-02-20; SGG § 148 Nr. 2 Alt. 2 Fassung: 1958-06-25

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 12. März 1970 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welcher Höhe die Klägerin eine wiederaufgelebte Witwenrente nach § 44 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in der Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) beanspruchen kann.

Die Klägerin, die in erster Ehe mit dem seit 1945 vermißten Arzt Dr. W H verheiratet war und nach dem 2. Weltkrieg Hinterbliebenenversorgung erhielt, heiratete nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) 1955 den Rechtsanwalt H R (R.). Diese zweite Ehe wurde im April 1958 aus dem Verschulden des Ehemannes geschieden. Nach einem am 17. April 1958 geschlossenen Unterhaltsvergleich hatte R. der Klägerin ab 1. Mai 1958 monatlich im ersten Jahr nach der Scheidung 450,-DM, im zweiten Jahr danach 250,-DM und vom dritten Jahr ab 100,-DM zu zahlen. Gegen die Vollstreckung aus diesem Vergleich erhob R. im Dezember 1958 Vollstreckungsgegenklage, mit der er vor dem Landgericht (LG) Hamburg zunächst Erfolg hatte; das Gericht hielt den Unterhaltsanspruch der Klägerin wegen einer schweren Verfehlung gegen ihren geschiedenen Ehemann nach § 66 des Ehegesetzes (EheG) vom 20.2.1946 ab 1. März 1959 für verwirkt. In dem von der Klägerin betriebenen Berufungsverfahren schlossen die Parteien jedoch am 9. Februar 1960 einen weiteren Vergleich, nach welchem der geschiedene Ehemann der Klägerin bis zum 30. April 1960 rückständigen Unterhalt in Höhe von 5500,- DM und ab 1. Mai 1960 monatlich 120,- DM zu zahlen hatte. Dieser Verpflichtung kam R. bis April 1962 auch nach, für die Zeit ab 1. Mai 1962 erwirkte er jedoch auf Grund einer erneuten Vollstreckungsgegenklage die rechtskräftige gerichtliche Feststellung, daß die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich vom 9. Februar 1960 unzulässig sei. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg sah den Unterhaltsanspruch der Klägerin im Urteil vom 18. Oktober 1966 nach § 66 EheG als verwirkt an, weil sie R. bei der Anwaltskammer in einer Weise angegriffen habe, die darauf schließen lasse, daß sie ihren geschiedenen Ehemann in seiner beruflichen und wirtschaftlichen Existenz vernichten wolle.

Der erstmals im November 1958 gestellte Antrag der Klägerin, ihr erneut Witwenrente aus der Versorgung ihres ersten Ehemannes zu gewähren, blieb erfolglos (Bescheid des Versorgungsamtes H vom 28. Mai 1959; Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes H vom 24. August 1960). Daraufhin teilte die Klägerin dem Landesversorgungsamt durch Schreiben vom 25. September 1960 mit, sie beabsichtige die ablehnenden Bescheide nicht gerichtlich anzufechten, bitte jedoch um erneute Überprüfung ihrer Ansprüche nach dem 1. NOG. Diesen Antrag lehnte die Hamburger Versorgungsverwaltung durch Bescheid vom 18. November 1963, der keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, und Widerspruchsbescheid vom 27. August 1964 mit der Begründung ab, auf die wiederaufgelebte Witwenrente sei ein (fiktiver) Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann von monatlich mindestens 250,-DM anzurechnen, weil die Unterhaltsvereinbarung in einem Mißverhältnis zu den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des R. stehe. Der Verfügungssatz des Widerspruchsbescheides enthält den ausdrücklichen Hinweis, daß die Entscheidung nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 1963 gelte.

Die dagegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Bremen verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab 1. Juni 1960 Witwenrente nach dem BVG in gesetzlicher Höhe zu gewähren (Urt. v. 19.2.1969).

Das LSG Bremen wies die Berufung der Beklagten zurück (Urt. v. 12.3.1970): Es hat die Berufung als zulässig angesehen, weil von dem Ausgang des Rechtsstreits die Gewährung einer Witwenrente an die Klägerin abhänge. In der Sache selbst sei die Berufung jedoch nicht begründet. Zwar seien die Unterhaltsansprüche aus der neuen Ehe nach § 44 Abs. 5 BVG in der Fassung des 1. NOG (aF) auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen, so daß für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 30. April 1962 die tatsächlich erbrachten Leistungen des geschiedenen Ehemannes von monatlich 120,- DM in Abzug zu bringen seien. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe die Klägerin aber gesetzlich keinen höheren Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann gehabt, so daß sie in dem von ihr geschlossenen Unterhaltsvergleich vom 17. April 1958 nicht etwa teilweise auf Unterhalt verzichtet habe. Der Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflicht des schuldig geschiedenen Ehemannes richte sich sowohl nach dessen Unterhaltsfähigkeit als auch nach der Unterhaltsbedürftigkeit seiner früheren Ehefrau. Die Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin nach der Scheidung sei jedoch nicht hoch zu veranschlagen, weil sie - damals erst 38 Jahre alt - eine zumutbare Erwerbstätigkeit hätte ausüben können. Den beiden Kindern gegenüber sei R. als Stiefvater nicht unterhaltspflichtig gewesen. Es könne daher nicht festgestellt werden, daß die Klägerin durch die Unterhaltsvereinbarungen weniger erhalten habe als ihr von Gesetzeswegen zugestanden habe. Ob der Klägerin zu einem späteren Zeitpunkt nach Abschluß des Unterhaltsvergleichs vom 17. April 1958 unter anderem wegen Krankheit ein höherer Unterhaltsanspruch als der von 100,-DM auf monatlich 120,-DM erhöhte Betrag zugestanden habe, könne ebenfalls mit der für die Urteilsfindung notwendigen Gewißheit nicht festgestellt werden, zumal insoweit eine gerichtliche Abänderungsklage als offensichtlich aussichtslos habe erscheinen müssen. Schließlich könne es der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen, daß ihr Unterhaltsanspruch für die Zeit ab 1. Mai 1962 verwirkt sei. Die Verwirkung von Unterhaltsansprüchen nach § 66 EheG sei nur für das Verhältnis zwischen den geschiedenen Ehegatten bedeutsam; sie könne nicht mit dem "freiwilligen" oder auch nur nachlässigen Verzicht auf Ansprüche verglichen werden. Andernfalls hätte der Gesetzgeber das im BVG ausdrücklich anordnen müssen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 44 Abs. 2 und 5 BVG sowie der §§ 103 und 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie meint, das LSG habe bei Beurteilung der Rechtslage ausschließlich von dem Unterhaltsvergleich vom 9. Februar 1960 ausgehen und prüfen müssen, ob der darin enthaltene Unterhaltsanspruch von 120,-DM zu niedrig festgesetzt worden sei. Die hierzu getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts reichten für die Beantwortung dieser Frage nicht aus. Wenn das LSG die Frage dennoch bejaht habe, so handele es sich dabei um eine Annahme, für deren Richtigkeit in den Entscheidungsgründen keine Einzelheiten angeführt worden seien. Solche seien auch nicht aufgeklärt, insbesondere sei nicht ermittelt worden, welche Unterhalts- und sonstige Verpflichtungen R. gehabt habe. Durch diese Verfahrensweise habe das LSG gegen §§ 103 und 128 SGG verstoßen. Außerdem habe das LSG unter Verstoß gegen § 128 Abs. 1 SGG die Grundsätze der objektiven Beweislast verkannt, wenn es mangels notwendiger Gewißheit von keinem höheren Unterhaltsanspruch der Klägerin als dem vereinbarten Betrag von 120,-DM ausgegangen sei. Die Feststellung der Versorgungsverwaltung, der Klägerin habe in der Zeit vom 1. Juni 1960 bis 30. April 1962 monatlich mindestens 250,-DM an Unterhalt zugestanden, sei jedenfalls bisher nicht widerlegt worden. Für die Zeit ab 1. Mai 1962 habe das LSG die Folgen der Verwirkung verkannt, wenn es insoweit Unterhaltsansprüche überhaupt nicht mehr berücksichtigt habe. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes seien verwirkte Unterhaltsforderungen als fiktive Ansprüche auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen, wenn die Witwe - wie hier - den ihr zustehenden Anspruch auf Unterhaltsleistungen schuldhaft verloren habe. Die Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG sei nur eine subsidiäre Leistung, die insoweit gezahlt werden solle, als der aus der zweiten Ehe erworbene Unterhaltsanspruch hinter der - ohne die neue Ehe - zustehenden Versorgung zurückbleibe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Revisionsbegründungsschrift Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

II

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und zulässig (§§ 162 Abs. 1 Ziff. 1, 164, 166 SGG); sie ist auch in dem Sinne begründet, daß unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Zunächst ist das LSG im Ergebnis zutreffend von der Zulässigkeit der Berufung ausgegangen. Dies ergibt sich allerdings entgegen der Auffassung des LSG nicht bereits aus dem Umstand, daß der Rechtsstreit unter anderem die Voraussetzungen für die Gewährung einer wiederaufgelebten Witwenrente nach § 44 BVG schlechthin betrifft. Soweit im Recht der Kriegsopferversorgung mit der Berufung ein Anspruch auf Versorgung lediglich für bereits abgelaufene Zeiträume geltend gemacht wird, ist dieses Rechtsmittel nach § 148 Nr. 2 SGG grundsätzlich ausgeschlossen. Es kommt in diesen Fällen daher nicht darauf an, ob der Klaganspruch - unabhängig von dem Zeitraum, für den er geltend gemacht und vom SG entschieden wird - an sich unstreitig ist oder nicht. Entscheidend ist vielmehr allein der mit der Berufung verfolgte Beschwerdegegenstand (vgl. BSG SozR Nr. 28 zu § 148 SGG; Urt. v. 25.7.1967 - 9 RV 248/65 -). Nun betreffen zwar die mit der Anfechtungsklage angefochtenen Bescheide der Beklagten den geltend gemachten Witwenrentenanspruch nur für einen abgelaufenen Zeitraum; denn der Verfügungssatz des Widerspruchsbescheides vom 27. August 1964 stellt ausdrücklich klar, daß die Verwaltung über den Rentenantrag nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 1963 - d.h. lediglich für die Geltungsdauer des 1. NOG - entschieden hat. Gleichwohl hat die Berufung die Gewährung von Versorgung für einen zur Zeit der Berufungseinlegung noch nicht abgelaufenen Zeitraum zum Gegenstand. Die mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG verbundene Leistungsklage war nämlich auf die Gewährung von Witwenrente für die Zeit ab 1. Juni 1960 schlechthin gerichtet, und das SG hat die Beklagte dementsprechend ab diesem Zeitpunkt zur zeitlich unbegrenzten Leistungsgewährung verurteilt. Wenngleich bei diesem Urteilsausspruch unbeachtet geblieben ist, daß eine Entscheidung der Verwaltung über die Rente für die Zeit ab 1. Januar 1964 noch nicht vorlag, so hatte doch die Klägerin in ihrem Klageantrag den geltend gemachten Anspruch nicht zeitlich befristet. Der Beklagte könnte aber einen zeitlich unbefristeten Anspruch nicht durch einseitige zeitliche Begrenzung seines Bescheides schon zu einem Anspruch für bereits abgelaufene Zeiträume machen und dem Versorgungsberechtigten damit den Weg in die Berufung versperren. Unabhängig hiervon genügt es aber bereits für die hier von der Beklagten eingelegten Berufung, daß das SG die Beklagte auch für die Zukunft zur Leistung verurteilt hat. Denn für die Frage, ob die Berufung Leistungen für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft oder nicht, kommt es entscheidend auf den Gegenstand des Urteilsspruchs des SG an (vgl. BSG SozR Nr. 4 zu § 146 SGG); dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Urteilsgründe des SG nichts Gegenteiliges besagen. Nach alledem war somit die Berufung der Beklagten gegen die unbegrenzt ausgesprochene Verurteilung zur Zahlung von Witwenrente zulässig.

In der Sache selbst hat das LSG zutreffend den Witwenrentenanspruch nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 1963 beurteilt, da die Beklagte für die Zeit danach keine weiteren Verwaltungsakte erlassen hat. Entgegen der Auffassung der Revision waren daher nur die Vorschriften des 1. NOG (aF), nicht auch die des 2. und 3. NOG zu beachten. Nach § 44 Abs. 2 BVG aF lebt der Anspruch auf Witwenrente wieder auf, wenn die neue Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil nach dem Urteil des LG Hamburg vom 18. April 1958 die zweite Ehe der Klägerin wegen Verschuldens des Ehemannes geschieden worden ist. An den Schuldausspruch des Scheidungsurteils sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich gebunden (BSG 30, 220, 222 mit weiteren Nachweisen). Auf die somit wiederaufgelebte Witwenrente sind die durch Auflösung der neuen Ehe gegen den geschiedenen Ehemann erworbenen und geltend zu machenden Unterhaltsansprüche anzurechnen (§ 44 Abs. 5 BVG aF). Diese Anrechnungsvorschrift, die bereits in § 44 Abs. 7 BVG idF vor dem 1. NOG enthalten war und daher auf die Unterhaltsregelungen der geschiedenen Ehepartner vom 17. April 1958 und 9. Februar 1960 anwendbar ist (vgl. dazu BSG 18, 263, 264 sowie SozR Nr. 11 zu § 44 BVG), charakterisiert die wiederaufgelebte Witwenrente als eine subsidiäre Leistung. Durch sie soll der ehemals versorgungsberechtigten Witwe nach Scheidung der zweiten Ehe die gleiche Versorgung garantiert werden, die ihr früher einmal zugestanden hat. Diese "Mindestversorgung" soll jedoch in erster Linie aus den Ansprüchen, die sich aus der zweiten Ehe herleiten, bestritten werden; erst wenn die Versorgung hieraus hinter der nach der ersten Ehe zurückbleibt, soll die wiederaufgelebte Witwenrente hilfsweise die entstandene Versorgungslücke füllen (vgl. BSG 21, 279 ff (281); 25, 262, 264; SozR Nr. 11 zu § 44 BVG). Dem Sinngehalt des § 44 Abs. 5 BVG aF würde es daher widersprechen, wenn die Witwe auf Unterhalt aus der 2. Ehe verzichtet und damit eigenmächtig eine Versorgungslücke schafft, wodurch die vom Gesetzgeber vorgesehene "Rangfolge" der für ihre Versorgung heranzuziehenden Ansprüche in ihr Gegenteil verkehrt würde (vgl. SozR Nr. 11 zu § 44 BVG). Auch im Falle des Verzichts ist daher ein fiktiver Unterhaltsanspruch aus der neuen Ehe auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen, was auch in der Verwaltungsvorschrift Nr. 6 zu § 44 BVG aF zum Ausdruck kommt. Die Berücksichtigung gesetzlich zustehender Unterhaltsansprüche auf die wiederaufgelebte Witwenrente findet allerdings dort ihre Grenze, wo derartige Ansprüche von der Witwe nicht verwirklicht werden können (BSG 18, 264; 22, 78 ff; 27, 171; SozR Nr. 12 zu § 1291 RVO). Wenn dargetan ist, daß der Unterhaltsanspruch etwa durch Klage und unter Ausnutzung der gegebenen Vollstreckungsmöglichkeiten geltend gemacht worden ist, daß aber dennoch keine - oder keine höheren - Unterhaltsleistungen zu erlangen waren, ist für die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsbetrags kein Raum.

Ob die Klägerin in der Zeit vom 1. Juni 1960 bis 30. April 1962, in welcher sie monatlich vergleichsweise 120,-DM von ihrem geschiedenen Ehemann erhalten hat, teilweise auf Unterhalt verzichtete, ist hier streitig. Während das LSG für diese Zeit den im Unterhaltsvergleich festgesetzten Betrag als angemessenen Unterhalt angesehen hat, schätzt die Beklagte ihn auf monatlich 250,-DM, wodurch ein Rentenanspruch entfallen würde. Der Revision ist zuzugeben, daß die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht für die Beantwortung der entscheidungserheblichen Frage ausreichen, ob und inwieweit die Klägerin auf Unterhalt nach § 58 Abs. 1 EheG - teilweise - verzichtet hat.

Nach dieser Vorschrift hat der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Mann seiner geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Maßstab für den Unterhaltsanspruch ist danach die Unterhaltsfähigkeit des Mannes einerseits und die Unterhaltsbedürftigkeit der Frau andererseits (BSG 26, 293, 294; 27, 172). Bei der Unterhaltsbedürftigkeit der Ehefrau kommt es nicht nur auf die tatsächlich erzielten Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit an, sondern erheblich sind auch hypothetische Einkünfte, welche die geschiedene Frau durch eine ihr mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit erzielen könnte. § 58 Abs. 1 EheG bezweckt, der geschiedenen Frau einen Anspruch auf den angemessenen Unterhalt nach den Grundsätzen der Billigkeit und Zumutbarkeit nur insoweit zu geben, als sie außerstande ist, sich selbst aus den Einkünften ihres Vermögens oder aus den Erträgnissen einer ihr möglichen und zumutbaren Erwerbstätigkeit zu unterhalten (vgl. BSG 26, 297 (298)). Der Anspruch auf angemessenen Unterhalt mindert sich daher um den Betrag, den die Frau selbst verdient oder zu verdienen unterläßt.

Das LSG hat nun eine über die im Vergleich vom 17. April 1958 getroffene Regelung hinausgehende Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der Scheidung verneint, weil sie zwar damals keine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, eine solche jedoch mit Rücksicht auf ihr Alter und das ihrer Kinder aus erster Ehe sowie im Hinblick auf ihre guten Sprachkenntnisse alsbald habe aufnehmen können. Ganz abgesehen davon, daß diese Feststellungen keinerlei konkrete Angaben über die tatsächlichen oder mutmaßlichen Verdienstmöglichkeiten der Klägerin und die Höhe des nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten zu bestimmenden angemessenen Unterhalts enthalten, beziehen sich diese Erwägungen des LSG auf die Unterhaltsverhältnisse der geschiedenen Ehepartner zur Zeit des ersten Unterhaltsvergleichs vom 17. April 1958. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an; vielmehr sind hier die Unterhaltsverhältnisse für die Zeit ab 1. Juni 1960, als nur noch der Unterhaltsvergleich vom 9. Februar 1960 galt, maßgebend. Das LSG räumt hierzu selbst ein, daß die Klägerin wegen veränderter Verhältnisse die vorgesehene Weiterbildung u.a. infolge Krankheit nicht habe durchführen können und deshalb zu dieser Zeit möglicherweise in höherem Maße unterhaltsbedürftig gewesen sei, weshalb der Unterhaltsbetrag von monatlich 100,-DM auf 120,-DM erhöht worden sei. Diese Erhöhung ist aber so geringfügig, daß die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß der nunmehrige Unterhaltsbetrag von 120,-DM bei einer Würdigung der Unterhaltsfähigkeit des Mannes einerseits und der Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin andererseits als zu niedrig angesehen werden muß. Erhebliche Zweifel erscheinen insoweit auch deshalb begründet, weil der Klägerin im ersten Unterhaltsvergleich von 1958 für das erste Jahr, während des ihr nur eine Halbtagsbeschäftigung möglich sein sollte, ein Monatsbetrag von 450,-DM zugebilligt worden ist (vgl. S. 2/3 des LSG-Urteils). Diese Zweifel sind nicht dadurch beseitigt worden, daß das LSG "mit der für die Urteilsfindung notwendigen Gewißheit" nicht feststellen zu können glaubte, daß der Klägerin mehr als 120,-DM monatlich an angemessenem Unterhalt zustanden. Vielmehr bedarf es hierzu, wie die Revision mit Recht gerügt hat, näherer Ermittlungen und Feststellungen, die der Senat als Revisionsgericht nicht selbst nachholen kann. Deshalb mußte das angefochtene Urteil bereits aus diesen Gründen aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden.

Bei der weiteren Aufklärung des Sachverhalts wird das LSG die vom BSG (vgl. SozR Nr. 16 und 58 zu § 1265 RVO) entwickelten Beurteilungsmaßstäbe für die Höhe des angemessenen Unterhalts der geschiedenen Ehefrau verwerten können. Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, daß die Klägerin im Februar 1960 tatsächlich keine Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit bezogen hat und solche in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten waren, so wäre zu klären, warum eine solche Berufstätigkeit unterblieben und weshalb diesem Umstand bei Abschluß des Unterhaltsvergleichs nicht Rechnung getragen worden ist. Unabhängig hiervon mußte ermittelt werden, aus welchen Erwägungen heraus sich die geschiedenen Ehepartner damals auf einen monatlichen Unterhalt der Klägerin von 120,-DM geeinigt haben. Sollte sich jedoch ergeben, daß für die Klägerin bei der damaligen Prozeßlage aus Gründen, die noch näherer Aufklärung bedürfen, ein höherer Unterhaltsanspruch nicht zu verwirklichen war, so könnte allerdings in dem Vergleich vom 9. Februar 1960 kein Teilverzicht gesehen werden, so daß dann die Anrechnung eines höheren Betrags (etwa 250,-DM monatlich) bereits aus diesem Grunde entfiele.

Für die Zeit ab 1. Mai 1962 bis 31. Dezember 1963, in der die Klägerin wegen Verwirkung ihres vergleichsweise festgestellten Unterhaltsanspruchs keine Leistungen von ihrem geschiedenen Ehemann mehr bezogen hat, gilt hinsichtlich der Höhe des fiktiven Unterhaltsanspruchs, nichts anderes als für die Zeit davor. Dem LSG kann nicht gefolgt werden, wenn es der Verwirkung von Unterhaltsansprüchen eine andere rechtliche Bedeutung zugemessen hat als dem Verzicht auf solche Forderungen. Das BSG hat bereits in einem Urteil vom 26. Mai 1971 - 12/11 RA 28/70 - zu der mit § 44 Abs. 5 BVG aF vergleichbaren Vorschrift des § 68 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz des Angestelltenversicherungsgesetzes = § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz der Reichsversicherungsordnung entschieden, daß die Anrechnung eines infolge Auflösung der zweiten Ehe erworbenen neuen Unterhaltsanspruchs auf die wiederaufgelebte Witwenrente dann nicht entfällt, wenn die Witwe den Unterhaltsanspruch nachträglich nach § 66 EheG verwirkt. In der Entscheidung ist darauf hingewiesen, daß das Wiederaufleben der Witwenrente entscheidend vom Verhalten der Witwe abhängig sei. So dürfe die zweite Ehe nicht infolge erheblichen Verschuldens der Witwe aufgelöst worden sein, und ein Verzicht auf Unterhalt gegen den geschiedenen Ehegatten stehe einer Anrechnung des an sich gegebenen und zu verwirklichenden Unterhaltsanspruchs auf die Witwenrente nicht entgegen. Auch die Verwirkung von Unterhaltsansprüchen sei auf ein - schuldhaftes - Handeln der Witwe zurückzuführen; das rechtfertige in beiden Fällen, daß die Witwe die dadurch bedingte Verschlechterung ihrer Unterhaltslage selbst zu tragen habe. Die Verwirkung von Unterhaltsleistungen dürfe jedenfalls wegen der Subsidiarität des wiederaufgelebten Witwenrentenanspruchs nicht zu einer entsprechenden Erhöhung des Rentenzahlbetrages führen. Diese für den Bereich der Rentenversicherung aufgestellten Grundsätze, denen der Senat zustimmt, sind in gleicher Weise auf § 44 Abs. 5 BVG aF anzuwenden, weil nur dadurch der Charakter der wieder aufgelebten Witwenrente als einer nachrangigen und bei einem Verschulden der Witwe von vornherein ausgeschlossenen Leistung gewahrt bleibt. Das aber bedeutet im vorliegenden Fall, daß für die Zeit von Mai 1962 bis Dezember 1963 auf die wiederaufgelebte Witwenrente der Klägerin mindestens das an Unterhalt aus der zweiten Ehe in Anrechnung zu bringen ist, was sie nach dem Unterhaltsvergleich vom 9. Februar 1960 bis April 1962 bezogen hat, nämlich wenigstens 120,-DM monatlich. Ob der verwirkte Unterhaltsanspruch in Wirklichkeit höher war, weil der Vergleich vom 9. Februar 1960 möglicherweise einen Teilverzicht enthält, wird für die Zeit ab Mai 1962 vom LSG unter Beachtung der oben genannten Anhaltspunkte in gleicher Weise wie für die Zeit davor zu klären sein.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669529

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