Leitsatz (amtlich)

Macht der Sozialhilfeträger einen auf sich übergeleiteten Anspruch eines Versorgungsberechtigten geltend, so hat er die prozessuale Rechtsstellung, welche dem Versorgungsberechtigten bei einem Leistungsstreit zugestanden hätte. Bei einem Erstattungsstreit ist deshalb die Berufung trotz Überschreitung des Beschwerdewerts von 500 DM (SGG § 149) ausgeschlossen, wenn der Übergeleitete Anspruch nur Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum betrifft - SGG § 148 Nr 2 - (Anschluß an BSG 1967-04-27 4 RJ 295/66 = SozR Nr 18 zu SGG § 146, BSG 1967-08-23 3 RK 43/67 = SozR Nr 19 zu SGG § 146 und BSG 1967-10-31 3 RK 56/66 = SozR Nr 20 zu SGG § 146).

 

Normenkette

SGG § 148 Nr. 2 Fassung: 1958-06-25, § 149 Fassung: 1958-06-25

 

Tenor

Die Revision des Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Juli 1970 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 29. Juli 1969 als unzulässig verworfen wird.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Versorgungsberechtigte K R (R.) war in der Zeit vom 9. Juni 1961 bis 22. Dezember 1963 durch Gerichtsbeschluß wegen einer Schizophrenie im Nervenkrankenhaus B untergebracht. Die stationären Krankenhauskosten in Höhe von 11552,26 DM übernahm zunächst der Kläger nach Art. 10 Abs. 1 des Bayerischen Gesetzes über die Verwahrung geisteskranker, geistesschwacher, rauschgift- oder alkoholsüchtiger Personen (Verwahrungsgesetz) vom 30. April 1952 (BayBS I S. 435). Durch schriftliche Anzeigen vom 20. Juni 1961 bzw. 3. August 1961 leitete der Kläger etwaige Ansprüche der R. nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gegenüber dem Beklagten auf sich über (§ 21a der Fürsorgepflichtverordnung bzw. § 90 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG -). Der Beklagte lehnte eine Kostenerstattung ab, weil Frau R. in der streitigen Zeit pflege- und nicht behandlungsbedürftig gewesen sei und daher keinen Anspruch auf Krankenbehandlung nach dem BVG gehabt habe.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Bayreuth hat den Beklagten zur Kostenerstattung in Höhe der nach dem BVG für die streitige Zeit zu gewährenden Krankenbehandlung verurteilt (Urteil vom 29. Juli 1969). Es hat die Berufung nicht ausdrücklich zugelassen, sondern in der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung ausgeführt, das Rechtsmittel könne nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegt werden. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 16. Juli 1970). Es hat die Zulässigkeit der Berufung bejaht, weil Gegenstand des Verfahrens eine Erstattungsstreitigkeit zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts sei und der Beschwerdewert den nach § 149 SGG vorgesehenen Mindestbetrag von 500,- DM übersteige.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Beklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts sowie des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG rügt.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das LSG durfte nicht in der Sache selbst entscheiden, weil die Berufung des Beklagten nicht zulässig war.

Nach § 148 Nr. 2 SGG ist in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung die Berufung nicht zulässig, wenn sie nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor. Der mit der Klage verfolgte Anspruch des Klägers nach § 90 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) vom 30. Juni 1961 - BGBl I S. 815 - ist versorgungsrechtlicher Art. Das gleiche gilt für den Anspruch, soweit er auf die davor geltende Vorschrift des § 21 a der Fürsorgepflichtverordnung vom 13. Februar 1924 (RGBl. I, 100) gestützt ist. Mit beiden Vorschriften werden die Rechte geltend gemacht, welche die Versorgungsberechtigte R. gegenüber dem Beklagten gehabt hätte, wäre nicht der Kläger als vorläufiger Kostenträger eingesprungen. Nach der Behauptung des Klägers hätte Frau R. aber ohne seine Hilfeleistung in der streitigen Zeit gegen den Beklagten einen Anspruch auf Kranken- bzw. Krankenhausbehandlung (§§ 10 Abs. 3 c, 12 Abs. 2 BVG idF des 1. NOG - aF -) und damit einen Anspruch auf Versorgung (§ 9 Nr. 1 BVG aF) gehabt. Durch die nach den genannten fürsorgerechtlichen Vorschriften mögliche Überleitung der Ansprüche des Hilfeempfängers gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger tritt der Träger der Sozialhilfe in die Gläubigerstellung ein, die der von ihm unterstützte Hilfeempfänger innehatte. Diese Gläubigerstellung betrifft aber nicht nur den übergeleiteten materiellen Anspruch des Hilfeempfängers selbst, sondern auch dessen Durchsetzbarkeit, d.h. die mit ihm verbundenen prozessualen Möglichkeiten. In diesem Sinne hat das Bundessozialgericht - BSG - (vgl. BSG SozR Nr. 18 zu § 146 SGG) bereits zu der mit § 90 Abs.1 BSHG vergleichbaren Vorschrift des § 71 a BVG idF vor dem 1. NOG entschieden. Diese Rechtsprechung ist in weiteren Entscheidungen fortentwickelt worden (vgl. BSG SozR Nr. 19 und 20 zu § 146 SGG; Urteile vom 25.5.1971 - 4 RJ 449/68). In der Entscheidung vom 25. Mai 1971 hat der 4. Senat des BSG die prozessuale Stellung eines Erstattungsgläubigers nicht nur bei gesetzlichen oder kraft Überleitung bewirkten Forderungsübergängen in gleicher Weise beurteilt, wie sie der leistungsberechtigte Versicherte innegehabt hätte, sondern er hat auch bei dem besonderen Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die gleiche Rechtslage angenommen. Trotz des besonders geregelten Ersatzanspruches mache der Träger der Sozialhilfe in Wahrheit den Rentenanspruch des von ihm unterstützten Versicherten geltend, und dieser Umstand rechtfertige es, daß er im Rahmen der Rechtsmittelausschlußvorschriften der §§ 144 bis 148 SGG genauso behandelt werde, wie der Versicherte. Es kann dahingestellt bleiben, ob der letztgenannten - zu der Ersatzvorschrift des § 1531 RVO ergangenen - Rechtsprechung zu folgen ist. Jedenfalls erscheint es dem erkennenden Senat in Fällen der vorliegenden Art, in denen ein Hoheitsträger lediglich einen auf sich übergeleiteten Anspruch eines Leistungsberechtigten gegen einen anderen Hoheitsträger klageweisegeltend macht, folgerichtig und geboten, dem Fürsorgeträger in prozessualer Hinsicht keine bessere Rechtsstellung einzuräumen, als sie dem eigentlichen Anspruchsberechtigten im Streitfalle zugestanden hätte. Der gegenteiligen, im Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit von Peters/Sautter/Wolff, 4. Aufl., Anm. 1 zu § 149 SGG vertretenen Auffassung (vgl. S. III/51) kann allenfalls für die Fälle zugestimmt werden, in denen Ersatz- oder Erstattungsansprüche aus eigenem Recht (vgl. z.B. die §§ 19, 20 BVG oder § 59 Abs. 2 Satz 2 BSHG) geltend gemacht werden. Somit wäre im vorliegenden Fall die Berufung nach § 148 Nr. 2 SGG ausgeschlossen. Der Kläger verfolgt den übergeleiteten Anspruch der Versorgungsberechtigten R. auf Krankenhausbehandlung für die Jahre 1961 bis 1963 und damit für einen z.Zt. der Berufungseinlegung im November 1969 bereits abgelaufenen Zeitraum. Die Berufung wäre in diesem Fall, da vom Beklagten im Berufungsverfahren keine Verfahrensmängel gerügt worden sind (§ 150 Ziff. 2 SGG), nur kraft besonderer Zulassung durch das SG nach § 150 Nr. 1 SGG statthaft gewesen. Eine solche ist jedoch nicht erfolgt. Die in der Rechtsmittelbelehrung zum Ausdruck gelangte irrige Vorstellung des SG, die Berufung sei nach § 143 SGG zulässig, ändert daran nichts. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung bewirkt keine Anfechtungsmöglichkeit nach ihrem unrichtigen Inhalt (vgl. BSG SozR Nr. 10 und 41 zu § 150 SGG).

An der Beurteilung dieser Rechtslage ändert auch die Vorschrift des § 149 SGG nichts, worauf das LSG seine abweichende Ansicht über die Zulässigkeit der Berufung gestützt hat. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung bei Ersatz- und Erstattungsstreitigkeiten zwischen Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht zulässig, wenn der Beschwerdewert 500,- DM nicht übersteigt. Diese Bestimmung schließt nach ihrem Wortlaut die Berufung zunächst allgemein dann aus, wenn ein bestimmter Beschwerdewert nicht erreicht ist. Sie besagt aber nichts darüber, wie zu verfahren ist, wenn dieser Wert - wie hier - höher liegt als 500,- DM. In derartigen Fällen sind - jedenfalls bei übergeleiteten oder abgetretenen Ansprüchen - die übrigen Zulässigkeitsvorschriften der §§ 144 ff SGG zu beachten (vgl. BSG SozR Nr. 18 zu § 146 SGG sowie Urteil vom 25.5.1971 - 4 RJ 449/68 -). Ob man soweit gehen kann, die Fälle übergeleiteter Ansprüche gar nicht als Ersatz- und Erstattungsstreitigkeiten i.S. des § 149 SGG anzusehen (vgl. dazu auch BSG in SozR Nr. 19 und 20 zu § 146 SGG), kann dahinstehen, weil auch bei einer solchen Annahme hier kein anderes Ergebnis erzielt würde. Da nach alledem trotz eines Beschwerdewertes von mehr als 500,- DM die Berufung ausgeschlossen ist (§ 148 Ziff. 2 SGG), ist das Rechtsmittel nicht statthaft. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Berufungsausschlußbestimmungen, nach denen bei der Geltendmachung von Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume grundsätzlich keine weitere Tatsacheninstanz in Anspruch genommen werden kann. In besonders gelagerten Fällen besteht die Möglichkeit der Zulassung der Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG.

Da die Berufung des Beklagten somit unzulässig war, konnte seine Revision im Ergebnis keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669086

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