Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen für Weiterversicherte und Beratungs- und Auskunftspflicht des Krankenversicherungsträgers

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Verpflichtung der Ersatzkasse, ihren Mitgliedern über die Gestaltung ihres Versicherungsverhältnisses Hinweise oder Ratschläge zu erteilen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Begehrt ein Versicherter eine Auskunft, so hat sie der Versicherungsträger richtig, unmißverständlich und vollständig zu erteilen.

Grundsätzlich ist der Versicherungsträger jedoch ohne konkreten Anlaß, dh ohne einen vorangegangenen Antrag oder eine an ihn gerichtete Anfrage, zu Belehrungen und Ratschlägen nicht verpflichtet.

Eine Pflicht der Ersatzkasse, ein Mitglied im Einzelfall unaufgefordert zu beraten, besteht jedenfalls dann nicht, wenn die Gestaltung des Versicherungsverhältnisses nicht offensichtlich unvernünftig ist und sich mit den wohlverstandenen Interessen des Mitgliedes in Einklang bringen läßt.

Halten Ehegatten ihre selbständige Weiterversicherung bei einer Ersatzkasse aufrecht, so besteht für diesen Versicherungsträger grundsätzlich kein Anlaß, von sich aus auf die Möglichkeit einer Änderung hinzuweisen.

Eine weiterversicherte Ehefrau kann die Erstattung ihrer freiwilligen Krankenversicherungsbeiträge nicht deshalb verlangen, weil die KK (Ersatzkasse) verpflichtet gewesen wäre, sie davon zu verständigen, daß sie auf Grund der Versicherung ihres Ehemannes als Familienversicherte Ansprüche auf Leistungen gehabt hätte.

 

Normenkette

BGB § 242 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin begehrt die Rückzahlung der von ihr für die Monate Januar 1963 bis Januar 1967 an die Beklagte entrichteten Beiträge. Wie ihr Ehemann war sie seit Jahren weiterversichertes Mitglied der Beklagten (ohne Krankengeldberechtigung). Nach der Geburt eines Kindes versicherte sich der Ehemann der Klägerin im Juli 1962 in einer "F-Klasse", um Anspruch auf Familienhilfe zu haben. Ende Januar 1967 erklärte die Klägerin ihren Austritt. Gleichzeitig forderte sie die nach ihrer Ansicht unnötig bezahlten Prämien der vergangenen Jahre zurück; es sei Sache der Beklagten, ihre Mitglieder auf offensichtlich unrichtige Zahlungen aufmerksam zu machen.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab (Bescheid vom 5. April 1967). Widerspruch, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 1967; Urteil des Sozialgerichts München vom 12. Dezember 1967; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 24. Juni 1970). Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden sei - so hat das LSG ausgeführt - nicht auf eine Pflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen. Diese müsse zwar nach dem Grundsatz von Treu und Glauben die Versicherten über ihre Rechte und Pflichten aufklären. Hierzu genüge aber, daß die Versicherungsbedingungen ausgehändigt würden oder zur Einsicht in den Geschäftsstellen auflägen. Aus § 20 der Versicherungsbedingungen hätte die Klägerin entnehmen können, daß von der Familienhilfe in erster Linie der unterhaltsberechtigte Ehegatte erfaßt werde, aber wie alle Angehörigen nur dann, wenn er nicht selbst einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege habe. Sie hätte deshalb ihre eigene Versicherung nur zu kündigen brauchen, wenn sie durch ihren Ehemann hätte mitversichert sein wollen. Bei Zweifeln über die Rechtslage hätte sie sich durch eine Rückfrage bei der Beklagten Aufklärung verschaffen können. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, von sich aus die Klägerin darauf aufmerksam zu machen, daß sie bei Beendigung ihrer Mitgliedschaft familienversichert sei. Ihr sei nicht bekannt gewesen, ob die Klägerin ihrem Ehemann gegenüber unterhaltsberechtigt gewesen sei; auch habe sie keinen Anhaltspunkt dafür gehabt, daß die Klägerin ihre eigene Versicherung habe aufgeben wollen. Mangels einer entsprechenden Äußerung habe die Beklagte einen solchen Willen nicht schon deshalb annehmen können, weil mitversicherten Familienangehörigen ohne eigene Beitragspflicht in vielen Fällen die gleichen Versicherungsleistungen gewährt würden, die den Versicherten zuständen; denn eine Krankenkasse könne ohne Kenntnis der persönlichen Überlegungen und der sachlichen Verhältnisse, die bei den Versicherten jeweils verschieden seien und wechselten, nicht einfach unterstellen, daß ein Mitglied aus der Versicherung, die es gewählt habe, austreten wolle.

Mit ihrer Revision trägt die Klägerin vor, das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Beklagte ihrer aus dem Schuldverhältnis erwachsenen konkreten Hinweis- und Aufklärungspflicht mit der Aushändigung der Versicherungsbedingungen genügt habe. Wäre dies richtig, so würde gerade der ungeschulte Versicherte benachteiligt, dem ein Sachbearbeiter mit genauer Kenntnis der Versicherungsbedingungen gegenüberstehe. Die Beklagte sei auch ohne Anfrage zur Auskunft verpflichtet gewesen. Da ein Versicherter häufig deshalb nicht anfrage, weil er die spezifischen Probleme des Falles nicht erkenne, müsse der Versicherungsträger eine Anregung geben, damit der Versicherte entsprechend dem engen Dauerschuldverhältnis betreut werde. Bei dem gegebenen Sachverhalt hätte die Beklagte fragen müssen, ob sie, die Klägerin, ihrem Ehemann gegenüber unterhaltsberechtigt sei und dennoch ihre eigene Versicherung aufrechterhalten wolle. Die Beklagte habe im übrigen ihre Einkommensverhältnisse regelmäßig überprüft und zur Beitragsbemessung verwandt. Zudem seien ihre und ihres Kindes Unterlagen in der Zweigstelle S nebeneinander geführt und mehrmals gleichzeitig Krankenscheine für beide ausgestellt worden. Das Versicherungsverhältnis sei völlig unwirtschaftlich gestaltet gewesen. Die Beklagte hätte sie durch einen naheliegenden und mühelosen Hinweis vor Schaden bewahren müssen. Dieser bemesse sich nach den eigenen Versicherungsbeiträgen, die nach dem Entstehen der Hinweispflicht der Beklagten und einer gewissen Kündigungsfrist aufgewandt worden seien.

Die Klägerin beantragt,

die angefochtenen Urteile und die Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die seit dem 1. Januar 1963 entrichteten Beiträge zurückzuerstatten,

hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und verweist ergänzend darauf, daß der Klägerin aus ihrer eigenen Weiterversicherung gegenüber einer Familienhilfe aus der Versicherung ihres Ehemannes eine höhere Leistung bei Mutterschaft zugestanden hätte.

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Rückerstattung der Beiträge hat, die sie seit Januar 1963 an die Beklagte entrichtet hat.

Unabhängig davon, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Schaden entstanden ist, könnte der erhobene Anspruch - wie auch immer er angesichts des Fehlens gesetzlicher Vorschriften oder anderer Bestimmungen in das Rechtssystem eingeordnet werden müßte (vgl. dazu BSG in SozR Nr. 2 zu § 1407 Reichsversicherungsordnung - RVO -; BSG 32, 60 ff) - nur dann bestehen, wenn die Beklagte die ihr aus dem Versicherungsverhältnis erwachsene Treue- und Sorgfaltspflicht verletzt hätte (s. das in diesem Rechtsstreit ergangene Urteil vom 18. November 1969 - SozR Nr. 46 zu § 51 SGG). Eine solche Pflichtverletzung ist jedoch nicht zu erkennen.

Von vornherein scheidet das Unterlassen einer allgemeinen Aufklärung, wie sie etwa den Trägern der Rentenversicherung nach § 1324 Satz 1 RVO obliegt, als Anspruchsgrundlage aus. Die Klägerin selbst macht nicht geltend, daß die Allgemeininformation der Beklagten unzureichend gewesen sei.

Bei der auf den Einzelfall bezogenen, individuellen Unterrichtung des Betroffenen ist zwischen der erbetenen und der spontanen Betreuung zu unterscheiden. Begehrt ein Versicherter eine Auskunft, so hat sie der Versicherungsträger richtig, unmißverständlich und vollständig zu erteilen. Anderenfalls haftet er für einen aus seinem Fehlverhalten entstehenden Schaden.

Auch dieser Tatbestand ist nicht erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch festgestellt, daß die Klägerin die Beklagte vor ihrem Austritt um Auskunft, Belehrung, Rat oder Empfehlung angegangen habe. Die Klägerin ist vielmehr der Meinung, die Beklagte hätte sie von sich aus auf die Möglichkeit einer anderen Gestaltung der Versicherungsverhältnisse aufmerksam machen müssen. Darin vermag ihr der Senat nicht zu folgen.

Wohl ist der Versicherungsträger zur verständnisvollen Förderung der Versicherten verpflichtet; aus dem Versicherungsverhältnis heraus erwächst den Beteiligten eine Reihe von Nebenpflichten, so den Versicherten die Obliegenheit der Mitwirkung, Mitteilung und Anzeige, dem Versicherungsträger die Pflicht zur Auskunft, zur Fürsorge und zur Erhaltung der Rechte des Versicherten (BSG in SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO; vgl. auch Jakumeit/Wilde in SGb 1971, 375 mit weiteren Hinweisen auf Schrifttum und Rechtsprechung). Jedoch sind der Treue- und Sorgfaltspflicht des Versicherungsträgers Grenzen gesetzt. Sie erklären sich daraus, daß der Bürger des sozialen Rechtsstaats mündig und in der Regel bei seiner Lebensgestaltung nicht auf den lenkenden Rat öffentlicher Stellen angewiesen ist. Die Betreuungspflicht des Versicherungsträgers und die Mitwirkungspflicht des Versicherten stehen jedenfalls heute in einer deutlichen Wechselbeziehung zueinander. Grundsätzlich ist deshalb der Versicherungsträger ohne konkreten Anlaß, d.h. ohne einen vorausgegangenen Antrag oder eine an ihn gerichtete Anfrage, zu Belehrungen und Ratschlägen nicht verpflichtet (vgl. hierzu ebenfalls BSG in SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO). Die Aufgabe einer spontanen Betreuung ist auch nicht mit den Verhältnissen der sonst gut funktionierenden modernen Massenverwaltung vereinbar. Die Versicherungsträger wären überfordert, wenn sie in die individuellen Gegebenheiten und rechtlichen Zusammenhänge der Lebenssituation ihrer Mitglieder einzudringen verpflichtet wären, um von sich aus einen nützlichen Hinweis geben zu können.

Selbst wenn man aber dezentralisierte und verhältnismäßig kleine Geschäftsstellen der Versicherungsträger, häufigen Kontakt des Versicherten mit dem örtlichen Sachbearbeiter und sogar dessen genaue Kenntnis der persönlichen Verhältnisse des Versicherten und seiner Familie einschließlich der Einkommenshöhen und der Unterhaltsberechtigungen unterstellen würde, könnte eine Hinweispflicht des Versicherungsträgers nur unter bestimmten weiteren Voraussetzungen anerkannt werden. Mit Recht ist ein Träger der Rentenversicherung - im Rahmen seiner zusätzlichen Aufgabe, den Versicherten verständnisvoll zu fördern - als verpflichtet angesehen worden, aus Anlaß eines Rentenfeststellungsverfahrens den Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die klar zutage liegen und deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig erscheint, daß sie jeder verständige Versicherte mutmaßlich nutzen würde (vgl. BSG in SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO). So einfach ist die Beurteilung einer Sach- und Rechtslage in der Regel aber nicht; für den vorliegenden Streitfall wird dies noch näher ausgeführt. Den Nutzen eines Hinweises - und damit eine Hinweispflicht - schon dann anzunehmen, wenn lediglich der Anstoß zu komplizierten Überlegungen der Betroffenen gegeben werden könnte, geht nach der Auffassung des Senats zu weit.

Eine Pflicht der Ersatzkasse, ein Mitglied im Einzelfall unaufgefordert zu beraten, besteht jedenfalls dann nicht, wenn die Gestaltung des Versicherungsverhältnisses nicht offensichtlich unvernünftig ist und sich mit den wohlverstandenen Interessen des Mitglieds in Einklang bringen läßt. Hierbei ist von der Rechtskunde des geschulten, auf das Wohl des Mitglieds bedachten Sachbearbeiters auszugehen. Dieser kennt die Versicherungsbedingungen genau und ist in der Lage, die Interessen des Betroffenen unter Berücksichtigung der vorhandenen Möglichkeiten gegeneinander abzuwägen, ohne den - bei einem Laien nicht seltenen - einseitigen und vorschnellen Schlußfolgerungen zu verfallen. Darauf, ob er einen mehr oder weniger guten Einblick in die persönlichen Verhältnisse des Mitglieds hat, wird es allerdings in der Regel nicht ankommen. Es muß genügen, wenn das Versicherungsverhältnis bei einer allgemeinen Betrachtung als vernünftig angelegt erscheint. Halten Ehegatten ihre selbständigen Weiterversicherungen bei einer Ersatzkasse aufrecht, so besteht für diesen Versicherungsträger grundsätzlich kein Anlaß, von sich aus auf die Möglichkeit einer Änderung hinzuweisen. Die Eingliederung eines Ehegatten in den bereits bestehenden Familienhilfeanspruch des anderen Ehegatten bringt zwar den - auf den ersten Blick bedeutsam erscheinenden - Vorteil einer Beitragsersparnis. Auf der anderen Seite kann sich der Verlust des Status eines selbständig Versicherten sehr nachteilig auswirken. Die Beklagte hat mit Recht auf die höheren Leistungsansprüche einer weiterversicherten Frau im Falle der Mutterschaft hingewiesen. Darüber hinaus kann die Aufgabe des Weiterversicherungsrechts durch Austritt leicht zum völligen Verlust aller Rechte und Anwartschaften aus der sozialen Krankenversicherung führen. Familienhilfeansprüche für einen Ehegatten entfallen von selbst, wenn der andere versicherte Ehegatte nicht mehr unterhaltspflichtig ist. Solche Änderungen können, etwa bei Krankheit des versicherten Ehegatten, überraschend eintreten. Um der Ersatzkasse erneut beitreten zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Von diesen mag die Aufnahme eines der Krankenversicherungspflicht unterliegenden Beschäftigungsverhältnisses - als Angehöriger eines Personenkreises, auf den sich die Satzung erstreckt - gerade für eine Ehefrau, die längere Zeit nicht berufstätig war, nur schwer möglich sein oder ganz außerhalb ihrer Möglichkeiten, Fähigkeiten, Absichten und Pläne liegen. Eine Anknüpfung an das Versicherungsverhältnis des Ehemanns in Gestalt einer hierauf gestützten Weiterversicherung ist abgesehen vom Tod des versicherten Ehegatten (§ 4 Abs. 3 der 12./15. AufbauVO) nur begrenzt nach Satzungsrecht möglich. Überdies erfordert die Entscheidung eines Ehegatten über die Fortführung oder Aufhebung einer eigenen Weiterversicherung Überlegungen, die die Intimsphäre des ehelichen Verhältnisses betreffen. Würde der Sachbearbeiter einer Ersatzkasse ungefragt Hinweise oder Empfehlungen geben, so wäre dies als unangemessene Einmischung zu werten, zumal die internen Auswirkungen solcher Hinweise oder Empfehlungen auch nicht annähernd voraussehbar sind.

Da die Beklagte somit - unter Berücksichtigung jeder Sachlage - nicht erkennbar ihre Treue- und Sorgfaltspflicht gegenüber der Klägerin verletzt hat, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

NJW 1972, 1344

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