Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachentrichtung von Beiträgen
Orientierungssatz
Wer die besonderen Voraussetzungen des AVG § 10 Abs 1a (= RVO § 1233 Abs 1a) im Zeitpunkt der Stellung des Nachentrichtungsantrages nicht erfüllt hat, ist zur Nachentrichtung von Beiträgen gemäß AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 (= ArVNG Art 2 § 51a Abs 2) nicht berechtigt.
Normenkette
AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; AVG § 10 Abs 1a Fassung: 1972-10-16; RVO § 1233 Abs 1a Fassung: 1972-10-16; AVG § 6 Abs 1 Nr 4 Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen wirksamen Antrag zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) stellen konnte.
Der Kläger beabsichtigt, für die Zeit von Januar 1956 bis einschließlich Oktober 1972, in der er als selbständiger Architekt erwerbstätig war, Beiträge nachzuentrichten. Zur Zeit der Antragstellung (Oktober 1975) war der Kläger auf Dauer als Sachbearbeiter bei dem Erzbistum Köln angestellt und ihm war Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung und auf Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Regelungen zugesichert worden. Er war deshalb versicherungsfrei (§ 6 Abs 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-).
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG mit der Begründung ab, er sei zur Nachentrichtung nicht berechtigt, weil er nicht zu den nach § 10 AVG Versicherungsberechtigten gehöre. Bei Personen, die - wie der Kläger - nach § 6 AVG versicherungsfrei seien, setze die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung voraus, daß diese für 60 Monate Beiträge entrichtet hätten (§ 10 Abs 1a AVG).
Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1976; Urteil des Sozialgerichts -SG- Köln vom 10. März 1977).
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das angefochtene Urteil und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis 31. Oktober 1972 zu gestatten (Urteil vom 30. November 1977).
Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, es genüge für die Berechtigung zur Nachentrichtung von Beiträgen aufgrund des Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG, daß im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Regelung (19. Oktober 1972) eine Nachentrichtungsberechtigung bestanden habe. Dies sei hier der Fall, denn der Kläger sei in der Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes zunächst nach § 10 Abs 1 AVG zur freiwilligen Versicherung berechtigt gewesen.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, daß die Voraussetzungen des Nachentrichtungsrechts im Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt sein müßten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit der Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 3 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet, weil der Kläger die besonderen Voraussetzungen des § 10 Abs 1a AVG, die ihrerseits Voraussetzung für die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG sind, im Zeitpunkt der Stellung des Nachentrichtungsantrages nicht erfüllt hat.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung zu den in § 10 Abs 1a AVG genannten Personengruppen gehörte. Er war zum damaligen Zeitpunkt nach § 6 Abs 1 Ziff 4 AVG versicherungsfrei. Diese Personen sind nur dann zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, wenn sie für 60 Kalendermonate Beiträge entrichtet haben. Das war bei dem Kläger nicht der Fall.
Die somit fehlende Versicherungsberechtigung nach § 10 AVG hat zur Folge, daß der Kläger nicht nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG zur Nachentrichtung von Beiträgen berechtigt ist. Dies ergibt sich ohne weiteres aus dem Wortlaut der Vorschrift.
Hieran ändert sich auch nichts dadurch, daß der Kläger in der Zeit zwischen dem Inkrafttreten des Art 2 § 49a AnVNG (19. Oktober 1972) und der Anstellung als Sachbearbeiter mit Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung (1. Juli 1973) zur freiwilligen Versicherung nach § 10 Abs 1 AVG und auch zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG berechtigt gewesen wäre.
Der erkennende Senat hat bereits in dem Urteil vom 23. Februar 1977 - 12/11 RA 88/75 (DAngVers 1977, 297) entschieden, daß für die Nachentrichtungsberechtigung der Status des Antragstellers im Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich ist. Allerdings ist mit diesem Urteil noch nicht entschieden worden, ob Personen, bei denen die in § 10 Abs 1a AVG normierten Beschränkungen einer freiwilligen Versicherung zu Beginn der Antragsfrist noch nicht vorgelegen haben, jedoch bis zum Tage der Antragstellung eingetreten sind, zur Beitragsnachentrichtung nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 10 Abs 1a AVG berechtigt sind. Der Senat hat aber in einem späteren Urteil unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Rentenreformgesetzes -RRG- (Nachentrichtungsmöglichkeiten für vordem unzureichend gesicherte Personengruppen, deren Versicherungsberechtigung erst mit dem RRG begründet worden ist, vgl BVerfG SozR 5750 Art 2 § 51a ArVNG Nr 19), auch diese Frage bejaht (Urteil vom 23. November 1979 - 12 RK 29/78 -). Der Gesetzgeber hat die Erfüllung der Voraussetzungen für die Ausübung des Nachentrichtungsrechts nicht an einen bestimmten Zeitpunkt geknüpft, sondern einen mehrjährigen Zeitraum festgelegt. Deshalb genügt es, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Entstehung des Nachentrichtungsrechts erst im Laufe der Antragsfrist erfüllt werden. Zu diesen Voraussetzungen gehört auch die Stellung eines Nachentrichtungsantrages; denn erst damit entsteht das Nachentrichtungsrecht, sofern dessen Voraussetzungen im übrigen erfüllt sind (BSGE 45, 247). Diese müssen deshalb, wenn das Nachentrichtungsrecht mit der Stellung des Nachentrichtungsantrages entstehen soll, im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen (oder jedenfalls nach Antragstellung noch bis zum 31. Dezember 1975 eingetreten sein). Das war beim Kläger, als er im Oktober 1975 den Nachentrichtungsantrag stellte, nicht (mehr) der Fall. Zu diesem Zeitpunkt gehörte er nämlich schon zu dem Personenkreis des § 6 Abs 1 Nr 4 AVG und war daher nur unter den besonderen - von ihm nicht erfüllten - Voraussetzungen des § 10 Abs 1a AVG zur freiwilligen Versicherung berechtigt.
Der Auffassung des LSG, daß aus Art 2 § 49a Abs 1 AnVNG, der in Buchst a auf eine Versicherungspflicht bei Inkrafttreten der Vorschrift abstellt und der in Buchst b ein Versicherungspflichtigwerden bis 31. Dezember 1974 zur Voraussetzung der Nachentrichtung macht, sei zu folgern, daß der Status des Antragstellers bei Inkrafttreten des Gesetzes auch für Art 2 § 49a Abs 2 maßgeblich sei, kann nicht gefolgt werden. Gerade aus der deutlich unterschiedlichen Formulierung beider Absätze des Art 2 § 49a AnVNG ist die gegenteilige Folgerung zu ziehen.
Entgegen der Auffassung des LSG erlauben auch Sinn und Zweck der Vorschrift keine andere Auslegung. Das Ziel, der Personengruppe der Selbständigen ein Nachentrichtungsrecht einzuräumen, besagt allein noch nicht, in welchem Umfang dies geschieht. Der genaue Umfang ist vielmehr aus dem Gesetz zu entnehmen. Dabei ergibt sich, daß in Art 2 § 49a Abs 1 AnVNG denjenigen Selbständigen, die schon bei Inkrafttreten versicherungspflichtig waren (Buchst a) oder bis Ende Dezember 1974 als Selbständige versicherungspflichtig geworden sind (Buchst b), unabhängig von ihrem Status im Zeitpunkt der Antragstellung ein Nachentrichtungsrecht gewährt wird, hingegen den übrigen nur dann, wenn sie (im Zeitpunkt der Antragstellung) ihre Sicherung in den Möglichkeiten der freiwilligen Versicherung suchen und finden können (Abs 2). Aus diesen Regelungen ist ablesbar, daß eine umfassende Nachentrichtungsmöglichkeit für alle ehemaligen und gegenwärtig Selbständigen nicht das Ziel der Regelung sein kann, weil dort schon nach dem Wortlaut nicht alle Bedürfnisse ehemals Selbständiger befriedigt werden.
So haben zB Selbständige, die nach Inkrafttreten des Gesetzes als Arbeitnehmer versicherungspflichtig werden, von diesem Zeitpunkt an selbst bei weitestmöglicher Auslegung der Absätze 1 und 2 nicht die Möglichkeit, zurückliegende Zeiten der Selbständigkeit noch zu belegen. Gleiches gilt für diejenigen, die erst nach dem 31. Dezember 1974 als Selbständige versicherungspflichtig werden. Gleichwohl besteht auch bei diesen Personengruppen ein Bedürfnis nach einer weiträumigen Nachentrichtung von Beiträgen. Dieses Bedürfnis allein rechtfertigt es aber noch nicht, Art 2 § 49a AnVNG auszudehnen. Im Hinblick auf diese keineswegs umfassende Öffnung von Nachentrichtungsmöglichkeiten für Selbständige kann es nicht als Versehen des Gesetzgebers gewertet werden, daß er auch für die Personen, die im Zeitpunkt der Antragstellung nicht zur freiwilligen Versicherung berechtigt sind (weil sie eine ausreichende andere Sicherung und noch keine Ansprüche aus der Sozialversicherung haben), nicht jedes Bedürfnis nach nachträglicher Belegung früherer Zeiten berücksichtigt hat. Dementsprechend ist es ausgeschlossen, Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG über den Wortlaut hinaus auf weitere Personen anzuwenden.
Diese Abgrenzung hat auch einen verständigen Sinn, da diejenigen, die noch nicht in der Sozialversicherung Fuß gefaßt haben (60 Beitragsmonate), statt dessen aber ihre Sicherung in einem anderen Sicherungssystem gefunden haben, nicht das gleiche Sicherungsbedürfnis haben wie Personen, die entweder darauf angewiesen sind, ihre Sicherung in einer freiwilligen Versicherung zu finden, oder die in der Sozialversicherung bereits Anwartschaften erworben haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen