Leitsatz (amtlich)
1. Für seine Tätigkeit im Vorverfahren erhält der Rechtsanwalt (Rechtsbeistand) 25 bis 305 DM (Anschluß an BSG 1983-12-07 9a RVs 5/82).
2. Erweist sich die vom Rechtsanwalt bestimmte Gebühr als unbillig, so bestimmt die Kostenfestsetzungsbehörde die angemessene Gebühr, ohne daß ihr insoweit ein Verwaltungsermessen zusteht.
Normenkette
SGB 10 § 63 Abs 2 Fassung: 1980-08-18; BRAGebO § 12 Abs 1 S 1, § 12 Abs 1 S 2, § 116 Abs 1, §§ 118-119
Verfahrensgang
SG Landshut (Entscheidung vom 07.12.1982; Aktenzeichen S 7 An 33/82) |
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der in einem Widerspruchsverfahren zu erstattenden Kosten.
Die Beklagte hat die Witwenrente der Klägerin mit Bescheiden vom 11. Dezember 1979 (524,70 DM), 15. Januar 1980 (567,60 DM), 12. November 1980 (567,20 DM), 30. Juni 1981 (579,-- DM) und vom 15. Oktober 1981 (581,30 DM) festgestellt (der angefügte Betrag nennt jeweils die für Januar 1980 berechnete Rentenhöhe). Die Klägerin hatte mit Schreiben vom 10. Januar 1980 durch einen Rechtsbeistand Widerspruch gegen den ersten Bescheid eingelegt und diesen mit zwei Schreiben ergänzt; mit weiteren Schreiben vom 20. November 1980, 18. März und 16. April 1981 bezog sie den Bescheid vom 12. November 1980 darin ein. Der abschließende Bescheid vom 15. Oktober 1981 enthielt den Zusatz, er ergehe aufgrund des Widerspruchs vom 25. November 1980; dem Widerspruch sei damit voll abgeholfen. Die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen würden auf Antrag voll erstattet; die Zuziehung eines Bevollmächtigten sei erforderlich gewesen.
Der Bevollmächtigte berechnete seine Gebühr für das Widerspruchsverfahren auf 350,-- DM, die Auslagenpauschale auf 40,-- DM und die Umsatzsteuer auf 25,35 DM und machte einen Kostenerstattungsanspruch von 415,35 DM geltend. Die Beklagte setzte die zu erstattenden Kosten auf 244,95 DM fest unter Zugrundelegung einer Gebühr von 200,-- DM, einer Auslagenpauschale von 30,-- DM und der Umsatzsteuer von 14,95 DM; die geforderte Gebühr sei unangemessen, im Widerspruchsverfahren sei grundsätzlich eine um etwa 30 vH geringere Gebühr als im Verfahren vor den Sozialgerichten anzusetzen (Bescheid vom 9. Dezember 1981; Widerspruchsbescheid vom 13. April 1982).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide antragsgemäß verurteilt, die Kosten in Höhe von 415,35 DM zu erstatten und die Berufung sowie die Sprungrevision im Urteil zugelassen (Urteil des SG vom 7. Dezember 1982). Die nach § 63 Abs 2 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) zu erstattenden Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts (Rechtsbeistands) dürften den in § 116 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) für das Verfahren vor den Sozialgerichten vorgesehenen Gebührenrahmen nicht überschreiten, was zwischen den Beteiligten unstreitig sei. Die Auffassung der Beklagten, für das Vorverfahren sei von einem Gebührenrahmen auszugehen, der die Abstufung der Gebührenrahmen für die drei Gerichtsinstanzen nach unten fortsetze, finde im Gesetz keine Stütze. Ein solcher Abzug und die Berechnung eines neuen Mittelwertes sei auch nicht notwendig, da sich durch Anwendung und Ausschöpfung des § 12 BRAGO zufriedenstellende Ergebnisse erzielen ließen. Das Verwaltungsverfahren habe sich zwischen Erstbescheid und Widerspruchsbescheid annähernd zwei Jahre hingezogen; jede Neufeststellung der Rente habe eine erneute Überprüfung und erneute Schriftsätze erfordert. Angesichts solcher umfangreicher Tätigkeit des Bevollmächtigten trete das Fehlen einer mündlichen Verhandlung und die nur unbedeutende Erhöhung der monatlichen Rente in den Hintergrund. Übertrage man das Verhältnis zwischen der von der Beklagten festgesetzten Gebühr und der zugrunde gelegten - gekürzten - Mittelgebühr auf die ungekürzte Mittelgebühr, so ergebe sich eine vom Gericht als angemessen erachtete Gebühr von 285,-- DM. Die vom Prozeßbevollmächtigten auf 350,-- DM festgestellte Gebühr halte sich im Rahmen der Billigkeit, die eine Überschreitung der angemessenen Gebühr um 20 vH zuzüglich einer Aufrundung zulasse (285,-- DM plus 20 vH = 342,-- DM, aufgerundet 350,-- DM).
Mit der Sprungrevision rügt die Beklagte, bei der entsprechenden Anwendung des § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGO müsse die dort für die drei Gerichtsinstanzen vorgesehene Staffelung der Gebühren in der Weise berücksichtigt werden, daß für die Kosten des Vorverfahrens ein entsprechend verminderter Gebührenrahmen mit einer Mittelgebühr von 172,-- DM maßgebend sei; die von der Beklagten auf 200,-- DM festgesetzte Gebühr überschreite um ein geringes den Mittelwert und entspreche voll dem durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad des Vorverfahrens.
Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Beklagten war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Denn der Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten ist rechtmäßig.
Nach § 63 Abs 1 SGB X besteht ein Kostenerstattungsanspruch, "soweit der Widerspruch erfolgreich ist". Das ist der Fall, wenn die Widerspruchsbehörde dem Widerspruch entspricht. Dem steht es gleich, wenn die Ausgangsbehörde den Widerspruch für begründet erachtet und einen Abhilfebescheid erläßt (so auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 1982, Buchholz 316 § 80 Nr 10, das eine Erledigung zu Gunsten des Widerspruchsführers in sonstiger Weise allerdings nicht genügen läßt). Die gemäß § 63 Abs 3 Satz 2 SGB X im Abhilfebescheid getroffene Entscheidung, daß die Zuziehung des Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren erforderlich gewesen sei, ist für die Kostenfestsetzung verbindlich.
Gemäß § 63 Abs 2 SGB X sind "die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren" erstattungsfähig. Damit ist der gesetzliche Vergütungsanspruch gemeint, der sich nach Art IX Abs 1 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften (KostÄndG) idF des 5. Änderungsgesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I 1503) auch bei Rechtsbeiständen nach der BRAGO richtet. Nach diesem Gesetz wäre die Gebühr für die Tätigkeit eines Rechtsanwalts in dem (dem Rechtsstreit vorausgehenden) Vorverfahren an sich dem § 118 iVm § 119 BRAGO zu entnehmen. In § 118 ist bestimmt, daß der Rechtsanwalt 5/10 bis 10/10 der vollen Gebühr als Geschäftsgebühr, Besprechungsgebühr und Beweisaufnahmegebühr erhält; die volle Gebühr müßte dabei nach dem Gegenstandswert errechnet (§ 7) und der Tabelle zu § 11 entnommen werden. Eine solche Gebührenberechnung ist in dem dem SGB X unterfallenden Verwaltungsverfahren jedoch nur dann angemessen, wenn auch in nachfolgenden Gerichtsverfahren die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet werden (§ 116 Abs 2 BRAGO). Anders verhält es sich dagegen in den Angelegenheiten, für die dem Rechtsanwalt in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 116 Abs 1 BRAGO nur Rahmengebühren zustehen. Hier müssen die sozialpolitischen Überlegungen, die in dieser Vorschrift zu Rahmengebühren geführt haben, auch für das Verwaltungsverfahren Platz greifen. Schon der Bundesgerichtshof hat daher in BGHZ 48, 134, 138f zutreffend bei den Gebühren für das Verwaltungsverfahren in den in § 116 Abs 1 BRAGO bezeichneten Angelegenheiten eine Lücke in der BRAGO angenommen und sie dahin geschlossen, daß für das Verwaltungsverfahren ein Gebührenrahmen von 5/10 der in § 116 Abs 1 Nr 1 bezeichneten Mindestgebühr und 10/10 der dort bezeichneten Höchstgebühr zugrunde zu legen ist. Der in § 191 Abs 7 Nr 4 des Regierungsentwurfs einer Verwaltungsprozeßordnung vom 19. März 1982 unter Änderung des § 118 BRAGO vorgesehene Gebührenrahmen von 20,-- bis 455,-- DM (BR-Drucks 100/82 auf S 48 und 178) würde dem praktisch entsprechen.
Bei diesem Gebührenrahmen wird gem § 119 BRAGO das gesamte Verwaltungsverfahren einschließlich des dem Rechtsstreit vorangehenden Vorverfahrens als eine Angelegenheit behandelt. Bei der Kostenerstattung nach § 63 SGB X ist jedoch zu beachten, daß nur Kosten des Vorverfahrens, nicht aber Kosten des Verwaltungsverfahrens insgesamt erstattet werden. Das erfordert in der Verwaltungspraxis eine gesonderte Berechnung der Gebühren für das Vorverfahren. Aus diesem Grunde hat der 9a Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 7. Dezember 1983 - 9a RVs 5/82 - unter sinngemäßer Anwendung der BRAGO (§§ 2, 116, 118, 119) für die Gebühr im Vorverfahren einen Gebührenrahmen von 25,-- DM bis 305,-- DM entwickelt. Der Rahmen entspricht ungefähr 2/3 des Gebührensatzes, der für das gerichtliche Verfahren vor dem SG und, wie oben dargelegt, ebenfalls für das Verwaltungsverfahren insgesamt gilt. Zur Begründung hat der 9a Senat darauf hingewiesen, daß die BRAGO im allgemeinen für Vorverfahren geringere Gebühren als für Gerichtsverfahren und in letzteren sich von Instanz zu Instanz erhöhende Gebühren vorsieht. Der Senat hält die Ausführungen des 9a Senates für überzeugend; er schließt sich daher dieser Entscheidung des 9a Senates an.
Demgemäß war bei der Kostenfestsetzung hier von einem Gebührenrahmen von 25,-- DM bis 305,-- DM auszugehen. Die konkrete Gebühr war hieraus nach § 12 BRAGO zu ermitteln. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift bestimmt der Rechtsanwalt (Rechtsbeistand) bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen, so ist nach Satz 2 die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung jedoch nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Hiernach war die Beklagte an die von dem Rechtsbeistand bestimmte Gebühr von 350,-- DM nicht gebunden, wenn diese Bestimmung unbillig ist. Die Beklagte hat das zu Recht angenommen. Dazu bedarf es keiner Erörterung, inwieweit dem Rechtsanwalt (Rechtsbeistand) nach § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO ein Bestimmungsermessen zusteht, insbesondere ob er den als angemessen zu erachtenden Gebührenbetrag bis zu 20% nach oben (mit gegebenenfalls zusätzlicher Aufrundung) erhöhen darf, wie das SG meint (vgl BVerwGE 62, 196, 201; kritisch hierzu der 9a Senat aaO). Die von dem Prozeßbevollmächtigten auf 350,-- DM festgesetzte Gebühr für das Widerspruchsverfahren ist jedenfalls deshalb unbillig und daher unverbindlich, weil sie den Höchstsatz des Gebührenrahmens von 305,-- DM überschreitet.
Die Gebührenfestsetzung oblag damit der Beklagten. Hierbei hatte sie nun ihrerseits mangels anderer Richtlinien die Gebühr des Rechtsbeistandes nach den in § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO genannten Kriterien zu bestimmen. Das bedeutet jedoch nicht, daß sie wegen der in § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO enthaltenen Worte "nach billigem Ermessen" bei der Gebührenermittlung ein Handlungsermessen (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG) besaß. § 63 SGB X enthält keinen Hinweis auf ein Verwaltungsermessen bei der Höhe der zu erstattenden Gebühr. Die Beklagte muß bei Nachprüfung der vom Rechtsanwalt (Rechtsbeistand) bestimmten Gebühr ohnedies klären, welche Gebühr sie für angemessen hält. Es wäre unverständlich, wenn sie in Wahrnehmung eines Handlungsermessens hiervon dann noch nach unten abweichen dürfte. Wer im Widerspruchsverfahren erfolgreich war, kann beanspruchen, daß er jedenfalls die angemessene Gebühr erstattet erhält.
Die von der Beklagten auf 200,-- DM festgesetzte Gebühr erweist sich in Anwendung des § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO nicht als unangemessen. Um gleichgelagerte Fälle möglichst gleich zu behandeln, orientiert sich die Rechtspraxis (auch die Gebührenfestsetzung durch den Urkundsbeamten nach § 197 SGG) bei der Feststellung der im Einzelfall angemessenen Gebühr an einer Mittelgebühr; sie gilt für Sachen, die in den maßgebenden Kriterien durchschnittlichen Verhältnissen entsprechen. Diese Mittelgebühr beträgt im Vorverfahren 165,-- DM. Die Beklagte hat ausgehend von einer auf 172,-- DM berechneten Mittelgebühr für den Rechtsbeistand eine um etwa 16% erhöhte Gebühr (200,-- DM) berechnet. Gegen ein solches Verhältnis zur Mittelgebühr haben weder das SG noch die Klägerin Bedenken vorgetragen. Bei Berücksichtigung der Kriterien des § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO war die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin gering, weil das Widerspruchsverfahren nur zu einer verhältnismäßig niedrigen Rentenerhöhung geführt hatte (von anfangs 524,70 DM auf letztlich 581,30 DM). Auch Umfang und Schwierigkeit der Tätigkeit des Rechtsbeistandes überschritten trotz der langen Verfahrensdauer, der wiederholt notwendigen Überprüfung von Bescheiden und der mehreren Eingaben nur mäßig mittlere Verhältnisse. Zu den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der Klägerin ergaben sich keine Besonderheiten. Damit steht fest, daß die Beklagte mit ihrer Gebührenfestsetzung von 200,-- DM die angemessene Gebühr jedenfalls nicht unterschritten hat. Da an dieser auch die Auslagenpauschale (§ 26 BRAGO) und die Mehrwertsteuer (§ 25 Abs 2 BRAGO) sich ausgerichtet haben, hat das SG sonach zu Unrecht die Beklagte zu einer höheren Kostenerstattung verurteilt. Die hierauf gerichtete Klage ist deshalb unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen