Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe der in einem Widerspruchsverfahren zu erstattenden Kosten
Leitsatz (amtlich)
Zur Verbindlichkeit der vom Rechtsanwalt bestimmten Rahmengebühr.
Leitsatz (redaktionell)
Die Verwaltung hat hieraus die im Einzelfall angemessene Gebühr unter Berücksichtigung der in § 12 Abs 1 S 1 BRAGebO genannten Kriterien festzusetzen, ohne daß ihr dabei ein Handlungsermessen zusteht. Insoweit orientiert sich die Rechtspraxis bei dieser Feststellung an einer Mittelgebühr; sie gilt für Sachen, die in den maßgebenden Kriterien durchschnittlichen Verhältnissen entsprechen. Die Mittelgebühr beträgt im Vorverfahren 165,- DM.
Orientierungssatz
Die Gebühr für die Tätigkeit eines Rechtsbeistandes im Vorverfahren ist nach einem besonderen Gebührenrahmen von 25 bis 305 DM zu bemessen. Der Gebührenrahmen berücksichtigt, daß nach § 63 SGB 10 nur Kosten des Vorverfahrens, nicht aber des Verwaltungsverfahrens insgesamt zu erstatten sind.
Normenkette
SGB 10 § 63; BRAGebO §§ 12, 116, 118-119
Verfahrensgang
SG Köln (Entscheidung vom 25.07.1983; Aktenzeichen S 2 An 116/82) |
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der in einem Widerspruchsverfahren zu erstattenden Kosten.
Die Beklagte hatte bei der Kontenklärung die Wiederherstellung von Beitragsunterlagen der Klägerin für den Monat Juli 1942 abgelehnt; dem hiergegen eingelegten Widerspruch hat sie unter Übernahme der Kosten abgeholfen. Der Bevollmächtigte der Klägerin berechnete darauf seine Gebühr für das Widerspruchsverfahren auf 170,-- DM, die Auslagenpauschale auf 25,50 DM und die Mehrwertsteuer auf 12,71 DM und machte einen Kostenerstattungsanspruch von 208,21 DM geltend. Die Beklagte setzte den Kostenerstattungsanspruch auf 97,98 DM fest unter Zugrundelegung einer Gebühr von 80,-- DM, einer Auslagenpauschale von 12,-- DM und der Mehrwertsteuer von 5,98 DM; die geforderte Gebühr sei unangemessen, im Widerspruchsverfahren sei grundsätzlich eine um etwa um 30 vH geringere Gebühr als im Verfahren vor den Sozialgerichten anzusetzen (Bescheid vom 18. Februar 1982; Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1982).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 208,21 DM abzüglich des bereits gezahlten Betrages von 97,98 DM zu zahlen. Die Gebühr im Vorverfahren richte sich unter entsprechender Anwendung des § 116 Abs 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) ohne Abstriche nach dem dortigen Gebührenrahmen für Verfahren vor dem SG. Zur Vermeidung überhöhter Gebühren reiche die Regelung des § 12 BRAGO völlig aus. Die vom Bevollmächtigten angeforderte Gebühr von 170,-- DM sei zwar zu hoch angesetzt, auch wenn sie erheblich unter der Mittelgebühr von 245,-- DM liege; das Gericht halte eine Gebühr von 140,-- DM für angemessen. Gleichwohl sei die Gebührenfestsetzung nicht unbillig, da sich die Überziehung in etwa noch im Rahmen der Toleranzgrenze von 20 vH halte.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte, bei der entsprechenden Anwendung des § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGO müsse für die Kosten des Vorverfahrens ein entsprechend verminderter Gebührenrahmen mit einer Mittelgebühr von 172,-- DM maßgebend sein. Die von der Beklagten auf 80,-- DM festgesetzte Gebühr rechtfertige sich damit, daß der Schwierigkeitsgrad des Widerspruchsverfahrens gering gewesen sei und der Abhilfebescheid zu keiner Erhöhung der Rentenanwartschaft geführt habe.
Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Beklagten waren das angefochtene Urteil sowie die Bescheide der Beklagten zu ändern und die Beklagte zur Zahlung weiterer 24,49 DM zu verurteilen.
Die Beklagte hat der Klägerin unstreitig nach § 63 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) die Gebühren und Auslagen des im Vorverfahren bevollmächtigten Rechtsbeistandes zu erstatten. Daß sie dessen Zuziehung erst bei der Kostenfestsetzung und nicht entsprechend § 63 Abs 3 Satz 2 SGB X schon in der Kostenentscheidung des Abhilfebescheides anerkannt hat, ist unerheblich.
Wie der Senat im Urteil vom heutigen Tage in der Sache 11 RA 16/83 im Anschluß an das Urteil des 9a-Senats vom 7. Dezember 1983 (9a RVs 5/82) näher ausgeführt hat, ist die im Vorverfahren zu erstattende Gebühr des Rechtsbeistandes einem Gebührenrahmen von 25,-- DM bis 305,-- DM zu entnehmen. Bei den Gebühren für das Verwaltungsverfahren in den in § 116 Abs 1 BRAGO bezeichneten Angelegenheiten hatte bereits der Bundesgerichtshof (BGHZ 48, 134, 138 f) eine Lücke in der BRAGO angenommen und sie dahin geschlossen, daß ein Gebührenrahmen von 5/10 der in § 116 Abs 1 Nr 1 bezeichneten Mindestgebühr und 10/10 der dort bezeichneten Höchstgebühr zugrunde zu legen sei. Hiervon ausgehend hat der 9a-Senat für das Vorverfahren den besonderen Gebührenrahmen von 25,-bis 305,-- DM entwickelt, weil nach § 63 SGB X nur Kosten des Vorverfahrens, nicht aber des Verwaltungsverfahrens insgesamt zu erstatten sind; dieser Rahmen entspricht ungefähr 2/3 des für das gerichtliche Verfahren vor dem SG und ebenfalls für das gesamte Verwaltungsverfahren geltenden Gebührensatzes.
Die Einwände der Klägerin hiergegen hält der Senat nicht für berechtigt. Sie beruft sich zu Unrecht auf den Regierungsentwurf einer Verwaltungsprozeßordnung vom 19. März 1982 (BR- Drucks 100/82); dieser ist noch nicht Gesetz geworden; mit der dort in § 191 Abs 7 Nr 4 vorgesehenen Änderung des § 118 BRAGO soll im übrigen nur die Gebühr für das Verwaltungsverfahren insgesamt, nicht aber die hier streitige Gebühr für das Vorverfahren geregelt werden. Aus dem gleichen Grunde besteht keine Abweichung von der Rechtsprechung des BGH (aa0); dessen Entscheidung betrifft die Rechtsanwaltsgebühren im gesamten Verwaltungsverfahren, also einschließlich des Vorverfahrens (§§ 118, 119 BRAGO); hier geht es dagegen um die Aussonderung der im Vorverfahren zu erstattenden Kosten; der hierfür entwickelte Gebührenrahmen fügt sich in den Gebührenrahmen des gesamten Verwaltungsverfahrens ein. Unrichtig ist, daß damit für das sonstige Verwaltungsverfahren (ohne Vorverfahren) lediglich ein Gebührenrahmen von 10,-- DM bis 150,-- DM verbleibe. Die Festlegung eines besonderen Gebührenrahmens für das Vorverfahren innerhalb des weiterreichenden Gebührenrahmens des gesamten Verwaltungsverfahrens schließt es nicht aus, sofern dies nach Lage des Einzelfalles geboten ist, die Tätigkeit vor dem Vorverfahren höher als die in ihm zu bewerten. Dies würde dann allerdings, was die Klägerin offenbar übersieht, sich zum Nachteil des Widerspruchsführers auswirken, da ihm lediglich Kosten des Vorverfahrens erstattet werden können.
Demgemäß war bei der Kostenfestsetzung hier von einem Gebührenrahmen von 25,-- DM bis 305,-- DM auszugehen. Die konkrete Gebühr war hieraus nach § 12 BRAGO zu ermitteln. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift bestimmt der Rechtsanwalt (Rechtsbeistand) bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen, so ist nach Satz 2 die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung jedoch nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Die Beklagte hat zu Recht angenommen, daß die von dem Rechtsbeistand bestimmte Gebühr von 170,-- DM unbillig gewesen ist.
Dazu bedarf es keiner abschließenden Erörterung, inwieweit dem Rechtsanwalt (Rechtsbeistand) nach § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO ein Bestimmungsermessen zusteht, insbesondere wieweit er den für angemessen zu erachtenden Gebührenbetrag nach oben erhöhen darf. In seinem Urteil vom 7. Dezember 1983 neigt der 9a-Senat dazu, nicht erst eine um 20% erhöhte Gebühr als unbillig anzusehen (vgl BVerwGE 62, 196, 201), sondern schon jede, die von der billigen (angemessenen) Gebühr nicht unerheblich abweicht. Diese Begrenzung könnte im Sinne des dem Rechtsanwalt eingeräumten Bestimmungsermessens liegen, das ihm ermöglichen soll, die in vergleichbaren Fällen übliche Gebühr zu fordern. Die Hinnahme eines allgemeinen Zuschlags bis zu 20% würde demgegenüber zu wesentlichen Verzerrungen im Gebührenrahmen führen; in Sachen mit einer in Höhe von 83% des Höchstsatzes angemessenen Gebühr könnte zB schon die Höchstgebühr gefordert werden. Diese Bedenken können im vorliegenden Falle jedoch dahinstehen, weil die geforderte Gebühr von 170,-- DM die - wie noch ausgeführt wird - angemessene Gebühr von 100,-- DM um weit mehr als 20 vH überschreitet, so daß an ihrer Unbilligkeit nicht zu zweifeln ist.
Die Gebührenfestsetzung oblag damit der Beklagten. Sie hatte, wie in der Parallelsache 11 RA 16/83 dargelegt ist, nunmehr die angemessene Gebühr unter Berücksichtigung der in § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO genannten Kriterien festzusetzen, ohne daß ihr dabei ein Handlungsermessen zustand. Insoweit orientiert sich die Rechtspraxis bei der Feststellung der im Einzelfall angemessenen Gebühr zu Recht an einer Mittelgebühr; sie gilt für Sachen, die in den maßgebenden Kriterien durchschnittlichen Verhältnissen entsprechen. Die Mittelgebühr beträgt im Vorverfahren 165,-- DM. Das SG hat zutreffend angenommen, daß im vorliegenden Falle die angemessene Gebühr erheblich unter dem Mittelwert liegen müsse; ihm erschien ein Betrag von etwa 62% der - von ihm allerdings anders berechneten - Mittelgebühr gerechtfertigt. Dem ist grundsätzlich zu folgen. Bedenkt man, daß es sich im Vorverfahren nicht selten um nach Grund und Höhe streitige Sozialleistungen von erheblichem Wert handelt, so muß die Bedeutung der Streitsache hier als sehr gering bewertet werden; es ging um die Feststellung einer Versicherungszeit von einem Monat (zu 5/6), ohne daß heute schon abzusehen ist, ob sich dies auf einen etwaigen Rentenanspruch überhaupt steigernd auswirken wird. Das SG hat ferner den Arbeitsaufwand für die Durchsicht der Versicherungsunterlagen und die Fertigung der nur eine Seite umfassenden Widerspruchsschrift zu Recht als - weit - unterdurchschnittlich angesehen, zumal es im wesentlichen um tatsächliches Vorbringen und die Würdigung des Sachverhaltes ging. Sonstige Umstände von Auswirkung auf die Gebührenhöhe sind nicht ersichtlich; eine Tätigkeit vor dem Vorverfahren braucht nicht berücksichtigt zu werden, da der Rechtsbeistand erst im Vorverfahren aufgetreten ist. Unter diesen Umständen sind 100,-- DM als Gebühr des Rechtsbeistandes angemessen. Der Betrag überschreitet gering die Hälfte der Mittelgebühr, während die Beklagte mit der Festsetzung von 80,-- DM noch unter dieser Hälfte hat bleiben wollen. Der Senat ist jedoch der Meinung, daß die Gebühren in den unteren Bereichen des Gebührenrahmens dem Kostenaufwand des Rechtsanwaltes, der selbst bei einfachen Tätigkeiten nicht unerheblich ist, Rechnung tragen müssen; Gebühren, die praktisch schon durch die Kosten aufgezehrt werden können, lassen sich nicht rechtfertigen.
Die zu erstattenden Aufwendungen setzen somit sich wie folgt zusammen:
Gebühr nach BRAGO 165,--DM Ersatz für Postgebühren (§ 26 Satz 2 BRAGO, 15 %)15,--DM 6,5 % Mehrwertsteuer 7,47DM Summe 122,47DM abzüglich erfolgter Zahlung von 97,98DM zu zahlen noch 24,49DM
Die Entscheidung über die Kosten des Gerichtsverfahrens beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, daß die Klage die Zahlung weiterer 110,23 DM (208,21 DM abzüglich 97,98 DM) erstrebte, aber nur in Höhe von 24,49 DM Erfolg hatte.
Fundstellen