Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.10.1991) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Oktober 1991 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) hat.
Die 1935 geborene Klägerin war mit dem zwischen dem 30. Dezember 1986 und 4. Januar 1987 verstorbenen S. S. (im folgenden Versicherter) verheiratet. Die 1954 geschlossene Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. Februar 1974 (rechtskräftig seit 19. November 1974) aus dem alleinigen Verschulden des Versicherten geschieden. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, die in den Jahren 1953, 1956 und 1962 geboren sind. Die Klägerin war von April 1959 bis Juli 1969 mit Unterbrechungen versicherungspflichtig beschäftigt. Von Juni bis September 1970 war sie versicherungsfrei tätig. Seit März 1974 ging sie einer Vollzeitbeschäftigung nach.
Die im September 1972 von der Klägerin erhobene Scheidungsklage wurde für die Zeit von Januar 1973 bis September 1973 zum Ruhen gebracht. Durch Beschluß nach § 672 Zivilprozeßordnung (ZPO) vom 20. November 1972 war der Versicherte verpflichtet worden, der Klägerin während des Rechtsstreits für die Zeit seit 1. Oktober 1972 monatlich DM 450,00 zum Unterhalt der Familie zu zahlen. Aufgrund eines auf diesen Beschluß hin ergangenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Stuttgart leistete der frühere Arbeitgeber des Versicherten in der Zeit vom 1. Januar 1973 bis 30. Juni 1981 Zahlungen in unregelmäßiger zeitlicher Reihenfolge und in unregelmäßiger Höhe an die Klägerin. Der Versicherte bezog seit 1. Juli 1975 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Im Zeitpunkt seines Todes betrug die monatliche Rente des Versicherten DM 878,32, daneben erhielt er eine Zusatzversorgung von seinem früheren Arbeitgeber in Höhe von DM 836,00 (brutto = netto) sowie eine Weihnachtszuwendung für 1986 in Höhe von DM 626,00. Die Klägerin hatte im Jahre 1986 aus ihrem Arbeitsverhältnis Einkünfte von netto DM 19.890,91.
Den Antrag der Klägerin vom April 1987 auf Gewährung von Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 7. Mai 1987). Den Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 1988). Die Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 17. Juli 1990).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21. Oktober 1991). Das LSG hat als Einkünfte der Klägerin ihr Einkommen aus dem ständigen Beschäftigungsverhältnis und höhere Einkünfte aus einer vorübergehenden Tätigkeit während einer Sportveranstaltung berücksichtigt. Die Nettoeinkünfte hat es um 5 v.H. pauschal für Werbungskosten gemindert. Das LSG hat einen sozialrechtlich relevanten Unterhaltsanspruch der Klägerin verneint.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Klägerin. Die Klägerin rügt die Verletzung des § 1265 RVO.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Oktober 1991, das Urteil des Sozialgerichts vom 17. Juli 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 1987 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente nach dem Versicherten S. S. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Den Beteiligten ist im Revisionsverfahren ein Abdruck des Senatsurteils vom 11. September 1991 – 5 RJ 75/90 – hinsichtlich der vom Senat für zutreffend gehaltenen Berechnungsmethode für Unterhaltsansprüche übersandt worden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet.
Über den geltend gemachten Anspruch ist nach den Vorschriften der RVO zu entscheiden, wie sich aus § 300 Abs 2 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) ergibt. Der Anspruch ist von der Klägerin schon für einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten des SGB VI geltend gemacht worden.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Voraussetzungen des § 1265 Abs 1 RVO für den Anspruch auf Rente an die frühere Ehefrau des Versicherten nicht erfüllt sind. Nach Satz 1 dieser Vorschrift wird einer früheren Ehefrau eines Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist, Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Nach Satz 2 findet Satz 1 auch dann Anwendung, wenn eine Witwenrente nicht zu gewähren ist, solange die frühere Ehefrau berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder für ein Kind, das wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen Waisenrente erhält, sorgt oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat, sofern noch zusätzliche Voraussetzungen, die hier nicht beachtlich sind, vorliegen.
Die Voraussetzungen von § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO liegen hier nicht vor, denn nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG erzieht die Klägerin kein waisenrentenberechtigtes Kind, hat sie das 60. Lebensjahr nicht vollendet und ist sie auch nicht berufs- oder erwerbsunfähig. Das LSG hat in seinem Urteil angenommen, daß die Klägerin weder berufs- noch erwerbsunfähig ist, weil sie vollschichtig erwerbstätig ist. Dies ist von der Klägerin nicht angegriffen worden.
Auch die in § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO genannten Voraussetzungen für einen Rentenanspruch sind nicht erfüllt. Das LSG hat festgestellt, daß die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten von diesem keinen Unterhalt erhalten hat und auch kein Unterhaltsanspruch aus einem sonstigen Grund bestand. Als ein solcher Unterhaltsanspruch kommt auch ein Unterhaltsurteil oder ein Beschluß über die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung in Betracht. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG hatte die Klägerin aber im Zeitpunkt des Todes des Versicherten aufgrund eines Gerichtsbeschlusses keinen Unterhaltsanspruch mehr.
Das LSG hat im Ergebnis zu Recht auch einen Unterhaltsanspruch der Klägerin nach den Vorschriften des EheG verneint.
Da die Ehe der Klägerin vor dem 1. Juli 1977 aus dem alleinigen Verschulden des Versicherten geschieden worden ist, beurteilt sich der Unterhaltsanspruch nach § 58 EheG. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist dabei maßgebend der Unterhaltsanspruch, wie er im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten bestanden hat (vgl BSG, Urteile vom 1. Juni 1982 und 10. Juli 1986 – SozR 2200 § 1265 Nrn 64 und 80). Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand wird dabei bestimmt vom Zeitpunkt der letzten wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse entweder des Versicherten oder der früheren Ehefrau (vgl BSG, aaO). Soweit das LSG als Beginn des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes den 1. Juli 1986 angenommen hat, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. In diesem Zeitpunkt ist die Rente des Versicherten nach den Feststellungen des LSG erhöht worden. Das LSG hätte allerdings auch hinsichtlich der Einkünfte der Klägerin den Zeitraum vom 1. Juli 1986 als letzten wirtschaftlichen Dauerzustand zugrundelegen müssen, denn der wirtschaftliche Dauerzustand kann nur einheitlich sowohl für den Versicherten als auch die frühere Ehefrau festgelegt werden. Dies ergibt sich schon daraus, daß die beiderseitigen Einkünfte in diesem Zeitraum für die Berechnung des Unterhaltsanspruchs zugrundegelegt werden müssen. Im vorliegenden Fall ist die Klägerin durch die Annahme des LSG, bei ihr seien die durchschnittlichen Monatseinkünfte unter Zugrundelegung des Jahreseinkommens im Jahre 1986 zu bestimmen, allerdings nicht beschwert. Das LSG hat festgestellt, daß die Berücksichtigung ihrer Jahreseinkünfte die Klägerin begünstigt, denn dadurch wird die im Jahre 1986 eingetretene Erhöhung des tariflichen Entgelts aufgrund der Änderung ihres Tarifvertrages und das für die vorübergehende Beschäftigung im Rahmen der Vorbereitung der Leichtathletik-Europameisterschaften in Stuttgart im zweiten Halbjahr 1986 erzielte (höhere) Entgelt auf die Einkünfte des gesamten Jahres verteilt. Damit wird im Ergebnis ein niedrigeres Monatseinkommen angenommen, als es sich bei Berücksichtigung nur der höheren Einkünfte ab dem 1. Juli 1986 ergeben hätte. Zu Recht hat das LSG auch die Einkünfte der Klägerin berücksichtigt, die sie während ihrer Freistellung vom ordentlichen Arbeitsverhältnis bei der Beschäftigung im Rahmen der Europameisterschaften in Stuttgart erzielt hat. Das LSG hat festgestellt, daß es sich dabei um Einkünfte gehandelt hat, die die Klägerin in Ausübung einer Tätigkeit erzielt hat, die sie statt ihrer sonstigen beruflichen Tätigkeit auf ausdrücklichen Wunsch ihres Arbeitgebers erzielt hat. Vorübergehende Einkommensänderungen, die während des wirtschaftlichen Dauerzustandes eintreten, führen nicht dazu, daß zusätzliches Einkommen nicht berücksichtigt wird oder geringeres Einkommen hypothetisch erhöht werden muß. Maßgebend für die Unterhaltsberechnungen sind vielmehr alle Einkünfte, die während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes dem Versicherten bzw der früheren Ehefrau zufließen.
Durch die Freistellung der Klägerin von ihren Hauptpflichten als Arbeitnehmerin für die Dauer der Europameisterschaft in Stuttgart, ist auch keine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse in dem Sinne eingetreten, daß der Beginn des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes erst ab Wiederaufnahme der Arbeit im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses nach Ende der Europameisterschaft anzunehmen wäre. Bei der Freistellung von ihrer Beschäftigung unter Wegfall ihrer Gehaltsansprüche handelte es sich um eine vorübergehende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die einen bestehenden wirtschaftlichen Dauerzustand weder unterbrochen noch auf Dauer geändert hat. Diese Freistellung war nur vorübergehend und hat das bestehende Beschäftigungsverhältnis nicht beendet.
Nicht entscheidungserheblich ist im vorliegenden Fall, ob für die Berechnung des Unterhaltsanspruchs die Nettoeinkünfte eines Erwerbstätigen – wie die Klägerin mit ihrer Revision vorträgt -um einen Werbungskostenbetrag von pauschal 10 % zu mindern sind. Auch wenn dies zugunsten der Klägerin unterstellt wird, hat sie einen Unterhaltsanspruch iS des § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO nicht gehabt. Das BSG wendet zur Ermittlung des Unterhaltsanspruchs auch bei Ehegatten, die sowohl im Zeitpunkt der Scheidung voll erwerbstätig waren bzw nach der Lebensplanung jedenfalls beide eine volle Erwerbstätigkeit beabsichtigten, als auch im Zeitpunkt des Todes des Versicherten beide voll erwerbstätig waren oder Erwerbsersatzeinkommen bezogen (sog Doppelverdienerehe), die sogenannte Anrechnungsmethode und nicht die vom Bundesgerichtshof und den Oberlandesgerichten nunmehr bevorzugte Differenzmethode an. Die Ermittlung des Unterhaltsanspruchs nach der Anrechnungsmethode in diesen Fällen hat der Senat noch durch Urteil vom 11. September 1991 – 5 RJ 75/90 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) bestätigt. Zur Begründung wird auf die Gründe dieses Urteils, das den Beteiligten zugänglich gemacht worden ist, Bezug genommen. Nach der Anrechnungsmethode beträgt der Unterhaltsanspruch eines Ehegatten auch in Doppelverdienerehen höchstens 3/7 der Summe der beiderseitigen Einkünfte. Danach hatte die Klägerin im Zeitpunkt des Todes des Versicherten keinen Unterhaltsanspruch, wobei die vom LSG getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Beträge, die jeweils erzielt wurden, zugrunde zu legen waren. Das monatliche Einkommen des Versicherten betrug DM 1.766,48. Die monatlichen Nettoeinkünfte der Klägerin betrugen nach Abzug einer Pauschale von 10 vH für Werbungskosten noch DM 1.491,75 (1.574,63 – 157,46 = 1.491,75). Der Unterhaltsanspruch der Klägerin hätte danach höchstens DM 1.396,38 betragen (1.766,48 + 1.491,75 = 3.258,23: 7 = 465,46 × 3 = 1.396,38). Die eigenen Einkünfte der Klägerin in Höhe von DM 1.491,75 sind somit höher als der mögliche Unterhaltsanspruch aus den Gesamteinkünften.
Soweit die Klägerin geltend macht, auch ein Unterhaltsanspruch in einer Höhe unter 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) müsse ein ausreichender Unterhaltsanspruch iS von § 1265 Abs 1 RVO sein, ist dies nach dem Gesagten unerheblich. Es wird insoweit allerdings auch auf die nunmehr gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen, wonach als ausreichender Unterhaltsbetrag ein Betrag in Höhe von 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe – ohne Aufwendungen für Unterkunft -anzusehen ist, dieser Betrag aber auch mindestens erreicht werden muß und nicht nur geringfügig unterschritten werden darf (vgl Senatsurteil vom 12. Mai 1982 und Urteil des 1. Senats vom 7. September 1982 – SozR 2200 § 1265 Nrn 63 und 65).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen