Leitsatz (amtlich)
AnVNG Art 1 § 143 Abs 3 gilt nicht für Ansprüche aus Versicherungsfällen, die vor dem 1957-01-01 eingetreten sind (AnVNG Art 2 § 6).
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 6 Fassung: 1957-02-23; AVG § 143 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1445b Fassung: 1934-05-17; AnVNG Art. 1 § 143 Abs. 3; RVO § 1421 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 5 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Oktober 1955 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21. April 1955 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Beklagte) bewilligte dem Kläger auf Grund der für ihn zur Invalidenversicherung (JV.) entrichteten Beiträge vom 1. März 1953 an eine Invalidenrente. Sie beanstandete seine in der Zeit von 1945 bis 1952 freiwillig zur Angestelltenversicherung (AV.) entrichteten 78 Beiträge: Der Kläger sei zur freiwilligen Versicherung in der AV. nicht berechtigt gewesen. Es seien für ihn zu diesem Versicherungszweig keine Pflichtbeiträge entrichtet worden, so daß eine Weiterversicherung nicht in Betracht komme; eine Selbstversicherung sei unzulässig, weil der Kläger bei seinem Eintritt in die AV. älter als 40 Jahre gewesen sei (Bescheid vom 11. Oktober 1954).
Das Sozialgericht (SG.) Düsseldorf verurteilte die Beklagte, dem Kläger die von 1945 bis 1952 entrichteten AV.-Beiträge rentensteigernd anzurechnen: Der Kläger habe sich zwar nicht in der AV., jedoch in der JV. freiwillig versichern können (§ 1244 a. F. RVO). Er habe daher seine Beiträge nur zu einem unrichtigen Versicherungszweig entrichtet. Solche Beiträge dürften nicht beanstandet werden, wenn ihre Nachentrichtung zu dem richtigen Versicherungszweig unzulässig sei (§§ 190 a. F. AVG, 1445 b a. F. RVO). Dies sei hier der Fall; der Kläger könne für die Zeit von 1945 bis 1952 keine Beiträge mehr zur JV. nachentrichten (§§ 190 a. F. AVG, 1442, 1443 a. F. RVO). Seine zur AV. entrichteten Beiträge seien daher rechtswirksam (Urteil vom 21. April 1955). Das Landessozialgericht (LSG.) Nordhrein-Westfalen wies die Berufung der Beklagten zurück: § 1445 b a. F. RVO gelte nicht nur für Pflichtbeiträge, wie die Beklagte annehme, sondern auch für fehlentrichtete Beiträge freiwillig Versicherter. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn der Vorschrift. Ihr Wortlaut stehe nicht entgegen. Das SG. habe daher richtig entschieden (Urteil vom 19. Oktober 1955).
Das LSG. ließ die Revision zu. Die Beklagte legte gegen das ihr am 7. Februar 1956 zugestellte Urteil am 20. Februar 1956 Revision ein und begründete sie - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 7. Mai 1956 - am 24. April 1956. Sie beantragte, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen: Die Vorschrift des § 1445 b a. F. RVO gelte nur für Pflichtbeiträge. Ihre Anwendung auf die Beiträge freiwillig Versicherter führe zu Widersprüchen.
Der Kläger beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig und begründet.
Der Kläger war in der Zeit von 1945 bis 1952 versicherungsfrei. Bei seinem Eintritt in die AV. war er nicht berechtigt, sich in diesem Versicherungszweig freiwillig zu versichern. Er hatte das 40. Lebensjahr bereits vollendet und war deshalb von der Selbstversicherung ausgeschlossen. Zur AV. hatte er keine Pflichtbeiträge entrichtet; die Weiterversicherung in der AV. setzte aber mindestens einen Beitrag zu diesem Versicherungszweig auf Grund der Versicherungspflicht voraus (§§ 21 a. F. AVG, 1243, 1244 a. F. RVO). Seine Beiträge zur AV. sind daher ungültig, es sei denn, daß sie von der Beklagten nicht mehr rechtswirksam beanstandet werden konnten. Letzteres ist nicht der Fall. Die Frist zur Beanstandung von Beiträgen zur AV., die von der Aufrechnung der Versicherungskarte an 10 Jahre beträgt (§ 190 a. F. AVG, § 1445 a. F. RVO), war nicht abgelaufen. Die Sondervorschrift des § 1445 b a. F. RVO, die nur fehlentrichtete Beiträge betrifft und sich danach richtet, ob eine Nachentrichtung der Beiträge zum richtigen Versicherungszweig noch statthaft ist, kommt nicht zum Zuge, weil sie nur für Pflichtbeiträge, nicht auch für Beiträge freiwillig Versicherter gilt. Dies ergibt sich, wie der Senat in seinem Urteil vom 30. Januar 1957 (SozR., § 1445 b RVO, Aa 1) ausführlich dargelegt hat, aus einer Gesamtbetrachtung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn des § 1445 b a. F. RVO. Diese Rechtsprechung hält der Senat - auch nach erneuter Prüfung - aufrecht.
Das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom 23. Februar 1957 hat für den vorliegenden Fall an dieser Rechtslage nichts geändert. Die Vorschrift des Art. 1 § 143 Abs. 3 AnVNG, wonach fehlentrichtete freiwillige AV.-Beiträge dem zuständigen Versicherungszweig zu überweisen sind und als zu Recht entrichtete Beiträge dieses Versicherungszweigs gelten, ist nur auf Rentenansprüche aus Versicherungsfällen nach dem 31. Dezember 1956 anzuwenden (Art. 2 § 6 AnVNG). Der hier maßgebende Versicherungsfall ist bereits 1953 eingetreten.
Die Beklagte hat die freiwilligen Beiträge des Klägers zur AV. mit Recht beanstandet. Ihre Revision ist daher begründet; die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben und die Klage abzuweisen (§§ 170 Abs. 2, 193 SGG).
Fundstellen