Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsnachentrichtung eines Verfolgten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein während der NS-Zeit "ausgebürgerter" Verfolgter, der auf Antrag eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat, hat seine deutsche Staatsangehörigkeit jedenfalls dann nicht verloren, wenn er beim Erwerb der fremden das Fortbestehen der deutschen nicht kannte und andererseits nicht anzunehmen ist, daß er auch bei Kenntnis seiner deutschen Staatsangehörigkeit die fremde erworben hätte.

2. Ein solcher Verfolgter kann sich auf seine deutsche Staatsangehörigkeit jederzeit berufen und ist dann von diesem Zeitpunkt an, nicht erst nach seiner förmlichen Einbürgerung, von den deutschen Behörden als Deutscher zu behandeln (Ergänzung zu BSG 22.2.1980 12 RK 25/79 = BSGE 50, 21 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 37).

 

Orientierungssatz

Ein im Ausland lebender Verfolgter, der nach dem Kriege eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat, ist von einer Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 51a ArVNG nicht ausgeschlossen, sofern er sich bis zum Stichtag, dem 31.12.1975, auf seine deutsche Staatsangehörigkeit berufen hat.

 

Normenkette

ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 Fassung: 1972-10-19; GG Art 116 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; RuStAG § 25 Fassung: 1913-07-22

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 06.03.1984; Aktenzeichen L 4 J 95/83)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 09.02.1983; Aktenzeichen S 8 J 103/81)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin berechtigt ist, Beiträge nach Art 2 § 51a des Arbeiterrentenversicherungs- Neuregelungsgesetzes (ArVNG) nachzuentrichten.

Die 1920 als deutsche Staatsangehörige geborene Klägerin ist rassisch Verfolgte iS von § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Sie wanderte 1938 nach Südamerika aus und lebt heute in Uruguay. Auf ihren Antrag erwarb sie 1948 die uruguayische und 1952 zusätzlich die argentinische Staatsangehörigkeit; sie hielt sich damals für "seit 1941 ausgebürgert und damit staatenlos". Am 26. Oktober 1972 beantragte sie die Wiederverleihung der deutschen Staatsangehörigkeit nach Art 116 Abs 2 des Grundgesetzes (GG). Die Einbürgerungsurkunde wurde ihr am 15. Oktober 1976 ausgehändigt. Für Schäden in der Ausbildung und im beruflichen Fortkommen wurde ihr Entschädigung nach dem BEG bewilligt.

Im Dezember 1975 beantragte sie bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Anerkennung einer Beitragszeit vom 1. Dezember 1936 bis 31. Oktober 1938, die Vormerkung einer Ersatzzeit vom 1. November 1938 bis 31. Dezember 1949 und die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach den §§ 10, 10a des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) sowie vorsorglich auch nach Art 2 § 49a Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG). Mit der Begründung, daß die Klägerin nach ihren Angaben zuletzt Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet habe, gab die BfA den Vorgang zuständigkeitshalber an die Beklagte ab.

Mit Bescheid vom 1. März 1979 lehnte die Beklagte die Anträge der Klägerin ab, wobei sie das Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG (der dem Art 2 § 49a AnVNG entspricht) deshalb verneinte, weil die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit erst nach dem 31. Dezember 1975 - am 15. Oktober 1976 - erworben habe. Den Widerspruch der Klägerin gab die Beklagte als Klage an das Sozialgericht (SG) Düsseldorf ab. Die Klage blieb erfolglos (Urteil des SG vom 9. Februar 1983).

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 1. März 1979 geändert und diese verpflichtet, die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG zuzulassen. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 6. März 1984). Das LSG hat die Berechtigung der Klägerin zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG damit begründet, daß die verspätete Übergabe der Einbürgerungsurkunde erst nach dem 31. Dezember 1975 durch pflichtwidriges und sogar grob fehlerhaftes Verhalten der Einbürgerungsbehörde verursacht worden sei. Zwar lasse sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Zeitpunkt des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit als außerhalb des Sozialversicherungsrechts liegender Tatbestand nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzen. In Fällen, in denen die Wiedereinbürgerung nach Art 116 Abs 2 GG bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Antrags vor dem 31. Dezember 1975 durch Übergabe der Einbürgerungsurkunde hätte abgeschlossen sein können, dies aber wegen eines pflichtwidrigen Verhaltens der bearbeitenden Behörde nicht geschehen sei, könne sich jedoch die Beklagte nach Treu und Glauben nicht auf die verspätete Einbürgerung berufen. Gründe, die es rechtfertigen könnten, die Folgen der pflichtwidrig verspäteten Wiedereinbürgerung der Klägerin zuzurechnen, seien nicht ersichtlich.

Die Beklagte hat Revision eingelegt, soweit sie vom LSG zugelassen worden ist (Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 51a ArVNG). Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches iVm § 1233 Reichsversicherungsordnung (RVO) und Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG. Zur Begründung trägt sie vor, die Frage, ob die Klägerin zur Nachentrichtung von Beiträgen nach der genannten Vorschrift berechtigt sei, hänge davon ab, ob sie Deutsche iS des Art 116 Abs 1 GG sei. Hierbei handele es sich um eine statusrechtliche Voraussetzung, die weder fingiert noch dadurch ersetzt werden könne, daß sie (die Beklagte) die Klägerin so behandeln müsse, als ob sie Deutsche wäre. Ob und inwieweit das Einbürgerungsverfahren durch die Staatsangehörigkeitsregelungsbehörde verzögert worden sei, bedürfe keiner näheren Erörterung. Ob der Klägerin hierdurch ein Vermögensschaden infolge Ausschlusses von der Nachentrichtungsmöglichkeit entstanden sei, wäre in einem Schadensersatzprozeß der Klägerin gegen diese Behörde zu klären. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben bei der Berufung auf statusrechtliche Voraussetzungen könnte allein dann angenommen werden, wenn die Beklagte selbst in irgendeiner Weise die rechtzeitige Aushändigung der Urkunde verhindert oder in angemessener Zeit nicht darauf hingewiesen hätte, daß die Klägerin dafür Sorge zu tragen habe, die statusrechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen. Da die Klägerin den Antrag auf Nachentrichtung erst kurz vor Ablauf der Antragsfrist gestellt habe, sei es schon rein zeitlich nicht mehr möglich gewesen, entsprechende Hinweise zu geben. Der Beklagten als Versicherungsträger eine etwaige Amtspflichtverletzung der Staatsangehörigkeitsregelungsbehörde zuzurechnen, würde dem Prinzip der gegliederten Verwaltung widersprechen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG insoweit aufzuheben, als der Klägerin die Berechtigung zur Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG zugesprochen wird, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG auch insoweit zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß es gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen würde, wenn in einem so krassen Fall wie dem ihren die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde nach jahrelangem Verfahren für ihr Nachentrichtungsrecht entscheidend wäre. Dies widerspräche auch dem Wiedergutmachungsgedanken und dem Recht auf Einbürgerung für Verfolgte.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die Klägerin zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG berechtigt ist.

Das Recht auf Nachentrichtung nach dieser Vorschrift setzt voraus, daß der Antragsteller zur freiwilligen Versicherung nach § 1233 Abs 1 RVO berechtigt ist. Diese Berechtigung steht Personen zu, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich der RVO haben (§ 1233 Abs 1 Satz 1 RVO); das gleiche gilt für Deutsche iS des Art 116 Abs 1 GG, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben (§ 1233 Abs 1 Satz 2 RVO). Die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung muß, wenn sie das Nachentrichtungsrecht nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG begründen soll, spätestens bei Ablauf der in dieser Vorschrift genannten Antragsfrist (31. Dezember 1975) gegeben sein. Entsteht die Berechtigung erst nach Ablauf dieser Frist, vermag sie das Nachentrichtungsrecht nicht mehr zu begründen (Urteil des Senats vom 22. Februar 1980 - BSGE 50, 21 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 37 - und vom 13. Mai 1980 - SozR 2200 § 1233 Nr 17 -).

Die Beklagte und die Vorinstanzen haben angenommen, daß die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit erst wieder mit der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde am 15. Oktober 1976 und damit nach dem maßgeblichen Zeitpunkt erlangt habe; dennoch sei sie (so das LSG) "so zu stellen, als ob sie vor dem 31. Dezember 1975 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hätte". Dem ist im Ergebnis beizutreten.

Ob die Einbürgerungsbehörde - wie das LSG meint - durch "grob fehlerhaftes Verhalten" das Wiedereinbürgerungsverfahren der Klägerin über den für ihren Nachentrichtungsantrag maßgebenden Stichtag verzögert hat und ob, wenn die Frage zu bejahen wäre, die (am Wiedereinbürgerungsverfahren nicht beteiligt gewesene) Beklagte der Klägerin die verspätete Übergabe der Einbürgerungsurkunde nach Treu und Glauben nicht entgegenhalten könnte, hat der Senat offen gelassen (auch in seinem schon genannten Urteil vom 22. Februar 1980 war offen geblieben, wie zu entscheiden wäre, wenn sich das Einbürgerungsverfahren außerhalb des Verantwortungsbereichs des Antragstellers unangemessen lange verzögert, vgl S 9 des Urteils, aaO nicht abgedruckt). Die Klägerin ist nämlich aus einem anderen Grunde zur Nachentrichtung der streitigen Beiträge berechtigt.

Die Klägerin gehört zu den Verfolgten, denen durch die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (RGBl I S 772) die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde. Diese Verordnung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wegen ihres unerträglichen Widerspruchs zur Gerechtigkeit als von Anfang an nichtig zu erachten (BVerfGE 23, 98, Leitsatz 2). Verfolgte, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, haben dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren, soweit sie nicht zu erkennen geben, daß sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen wollen (BVerfGE aaO, Leitsatz 5). Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin keine deutsche Staatsangehörige mehr sein will, sind nicht ersichtlich. Sie ist demnach nicht ausgebürgert worden, sondern deutsche Staatsangehörige geblieben.

Daß die Klägerin 1948 die uruguayische und 1952 zusätzlich die argentinische Staatsangehörigkeit erworben hat, steht dem nicht entgegen. Dadurch hat sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nach §§ 17 Nr 2, 25 Abs 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes verloren. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 8, 81, 88) setzt eine Anwendung dieser Bestimmungen voraus, daß der Betroffene im Zeitpunkt des Erwerbs der fremden Staatsangehörigkeit den damit in der Regel verbundenen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in den Kreis seiner Überlegungen einbeziehen konnte, so daß ein Verfolgter nur dann, wenn er in Kenntnis seiner Rechtsstellung als nicht ausgebürgerter deutscher Staatsangehöriger eine fremde Staatsangehörigkeit auf Antrag erwirbt, die deutsche Staatsangehörigkeit verliert. Daß die Klägerin beim Erwerb der uruguayischen (1948) und der argentinischen Staatsangehörigkeit (1952) den erst durch das GG angeordneten und durch die Rechtsprechung des BVerfG, insbesondere durch die Entscheidung vom 14. Februar 1968 (BVerfGE 23, 98) geklärten Fortbestand ihrer deutschen Staatsangehörigkeit kannte, ist auszuschließen.

Hat aber die Klägerin ihre deutsche Staatsangehörigkeit weder durch die "Ausbürgerung" im Jahre 1941 noch durch den Erwerb der uruguayischen und der argentinischen Staatsangehörigkeit verloren, dann war sie von den deutschen Behörden von dem Zeitpunkt an wieder als Deutsche zu behandeln, an dem sie sich auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit berief. Um die Entscheidungsfreiheit der Verfolgten zu respektieren, wurde sie vom deutschen Staat lediglich so lange nicht als Deutsche betrachtet, als sie sich nicht durch Wohnsitzbegründung oder Antragstellung auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit berufen hatte (BVerfGE 23, 98, 108; vgl auch BVerfGE 54, 53, 69 und Urteil des erkennenden Senats vom 22. Februar 1980 aaO).

Mit ihrem Antrag auf Wiedereinbürgerung am 26. Oktober 1972 hat sich die Klägerin auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit berufen. Das hatte zur Folge, daß sie bereits von diesem Tage ab als deutsche Staatsangehörige anzusehen war; einer konstitutiven Wiederbegründung ihrer deutschen Staatsbürgerschaft durch Aushändigung einer Einbürgerungsurkunde bedurfte es nicht. Der jahrelangen Verzögerung des Wiedereinbürgerungsverfahrens kommt deshalb keine die Klägerin rechtlich benachteiligende Wirkung zu. Die Klägerin hatte somit im Zeitpunkt ihrer Antragstellung auf Beitragsnachentrichtung auch die Voraussetzung des § 1233 Abs 1 Satz 2 RVO (Deutsche iS des Art 116 Abs 1 GG zu sein) erfüllt.

Mit dieser Entscheidung führt der Senat seine bisherige, in den genannten Urteilen niedergelegte Rechtsprechung fort. Er ergänzt sie allerdings für diejenigen Verfolgten, die nach dem Kriege nicht nach Deutschland zurückgekehrt sind und auf ihren Antrag eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben, dabei aber nicht wußten, daß ihre deutsche Staatsangehörigkeit trotz der während der NS-Zeit erfolgten "Ausbürgerung" erhalten geblieben war, die sich also im Glauben an die Rechtsgültigkeit ihrer "Ausbürgerung" für staatenlos hielten (was beim Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit in den ersten Nachkriegsjahren in aller Regel der Fall gewesen sein wird). Diese Verfolgten dürfen nach Ansicht des Senats nicht schlechter gestellt werden als jene, die nicht Bürger eines fremden Staates geworden sind. Auch sie können und konnten sich mithin jederzeit auf ihre - erhalten gebliebene - deutsche Staatsangehörigkeit berufen und waren dann schon von diesem Zeitpunkt an, nicht erst nach ihrer förmlichen Wiedereinbürgerung, von den deutschen Behörden als Deutsche zu behandeln.

Zu ähnlichen Ergebnissen, was die rechtliche Wirkung einer nach der "Ausbürgerung" erworbenen fremden Staatsangehörigkeit betrifft, kommt auch eine im Schrifttum verbreitete Auffassung, die - unter Hinweis auf den Wortlaut, die Systematik und die Entstehungsgeschichte des Art 116 Abs 2 GG - davon ausgeht, daß die "Ausbürgerung" nach deutschem Staatsangehörigkeitsrecht wirksam gewesen sei, und die deshalb allen Verfolgten lediglich einen Anspruch auf Wiedereinbürgerung nach Art 116 Abs 2 Satz 1 GG zubilligt, sofern sie nicht nach dem Kriege nach Deutschland zurückgekehrt sind (vgl Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Stand: April 1984, Art 116 GG, RdNr 110). Der Einbürgerungsanspruch soll nach dieser Auffassung durch den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit nur dann verlorengegangen sein, wenn ihn der Verfolgte seinerzeit kannte und (so Makarov/v. Mangoldt aaO RdNr 113 f) außerdem anzunehmen ist, daß der Verfolgte mit dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit die deutsche endgültig aufgeben wollte. Ob es auch auf letzteres ankommt, mag fraglich sein. Jedenfalls verliert auch vom Standpunkt dieser Auffassung (Wirksamkeit der "Ausbürgerung") ein Verfolgter, der beim nachträglichen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit nicht weiß, daß er einen Anspruch auf Wiedereinbürgerung hat, den er nur geltend zu machen braucht, um wieder Deutscher zu werden, diesen Anspruch nicht schon durch den Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit. Nichts anderes kann dann aber, wenn man dem BVerfG folgt und von der Nichtigkeit der "Ausbürgerung" ausgeht, für einen Verfolgten gelten, der beim Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit nicht weiß, daß er sich nur auf seine - erhalten gebliebene - deutsche Staatsangehörigkeit zu berufen braucht, um von den deutschen Behörden wieder als Deutscher behandelt zu werden; auch er hat dieses Recht durch den Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit nicht verloren. Nur wer weiß, daß ihm ein bestimmtes Recht zusteht, kann sich bei einer Entscheidung, die den Verlust dieses Rechts zur Folge haben kann (hier: bei der Entscheidung über den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit), von diesem Wissen motivieren lassen (vgl dazu die Rechtsprechung des Senats zur Aufklärung der nach Art 2 § 51a ArVNG bzw Art 2 § 49a AnVNG Nachentrichtungsberechtigten: Nur ein über den Umfang seiner Nachentrichtungsmöglichkeiten ausreichend informierter Berechtigter kann eine "motivierte" Entscheidung treffen, BSGE 50, 16, 18). Was rechtens wäre, wenn ein Verfolgter, der beim Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit zwar von seiner fortbestehenden deutschen nichts wußte, von dem jedoch anzunehmen ist, daß er die fremde Staatsangehörigkeit in jedem Falle, dh auch dann erworben hätte, wenn er seine deutsche gekannt hätte, kann hier offen bleiben; denn bei der Klägerin, die sich nach dem Kriege zunächst für staatenlos hielt (vgl ihren Schriftsatz an das LSG vom 17. Mai 1983), gibt es keinen Anhalt dafür, daß sie auch bei Kenntnis ihrer trotz - "Ausbürgerung" erhalten gebliebenen - deutschen Staatsangehörigkeit die uruguayische und argentinische erworben hätte.

Mit der vorliegenden Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der Rechtsprechung des BVerfG. Dieses unterscheidet zwar zwischen Verfolgten, die eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben, und solchen, die dies nicht getan haben, verweist jedoch auch erstere nur dann auf den Weg der Wiedereinbürgerung, wenn sie mit dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit ihre deutsche "verloren" haben (BVerfGE 23, 98, 108). Daß dies aber selbst bei einem antragsgemäßen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit nicht der Fall gewesen zu sein braucht, hat das BVerfG in BVerfGE 8, 81, 88 ausgeführt; dem ist der erkennende Senat gefolgt.

Im Ergebnis waren hiernach auch im Ausland lebende Verfolgte, die nach dem Kriege eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben, von einer Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 51a ArVNG (= Art 2 § 49a AnVNG) nicht ausgeschlossen, sofern sie sich bis zum Stichtag, dem 31. Dezember 1975, auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit berufen haben, was ihnen jedenfalls dann nicht verwehrt war, wenn sie, wie die Klägerin, beim Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit ihre erhalten gebliebene deutsche nicht gekannt, sich also für staatenlos gehalten haben, andererseits nicht anzunehmen ist, daß sie auch bei Kenntnis ihrer deutschen Staatsangehörigkeit die fremde erworben hätten.

Das LSG hat sonach im Ergebnis zutreffend der Klägerin das Recht auf Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG zugesprochen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661907

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