Leitsatz (redaktionell)

1. Die Sondervorschrift des KOV-VfG § 40 Abs 2 wirkt auf die Zeit vor Inkrafttreten des KOV-VfG am 1955-04-01 zurück.

2. Die Einrede der Verjährung ist auch im Rahmen des KOV-VfG § 40 Abs 2 zulässig.

3. In der Geltendmachung der Verjährungseinrede durch die Versorgungsverwaltung liegt grundsätzlich keine unzulässige Rechtsausübung und kein Verstoß gegen die Grundsätze der Sozialstaatlichkeit. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Unkenntnis, eigene oder fremde Schuld das Nichtgeltendmachen des Anspruchs verursacht hat.

4. Die Verwaltungsbehörde ist nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts gehalten, belastende Verwaltungsakte, die unanfechtbar geworden sind, auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und bei Unrichtigkeit neue Verwaltungsakte an deren Stelle, dh rückwirkend an Stelle der alten zu erlassen.

5. Die Rechtsauffassung zu BVG § 1 Abs 2 Buchst c hat sich gegenüber der Rechtsanwendung vor 1954 durch die Rechtsprechung des BSG bezüglich der in Rußland vor dem Krieg des Jahres 1941 verschleppten russischen Staatsangehörigen deutschen Volkstums gewandelt. Das Tatbestandsmerkmal der Internierung im Ausland wegen deutscher Volkszugehörigkeit ist in personeller, zeitlicher und räumlicher Hinsicht erweitert ausgelegt worden.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27; BGB § 197 Fassung: 1896-08-18, § 201 S. 1 Fassung: 1896-08-18, § 194 Abs. 1 Fassung: 1896-08-18, § 242 Fassung: 1896-08-18; GG Art. 20; BVG § 1 Abs. 2 Buchst. c

 

Tenor

Auf die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen werden das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Mai 1966 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27. Januar 1965 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenversorgung nach ihrem Ehemann vom 1. Januar 1956 an zu zahlen; im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin hat im Dezember 1950 Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) beantragt, weil ihr Ehemann im Jahre 1937 von russischen Dienststellen aus seiner Heimat in der Ukraine wegen seiner deutschen Abstammung verschleppt worden und seitdem verschollen sei. Die Verwaltung lehnte den Antrag mit Bescheid vom 6. November 1951 ab, weil der Ehemann bereits 1937, also vor Kriegsbeginn, verschleppt worden sei. Im März 1960 beantragte die Klägerin Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Verwaltung gewährte - gestützt auf § 40 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) - unter Zustimmung des Landesversorgungsamtes Rheinland-Pfalz mit Bescheid vom 15. November 1963 Verschollenenrente vom 1. März 1960 an. Der - nicht begründete - Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 1964). Im sozialgerichtlichen Verfahren begehrt die Klägerin Versorgung von dem Zeitpunkt ihres ersten Antrages an. Das Sozialgericht (SG) Koblenz verurteilte mit Urteil vom 27. Januar 1965 unter Abänderung der vorausgegangenen Verwaltungsentscheidungen den Beklagten, der Klägerin vom 1. Dezember 1950 an Witwenrente zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG.) Rheinland-Pfalz lud mit Beschluß vom 6. Mai 1965 auf ihren Antrag die Bundesrepublik Deutschland gemäß § 75 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bei und wies mit Urteil vom 27. Mai 1966 die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurück. Es ließ die Revision zu und führte aus: Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Berichtigungsbescheides beruhe auf § 40 Abs. 2 VerwVG, weil sich die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) über die vor dem zweiten Weltkrieg in Rußland verschleppten Volksdeutschen geändert habe. Ein Bescheid nach § 40 Abs. 2 VerwVG habe Rente ex tunc, daher von der ersten Antragstellung (Dezember 1950) an zu gewähren. Der Umstand, daß das VerwVG erst am 1. April 1955 in Kraft getreten ist, stehe der weitergehenden Rückwirkung nicht entgegen, weil Sinn und Zweck des § 40 Abs. 2 VerwVG sei, alle Berechtigten unter Bereinigung der früheren unzutreffenden Rechtsauffassung materiell gleich zu behandeln (ebenso BSG 15, 137). Die Einrede der Verjährung des Beklagten greife deshalb nicht durch, weil die Klägerin im Dezember 1950 bei der Verwaltung einen Antrag gestellt habe und dadurch die Verjährung unterbrochen worden sei (so auch BSG in SozR RVO § 29 Nr. 5).

Mit den zugelassenen Revisionen rügen der Beklagte und die Beigeladene (Bundesrepublik Deutschland) Verletzung des § 40 Abs. 2 VerwVG. Diese Vorschrift ermächtige die Verwaltung nur, den durch die spätere Rechtsprechung fehlerhaft gewordenen Verwaltungsakt vom Inkrafttreten des ermächtigenden Gesetzes (1. April 1955) zurückzunehmen; das LSG hätte daher nicht den Beklagten zur Leistung schon vom 1. Dezember 1950 an verurteilen dürfen. Das LSG habe ferner zu Unrecht die Einrede der Verjährung nicht beachtet und damit § 197 BVG verletzt. Unter Berücksichtigung der geltend gemachten Verjährung könnten auf den Antrag vom März 1960 die Leistungen der Verwaltung bis Ende 1955 verweigert werden (§§ 197, 201 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

das Berufungsurteil und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide vom 15. November 1963 und vom 28. Februar 1964 abzuweisen,

hilfsweise, die angefochtenen Urteile insoweit abzuändern, als damit der Klägerin über den Zeitpunkt der Verjährung hinaus Hinterbliebenenrente gewährt wird.

Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten und der Beigeladenen zurückzuweisen.

Die Klägerin habe gemäß § 40 Abs. 2 VerwVG einen Anspruch darauf, daß der neue Bescheid in vollem Umfange, also auch zeitlich, an die Stelle der früheren Entscheidung trete (so auch BSG 15, 137). Dies entspreche der sozialen Rechtsstaatlichkeit, wonach gesetzwidrige Ergebnisse zu beseitigen seien. Es widerspreche der materiellen Gerechtigkeit, wenn dem Berechtigten Leistungen vorenthalten werden, welche in die Zeit vor Inkrafttreten des VerwVG fallen (ebenso BSG vom 28. November 1962 - 10 RV 207/60 - in Breithaupt 1963, S. 343). Die materielle Gerechtigkeit sei zeitlich nicht teilbar. Auch sei § 197 BGB nicht verletzt. Der Einrede der Verjährung stehe das pflichtgemäße Ermessen der Verwaltung entgegen; mit dieser Einrede dürfe nicht ein gesetzwidriger Zustand aufrechterhalten werden. Diese Auffassung stehe auch nicht mit dem Urteil des 1. Senats in BSG 19, 96 im Widerspruch. Die Entscheidung des 1. Senats habe nur unter den ganz besonderen Umständen dieses Einzelfalles die Einrede der Verjährung nicht ausgeschlossen.

Die Revisionen sind durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie sind in gehöriger Form erhoben und danach zulässig (§ 164 SGG); sie sind auch teilweise begründet.

Streitig ist unter den Beteiligten, ob sich die Wirkung des § 40 Abs. 2 VerwVG auf die Zeit nach Inkrafttreten dieses Gesetzes zu beschränken hat und ob die Einrede der Verjährung (§§ 197, 201 BGB) für die Zeit vor dem 1. Januar 1956 im vorliegenden Fall rechtsmißbräuchlich erhoben worden ist.

Die Klägerin hat den Verwaltungsbescheid vom 15. November 1963 idF des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 1964 angefochten. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide ist daher § 40 VerwVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) maßgebend.

Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, daß hier "unbestritten" § 40 Abs. 2 VerwVG einschlägig und die Rechtslage nur nach dieser Vorschrift zu prüfen sei. Nach § 40 Abs. 2 VerwVG ist ein neuer Bescheid auf Antrag des Berechtigten zu erteilen, wenn das BSG in ständiger Rechtsprechung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat. Die Versorgungsverwaltung ist sodann verpflichtet, sich die vom BSG vertretene Rechtsauffassung zu eigen zu machen und die insofern fehlerhafte Entscheidung durch einen neuen Bescheid zu ersetzen. Voraussetzung für die Anwendung des § 40 Abs. 2 VerwVG ist jedoch, daß die Rechtsprechung des BSG überhaupt von einer früheren Rechtsauffassung zu § 1 Abs. 1 Buchst. c BVG abgewichen ist.

Bei der Anwendung des geltenden Rechts unterscheidet die Rechtsprechung zwischen Tatfrage und Rechtsfrage. Bei der Tatfrage wird untersucht, ob und wie sich der in Betracht kommende Vorgang in Wirklichkeit ereignet hat; bei der Rechtsfrage wird geprüft, ob die in der Rechtsnorm enthaltenen Begriffe sinngemäß ausgelegt und angewandt worden sind. Es ist also ein wesentlicher Unterschied, ob sich die Rechtsprechung deswegen geändert hat, weil sich die richterliche Überzeugungsbildung bei der Feststellung eines bestimmten öfter wiederkehrenden Sachverhalts geändert hat, oder ob hinsichtlich des Begriffs der Internierung Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, von denen die Rechtsfolge der Versorgung abhängt, abweichend von einer früheren Entscheidung ausgelegt worden sind. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob das LSG von einem einwandfreien Sachverhalt ausgegangen ist, weil insoweit eine Verfahrensrüge nicht erhoben ist. Streitig ist nicht die Frage der Überzeugungsbildung, sondern allein die rechtliche Tragweite der Änderung der Auslegung des § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG hinsichtlich des Begriffs "versorgungsrechtlich geschützten Internierung" durch die Rechtsprechung des BSG gegenüber der Zeit der Verwaltungsbescheide von 1950/1951. Hier hat sich in der Tat gegenüber der Rechtsanwendung vor 1954 durch die Rechtsprechung des BSG bezüglich der in Rußland vor dem Krieg des Jahres 1941 verschleppten russischen Staatsangehörigen deutschen Volkstums ein Wandel in der Rechtsauffassung zu § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG ergeben. Das Tatbestandsmerkmal "Internierung im Ausland wegen deutscher Volkszugehörigkeit (§ 1 Abs. 2 Buchst. c BVG)" ist in personeller, zeitlicher und räumlicher Hinsicht erweiternd ausgelegt worden. In personeller Hinsicht ist die sowjetrussische Staatsangehörigkeit kein Hindernis, in zeitlicher Hinsicht erfüllt eine Festnahme vor dem Beginn des Rußlandkrieges im Jahre 1941 das gesetzliche Tatbestandsmerkmal, wenn nicht ausgeschlossen wird, daß der "Internierte" bei Ausbruch des Krieges mit Rußland im Juni 1941 noch gelebt hat, und schließlich hindert es in räumlicher Hinsicht nicht, daß im sowjetrussischen Bereich Organe der russischen Regierung ihre eigenen russischen Staatsangehörigen, soweit sie Volksdeutsche waren, festgehalten haben. Diese Auslegung des § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG entspricht deshalb noch dem Sinn des Gesetzes, weil seit 1934 mit dem Bekanntwerden der nationalsozialistischen Ziele in der Politik der Lebensraumfrage die Volksdeutschen in Sowjetrußland als potentielle Staatsfeinde angesehen wurden und Rußland schon in diesem Zeitpunkt eine Ausdehnung des deutschen Lebensraumes nach Osten befürchten mußte. So hat das BSG mit der Entscheidung vom 15. Mai 1959 - 11 RV 296/58 (SozR BVG § 1 Nr. 42) ausgesprochen, daß eine Internierung im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG auch dann vorliegt, wenn ein russischer Staatsangehöriger wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit vor Beginn des Rußland-Krieges im Jahre 1941 aus seiner Heimat verschleppt und festgehalten worden ist. Ähnlich oder in gleicher Weise haben entschieden: Der erkennende Senat in den Urteilen vom 9. Juni 1959 - 8 RV 853/57 -, vom 29. Oktober 1959 - 8 RV 1249/57 - und vom 17. Dezember 1959 - 8 RV 553/57 -; der 10. Senat in den Urteilen vom 4. Februar 1959 - 10 RV 918/57 - (BVBl 1959, 92 Nr. 24) sowie vom 30. Juli 1959 - 10 RV 1191/57 -. Das BSG hat somit in ständiger Rechtsprechung zu § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG zugunsten der Klägerin eine andere Rechtsauffassung vertreten, als sie dem auf Antrag der Klägerin vom Dezember 1950 erteilten (ablehnenden) Bescheid des Versorgungsamtes (VersorgA) K vom 6. November 1951 zugrunde gelegen hat.

Hiernach hat das LSG zutreffend die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 VerwVG (Wandel in der Rechtsauffassung) bejaht.

Wegen dieser zugunsten der Klägerin seit 1950 geänderten Auffassung in der Auslegung des § 1 Abs. 1 Buchst. c BVG war die Versorgungsverwaltung verpflichtet, der Klägerin einen neuen Bescheid zu erteilen. Dieser neue, auf Grund des § 40 Abs. 2 VerwVG zu erteilende Bescheid tritt in vollem Umfange, also auch zeitlich an die Stelle der früheren Entscheidung (so BSG 15, 137). Diesem vom 7. Senat des BSG ausgesprochenen Grundsatz ist auch die Rechtsprechung weiterer Senate gefolgt (Urteile vom 28. November 1962 - 10 RV 207/60 - in Breith. 1963, 354; vom 26. November 1963 - 10 RV 191/61 - in BVBl 1964 S. 115 Nr. 21; vom 25. Juni 1965 - 10 RV 779/63 - und vom 21. März 1967 - 9 RV 872/64 -). Der Senat tritt dieser Rechtsprechung in vollem Umfang bei. Danach ist eine neue Regelung rückwirkend auch für die Zeit vor dem 1. April 1955 geboten. Das BSG hat in den bezeichneten Entscheidungen auch ausgeführt, weshalb die Rückwirkung nicht durch die Rechtsprechung zu §§ 41, 42 VerwVG berührt wird, daß nämlich diese Vorschriften nicht auf die Zeit vor dem 1. April 1955 zurückwirken. In diesen Entscheidungen zu § 40 Abs. 2 aaO ist darauf hingewiesen, daß jedenfalls nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts die Verwaltungsbehörde gehalten ist, belastende Verwaltungsakte, die unanfechtbar geworden sind, auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und bei Unrichtigkeit neue Verwaltungsakte an deren Stelle, das heißt rückwirkend an Stelle der alten zu erlassen (vgl. auch BSG 9, 203 und BSG vom 14. März 1967 - 10 RV 504/66 -).

Das LSG hat mithin im Grundsatz frei von Rechtsirrtum entschieden, daß § 40 Abs. 2 VerwVG auf Zeiten vor dem 1. April 1955 (Inkrafttreten des Gesetzes nach § 51 Abs. 1 VerwVG) anzuwenden ist. Im vorliegenden Fall kommt es hierauf nicht mehr entscheidend an, weil die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung durchgreift.

Die Klägerin hat ihren Anspruch auf Verschollenenrente zwar erstmals im Dezember 1950 geltend gemacht, dieser Antrag ist aber durch den ablehnenden Bescheid vom 6. November 1951 erledigt worden. Die Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Antrag aus 1950 noch fortwirke und daher die Verjährung bis auf weiteres unterbrochen sei, ist nicht frei von Rechtsirrtum. Denn der erste Antrag ist durch den ablehnenden Bescheid vom 6. November 1951 abschließend behandelt und das Verfahren damit beendet worden; die Klägerin hat gegen den ablehnenden Bescheid auch keinen Rechtsbehelf eingelegt. Aus der Entscheidung des BSG in SozR RVO § 29 Nr. 5 ergibt sich nichts anderes. Sie hat ausgeführt, daß "die Unterbrechung - der Verjährung - bis zur Beendigung des durch den Antrag veranlaßten Verwaltungsverfahrens fortdauert". Der Antrag würde nur dann fortwirken, wenn die Klägerin auf ihren Antrag noch keinen Bescheid erhalten hätte. Dieser Sachverhalt ist aber nicht gegeben. Ein weiterer Antrag der Klägerin gegenüber dem VersorgA betrifft, wie die Prozeßgeschichte erkennen läßt, nicht mehr die Verschollenenrente, sondern die Elternrente nach ihrer ältesten Tochter G G, geboren am 13. Oktober 1920.

Für den Zeitpunkt des Beginns der Verjährung ist daher maßgebend der zweite Antrag der Klägerin, das ist der Antrag vom März 1960, den sie beim Landratsamt des U.-kreises gestellt hat und den dieses dem Versorgungsamt am 14. März 1960 zugeleitet hat. Die Verjährung, die für wiederkehrende Leistungen nach § 197 BGB vier Jahre, vom Schlusse des Jahres an gerechnet (§ 201 BGB), beträgt, ist also erst mit dem Antrag vom März 1960 unterbrochen worden. Verjährt sind sonach die mehr als vier Jahre vor dem Antrag vom März 1960 zurückliegenden Rentenbeträge, also die für die Zeit vor dem 1. Januar 1956 beanspruchten Versorgungsleistungen. Zu Unrecht hat das LSG die Verjährungseinrede nicht beachtet und daher auch für die Zeit vor dem 1. Januar 1956 zur Leistung verurteilt (vgl. BSG 19, 88; BSG Urteil vom 21. März 1967 - 9 RV 872/64 -); in der Geltendmachung der Verjährungseinrede durch den Beklagten liegt grundsätzlich keine unzulässige Rechtsausübung. Das Rechtsinstitut der Verjährung beschränkt die Rechtsposition des Gläubigers dann bis zum Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners, wenn wiederkehrende Leistungen geraume Zeit nicht geltend gemacht worden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Unkenntnis, eigene oder fremde Schuld das Nichtgeltendmachen des Anspruchs verursacht hat, weil die Verjährung kraft Gesetzes durch Zeitablauf eintritt. Um des Rechtsfriedens willen wirkt auch im Sozialrecht die Nichtverfolgung des Anspruchs rechtsvernichtend, sobald die Befugnisse eine gewisse Zeit nicht ausgeübt werden (so Engisch, Vom Weltbild des Juristen, Heidelberg 1950 S. 102 f). Der gleiche Gedanke ergibt sich aus dem alten Rechtssatz: "In praeterito non vivitur". Die Berufung auf die Verjährung bedeutet daher in aller Regel keinen Verstoß gegen die Grundsätze der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 GG) und auch keine Verletzung des § 242 BGB (Treu und Glauben). Das gilt um so mehr auf einem Rechtsgebiet, in dem erst durch wohlwollende (großzügige) Auslegung der Rechtsnormen durch die Rechtsprechung der Versorgungsanspruch zum Tragen gekommen ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob im Einzelfall die Einrede der Verjährung infolge besonderer Umstände einen Rechtsmißbrauch darstellt. Vorliegend sind solche Umstände nicht erkennbar. Diese Rechtslage haben das LSG in seinem angefochtenen Urteil und das SG in seiner gleichlautenden Entscheidung vom 27. Januar 1965 nicht erkannt. Auf die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen waren daher die bezeichneten Urteile dahin abzuändern, daß die Klage abzuweisen ist, soweit die Klägerin Verschollenenrente für die Zeit vor dem 1. Januar 1956 beansprucht. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, weil der vom LSG als unbestritten übernommene Sachverhalt unangegriffen geblieben ist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Da die Klägerin Rente vom Dezember 1950 an beansprucht hat, diese aber nur für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis Ende Februar 1960 zugesprochen werden konnte, entspricht dem Ausmaß des Obsiegens der Revision, daß die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten auferlegt wird (§ 193 Abs. 1 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1982512

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