Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 12.03.1985)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. März 1985 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. September 1980.

Der 1949 geborene Kläger wurde von September 1963 bis September 1966 als Einzelhandelskaufmann ausgebildet, ohne eine Abschlußprüfung abzulegen. Danach war er ua von Oktober 1966 bis Februar 1967 als Chemiearbeiter, von Januar 1969 bis März 1970 als kaufmännischer Angestellter in einem Kompressorenwerk und von April bis Dezember 1970 als Verkaufswagenfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Anfang 1971 war er nur noch als Berufsmusiker (Pianist und Organist) tätig und spielte in verschiedenen Tanz- und Unterhaltungskapellen, zeitweise auch in Schweden und in der Schweiz. Zur deutschen Rentenversicherung sind bis Ende 1970 für 57 Monate und bis Ende April 1978 für weitere 9 Monate Pflichtbeiträge entrichtet. Von 1971 bis 1978 sind auch zur schweizerischen und von 1974 bis 1976 zur schwedischen Rentenversicherung Beiträge entrichtet worden.

Nach einem am 30. April 1978 erlittenen Verkehrsunfall auf der Heimfahrt von seiner Tätigkeit als Musiker wurde dem Kläger von der zuständigen Berufsgenossenschaft eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 % gewährt.

Nach einer Beschäftigung als Diskjockey von April 1981 bis Anfang 1984 und nach Abbruch einer Umschulung zum Hotelkaufmann (8. Februar bis 21. März 1984), die nach ärztlicher Einschätzung wegen der Gehbehinderung keine volle Konkurrenzfähigkeit hätte bewirken können, war der Kläger arbeitslos. Eine weiter beabsichtigte Umschulung zum Augenoptiker trat der Kläger am 21. August 1984 nicht an.

Seinen Rentenantrag vom 29. September 1980 lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger könne trotz Zustands nach Bruch des linken Oberschenkels, der linken Kniescheibe, Verschmächtigung des linken Unterschenkels, Teilversteifung beider oberer und unterer Sprunggelenke und Folgen eines Bruchs des rechten Mittelfußes weiterhin als kaufmännischer Angestellter vollschichtig tätig sein (Bescheid vom 29. April 1982; Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1983). Im Klageverfahren wurde die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab Antragstellung Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren (Urteil des Sozialgerichts -SG- Landshut vom 24. Oktober 1983). Auf die Berufung der Beklagten wurde das vorinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 12. März 1985).

Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne zwar nicht mehr die bisherige Berufstätigkeit als Musiker ausüben, sei aber auf die Tätigkeit eines Diskjockeys sowie auf kaufmännische Beschäftigungen, zB in der Buchhaltung, Registratur, Kalkulation, Rechnungsprüfung, Auftragsbearbeitung oder als Faktorist und Kassierer mit einfacher Tätigkeit verweisbar. Hinsichtlich des bisherigen Berufs, der pflichtversichert gewesen sein müsse, könnten nicht die in der Schweiz und in Schweden ausgeübten Beschäftigungen berücksichtigt werden, auch wenn sie nach dem jeweiligen fremdstaatlichen Recht versicherungspflichtig gewesen wären. Das Bundessozialgericht (BSG) habe insoweit stets auf die Verhältnisse im Bundesgebiet abgestellt. Vorschriften des innerstaatlichen Rechts oder zwischenstaatliche Vereinbarungen stünden dem nicht entgegen. Daß für den Kläger während seiner Beschäftigung als Berufsmusiker bis zu seinem Unfall nur 9 Monate Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet worden seien – zuletzt im April 1978 nach einem Bruttoentgelt von 2.500,– DM –, begründe keine Bedenken hinsichtlich eines Berufsschutzes für diese Tätigkeit. Sie lasse jedoch nach ihrem qualitativen Wert eine Verweisung auf die oben genannten Tätigkeiten zu. Da der Kläger als Berufsmusiker ohne spezielle Ausbildung in Unterhaltungs- und Amüsierbetrieben tätig gewesen sei und für seine Qualifikation aus keinem einschlägigen Tarifvertrag Anhaltspunkte entnommen werden könnten, bleibe als wesentliches Kriterium für die Ermittlung der Qualität seines bisherigen Berufes letztlich nur die Höhe seiner Entlohnung. Diese habe zwar über dem durchschnittlichen Bruttojahresarbeitsentgelt aller Versicherten der Rentenversicherung der Angestellten und Arbeiter gelegen (1977 24.945,– DM und 1978 26.242,– DM). Dabei sei jedoch auch zu berücksichtigen, daß der Kläger für seinen Beruf keine förmliche Ausbildung durchlaufen habe. Es sei daher gerechtfertigt, den Kläger der mittleren Stufe des vom BSG entwickelten Berufsgruppenschemas zuzuordnen, und zwar als Berufsmusiker, der einem Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren vergleichbar sei. Danach könne er sogar auf Tätigkeiten der unteren Stufe der Angestelltenberufe zumutbar verwiesen werden. Erst recht seien ihm einfachere kaufmännische Tätigkeiten zuzumuten, wie sie etwa in der Gruppe II des Gehaltstarifvertrages vom 4. Juli 1983 für den Einzelhandel in Bayern in § 3 aufgeführt seien. Darunter fielen die oben genannten einfachereren kaufmännischen Tätigkeiten, die in der Regel eine Ausbildung erforderten und deshalb für den Kläger aufgrund seiner Ausbildung und Tätigkeit als Einzelhandelskaufmann zumutbar seien. Dafür reichten auch seine gesundheitlichen Kräfte aus. Durch die Unfallfolgen sei er nicht gehindert, körperlich leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen vollschichtig zu verrichten, wie sich aus den Gutachten des Dr. P. … vom 24. Oktober 1983 und des Orthopäden Dr. K. … vom 2. April 1982 ergebe. Schließlich könne der Kläger auch auf den Beruf des Diskjockeys verwiesen werden, den er ab April 1981 mehr als halbtags, zeitweise sogar über 45 Wochenstunden ausgeübt habe. Daß Dr. P. … in diesem Beruf Tätigkeiten nur bis unter halbschichtig für möglich gehalten habe, sei unerheblich. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG komme der tatsächlichen Arbeitsleistung ein stärkerer Beweiswert zu als medizinischen Befunden, soweit es sich nicht um eine besonders günstige Arbeitsgelegenheit handele oder der Versicherte auf Kosten seiner Gesundheit oder unter unzumutbaren Schmerzen oder Beschwerden arbeite. Für derartige Ausnahmen bestehe kein Anhalt. Die Beschäftigung als Diskjockey sei für den Kläger auch zumutbar, zumal sie mit seinem früheren Beruf verwandt sei.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 23 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) sowie der §§ 62, 128 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Er sei hinsichtlich seines bisherigen Berufes unterbewertet und daher zu Unrecht auf Tätigkeiten der untersten Stufe verwiesen worden. Dabei habe das LSG zu Unrecht die zur schwedischen und schweizerischen Rentenversicherung entrichteten Beiträge bei der Bewertung des bisherigen Berufs außer acht gelassen. Nach den mit beiden Staaten geschlossenen Abkommen seien die ausländischen Beitragszeiten für den Erwerb eines Leistungsanspruchs in der deutschen Rentenversicherung „zu berücksichtigen”. Damit müßten diese Beiträge auch bei der Prüfung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufs berücksichtigt werden. Sie seien – ebenso wie die seit 1971 in Deutschland entrichteten Beiträge – überdurchschnittlich hoch gewesen; in der Schweiz seien überwiegend sogar Höchstbeiträge entrichtet worden. In dieser überdurchschnittlichen Vergütung, die er aus fortlaufenden Engagements in bekannten Etablissements erzielt habe, zeige sich sein besonderer Erfolg als freischaffender Unterhaltungsmusiker. Diese Tätigkeit lasse sich nicht in ein Schema bringen, wie es für die typischen Angestelltenberufe gelte; insbesondere könne er nicht in die mittlere Gruppe mit den Leitberuf „Angestellter mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren” eingestuft werden. Als Unterhaltungskünstler auf gehobenem Niveau sei er vielmehr – ebenso wie ein Bühnenkünstler – wegen seiner qualifizierten und speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten nur eingeschränkt verweisbar. Die Verweisung auf einfache kaufmännische Tätigkeiten sei objektiv und subjektiv unzumutbar und bedeute einen erheblichen sozialen Abstieg. Die Verweisung auf Tätigkeiten eines Diskjockeys sei ebenfalls unzumutbar, weil Dr. P. … ihn für zweistündig bis höchstens unterhalbschichtig einsetzbar erachtet habe. Wenn ihn das LSG gleichwohl auf diesen Beruf verwiesen habe, weil es – nach einer angeblich ständigen Rechtsprechung des BSG – der tatsächlichen Arbeitsleistung einen stärkeren Beweiswert als den medizinischen Befunden beigemessen habe, so liege darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil er vom LSG nicht auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt hingewiesen worden sei. Das LSG habe auch nicht eine andere tatsächliche Beurteilung als die im erstinstanzlichen Verfahren zugrunde gelegte vornehmen dürfen, ohne selbst Beweis zu erheben. Darin liege auch ein Verstoß gegen § 128 SGG. Denn es gebe keinen allgemeinen Erfahrungssatz, daß die Ausübung einer unzumutbaren Tätigkeit die Leistungsfähigkeit des Rentenbewerbers trotz entgegenstehender Gutachten beweise bzw vermuten lasse. Das angefochtene Urteil beruhe auf den vorgenannten Verfahrensfehlern, weil er letztlich nur auf die Tätigkeit eines Diskjockeys verwiesen werden könne. Bei einem entsprechenden Hinweis des Gerichts hätte er vorgetragen, daß er die Tätigkeit als Diskjockey nur vorübergehend in einem gesundheitlich unzumutbaren Umfang ausgeübt habe und dazu auch nur aus finanziellen Gründen gezwungen gewesen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. März 1985 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. Oktober 1983 zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

Beide Beteiligte haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die zugelassene Revision des Klägers ist nicht begründet.

Nach § 23 Abs 1 AVG (in der hier noch anzuwendenden Fassung vor dem Haushaltsbegleitgesetz 1984) erhält Rente wegen Berufsunfähigkeit der Versicherte, der berufsunfähig ist, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Da der Kläger mit den – allein zur deutschen Rentenversicherung – entrichteten 66 Monatsbeiträgen die Wartezeit erfüllt hat, hängt die Entscheidung davon ab, ob er berufsunfähig iS von § 23 Abs 2 AVG ist. Dies hat das LSG im Ergebnis zu Recht verneint.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl ua BSGE 55, 45 = SozR 2200 § 1246 Nr 107 und BSGE 57, 291 = SozR 2200 § 1246 Nr 126) ist bei Prüfung der Berufsunfähigkeit Ausgangspunkt der Beurteilung der „bisherige Beruf” des Versicherten. Von diesem aus bestimmt sich ua, welche Verweisungstätigkeiten als zumutbar in Betracht kommen. Bei der Feststellung des bisherigen Berufs des Klägers ist das LSG zutreffend von der letzten vor dem Unfall ausgeübten Tätigkeit des Musikers – richtiger: des Tanz- und Unterhaltungsmusikers – in einem Dienstleistungsberuf ausgegangen (vgl die unter Nr 8316 als Untergruppe der Berufsordnung 831 – Musiker – aufgeführte spezielle Berufsbezeichnung in: Klassifizierung der Berufe, Systematisches und alphabetisches Verzeichnis der Berufsbenennungen, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden, Ausgabe 1975, S 35, 184). Bisheriger Beruf iS des § 23 Abs 2 Satz 2 AVG ist grundsätzlich die letzte vor Eintritt des Versicherungsfalls verrichtete versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 41, 53, 66), sofern sie – wie im vorliegenden Fall – die qualitativ höchste gewesen und auch nicht vor der Erfüllung der Wartezeit von 60 Monaten aufgegeben worden ist (zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 62, 65, 66, 108, 126). Daß der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland nur kurzfristig (neun Monate lang) in diesem Beruf pflichtversichert war, ist für seinen „bisherigen Beruf” ebenso unerheblich (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 66) wie der Umstand, daß er zuvor auch in Schweden und der Schweiz als Musiker tätig war. Denn da es sich dort um die gleiche – nicht eine höher qualifizierte – Tätigkeit gehandelt hat, hat sich sein „bisheriger Beruf” dadurch nicht geändert, vorausgesetzt, daß es sich bei den Auslandstätigkeiten überhaupt um eine pflichtversicherte Tätigkeit gehandelt hat (bei nicht versicherungspflichtiger Tätigkeit kommt der Auslandstätigkeit für den bisherigen Beruf ohnehin keine Bedeutung zu). Ebenfalls unerheblich ist, nach welchem Entgelt ggf im Ausland Pflichtbeiträge entrichtet worden sind; denn das aus dem bisherigen Beruf konkret erzielte Entgelt hat keine – jedenfalls keine eigenständige – Bedeutung für dessen Qualität; diese bestimmt sich vielmehr nach den typischen Verhältnissen des Berufs und nicht nach den individuellen Verhältnissen des Klägers (BSG SozR Nrn 80, 103 zu § 1246 RVO). Der Senat kann deshalb die vom Kläger aufgeworfene Frage offenlassen, ob und unter welchen Voraussetzungen Normen des hier maßgeblichen zwischenstaatlichen Rechts einer in Schweden und der Schweiz ausgeübten versicherungspflichtigen Tätigkeit Relevanz für die Bestimmung des bisherigen Berufs und seiner Bewertung im Sinne des deutschen Rentenversicherungsrechts verleihen können (vgl dazu BSGE 50, 165 = SozR 2200 § 1246 Nr 64).

Aufgrund der Feststellungen des LSG, die mangels hiergegen vorgebrachter Revisionsrügen auch für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), kann der Kläger seinen Beruf als Tanz- und Unterhaltungsmusiker nicht mehr ausüben. Es kommt daher auf den qualitativen Wert dieses bisherigen Berufes an, um bestimmen zu können, welche Verweisungstätigkeiten im Rahmen des § 23 Abs 2 AVG als zumutbar in Betracht kommen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift beurteilt sich die Erwerbsfähigkeit des Versicherten nach allen (objektiv) seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeiten, die ihm (subjektiv) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Hiernach stehen die sog Verweisungstätigkeiten in einer Wechselwirkung zum „bisherigen Beruf”. Deshalb muß – da die Verweisbarkeit davon abhängt – dieser Beruf nach den vorgenannten Kriterien bewertet, also sein qualitativer Wert festgestellt werden.

Hierzu hat die Rechtsprechung bereits entschieden, daß sich zwar das für die Arbeiterrentenversicherung (ArV) entwickelte Vierstufenschema auf Angestelltenberufe wegen Fehlens einer der für Arbeiterberufe typischen Grundstruktur nicht übertragen lasse, es jedoch zulässig und geboten sei, auch in der Angestelltenversicherung (AV) den Begriff der Berufsunfähigkeit unter weitgehender Heranziehung der für die ArV maßgebenden rechtlichen Kriterien auszulegen und zu definieren. Dem folgend hat sich der erkennende Senat in seinem Urteil vom 24. März 1983 (BSGE 55, 45, 47 ff = SozR 2200 § 1246 Nr 107) zu einer Schematisierung auch der tarifvertraglich erfaßten Angestelltentätigkeiten imstande gesehen und ist dabei – allerdings beschränkt auf die Angestelltentätigkeiten mit einem Bruttoarbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze – von drei Gruppen mit den Leitberufen des „unausgebildeten Angestellten” (untere Gruppe), des Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (mittlere Gruppe) und des Angestellten mit einer längeren – durchschnittlich dreijährigen Ausbildung (obere Gruppe) ausgegangen. Dieses Schema ist aber nicht erschöpfend, denn es erfaßt nicht diejenigen Angestelltenberufe, für die über eine längere Ausbildung hinaus zusätzliche Zugangsvoraussetzungen wie etwa die Ablegung einer Meisterprüfung, der erfolgreiche Besuch einer Fachschule oder das abgeschlossene Studium an einer fach- oder wissenschaftlichen Hochschule erforderlich sind (BSG aaO). Dem hat der 11. Senat des BSG im wesentlichen und mit der ausdrücklichen Ergänzung zugestimmt, daß in die mittlere und obere Gruppe auch Angestellte einzuordnen seien, die nicht die erforderliche Berufsausbildung besäßen, jedoch eine Tätigkeit mit gleichem Wert ausübten (gleichgestellte Tätigkeiten). Dies treffe zu, wenn sie eine Tätigkeit, die an sich eine bestimmte Berufsausbildung erfordere, auch ohne diese „vollwertig”, dh im Besitz des dafür erforderlichen Wissens und Könnens, ausübten oder wenn ein von ihnen ausgeübter Beruf, der keine (oder eine geringere) Ausbildung erfordere, so viele Qualitätsmerkmale aufweise, daß die Gleichstellung mit einem Ausbildungsberuf geboten sei (vgl BSGE 57, 291, 297 ff = SozR 2200 § 1246 Nr 126). Auch der 5a-Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung des erkennenden Senats angeschlossen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 114) und in Fortentwicklung dieser Rechtsprechung bestätigt, was der erkennende Senat in seinem Urteil vom 24. März 1983 bezüglich der möglichen Unterscheidungskriterien für Angestellte angedeutet hat, die über eine längere Ausbildung hinaus zusätzliche Zugangsvoraussetzungen für die Ausübung ihres Berufes erfüllen müssen (BSGE 59, 249, 251 = SozR 2600 § 46 Nr 18).

Der vorliegende Fall bietet keine Veranlassung zu einer weiteren Vertiefung oder Fortbildung dieser Rechtsprechung. Der vom Kläger bisher ausgeübte Beruf eines „Tanz- und Unterhaltungsmusikers” gehört nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG zu den tarifvertraglich erfaßten Angestelltentätigkeiten mit einem Entgelt unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze (1978: 3.700,– DM monatlich). Dieser Beruf dürfte zwar mit der Zuordnung zu der mittleren Gruppe der Angestelltenberufe (Leitberuf des Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren) möglicherweise unterbewertet sein; er kann jedoch allenfalls der oberen Gruppe der Angestelltenberufe (Leitberuf des Angestellten mit einer längeren als zweijährigen Ausbildung) zugeordnet werden. Für die Zuordnung in eine noch höhere Gruppe, der im Bereich der ArV der Leitberuf des „besonders hoch qualifizierten Facharbeiters” bzw des „Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion” entsprechen könnte (vgl dazu grundlegend BSGE 45, 276, 278 = SozR 2200 § 1246 Nr 27 und BSGE 43, 243, 246 = SozR aaO Nr 16), bietet der festgestellte Sachverhalt keinen Anhalt. Deshalb kann der Senat hier offenlassen, ob die Bildung einer solche Gruppe auch innerhalb der Angestelltenberufe möglich und geboten ist.

Der Kläger hat in seinem bisherigen Beruf keine berufliche Ausbildung durchlaufen, die dem Leitbild des Angestellten mit einem Ausbildungsberuf entspricht. Dabei geht es hier nicht darum, daß im Falle eines an sich vorgeschriebenen „herkömmlichen” Ausbildungswegs dieser nicht beschritten, also eine Tätigkeit auch ohne die dafür erforderliche Berufsausbildung gleichwohl vollwertig (gegenüber den Ausgebildeten gleichwertig) ausgeübt worden ist. Vielmehr ist der vorliegende Sachverhalt dadurch gekennzeichnet, daß der bisherige Beruf des Klägers generell keine Ausbildungszeit voraussetzt, wie sie regelmäßig bei den Angestellten der oberen oder mittleren Gruppe vorgesehen ist (vgl dazu die Ausführungen des erkennenden Senats zum Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe im Urteil vom 24. März 1983, aaO). In einem solchen Fall gestaltet sich zwar die Einordnung in das auch für die Angestelltenberufe in der Rechtswirklichkeit erkennbare Stufenschema besonders schwierig, zumal hier auch nicht durch die Heranziehung der für den Beruf des Klägers in Frage kommenden Tarifverträge Anhaltspunkte dafür gewonnen werden können, wie die der Berufswelt besonders nahestehenden Tarifpartner die Qualität des Berufes eines Tanz- und Unterhaltungsmusikers bewerten. Maßgebend ist insoweit, ob dieser Beruf so viele positiv zu bewertende Qualitätsmerkmale und Anforderungen aufweist, daß die Gleichstellung mit einem Ausbildungsberuf geboten ist.

Für diese Bewertungen sind – entgegen der Ansicht der Revision weniger die für die Berufsausübung geforderten Charaktereigenschaften wie Selbständigkeit, Einsatzfreudigkeit uä maßgebend, mögen sie auch unter die „besonderen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit” zu subsumieren sein. In erster Linie kommt es vielmehr für den qualitativen Wert des Berufes, aber auch für den Vergleich verschiedener Berufe untereinander auf das Maß der beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten an, wie sie sich in aller Regel nach Intensität und Dauer der zugrundeliegenden Ausbildung bestimmen. Hierzu hat der erkennende Senat bereits dargelegt, daß der Gesetzgeber einerseits in § 23 Abs 2 Satz 2 AVG als bestimmende Kriterien für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit eines Versicherten die Dauer und den Umfang der Ausbildung bezeichnet hat, dies andererseits dem in der sozialen Wirklichkeit vorzufindenden Tatbestand entspricht, daß für die Angestelltenberufe wie für die Arbeiterberufe im Hinblick auf die unterschiedliche Länge und den unterschiedlichen Umfang der Ausbildung differenzierte Zugangsvoraussetzungen bestehen. Von daher gesehen lassen sich die handwerklich-künstlerischen Fähigkeiten und Talente eines Tanz- und Unterhaltungsmusikers, der als Solist in einem kleinen Ensemble Unterhaltungsmusik spielt, allenfalls mit den Fähigkeiten eines Angestellten vergleichen, der für seine Tätigkeit eine mehr als zweijährige (regelmäßig dreijährige) Ausbildung benötigt. Hingegen fehlen für die Einordnung in eine besonders qualifizierte Gruppe der Angestelltenberufe, deren Berufstätigkeit im Hinblick auf besondere geistige und persönliche Anforderungen die der oberen Gruppe noch deutlich überragt, nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt jegliche Hinweise. Welche Kriterien für die Zuordnung in eine solche Gruppe möglicherweise in Betracht kommen, hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 2. Dezember 1987 (- 1 RA 11/86 –, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen) näher dargelegt. Der 11. Senat hat solche Kriterien auch in den Leistungsgruppendefinitionen der Anlage 1 (B) zum Fremdrentengesetz (FRG) gesehen (BSGE 57, 292, 298 f). Danach fehlt es beim Kläger an Anhaltspunkten dafür, daß er gegenüber anderen Musikern weisungsbefugt gewesen wäre (etwa als Dirigent oder künstlerischer und technischer Leiter einer Tanz- und Unterhaltungskapelle) oder daß er über besondere Fachkenntnisse und Fähigkeiten oder über Spezialkenntnisse verfügt hätte, wie sie etwa für Mitglieder von Kulturorchestern (unterhalb der Sonderklasse und der Tarifklasse I) nach der Leistungsgruppe 3 der Anlage 1 (B) zum FRG gefordert werden. Als einfacher Tanz- und Unterhaltungsmusiker kann er lediglich der unter dieser Gruppe stehenden Leistungsgruppe 4 der vorgenannten Anlage zum FRG zugeordnet werden. Diese Gruppe erfaßt Angestellte ohne eigene Entscheidungsbefugnisse in einfacher Tätigkeit, deren Ausübung eine abgeschlossene Berufsausbildung oder durch mehrjährige Berufstätigkeit, den erfolgreichen Besuch einer Fachschule oder durch privates Studium erworbene Fachkenntnisse voraussetzt. Dies entspricht der „oberen Gruppe” der Angestelltentätigkeiten im Sinne der zu § 23 Abs 2 AVG ergangenen Rechtsprechung des Senats.

Ist mithin der Kläger nach seinem bisherigen Beruf in die obere Gruppe der Angestelltentätigkeiten einzuordnen, so begründet die gesundheitsbedingte Aufgabe dieses Berufes noch keinen Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente. Der Kläger muß sich vielmehr anspruchsausschließend auf einfachere kaufmännische Tätigkeiten verweisen lassen, wie sie in der Gruppe II des Gehaltstarifvertrages vom 4. Juli 1983 für den Einzelhandel in Bayern in § 3 aufgeführt sind. Die darunter erfaßten Arbeiten ua in der Buchhaltung, Registratur, Kalkulation, Rechnungsprüfung, Auftragsbearbeitung und Personalkontrolle erfordern in der Regel – wie das LSG unangegriffen festgestellt hat – eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung oder Ausbildung in einem artverwandten Beruf bzw anstelle der kaufmännischen Ausbildung eine kaufmännische Berufstätigkeit von etwa drei Jahren. Solche Tätigkeiten sind dem Kläger nach seiner Vorbildung zumutbar.

Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG hat der Kläger von 1963 bis 1966 eine dreijährige Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann erhalten, wie sie damals und auch jetzt wieder (aufgrund der Verordnung über die Berufsausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel/zur Kauffrau im Einzelhandel vom 14. Januar 1987, BGBl I S 153) vorgesehen ist. Daß der Kläger, der während seiner Ausbildung die Berufsschule besucht hat, sich der vorgesehenen Abschlußprüfung nicht unterzogen hat, bedeutet nicht, daß er nicht über entsprechende kaufmännische Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte. Denn er war – wie das LSG ebenfalls unangegriffen festgestellt hat – anschließend in diesem Beruf etwa zwei Jahre lang „vollwertig” tätig, ua in der Auftragsabwicklung, im Versand und in der Spediteurdisposition bei einem Kompressorenwerk. Aufgrund dieser Vorkenntnisse hat ihn das LSG zutreffend für fähig erachtet, nach kurzer Einarbeitungszeit wieder in diesem beruflichen Sektor tätig zu sein. Soweit derartige kaufmännische Arbeiten zur oberen Gruppe der Angestelltenberufe innerhalb des vom Senat entwickelten Dreistufenschemas gehören, sind sie für den Kläger, dessen bisheriger Beruf höchstens eine Einstufung in diese Gruppe zuläßt, ohne weiteres zumutbar; aber auch soweit kaufmännische Tätigkeiten lediglich der mittleren Gruppe zuzuordnen sind, sind sie dem Kläger beruflich zumutbar. Denn auf Tätigkeiten dieser Gruppe dürfen Versicherte, deren bisheriger Beruf zur oberen Gruppe der Angestelltenberufe gehört, ebenfalls zumutbar verwiesen werden (vgl das Urteil des erkennenden Senats vom 2. Dezember 1987, aaO).

Bei dieser Sachlage kann der Senat offen lassen, ob der Kläger auch auf seine frühere, dem bisherigen Beruf verwandte Tätigkeit eines Diskjockeys verwiesen werden kann.

Ihm steht nach alledem eine BU-Rente nicht zu. Das hat das LSG im Ergebnis zutreffend erkannt, so daß die Revision des Klägers zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173335

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