Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittel. Personalcomputer. Notebook. allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Schulpflicht. Schulfähigkeit. Regelschule. Sonderschule. elementare Schulausbildung. Grundwissen. Diskriminierungsverbot. behinderter Mensch
Leitsatz (amtlich)
Eine Krankenkasse hat einen behinderten Schüler einer Sonderschule oder Regelschule nur dann mit einem der Herstellung oder Sicherung seiner Schulfähigkeit dienenden Hilfsmittel (hier: Notebook-PC für Blinde) auszustatten, wenn er noch der Schulpflicht unterliegt.
Normenkette
SGB V § 33 Abs. 1 S. 1; SGB IX § 31 Abs. 1; BSHG § 39 Abs. 5, § 40 Abs. 1 Nr. 2; SGB X § 104 Abs. 1 S. 1; GG Art. 3 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. März 2003 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Mai 2001 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 1976 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Beigeladene ist seit seiner Geburt blind und spastisch gelähmt. Er besuchte zunächst bis zur 9. Klasse eine Blindenschule und danach mehrere Regelschulen, wobei er nach dem Realschulabschluss im August 1997 auf ein Gymnasium wechselte. Im Juni 2000 legte er das Abitur ab. Seit dem Wintersemester 2000/2001 studiert er Psychologie. Zu Hause und in der Schule wurde er durch einen Zivildienstleistenden unterstützt.
Anlässlich des Wechsels von der Blindenschule auf eine Regelschule im August 1993 wurde der Beigeladene vom klagenden Sozialhilfeträger für den Schulunterricht und die Hausaufgaben mit zwei behinderungsgerechten Computeranlagen nebst Zubehör ausgestattet. Der damalige Erstattungsstreit endete mit einem Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, an den Kläger 34.462,91 DM zu zahlen.
Während des 10. Realschuljahres beantragte der Beigeladene Ende 1996 bei der Beklagten die Versorgung mit einem Notebook-PC für Blinde (Braillex Compact), einem Texterkennungssystem (Readmaster 2 Private), jeweils mit Einführungskursen zur Bedienung der Hard- und Software, sowie mit einer Textausgabeeinrichtung in Blindenschrift (Braillex 2 D-Screen). Zur Begründung führte er aus, die vorhandenen Geräte genügten den erhöhten Anforderungen der 10. Realschulklasse sowie der anschließenden Klassen 11 bis 13 des Gymnasiums in mehreren Fächern nicht mehr. Der Austausch des vorhandenen Geräts Notex 40 gegen das Braillex Compact sei notwendig, weil der von dem Hersteller in Aussicht gestellte Mathematikeditor nur mit dem neuen Gerät betrieben werden könne. Mit dem Mathematikeditor könnten verschiedene Mathematikschriften unterrichtsgerecht konvertiert werden. Eingehende Brailleschrift werde in reguläre Schwarzschrift übertragen, die ausgedruckt werden könne und auf einem Monitor für die Lehrkräfte zu lesen sei. Eine Aufrüstung der vorhandenen Geräte sei nicht möglich. Die mathematischen Aufgaben seien zudem länger und umfangreicher geworden; in Ziffern gingen sie über die vorhandene 45-stellige Braillezeile hinaus. Deswegen benötige er zusätzlich die angegebene 80-stellige Textausgabeeinrichtung.
Da die 10. Realschulklasse bereits begonnen hatte und die Neuausstattung deshalb dringend benötigt wurde, beantragte der Beigeladene zugleich auch beim Kläger die Versorgung mit den gewünschten neuen Geräten. Der Kläger erwarb die Geräte (ohne den nicht verfügbaren Mathematikeditor) und stellte sie dem Beigeladenen im Rahmen der Eingliederungshilfe leihweise zur Verfügung. Ferner sagte er die Kostenübernahme für die geplanten Schulungen zu (Bescheid vom 23. Dezember 1996). Die Beklagte verneinte demgegenüber ihre Leistungspflicht nach § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), weil die Erfüllung der erhöhten schulischen Anforderungen über die Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses hinausginge, und lehnte deshalb die Erstattung der angefallenen Kosten in Höhe von 76.529,35 DM (einschließlich 6.728,60 DM Schulungskosten) ab.
Im Klageverfahren verlangte der Kläger von der Beklagten nur noch die Erstattung von 73.529,35 DM (37.594,06 €) nebst Verzugszinsen, weil er die Kosten für einen handelsüblichen Computer (3.000 DM) als allgemeinen Gebrauchsgegenstand für nicht erstattungsfähig hielt. Der Kläger machte geltend, die Beklagte sei krankenversicherungsrechtlich zur Ausrüstung des Beigeladenen mit den Geräten verpflichtet gewesen, weil dies zur Sicherung der erfolgreichen Teilnahme am Schulunterricht in der 10. Realschulklasse und in der gymnasialen Oberstufe notwendig gewesen sei. Mit den seit 1993 bereitgestellten Geräten sei – trotz ständiger Hilfestellung durch einen Zivildienstleistenden – angesichts der gestiegenen schulischen Anforderungen ein zuverlässiges, zügiges Arbeiten nicht mehr möglich gewesen. Der vom Hersteller in Aussicht gestellte, dann aber nicht auf den Markt gebrachte und deshalb auch nicht nachgelieferte Mathematikeditor sei kein unverzichtbarer Bestandteil der Neuausstattung gewesen, die dem Stand der Technik im Jahre 1996 entsprochen habe.
Die Beklagte wandte ein, die Neuausstattung widerspreche dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Die vorhandenen Geräte seien umrüstbar gewesen, um den erhöhten schulischen Anforderungen gerecht zu werden. Es sei auch nicht geprüft worden, ob ein anderer Hersteller diese oder vergleichbare Hilfsmittel zu einem günstigeren Preis hätte liefern können. Zudem seien die neuen Geräte nicht in vollem Umfang nutzbar gewesen, weil der Mathematikeditor fehlte, die Software für die französische Sprachausgabe nicht ausgereift gewesen sei und der Beigeladene erst im Jahre 1998 im Umgang mit den neuen Geräten geschult worden sei. Bis dahin habe sich der Beigeladene notdürftig mit der alten Ausrüstung behelfen müssen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 29. Mai 2001 verurteilt, an den Kläger 73.529,35 DM (37.594,96 €) nebst Zinsen in Höhe von 4 vH auf 66.800,75 DM (34.154,68 €) ab 1. März 1997 sowie auf weitere 6.728,60 DM (3.440,28 €) ab 1. August 1998 zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 28. März 2003 zurückgewiesen. Die Vorinstanzen haben die Beklagte im Verhältnis zum Beigeladenen für leistungspflichtig erachtet, weil die neue behindertengerechte PC-Ausstattung nebst Zubehör und Schulung notwendig gewesen sei, um den erhöhten Anforderungen des Unterrichts in den Klassen 10 bis 13 an allgemein bildenden Schulen des Regelschulsystems gerecht zu werden und damit das Grundbedürfnis des Beigeladenen auf Herstellung und Wahrung seiner Schulfähigkeit zu befriedigen. Preiswertere Alternativen seien nicht erkennbar gewesen. Der Notwendigkeit der Neuausstattung stünden auch nicht die beschriebenen Mängel entgegen, weil diese Umstände erst nach der Anschaffung erkennbar geworden seien. Gegebenenfalls könne die Beklagte den Verkäufer auf Sachmängelhaftung in Anspruch nehmen. Daher sei der geltend gemachte Erstattungsanspruch nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) begründet.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 104 SGB X iVm § 33 SGB V. Sie macht geltend, der Besuch der gymnasialen Oberstufe verfolge primär den Zweck, einen Schüler auf das Studium vorzubereiten, und zähle deshalb nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Dazu gehöre nur der Erwerb einer “elementaren Schulausbildung” (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 40), wie sie im Rahmen der – hier längst beendeten – Schulpflicht vermittelt werde. Zudem seien die neuen Hilfsmittel nur eingeschränkt brauchbar gewesen. Eine Aufrüstung der vorhandenen Geräte hätte jedenfalls ausgereicht.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 28. März 2003 und des SG Stuttgart vom 29. Mai 2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich gemäß §§ 165, 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Beklagte ist zur Kostenerstattung nicht verpflichtet.
Rechtsgrundlage des Erstattungsbegehrens ist § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X: “Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat”. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch steht dem Kläger danach nicht zu. Er hat zwar den Beigeladenen im Wege der Eingliederungshilfe (§ 40 Abs 1 Nr 2 Bundessozialhilfegesetz ≪BSHG≫) als im Verhältnis zum Krankenversicherungsträger grundsätzlich nachrangiger Sozialleistungsträger (§ 2 BSHG iVm § 39 Abs 5 BSHG) mit Hilfsmitteln im Wert von 37.594,96 € ausgestattet. Die Beklagte war aber im Verhältnis zum Kläger nicht vorrangig verpflichtet, den Beigeladenen hiermit zu versorgen. Vielmehr war eine Leistungspflicht der Beklagten zu verneinen.
Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Variante), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Variante, die erst zum 1. Juli 2001 in das SGB V eingefügt worden ist) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Variante), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der erkennende Senat hat bereits mehrfach (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22 und Nr 26; stRspr) entschieden, dass ein behinderungsgerecht ausgestatteter PC als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Betracht kommt. Dies gilt ebenso für ein Notebook (bzw Laptop), das für den Behinderten im Vergleich zum stationären PC noch vielfältiger einsetzbar ist (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 40).
Dem Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X steht aber entgegen, dass der Beigeladene die Hilfsmittel für den Besuch der 10. Realschulkasse sowie der gymnasialen Oberstufe in Regelschulen und zur Teilnahme an dem dort angebotenen Unterricht erhalten hat, ohne noch der Schulpflicht zu unterliegen. Damit diente die Hilfsmittelversorgung nicht der Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens, einer ungeschriebenen Einschränkung der Leistungspflicht nach § 33 SGB V.
Die Rechtsprechung hat Mittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzen, sondern in erster Linie bei deren Folgen auf beruflichem oder gesellschaftlichem Gebiet sowie bei Freizeitbetätigungen, nicht als Hilfsmittel der GKV anerkannt und insoweit zwischen Hilfsmitteln der GKV und solchen der Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff BSHG unterschieden (BSG SozR 2200 § 187 Nr 1 – elektrische Schreibmaschine bei einer Phokomelie der oberen Gliedmaßen; BSG SozR 2200 § 182b Nr 5 – Blindenschrift-Schreibmaschine). Soweit jedoch allgemeine Grundbedürfnisse des täglichen Lebens betroffen sind, fällt nach der bisherigen Rechtsprechung auch der Ausgleich der Folgen der Behinderung auf den genannten Gebieten in die Leistungspflicht der GKV (BSG SozR 2200 § 182b Nr 10 – Clos-o-mat; stRspr). Hierin unterscheiden sich die lediglich dem mittelbaren Ausgleich dienenden Hilfsmittel nicht von den unmittelbar an der Behinderung ansetzenden Hilfsmitteln (so zB Körperersatzstücke, Hör- und Sehhilfen). Zu den Grundbedürfnissen jedes Menschen gehören die körperlichen Grundfunktionen (zB Gehen, Stehen, Sitzen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) sowie die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen und die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der zB die Bewegung im Nahbereich der Wohnung sowie die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung umfasst. Maßstab ist stets der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke oder behinderte Mensch durch die medizinische Rehabilitation und mit Hilfe der von der KK gelieferten Hilfsmittel wieder aufschließen soll (vgl BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 7, 13 und 16 sowie die Rechtsprechung zur RVO: BSG SozR 2200 § 182b Nr 29, 34 und 37). Bei einem sehbehindertengerecht ausgestatteten Notebook, das von einem Studenten in erster Linie für studienbezogene Zwecke eingesetzt wird, für die Beschaffung von Informationen und die Herstellung von Kommunikationsmöglichkeiten im täglichen Leben aber nicht unerlässlich ist, handelt es sich nicht um ein von der GKV zu leistendes Hilfsmittel, weil ein Studium an einer Hochschule dem Bereich der Berufsausbildung zuzuordnen ist. Die Studierfähigkeit, die mit diesem Hilfsmittel gefördert werden soll, zählt nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens eines Menschen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 40).
Zu den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit langer Zeit anerkannten Aufgaben der GKV gehört allerdings die Herstellung und die Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers bzw der Erwerb einer elementaren Schulausbildung (BSGE 30, 151, 154; BSG SozR 2200 § 182 Nr 73; BSG SozR 2200 § 182b Nr 28; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22 und 40). Das ergibt sich aus der historischen Entwicklung der Hilfsmittelversorgung in der Krankenversicherung. Ursprünglich war die GKV als reine Arbeitnehmerversicherung konzipiert. Sie hatte das Ziel, den im Erwerbsleben stehenden Versicherten im Falle der Arbeitsunfähigkeit durch Krankenhilfe, Hilfsmittelversorgung und andere Maßnahmen wieder in das Arbeitsleben einzugliedern (zur Hilfsmittelversorgung vgl den durch das Rehabilitationsangleichungsgesetz ≪RehaAnglG≫ aufgehobenen § 187 Nr 3 RVO), wobei die Begriffe der Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit iS der GKV auf die vom Versicherten bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit abstellten (BSGE 19, 179, 181). Mit der späteren Einbeziehung nicht im Erwerbsleben stehender Personen in die GKV erwies sich diese Auslegung des Begriffs “Arbeitsfähigkeit” jedoch als zu eng. Eine strenge Bezugnahme dieses Begriffs auf den bisher ausgeübten Beruf hätte in den Fällen, in denen es sich um Versicherte handelt, die infolge Invalidität oder Alter aus dem Erwerbsleben bereits ausgeschieden waren (Rentner) oder als mitversicherte Familienangehörige entweder überhaupt nicht am Erwerbsleben teilnahmen (Nur-Hausfrauen) oder noch vor dem Eintritt in das Berufsleben standen (Kinder, Schüler, Studenten), zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Leistungsausschluss nach geführt. Daher hat es die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) trotz zunächst unveränderten Wortlauts des § 187 Nr 3 RVO ausreichen lassen, wenn mit einem Hilfsmittel die Fähigkeit hergestellt oder erhalten wurde, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (BSGE 30, 270, 272; 33, 263, 265; BSG SozR 2200 § 182 Nr 60; so auch die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien vom 26. Februar 1982, Beilage Nr 32/82 zum Bundesanzeiger Nr 125 = DOK 1982, 621 = BKK 1982, 269) bzw die “Alltagskompetenzen” eines Menschen gesichert wurden. Für Schüler setzte die Rechtsprechung den Begriff Arbeitsfähigkeit folgerichtig mit dem Begriff Schulfähigkeit gleich (BSGE 30, 151, 154; stRspr). Benötigte ein Schüler auf Grund einer Krankheit oder Behinderung ein – von der Schule nicht vorzuhaltendes – Hilfsmittel, um am Unterricht in der Schule erfolgreich teilzunehmen bzw die Hausaufgaben erledigen zu können, hatte die KK dieses Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, weil es um die Herstellung oder Sicherung der Schulfähigkeit ging. Die Schulfähigkeit bzw der Erwerb einer elementaren Schulausbildung waren damit als allgemeines Grundbedürfnis eines Schülers anerkannt (BSGE 30, 151, 154; 33, 263, 265; BSG SozR 2200 § 182 Nr 73; BSG SozR 2200 § 182b Nr 28). Diese Rechtsprechung ist auf den Anspruch auf Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V ab 1989 unverändert übertragen und fortgeführt worden (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 22 und 40).
In den bisherigen Entscheidungen des BSG zur Hilfsmittelversorgung von Schülern bestand allerdings kein Anlass, die Frage zu klären, ob es auch dann noch um die Erfüllung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens iS der Herstellung oder Wahrung der Schulfähigkeit bzw des Erwerbs eines elementaren Schulwissens geht, wenn der Schüler bereits nicht mehr der allgemeinen Schulpflicht unterliegt. In allen früheren Verfahren handelte es sich – ohne dass dies im Hinblick auf das Alter besonders dargelegt zu werden brauchte – um Kinder und Jugendliche, die als Grund- und Hauptschüler, Realschüler, Gymnasiasten oder Sonderschüler den Unterricht noch im Rahmen ihrer Schulpflicht besuchten.
Bei dem zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits 20 Jahre alten Beigeladenen war die Schulpflicht hingegen beendet. Die in den Schulgesetzen der einzelnen Bundesländer unterschiedlich, aber im Kern gleichartig geregelte Schulpflicht gliedert sich, vereinfacht ausgedrückt, in die allgemeine Schulpflicht (an Regelschulen), die Sonderschulpflicht (an Sonderschulen) und die Berufsschulpflicht (an Berufsschulen). Nach dem hier maßgeblichen Schulgesetz (SchG) des Landes Baden-Württemberg (BW) idF vom 1. August 1983 (GBl 397) dauert die allgemeine Schulpflicht in der Regel neun, bei dann noch nicht erreichtem Ziel der Hauptschule zehn Jahre (§ 75 iVm § 72 Abs 2 Nr 1 SchG BW). Diese Obergrenze gilt grundsätzlich, jedoch mit hier nicht gegebenen zahlreichen, an Art und Ausmaß der Behinderungen orientierten Ausnahmen, auch für die Sonderschulpflicht (§ 83 iVm § 72 Abs 2 Nr 3 SchwG BW). Nach § 7 Abs 1 SchG BW vermittelt die Realschule eine erweiterte allgemeine Bildung, die sich an lebensnahen Sachverhalten orientiert und zu deren theoretischer Durchdringung und Zusammenschau führt (Satz 1). Sie schafft die Grundlage für eine Berufsausbildung und für weiterführende, insbesondere berufsbezogene schulische Bildungsgänge (Satz 2). Nach § 8 Abs 1 SchG BW vermittelt das Gymnasium Schülern mit entsprechenden Begabungen und Bildungsabsichten eine breite und vertiefte Allgemeinbildung, die zur Studierfähigkeit führt (Satz 1). Es fördert insbesondere die Fähigkeiten, theoretische Erkenntnisse nachzuvollziehen, schwierige Sachverhalte geistig zu durchdringen sowie vielschichtige Zusammenhänge zu durchschauen, zu ordnen und verständlich vortragen und darstellen zu können (Satz 2). Unterrichtsziel ist in beiden Schularten bis zu den Abschlussklassen hin die Vermittlung von Allgemeinwissen an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Die Schüler erhalten eine erweiterte oder vertiefte schulische Allgemeinbildung, die Grundlage einer späteren Berufsausbildung bzw eines Studiums sein soll, nicht aber selbst schon Teil der Berufsausbildung ist.
Die Schulfähigkeit ist aber nur insoweit als allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens iS des § 33 SGB V (und des § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX) anzusehen, als es um die Vermittlung von grundlegendem schulischem Allgemeinwissen an Schüler im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht (§ 75 SchG BW) oder der Sonderschulpflicht (§ 83 SchG BW) geht. Die Landesgesetzgeber haben den Erwerb eines alltagsrelevanten Grundwissens und der für das tägliche Leben notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten mit der bindenden Verpflichtung aller Kinder, die im jeweiligen Bundesland leben, zum Besuch einer Schule angeordnet und gehen davon aus, dass dieses “Grundwissen” in neun, maximal aber zehn Jahren (am Erreichen des Hauptschulabschlusses orientierte Dauer der Schulpflicht) vermittelt wird und erlernbar ist. Wenn die Krankenversicherung dafür einzustehen hat, Behinderten im Wege der medizinischen Rehabilitation die notwendige Kompetenz zur Bewältigung des Alltags zu vermitteln, so muss sie zwar die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Behinderte das staatlicherseits als Minimum angesehene Maß an Bildung erwerben und die ihnen insoweit auferlegten staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen können; darüber hinausgehende Bildungsziele hat sie aber nicht mehr zu fördern. Das ist vielmehr Aufgabe anderer Leistungsträger, wie hier des Klägers, der im Wege der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen neben Hilfen im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht auch solche zum Besuch weiterführender Schulen und zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule (§ 40 Abs 1 Nr 4 und Nr 5 BSHG) zu gewähren hat, allerdings unter zumutbarem Einsatz von Einkommen und Vermögen (§ 28 Abs 1 BSHG). Wer über das Ende der Schulpflicht hinaus weiter die Schule besucht oder sich später berufsbegleitend weiterbildet (zweiter Bildungsweg, Abendschule, Volkshochschule), tut dies ohne staatlichen Zwang aus eigenem Entschluss. Ein Versicherter kommt damit einem – im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägten – individuellen Bildungsbedürfnis nach, das zwar in verschiedener Weise auch staatlich gefördert wird, aber nicht als – alle Menschen grundsätzlich gleichermaßen betreffendes – allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens einzustufen ist. Die GKV ist zu einer so weit gehenden Herstellung und Sicherung der Schulfähigkeit nicht verpflichtet.
Diese Auslegung des § 33 SGB V verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen aus Art 3 Abs 3 Satz 2 Grundgesetz (GG). Wie der Senat in anderem Zusammenhang bereits entschieden hat, ergeben sich aus dieser Verfassungsnorm keine weiter gehenden Ansprüche bei der Hilfsmittelversorgung (vgl Urteil vom 26. März 2003 – B 3 KR 23/02 R – BSGE 91, 60, 64 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 = SGb 2004, 315, 318 mit Anm Davy).
Zwar ist das Verbot einer Benachteiligung zugleich mit einem objektiv-rechtlichen Auftrag an den Staat verbunden, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken; dieser auch nach Inkrafttreten des SGB IX fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet indes keine konkreten Leistungsansprüche und damit kein einklagbares subjektives Recht des Einzelnen auf eine bestimmte Hilfsmittelversorgung (vgl auch die Senatsentscheidung vom 22. Juli 2004 – B 3 KR 5/03 R –, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Der sachliche Anwendungs- und Schutzbereich des Grundrechts aus Art 3 Abs 3 Satz 2 GG soll den Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art 3 Abs 1 GG für bestimmte Personengruppen dahingehend verstärken, dass der staatlichen Gewalt insoweit engere Grenzen vorgegeben werden, als die Behinderung nicht zum Anknüpfungspunkt für eine – benachteiligende – Ungleichbehandlung dienen darf (vgl BVerfGE 96, 288, 301 f; 85, 191, 206). Allerdings liegt eine behinderungsbezogene Benachteiligung iS von Art 3 Abs 3 Satz 2 GG nicht nur bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation von Behinderten wegen ihrer Behinderung verschlechtern; sie kann vielmehr auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser Ausschluss nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird (BVerfG aaO). Der Beigeladene wird aber nicht durch die öffentliche Gewalt, sondern allein durch seine Behinderungen von bestimmten Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten ausgeschlossen, die eine gesunde Person hat. Das Verbot der Benachteiligung Behinderter kann auch nicht dadurch zu einem positiven Leistungsanspruch umgemünzt werden, dass auf eine Besserstellung der (bloß) Kranken in der GKV hingewiesen wird (so Davy aaO). Die soziale Sicherung kranker Versicherter ist die ursprüngliche und vorrangige Aufgabe der GKV, während die medizinische Rehabilitation erst später und neben anderen Leistungsträgern dazugetreten ist. In einem gegliederten System der sozialen Sicherheit gibt es sachliche Gründe, die jeweiligen Sozialleistungen für verschiedene Personengruppen unterschiedlich auszugestalten. Der – im Übrigen unzutreffende – Hinweis auf die unbegrenzten Leistungsansprüche der (bloß) kranken Personen ist daher nicht geeignet, auch Behinderten unbegrenzte Leistungsansprüche einzuräumen und insbesondere die GKV zu verpflichten, jedweden Bedarf nach Behinderungsausgleich durch entsprechende Hilfsmittel zu befriedigen.
Da die Klage schon wegen von vornherein nicht gegebener Leistungspflicht der Beklagten abgewiesen werden musste, war auf die weiteren Einwände der Beklagten (Möglichkeit der Aufrüstung der alten PC-Ausstattung; eingeschränkte Brauchbarkeit der neuen PC-Ausstattung) nicht mehr einzugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der hier noch anwendbaren und bis zum 1. Januar 2002 gültigen Fassung (vgl § 197a SGG iVm Art 17 Abs 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG vom 17. August 2001, BGBl I 2144).
Fundstellen
Haufe-Index 1251319 |
FEVS 2005, 193 |
KrV 2005, 54 |
NZS 2005, 313 |
SGb 2005, 163 |
SGb 2005, 35 |
SozR 4-2500 § 33, Nr. 6 |
br 2005, 111 |
GesR 2005, 27 |
SchuR 2006, 21 |