Orientierungssatz
Ergibt sich, daß eine Armverletzung sich nicht spezifisch auf die Fähigkeit eines Versicherten zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens ausgewirkt hat, so rechtfertigt eine infolge dieser Unfallverletzung notwendige Aufgabe des bisher ausgeübten Fachberufs für sich allein keine höhere Bewertung der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit nach RVO § 581 Abs 2, weil dieser Schaden - wie auch sonstige Besonderheiten (zB Lebensalter) - bereits bei der im Rahmen des RVO § 581 Abs 1 vorgenommenen Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen gewesen sind.
Normenkette
RVO § 581 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, Abs. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Februar 1973 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24. November 1971 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der im Jahre 1913 geborene, als Schlosser in der Kesselfertigung für Groß-Transformatoren beschäftigt gewesene Kläger erlitt am 2. Dezember 1969 einen Arbeitsunfall. Durch Bescheid vom 22. Februar 1971 bewilligte ihm die Beklagte wegen Einschränkung der Beuge- und Streckfähigkeit sowie Aufhebung der Drehbewegungen des rechten Unterarms im Ellbogengelenk, Blutumlaufstörungen, Muskelverschmächtigung im Oberarm und Schultergelenk sowie Minderung der groben Kraft der rechten Hand nach offenem Verrenkungsbruch des Ellbogengelenks und Absprengung des Gelenkfortsatzes vom 1. Februar 1971 an eine vorläufige Rente von 35 v.H. der Vollrente (monatlicher Zahlbetrag 346,30 DM). Einen Bescheid über die erste Dauerrente hat die Beklagte nicht erteilt.
Mit der beim Sozialgericht (SG) Nürnberg erhobenen Klage hat der Kläger eine höhere Rente begehrt, weil er den bisher ausgeübten und erlernten Beruf eines Schlossers nicht mehr verrichten könne und deshalb von seinem Arbeitgeber jetzt als Lagerarbeiter beschäftigt werde. Dies bestätigte der Arbeitgeber des Klägers auf eine Anfrage des SG; bei tariflicher Arbeitszeit würde dieser heute als Schlosser einen Bruttolohn von monatlich 1.277,- DM erzielen, als Lagerarbeiter erhalte er monatlich 953,- DM brutto.
Das SG hat durch Urteil vom 24. November 1971 die Klage abgewiesen. Die Unfallrente von 346,30 DM übersteige den durch den Arbeitsunfall bedingten Verdienstausfall von monatlich 324,- DM. Sie stelle ihrem Wesen nach einen gesetzlich geregelten Schadensersatz dar und gleiche tatsächlich nicht nur die immateriellen Schäden wie körperliche Beschwerden, Unbequemlichkeiten und psychische Belastungen, sondern auch die wirtschaftlicher Schlechterstellung des Klägers durch die Unfallfolgen aus. Eine unbillige Härte im Sinne des § 581 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) liege somit nicht vor.
Auf die - zugelassene - Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 15. Februar 1973 die Entscheidung des SG aufgehoben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 22. Februar 1971 verpflichtet, dem Kläger - wie beantragt - vom 1. Februar 1971 an eine Teilrente von 45 v.H. der Vollrente zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Voraussetzungen des § 581 Abs. 2 RVO seien gegeben. Der Kläger habe sich vom Arbeiter zum Transformatorenschlosser hochgearbeitet und damit Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne des Gesetzes erworben, die für die Tätigkeit arttypisch seien und nicht ohne weiteres in anderen Berufssparten verwendet werden könnten. Er sei nicht Schlossermeister, sondern darauf angewiesen, seine besonderen Kenntnisse persönlich beruflich zu verwerten; dies sei ihm aber durch die weitgehende Verkrüppelung des rechten Arms nicht mehr möglich. Zumindest könne er diese Kenntnisse nur noch in einem verminderten Umfang verwerten. Sonstige Fähigkeiten, mit denen er den Verlust seiner Spezialkenntnisse ausgleichen könne, seien nicht ersichtlich. Dies gelte um so mehr, als der Kläger den Arbeitsunfall nach einem langen Berufsleben erst mit 56 Jahren erlitten habe und ihm eine Umschulung oder eine Verweisung auf eine andere Berufstätigkeit nicht zugemutet werden könne. Dem Einwand der Beklagten, gegenüber einem tatsächlichen Verdienstausfall von 25 v.H. erhalte der Kläger eine Rente von 35 v.H., könne nicht gefolgt werden, weil hier Unvergleichbares miteinander in Beziehung gesetzt werde. Es gehe nicht an, den abstrakten medizinischen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit dem konkreten Vomhundertsatz der im Einzelfall gegebenen wirtschaftlichen Einbuße zu vergleichen, weil die medizinische Einstufung von festen Erfahrungssätzen ausgehe, während die wirtschaftliche Einbuße weitgehend von tarifvertraglichen Regelungen, Vergünstigungen des Arbeitgebers usw. abhänge und somit bei einem Vergleich, wie ihn die Beklagte anstelle, eine gleichmäßige Entschädigung gleichartiger Verletzungen nicht mehr gewährleistet sei. Der Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung habe nicht nur bei der medizinischen Bewertung der Unfallfolgen, sondern auch für § 581 Abs. 2 RVO Geltung. Das Bundessozialgericht (BSG) habe außerdem den weiteren Grundsatz entwickelt, daß bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 581 Abs. 2 RVO die Rente abstrakt um 10 bis 20 v.H. zu erhöhen sei, ohne Rücksicht auf die Höhe des tatsächlichen Minderverdienstes. Es habe ferner klargestellt, daß der Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung eine Rente sogar ermögliche, wenn in Wirklichkeit keine Lohneinbuße vorliege, und dieser Grundsatz durch § 581 Abs. 2 RVO nicht eingeschränkt werde. Als weitere Anspruchsvoraussetzung habe das BSG gefordert, daß u.a. der Minderverdienst etwa so hoch sein müsse wie eine Teilrente von 20 v.H. der Vollrente und die Nichtberücksichtigung des § 581 Abs. 2 RVO eine unbillige Härte darstelle. Die Verdiensteinbuße des Klägers entspreche sogar einer Teilrente von 35 v.H. Das SG schließe über diese höchstrichterlichen Voraussetzungen hinaus die Anwendung des § 581 Abs. 2 RVO mit der Begründung aus, daß der Minderverdienst des Klägers durch die Unfallrente ausgeglichen werde. Diese Auffassung entbehre einer gesetzlichen Grundlage und stehe in eklatantem Gegensatz zum Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung. Würde man dem Kläger die Rechtswohltat des § 581 Abs. 2 RVO versagen, so würde dies für ihn tatsächlich eine unbillige Härte bedeuten. Ein Berufsverlust könne allerdings allein nicht zwangsläufig zur Anwendung dieser Vorschrift führen, weil dem Verlust der normalen Berufskenntnisse durch die Berechnung der Rente nach dem Jahresarbeitsverdienst (JAV) Rechnung getragen werde. Zwar bringe jede ernstliche Unfallverletzung Nachteile mit sich, die mit einer Rente nicht abgegolten werden könnten, aber in dem festgesetzten MdE-Grad mitberücksichtigt seien und vom Verletzten in Kauf genommen werden müßten. Erwüchsen einem Verletzten durch Unfallfolgen aber darüber hinaus Nachteile durch Nichtverwertbarkeit seiner erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten, dann müsse deren Nichtberücksichtigung eine unbillige Härte darstellen. Beim Kläger sei durch den Unfall ein weit höherer Minderverdienst eingetreten als er einer Teilrente von 20 v.H. entsprechen würde. Rein finanziell stünden also einer Anwendung des § 581 Abs. 2 RVO keine Bedenken entgegen. Die Nichtanwendung dieser Vorschrift würde auch im Hinblick auf das Alter des Klägers und seinen beruflichen Werdegang eine unbillige Härte bedeuten. Der Kläger habe ursprünglich keinen besonderen Beruf erlernt, sich aber durch eigene Initiative und Tatkraft Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet, die es ihm erlaubten, den Spezialberuf eines Transformatorenschlossers auszuüben. Durch den Unfall sei er von der erreichten Stellung eines Facharbeiters wieder in die Ausgangsstellung eines einfachen Arbeiters zurückgefallen und damit um die Früchte seiner Lebensarbeit gebracht worden. Dies habe zur Folge, daß er einen gerade in den letzten Jahren seines beruflichen Lebens üblicherweise zu erwartenden Aufstieg in seinem Fachberuf nicht mehr habe erreichen können. Auf Grund seines jetzigen unfallbedingten geringeren Lohns werde auch sein Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung erheblich niedriger sein. Es wäre eine unbillige Härte, diese Nachteile bei der Bemessung der Unfallrente nicht zu berücksichtigen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger habe den Arbeitsunfall zwar erst im Alter von 56 Jahren erlitten. Es könne ihm jedoch sehr wohl die Verweisung auf eine andere Berufstätigkeit zugemutet werden; in der gesetzlichen Unfallversicherung komme es auf die Fähigkeit zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens an. Der Kläger sei nach dem Unfall als Lagerarbeiter tätig geworden. Die Unfallfolgen hätten sich somit erkennbar nicht spezifisch auf seine Fähigkeit zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens ausgewirkt. Überdies habe das LSG weder über die Dauer der Ausbildung noch der speziellen Berufsausbildung Ermittlungen angestellt. Es habe lediglich auf Grund der Akten geschlossen, daß sich der Kläger vom Arbeiter zum Transformatorenschlosser hochgearbeitet und damit typische Kenntnisse und Fähigkeiten erworben habe. Daraus ergebe sich aber keineswegs zwingend, daß der Kläger vom Gesetz vorausgesetzte besondere Kenntnisse und Erfahrungen erworben habe. Die Auffassung des LSG, es sei nicht rechtserheblich, daß der Minderverdienst des Klägers durch die ihm bewilligte Rente ausgeglichen werde, weil dies in eklatantem Gegensatz zum Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung stehe, könne nicht geteilt werden, denn die Rente diene dem Ausgleich des durch den Arbeitsunfall herbeigeführten wirtschaftlichen Schadens. Eine unbillige Härte liege nicht darin, daß der Kläger durch den Unfall keinen konkreten Schaden erlitten habe, weil dieser durch die Rente ausgeglichen sei und er somit schlechter gestellt sei als solche Verletzte, die nach dem für die gesetzliche Unfallversicherung geltenden Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung eine Rente auch erhielten, obwohl der Arbeitsverdienst trotz des Unfalls gleich geblieben sei. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dem Kläger werde durch eine Erhöhung der Rente um 10 v.H. mehr Gerechtigkeit zuteil, könne nicht überzeugen, denn mit diesem Zuschlag werde der Kläger nicht so gestellt, wie er ohne Lohneinbuße bei gleichzeitigem Bezug der Rente stehen würde. Das Hessische LSG habe zutreffend in einem gleich gelagerten Sachverhalt gegenteilig entschieden, obwohl hier die Unfallrente niedriger gewesen sei als der Brutto-Verdienstausfall.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im Laufe des Rechtsstreits sei nie zweifelhaft gewesen, daß er sich vom Arbeiter zum Transformatorenschlosser hochgearbeitet habe. Sein Berufsleben sei also einseitig orientiert. Auf einen anderen Beruf könne er nicht mehr umgeschult werden, weil seine Arbeitsunfähigkeit durch Unfallfolgen erst im Alter von 58 Jahren wieder beseitigt gewesen sei. Durch den Arbeitsunfall sei er unbillig hart betroffen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Da die Beklagte keinen Bescheid über eine erste Dauerrente erteilt hat, ist die durch den Bescheid vom 22. Februar 1971 bewilligte vorläufige Rente mit Ablauf von zwei Jahren nach dem Arbeitsunfall zur Dauerrente geworden (§ 622 Abs. 2 Satz 1 RVO). Das LSG hatte somit, da das SG die Berufung zugelassen hat, zu entscheiden, ob sowohl durch die vorläufige als auch die Dauerrente in Höhe von 35 v.H. der Vollrente die Unfallfolgen des Klägers ausreichend entschädigt sind. Dies hat es mit der Begründung verneint, daß die Beklagte die Vorschrift des § 581 Abs. 2 RVO nicht beachtet habe. Das Berufungsgericht hat jedoch den in der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) seit jeher geltenden Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung verkannt und ist deshalb zu einer rechtsirrigen Auslegung des § 581 Abs. 2 RVO gelangt.
Wie das BSG in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts ständig entschieden hat, ist in der gesetzlichen UV der Grad der durch Unfallfolgen verursachten MdE nach dem Umfang der verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens zu beurteilen, wobei zur Vermeidung unbilliger Härten Ausbildung und bisheriger Beruf des Verletzten angemessen zu berücksichtigen sind (vgl. BSG 31, 185, 186 und den dortigen Hinweis auf weitere Fundstellen).
Das Ausmaß der vor dem Arbeitsunfall vorhanden gewesenen Erwerbsfähigkeit des Verletzten ist somit zu vergleichen mit dem Umfang der durch Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens infolge des Unfalls dem Verletzten verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Dagegen ist es - anders als im Schadensersatzrecht des bürgerlichen Rechts - in der gesetzlichen UV grundsätzlich unerheblich, welchen Beruf der Verletzte nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten ohne die Folgen des Arbeitsunfalls hätte erreichen können. Nach dem für die gesetzliche UV sonach maßgeblichen Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung entfällt hingegen - abweichend vom Schadensersatzrecht des bürgerlichen Rechts - ein Entschädigungsanspruch nicht schon deshalb, weil der Verletzte trotz des Unfalls denselben Arbeitsverdienst wie vorher bezieht oder unabhängig von den Unfallfolgen infolge Alters oder unfallunabhängiger Leiden Erwerbsunfähigkeit ohnehin eingetreten wäre (BSG 31, 185, 187 ff mit Nachweisen).
An dieser Rechtslage hat nach der ständigen Rechtsprechung des 2. Senats des BSG (BSG 31, 185, 188 mit Nachweisen) § 581 Abs. 2 RVO keine Änderung herbeigeführt, obwohl vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) eine ähnliche Vorschrift im Dritten Buch der RVO nicht enthalten war. Vielmehr hat diese Vorschrift lediglich die von ihm weiter entwickelte Rechtsprechung über die Grundsätze der MdE in Fällen besonderer Härte im wesentlichen normiert (BSG 23, 253, 255). Der Gesetzgeber des UVNG hat sonach das kodifiziert, was bisher schon als Rechtens angesehen worden war (BSG 28, 227, 229). Dies bedeutet aber, daß der Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung - und somit auch die Verweisung des Unfallverletzten auf das Gesamtgebiet des Erwerbslebens - bei der Anwendung des § 581 Abs. 2 RVO ebenfalls zu beachten ist, weil er einheitlich für alle Unfallverletzten, auch für gelernte Arbeiter, gilt und eine zu weit gehende Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls dem durch diesen Grundsatz bestimmten Wesen der gesetzlichen UV nicht gerecht werden würde (BSG 23, 253, 254). § 581 Abs. 2 RVO stellt somit, wie der erkennende Senat im Urteil vom 29. November 1973 (8/2 RU 171/72, s. Kartei Lauterbach Nr. 9259 - 9260 zu § 581 Abs. 2 RVO) ausgeführt hat, lediglich eine besondere Ausprägung des Prinzips dar, daß bei der Bemessung der MdE zu prüfen ist, wie sich die Unfallfolgen auf die Fähigkeit des Verletzten ausgewirkt haben, auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens einen angemessenen Verdienst zu erzielen.
Das LSG unterscheidet nun zwischen der "medizinischen" MdE, als deren Rechtsgrundlage es anscheinend den § 581 Abs. 1 RVO ansieht, und besonderen Anspruchsvoraussetzungen nach § 581 Abs. 2 RVO. Die Frage, in welchem Maße jemand durch Unfallfolgen in der Erwerbsfähigkeit gemindert ist, ist indessen nicht ausschließlich medizinischer Natur. Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt werden. Ärztliche Meinungsäußerungen, inwieweit sich derartige Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten auswirken, stellen hingegen nur eine - wichtige und vielfach unentbehrliche - Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE dar, deren Grad erfahrungsgemäß nicht völlig genau feststellbar ist (BSG 4, 147, 149). Die Bewertung der MdE mit 35 v.H. im angefochtenen Bescheid besagt somit, daß die Unfallfolgen die Erwerbsmöglichkeiten des Klägers auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens nicht unerheblich einschränken mit der Folge, daß der Kläger - bei abstrakter Betrachtungsweise - nur noch einen um 35 v.H. geminderten Verdienst erzielen kann. Dem Umstand, daß der Kläger infolge des Arbeitsunfalls berufliche Fachkenntnisse und Erfahrungen nicht mehr verwerten kann, wird hierbei auch dadurch Rechnung getragen, daß die Rente nach dem JAV der vor dem Unfall ausgeübten entsprechend hoch entlohnten Erwerbstätigkeit berechnet wird (BSG 23, 253, 255). Eine tatsächliche wirtschaftliche Einbuße durch den Arbeitsunfall vom 2. Dezember 1969 hat der Kläger nicht erlitten; nach den Feststellungen des LSG übersteigt der Zahlbetrag seiner Verletztenrente den Verdienstausfall im Unternehmen, in dem er sich den Arbeitsunfall zugezogen und er weiterhin beschäftigt ist.
Nachteile im Sinne des § 581 Abs. 2 RVO, welche ausnahmsweise eine höhere Bewertung der MdE im Rahmen der abstrakten Schadensbemessung rechtfertigen, liegen nach der ständigen Rechtsprechung des 2. Senats des BSG (BSG 23, 253, 255; SozR Nr. 9 zu § 581 RVO; Breithaupt 1966, 392; 1971, 910) indessen nur vor, wenn die Nicht-Berücksichtigung von Ausbildung und Beruf des Verletzten bei der Bewertung der MdE zu einer unbilligen Härte führen würde. Dies ist jedoch im allgemeinen zu verneinen, wenn ein Verletzter infolge eines Arbeitsunfalls seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann (BSG 23, 253, 256 - ständige Rechtsprechung). Vielmehr muß die Verletzung, die der Versicherte sich durch den Unfall zugezogen hat, sich spezifisch auf seine Fähigkeit zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens auswirken (vgl. BSG 23, 253, 255 und die dortigen beispielhaften Hinweise auf BSG 4, 294 sowie SozEntsch III/2, BSG IV, RVO § 559 a Nr. 6; vgl. ferner SozR Nr. 9 zu § 581 RVO). Dies hat der 2. Senat des BSG bejaht, wenn sich eine Unfallverletzung so auswirkte, daß eine spezielle Betätigung, die zum Lebensberuf geworden war, nicht mehr ausgeübt werden konnte und angesichts des Lebensalters des Verletzten sowie der Art und der jahrzehntelangen Ausübung des Berufs eine berufliche Umstellung ganz erheblichen Schwierigkeiten begegnete (vgl. BSG 4, 294 - Armverletzung Geiger; SozEntsch III/2, BSG IV, RVO § 559 a Nr. 6 - Knieverletzung Zirkusartistin; SozR Nr. 10 zu § 581 RVO - Verlust des Geruchsvermögens, Kaffeeprüfer und Lebensmittelkaufmann, unter Berücksichtigung zusätzlicher besonders ungünstiger Verhältnisse). Der 5. Senat des BSG hat die Voraussetzungen des § 581 Abs. 2 RVO bei einem Hauer als dem qualifizierten Facharbeiter des Bergmannsberufs mit besonderen Kenntnissen und Erfahrungen und einer wirtschaftlich hervorgehobenen Stellung, für die die Gedinge-Entlohnung charakteristisch sei, für möglich gehalten (SozR Nr. 12 zu § 581 RVO).
Das LSG nimmt nun an, daß der Kläger keinen besonderen Beruf erlernt, sich vom Arbeiter zum Transformatorenschlosser hochgearbeitet und damit Kenntnisse und Fähigkeiten "im Sinne des Gesetzes" erworben habe, die für diese Tätigkeit arttypisch seien. Dem steht allerdings, wie die Revision zutreffend bemerkt, das Vorbringen des Klägers in den Tatsacheninstanzen entgegen, wonach er den Schlosserberuf erlernt und ausgeübt habe (Klagebegründung, Bl. 3 der SG-Akten; Berufungsbegründung Bl. 4, 6 der LSG-Akten). In der Unfallanzeige wird ausgeführt, daß der Kläger im Unternehmen als Schlosser ständig in der Kesselfertigung für Großtransformatoren beschäftigt gewesen und hierbei verunglückt sei. In dem vom statistischen Bundesamt herausgegebenen systematischen und alphabetischen Verzeichnis der Berufsbenennungen, "Klassifizierung der Berufe", Ausgabe 1970, sind unter der Berufsordnungsnummer 270: Schlosser u.a. der Kesselschlosser (S. 77) und unter der Berufsordnungsnummer 3132 der Transformatorenbauer und der Transformatorenmonteur (S. 84) aufgeführt, jedoch weder bei den Fertigungsberufen des Schlossers noch des Elektrikers die Berufsbezeichnung eines Transformatorenschlossers. Damit übereinstimmend enthält die Anlage zu § 2 Abs. 1 zur Berufsgrundbildungsjahr-Anrechnungs-Verordnung vom 4. Juli 1972 (BGBl I S. 1151) im Berufsfeld Metall unter der Nr. 27 den Kessel- und Behälterbauer, ferner in diesem Berufsfeld unter der Nr. 12 sowie im Berufsfeld Elektrotechnik unter der Nr. 3 den Ausbildungsberuf des Elektromaschinenbauers. Nach den von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegebenen Blättern zur Berufskunde (Bd. 1 b, 1 - II B 301, 1. Aufl., 1967) erstreckt sich das Arbeitsgebiet des Elektromaschinenbauers auf den Neu- und Umbau von elektrischen Maschinen und Transformatoren. Auch das LSG nimmt in der Zusammenfassung am Schluß seiner Urteilsbegründung an, daß der Kläger in seinem Beruf die Stellung eines Facharbeiters erreicht, diese jedoch durch den Arbeitsunfall verloren habe. Daraus, wie auch aus den sonstigen Ausführungen des Berufungsgerichts zur beruflichen Qualifikation des Klägers, ergibt sich aber nicht, daß dessen Armverletzung sich spezifisch auf seine Fähigkeit zum Erwerb auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens ausgewirkt hat (vgl. BSG 23, 253, 255; SozR Nr. 9, 10 zu § 581 RVO). Die mit der Armverletzung verbundene Aufgabe des bisherigen Berufs rechtfertigt jedoch für sich allein, wie bereits dargetan, nicht eine höhere Bewertung der unfallbedingten MdE nach § 581 Abs. 2 RVO, da diese - wie auch sonstige Besonderheiten (z.B. Lebensalter) - bereits bei der im Rahmen des § 581 Abs. 1 RVO vorgenommenen Schätzung der MdE zu berücksichtigen gewesen ist (vgl. BSG 4, 147, 149; SozR Nr. 9 zu § 581 RVO, Aa 13 Rücks.).
Zu Unrecht hält das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 581 Abs. 2 RVO auch für gegeben mit der Begründung, daß der konkrete Verdienstausfall des Klägers höher sei als er einer Teilrente von 20 v.H. entsprechen würde. Das LSG dürfte insoweit das bereits erwähnte Urteil des 5. Senats des BSG vom 10. September 1971 (SozR Nr. 12 zu § 581 RVO) mißverstanden haben. Liegt nämlich nach den - beim Kläger nicht ersichtlichen - tatsächlichen Gegebenheiten eine unbillige Härte im Sinne des § 581 Abs. 2 RVO vor, so ist dies bei der Bewertung der MdE angemessen und nicht etwa ausschlaggebend oder in vollem Umfang zu berücksichtigen (SozR Nr. 10 zu § 581 RVO unter Hinweis auf BSG 4, 294, 299). Auf dieses Maß der Angemessenheit beziehen sich jedoch die Ausführungen des 5. Senats des BSG, wonach der Lohnunterschied zwischen der Hauertätigkeit und den dem Verletzten trotz der Unfallschädigung noch möglichen Tätigkeiten mindestens eine Höhe erreicht haben muß, die einer Rente von 20 v.H. der Vollrente entspricht.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts können Verdienstmöglichkeiten, welche dem Verletzten nicht zufließen, weil er durch Unfallfolgen am erstrebten beruflichen Aufstieg gehindert worden ist, in der Regel im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO nicht berücksichtigt werden (BSG 31, 181, 188 ff).
Der Meinung des Berufungsgerichts, eine unbillige Härte im Sinne dieser Vorschrift liege ferner aus dem Grunde vor, weil das Altersruhegeld des Klägers im Hinblick auf seinen unfallbedingten Minderverdienst niedriger sein werde, steht entgegen, daß dieser Schaden - ebenso wie unfallbedingte Lohnminderungen - durch die Unfallentschädigung im wesentlichen ausgeglichen wird. Durch die Ruhensvorschrift des § 1278 RVO soll sogar verhindert werden, daß beim Zusammentreffen eines Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen UV bestimmte Höchstgrenzen überschritten werden, so daß die sozialen Leistungen des Verletzten in einem angemessenen Verhältnis zu seinem früheren Arbeitsverdienst stehen.
Das Berufungsgericht ist zu dem von ihm für Rechtens gehaltenen Ergebnis in erster Linie wohl deshalb gelangt, weil der Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung zur Folge haben kann, daß ein Verletzter trotz eines Arbeitsunfalls sein bisheriges Arbeitseinkommen weiterhin erzielt und er daneben Verletztenrente erhält, während der Kläger eine - durch die Verletztenrente jedoch ausgeglichene - Minderung seines vor dem Unfall erzielten Arbeitsverdienstes hinnehmen muß. Es ist jedoch nicht der Zweck des § 581 Abs. 2 RVO, jeden Unfallverletzten wirtschaftlich so zu stellen wie diejenigen Verletzten, denen trotz des Arbeitsunfalls das vorher verdiente Arbeitseinkommen verbleibt und die zusätzlich eine Verletztenrente erhalten. Eine praktische Rechtsanwendung in diesem Sinne bei allen Unfallverletzten würde in Widerspruch stehen zum Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung. Dieser kann im einzelnen auch dazu führen, daß ein durch einen Arbeitsunfall verursachter konkreter wirtschaftlicher Schaden durch die Unfallentschädigung nicht ganz ausgeglichen wird. In einem der vorliegenden Streitsache ähnlichen Sachverhalts hat das Hessische LSG deshalb § 581 Abs. 2 RVO zutreffend nicht für anwendbar gehalten (Kartei Lauterbach Nr. 8606 zu § 581 Abs. 2 RVO).
Da das LSG zu Unrecht die Voraussetzungen des § 581 Abs. 2 RVO bejaht hat, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Einer Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz bedarf es nicht, weil das Urteil des Berufungsgerichts erkennen läßt, daß dieses im übrigen die Schätzung des Grades der MdE mit 35 v.H. für zutreffend hält (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 29. November 1973, Kartei Lauterbach Nr. 9259 - 9260 zu § 581 Abs. 2 RVO).
Deshalb war die Berufung des Klägers gegen das seine Klage abweisende Urteil des SG als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen