Leitsatz (amtlich)

Haben die nach dem 1945-05-08 in den 4 Besatzungszonen entstandenen Rechtsordnungen nur Zahlungen an in ihrem Gebiet wohnende Berechtigte zugelassen, so waren damit außerhalb Wohnende - hier: eine im Sudetenland wohnende Witwe - nicht mehr anspruchsberechtigt.

 

Normenkette

AVG § 68 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1291 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 Fassung: 1957-02-23, §§ 1284, 1282a

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Juni 1974 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt eine nach ihrer Ansicht wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung ihres im Februar 1945 gefallenen ersten Ehemannes, eines Reichsbahnangestellten. Sie wohnte bis September 1968 im nördlichen Sudetengebiet. Dort ist sie im November 1947 eine zweite Ehe eingegangen, die vom Bezirksgericht T am 28. Januar 1970 ohne Schuldausspruch geschieden worden ist.

Den Rentenantrag der Klägerin vom Dezember 1970 lehnte die Beklagte ab. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) nahm zwar an, daß die Klägerin im Zeitpunkt der Wiederheirat noch einen, allerdings wegen Auslandsaufenthalts ruhenden, Anspruch auf Witwenrente nach den Vorschriften der reichsgesetzlichen Angestelltenversicherung gehabt habe. Mit Rücksicht auf die in den einzelnen Besatzungszonen Deutschlands getroffenen Regelungen habe sie an ihrem Wohnort aber keine Möglichkeit gehabt, diesen Anspruch durchzusetzen. Damit sei nach dem Grundgedanken des § 68 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) für ein Wiederaufleben kein Raum.

Mit der zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, daß nach Wortlaut, Sinn und Zweck des Gesetzes für das Wiederaufleben der "Nachweis eines bloßen Anspruchs genüge".

Die Klägerin beantragt,

die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben

und die Beklagte zur Gewährung einer Witwenrente zu verurteilen,

hilfsweise, den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die Klägerin keinen Anspruch auf eine wiederaufgelebte Witwenrente nach § 68 Abs. 2 AVG hat. Ein solcher Anspruch scheitert jedenfalls daran, daß die Klägerin im Zeitpunkt der Wiederheirat keinen wiederauflebbaren Anspruch auf Witwenrente besaß (vgl. BSG 14, 238, 245). Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (BSG 25, 20; Urteil vom 4. August 1966 - DAngVers 1967, 130), kann ein Anspruch auf Witwenrente nach § 68 Abs. 2 AVG nur dann wiederaufleben, wenn durch die Wiederheirat ein Witwenrentenanspruch weggefallen ist, der auf Vorschriften des Reichsrechts oder Bundesrechts beruht hat und von Versicherungsträgern im Bundesgebiet zu erfüllen gewesen ist. Ein solcher Anspruch hat der Klägerin im November 1947 nicht zugestanden. Das LSG hat zutreffend dargelegt, daß die Klägerin nach dem seinerzeit im Bundesgebiet geltenden Recht die Zahlung einer Witwenrente nicht beanspruchen konnte. Entgegen der Auffassung des LSG ließen die damals geltenden Bestimmungen aber auch keinen Raum für die Annahme eines daneben fortbestehenden, wegen Auslandsaufenthalts ruhenden Anspruchs nach den reichsgesetzlichen Vorschriften der Angestelltenversicherung.

Die Aufsplitterung Deutschlands nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 hat vielmehr den Untergang der nach dem früheren Reichsrecht entstandenen Sozialversicherungsansprüche bewirkt, soweit die neuen regionalen Rechtsordnungen diese Ansprüche nicht haben fortbestehen lassen (BSG 19, 97, 98; 25, 20, 21; vgl. auch SozR 2400 § 18 AVG Nr. 2). Das gilt nicht nur für das Gebiet der vier Besatzungszonen, sondern für den gesamten Geltungsbereich des früheren Reichsrechts. Haben die neuen Rechtsordnungen nur Zahlungen an Berechtigte zugelassen, die in ihrem Gebiet wohnten, so bedeutete das, daß damit außerhalb Wohnende nicht (mehr) anspruchsberechtigt waren; diese waren also ebenfalls von den Rechtsänderungen betroffen. Insoweit konnte ein übergreifendes Reichsrecht nicht fortbestehen und konnten sich daraus von Versicherungsträgern im Bundesgebiet zu erfüllende Ansprüche nicht mehr ergeben. Dies trifft auf alle außerhalb des Gebiets der jeweiligen regionalen Rechtsordnung Wohnende in gleicher Weise zu, ohne daß es dabei auf etwaige Unterschiede in staatsrechtlicher oder völkerrechtlicher Hinsicht ankommt. Das LSG hat deshalb zu Unrecht die Ruhensbestimmungen der §§ 1281, 1282 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF i. V. m. § 40 AVG aF herangezogen; ein Ruhen der Rente nach diesen Vorschriften kam allenfalls wieder bei einem zeitlich nach dem Zusammenbruch erfolgten Verzug in das Ausland in Betracht (vgl. SozR Nr. 37 zu § 1291 RVO).

Mithin hatte die Klägerin zur Zeit ihrer Wiederheirat ebensowenig einen auf Reichsrecht oder Bundesrecht beruhenden Anspruch gegen einen Versicherungsträger im Bundesgebiet, wie wenn sie damals in der sowjetischen Besatzungszone (vgl. BSG 25, 20), in den unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten (vgl. DAngVers 1967, 130) oder im Ausland (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 20.9.1973 - 11 RA 64/72 -) wohnhaft gewesen wäre.

Die Revision der Klägerin ist hiernach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649116

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