Leitsatz (amtlich)
Die kostenlose Ausführung kleinerer Reparaturen im Haushalt der geschiedenen Frau durch den früheren Ehemann ist für sich alleine keine ernsthafte Unterhaltsleistung.
Leitsatz (redaktionell)
Der von der Ehefrau vor der Scheidung ausgesprochene Verzicht auf Unterhalt, abgesehen von dem Notbedarf, darf die Prüfung nicht hindern, ob der ehemalige Ehemann ehegesetzlich zur Zeit seines Todes unterhaltspflichtig war.
Normenkette
RVO § 1265 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 1958 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Berlin zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin war mit dem Versicherten Karl S verheiratet. Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Juni 1952 aus Alleinverschulden des Versicherten geschieden. In dem vor dem Landgericht geschlossenen Unterhaltsvergleich verzichtete die Klägerin auf alle Unterhaltsansprüche für Vergangenheit und Zukunft außer für den Fall des Notbedarfs. Am 14. April 1953 verstarb der Versicherte.
Der Versicherte bezog von der Beklagten vom 8. Februar 1952 an bis zu seinem Tode eine Invalidenrente in Höhe von monatlich 84,20 DM einschließlich eines Kinderzuschusses in Höhe von 16,20 DM für das Kind M. Der Kinderzuschuß wurde der Klägerin, welche das Kind unterhielt, nach § 1271 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a. F. überwiesen. Außerdem hatte der Versicherte noch ein Einkommen von monatlich 150,- DM aus einer Nachtwächtertätigkeit. Nach der Scheidung leistete der Versicherte der Klägerin keinen Unterhalt, führte allerdings in deren Haushalt anfallende Reparaturen aus.
Die Klägerin beantragte am 28. Februar 1957 die Gewährung von Rente nach § 1265 RVO. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. Oktober 1957 mit der Begründung ab, der Versicherte sei zur Zeit seines Todes wegen seines geringen Einkommens nicht in der Lage gewesen, Unterhalt zu leisten. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies das Sozialgericht ab.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht (LSG.) durch Urteil vom 12. Dezember 1958 zurück. Ein Unterhaltsanspruch auf Grund des Ehegesetzes (EheG) habe der Klägerin in der Zeit vor dem Tode des Versicherten nicht zugestanden, da dieser zur Unterhaltsleistung nicht in der Lage gewesen sei. Der vor dem Landgericht geschlossene Vergleich sei kein sonstiger Unterhaltsgrund im Sinne des § 1265 RVO. Die Ausführung von Reparaturen im Haushalt der Klägerin könne nicht als Unterhaltsleistung angesehen werden.
Das Urteil wurde der Klägerin am 28. Januar 1959 zugestellt. Sie legte durch ihren Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt N, mit Schriftsatz vom 16. Februar 1959, eingegangen am 19. Februar 1959, Revision ein und begründete diese gleichzeitig. Sie rügt, das Berufungsgericht habe bei der Feststellung der Einkommensverhältnisse des Versicherten übersehen, daß dieser noch eine Unfallrente in Höhe von 38,20 DM bezogen habe, und ist der Ansicht, daß ihr, da sie ohne eigenes Einkommen aus Vermögen oder Erwerbstätigkeit gewesen sei - sie habe Sozialunterstützung bezogen -, ein Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten zugestanden habe.
Sie beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des LSG. Berlin vom 12. Dezember 1958 aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist statthaft, da das LSG. sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen daher nicht. Obwohl der Versicherungsfall bereits vor dem Inkrafttreten des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) eingetreten ist, richtet sich der Anspruch der Klägerin, da der Versicherte nach dem 30. April 1942 gestorben ist, gemäß Art. 2 § 19 ArVNG nach § 1265 RVO.
Nach dieser Vorschrift steht der Klägerin, da ihre Ehe mit dem Versicherten geschieden und der Versicherte gestorben ist, Rente zu, wenn entweder der Versicherte ihr zur Zeit seines Todes, d. h. während einer angemessenen Zeit vor seinem Tode, Unterhalt nach den Vorschriften des EheG, hier des EheG von 1946, oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er ihr im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat.
Da die Ehe aus alleinigem Verschulden des Versicherten geschieden worden ist, hatte der Versicherte der Klägerin nach § 58 EheG den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit ihre Einkünfte aus Vermögen und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit hierfür nicht ausreichten. Zu beachten ist allerdings, daß die Klägerin in dem vor dem Landgericht geschlossenen Unterhaltsvergleich auf den Unterhalt, abgesehen von dem Notbedarf, verzichtet hat. Damit steht ihr - in Einschränkung der Verpflichtung aus § 58 EheG - bei Leistungsfähigkeit des Versicherten ein Anspruch nur dann und nur insoweit zu, als ihr Notbedarf aus diesen Einkünften nicht gedeckt ist. Das Berufungsgericht hat die Bedeutung dieses Vergleichs verkannt. Es handelt sich dabei nicht um eine selbständige Unterhaltsverpflichtung, sondern nur um eine Einschränkung des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs. Eine Unterhaltsverpflichtung im Sinne der zweiten Alternative des § 1265 RVO kann also hier überhaupt nicht vorliegen. Voraussetzung eines Unterhaltsanspruchs nach § 58 EheG ist, daß der Versicherte leistungsfähig und die Klägerin bedürftig, d. h. im vorliegenden Falle, daß ihr Notbedarf nicht gedeckt ist. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts hatte der Versicherte vor seinem Tode ein Einkommen von 234,20 DM. Die Klägerin greift diese Feststellung allerdings an - so ist ihr Vorbringen zu verstehen -, indem sie rügt, das Berufungsgericht habe übersehen, daß der Versicherte darüber hinaus noch eine Unfallrente in Höhe von 38,20 DM monatlich bezogen habe. Diese Rüge greift durch. Die Unfallrente ist bereits in dem angefochtenen Bescheid erwähnt und außerdem befinden sich in der Akte der Beklagten, die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Mitteilungen der Eigenunfallversicherung Berlin, daß der Versicherte diese Rente bezieht. Die Feststellung des Berufungsgerichts verstößt daher gegen § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da es bei seiner Feststellung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und, da es an den erforderlichen wirksamen Feststellungen mangelt, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Bei der erneut vorzunehmenden Feststellung der Höhe des Einkommens des Versicherten wird das Berufungsgericht darüber hinaus auch noch zu erwägen haben, ob nicht wegen der Höhe des Einkommens des Versicherten aus seiner Nachtwächtertätigkeit noch eine Auskunft des Arbeitgebers einzuholen ist, da die bisherige Beweisaufnahme insoweit nicht ganz überzeugend ist. Wenn festgestellt wird, daß der Versicherte durch seine Nachtwächtertätigkeit tatsächlich 150,- DM monatlich verdient hat, so spricht vieles dafür, daß er unter Berücksichtigung seiner Invalidenrente und seiner Unfallrente zumindest einen kleineren Unterhaltsbeitrag an die Klägerin leisten konnte, vor allem, wenn berücksichtigt wird, daß die Kaufkraft des Geldes im Jahre 1953 noch größer war als heute. Nach §§ 58, 59 EheG hatte der Versicherte gegebenenfalls auch eine Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts in Kauf zu nehmen. Zumindest mußte er, unter Berücksichtigung des Umstandes, daß er auch noch seinem minderjährigen Sohn Unterhalt zu leisten hatte, der Klägerin Unterhalt in dem Umfang gewähren, wie es mit Rücksicht auf seine, der Klägerin und des Kindes Bedürfnisse sowie seine, der Klägerin und des Kindes Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Billigkeit entsprach, wobei der für das Kind überwiesene Kinderzuschuß bei der Festsetzung der Höhe des Unterhaltsanspruchs des Kindes zu berücksichtigen war. Der Versicherte, die Klägerin und das Kind sind also, wie das Berufungsgericht verkannt hat, insoweit gleichrangig, insbesondere mußte sich das Kind eine Herabsetzung des ihm gesetzlich an sich zustehenden Unterhaltsanspruchs gefallen lassen. Allerdings muß dem Unterhaltspflichtigen auch bei dieser Billigkeitsregelung auf jeden Fall das zur Erhaltung seiner Arbeitskraft Notwendige verbleiben (vgl. dazu Hoffmann-Stephan, EheG, Anm. 4 B b sowie 4 A).
Die Voraussetzungen der dritten Alternative des § 1265 RVO sind nicht gegeben. Der Versicherte hat zwar nach den Feststellungen des Berufungsgerichts während der Zeit vor seinem Tode Reparaturen im Haushalt der Klägerin ausgeführt. Diese Leistungen sind jedoch so geringwertig, daß sie, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, alleine keine ernsthafte Unterhaltsleistung darstellen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen