Beteiligte
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluß des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. Januar 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 9. November 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Mai 1995 erhobene Klage hat das SG auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. Juni 1996, in der der Kläger und in Untervollmacht für seinen Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt S anwesend waren, durch Urteil abgewiesen. Das mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehene Urteil wies im Rubrum als Vorsitzenden einen anderen Richter auf als denjenigen, der das Urteil unterschrieben hatte. In dieser Form war das Urteil ausgefertigt und dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 17. Juli 1996 zugestellt worden. Auf die sofortige Rüge dieser fehlerhaften Bezeichnung durch den Prozeßbevollmächtigten des Klägers forderte das SG mit Schreiben vom selben Tag die Urteilsausfertigungen von den Beteiligten zur Berichtigung zurück und berichtigte das Rubrum mit Beschluß vom 23. August 1996. Der Berichtigungsbeschluß wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers zusammen mit der mit Berichtigungsvermerk versehenen Urteilsausfertigung am 27. August 1996 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 11. September 1996, eingegangen beim LSG am 12. September 1996, legte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers „zunächst aus Fristgründen” Berufung ein. Vom LSG mit Schreiben vom 18. November 1996 darauf hingewiesen, daß das Urteil am 17. Juli 1996 zugestellt worden sei und somit die am 12. September 1996 eingelegte Berufung die Frist nicht gewahrt habe, wandte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 19. Dezember 1996 ein, die Berufungsfrist sei erst mit Zustellung des im Rubrum berichtigten Urteils in Lauf gesetzt worden. Erst zu diesem Zeitpunkt seien ihm die Urteilsgründe bekannt geworden und er habe erst dann beurteilen können, ob Berufung eingelegt werden solle. Jedenfalls müsse der Berufungsantrag vom 11. September 1996 als Wiedereinsetzungsantrag ausgelegt werden, weil eine Fristversäumnis nicht auf sein Verschulden zurückzuführen sei; hilfsweise werde nochmals Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das LSG hat die Berufung durch Beschluß vom 2. Januar 1997 als unzulässig verworfen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Das Urteil des SG sei dem durch schriftliche Vollmacht ausgewiesenen Prozeßbevollmächtigten durch Empfangsbekenntnis am 27. August 1996 (richtig: 17. Juli 1996) ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Urteilsausfertigung sei trotz der falschen Bezeichnung des Vorsitzenden im Rubrum ordnungsgemäß iS von § 137 SGG gewesen, da sie Rubrum, Urteilsformel, Urteilsbegründung sowie die Wiedergabe der Unterschrift des Richters enthalten habe. Die zugleich mit dem Berichtigungsbeschluß erfolgte – erneute – Zustellung des – nunmehr berichtigten – Urteils habe die Berufungsfrist nicht, auch nicht erneut, in Lauf gesetzt. Die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses habe nur die Beschwerdefrist gegen den Berichtigungsbeschluß in Lauf gesetzt. Es sei auch keine Wiedereinsetzung zu gewähren. Die Versäumung der Berufungsfrist sei infolge der irrtümlichen Annahme, diese Frist werde erst mit der erneuten Zustellung des berichtigten Urteils in Lauf gesetzt, nicht unverschuldet.
Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 151 Abs 1 und des § 67 SGG. Die Berufungsfrist habe nicht schon am 17. Juli 1996 in Lauf gesetzt werden können, weil zu diesem Zeitpunkt keine ordnungsgemäße Urteilsausfertigung zugestellt worden sei. Nachdem das SG die Beteiligten gebeten habe, ihre Urteilsausfertigungen zur Berichtigung zurückzusenden, habe er zur Einlegung der Berufung den Eingang der berichtigten Ausfertigung abwarten können. Jedenfalls aber habe ihm entsprechend der Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 10. Dezember 1974 (GS 2/73 - BSGE 38, 248) Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist gewährt werden müssen, weil ein etwaiges Verschulden auf seiner Seite durch das spätere Verhalten des Gerichts und der Beklagten ausgeschaltet worden sei. Sein Prozeßbevollmächtigter habe innerhalb der Monatsfrist seit Zustellung des Urteils am 17. Juli 1996 beim SG anfragen lassen, wann mit dem Eingang einer berichtigten Ausfertigung zu rechnen sei. Ihm sei mitgeteilt worden, die berichtigte Urteilsausfertigung werde zugestellt, sobald auch die Ausfertigung der Beklagten vorliege. Die Verzögerung durch die Beklagte könne ihm nicht angelastet werden. In richtiger Anwendung des § 151 Abs 1 SGG und des § 67 Abs 1 und 2 SGG hätte das LSG seine Berufung als zulässig ansehen müssen, und es wäre zu einer weiteren Sachaufklärung und anderen Einschätzung seiner Erwerbsfähigkeit gekommen.
Der Kläger beantragt,
- den Beschluß des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. Januar 1997 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 25. Juni 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. November 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren,
- hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Sie stimmt den verfahrensrechtlichen Ausführungen des Klägers hinsichtlich des Beschlusses des LSG Rheinland-Pfalz vom 2. Januar 1997 zu, ist jedoch der Auffassung, das SG habe über den Anspruch des Klägers in der Sache zutreffend entschieden.
II
Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung begründet.
Das LSG hat die Berufung des Klägers zu Unrecht als verspätet angesehen.
Nach § 151 Abs 1 SGG ist die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist wird danach durch die Zustellung des Urteils in Lauf gesetzt. Zugestellt wird eine Ausfertigung (§ 137 SGG) des Urteils. Die Wirksamkeit einer Zustellung setzt voraus, daß eine ordnungsgemäße Urteilsausfertigung vorliegt. Dies ist hier nicht der Fall.
Die Urteilsausfertigung erfordert die wortgetreue Wiedergabe der Urschrift des Urteils. Sie ist nach § 137 SGG vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel in der Form des Prägesiegels zu versehen. Auszufertigen ist das vollständige Urteil, dh die mit dem in § 136 SGG vorgegebenen Inhalt gemäß § 134 SGG unterschriebene Urschrift. Nach § 136 Abs 1 Nr 2 SGG enthält das Urteil die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben. Nach § 134 Satz 1 SGG ist das Urteil des SG nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen vom Vorsitzenden zu unterschreiben. Weicht der Name des Richters im Rubrum und in der Unterschrift voneinander ab, enthält das Urteil nicht lediglich einen Fehler, der nach § 138 SGG zu berichtigen ist; vielmehr besteht in einem solchen Fall keine Klarheit über die Identität des Richters, der das Urteil gefällt hat. Wenn – wie hier – der in der Urschrift enthaltene Widerspruch in die Ausfertigung übernommen wird, mangelt es an der Ordnungsmäßigkeit.
Das BSG hat hierzu im Urteil vom 11. Februar 1981 (2 RU 37/80 - SozR 1500 § 151 Nr 9) ausgeführt, die Unterschriften der Richter, welche an der Entscheidung mitgewirkt haben, müßten so wiedergegeben sein, daß über ihre Identität kein Zweifel aufkomme. In dem entschiedenen Fall war allerdings in der zugestellten Ausfertigung überhaupt keine Unterschrift wiedergegeben, so daß auch schon keine Gewähr dafür gegeben war, daß die Ausfertigung nicht etwa nur von einem Urteilsentwurf hergestellt worden war. Auch bei Abweichung der wiedergegebenen Unterschrift von der Bezeichnung des Richters im Rubrum begründet die Ausfertigung jedoch Zweifel daran, wer das Urteil erstellt hat. Daß die Beteiligten aus dem vorangegangenen Verfahren Kenntnis darüber haben, welcher Richter das Urteil verkündet hat, kann für die Frage der ordnungsgemäßen Ausfertigung nicht ausschlaggebend sein, wenn dieser Richter aus der Urteilsausfertigung nicht eindeutig als Verfasser des schriftlichen Urteils erkennbar ist. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, daß es im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit offensichtlicher, für jedermann leicht nachvollziehbarer Kriterien bedarf, anhand derer festgestellt werden kann, ob ein Fehler so wesentlich ist, daß die Zustellung der fehlerhaften Ausfertigung die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf setzt (vgl BGH Urteil vom 10. März 1998 - X ZB 31/97 - NJW 1998, 1959). Ebensowenig kann es darauf ankommen, ob die Unterschrift richtig und die Bezeichnung im Rubrum unzutreffend ist oder umgekehrt das Rubrum richtig, aber die Unterschrift falsch ist (so auch zu den insoweit vergleichbaren Vorschriften des § 313 Nr 2 und § 315 ZPO das RG im Urteil vom 24. April 1917 - RGZ 90, 173, 174 und ihm folgend Thomas-Putzo, ZPO-Komm, 20. Aufl 1997, § 315 RdNr 3; Wieczorek, ZPO-Komm, 2. Aufl 1976, § 313 RdNr BII; Vollkommer in Zöller, ZPO-Komm, 20. Aufl 1997, § 313 RdNr 5). Die Zweifel über die Identität des Richters können in diesen Fällen erst durch die Berichtigung beseitigt werden.
Wird aber keine ordnungsgemäße Urteilsausfertigung zugestellt, wird bereits deshalb die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt. Es kommt somit nicht darauf an, ob das Urteil schon vor der Berichtigung bzw der ordnungsgemäßen Urteilszustellung am 27. August 1996 eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für den Kläger bot, ob er Berufung einlegen wollte (vgl Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 6. Aufl 1998, § 138 RdNr 4b, Kummer in Peters/Sautter/Wolff, SGG-Komm, 4. Aufl Stand: November 1997, § 138 RdNr 44, Redeker/von Oertzen, VwGO-Komm, 12. Aufl 1997, § 118 RdNr 7). Mit dem am 11. September 1996 beim LSG eingegangenen Berufungsschriftsatz ist daher die Berufung des Klägers rechtzeitig eingelegt worden. Das LSG hätte über sie sachlich entscheiden müssen. Der vom LSG ausschließlich zur Beurteilung der Zulässigkeit der Berufung festgestellte Sachverhalt läßt eine Entscheidung des Senats in der Sache nicht zu.
Die Sache war deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 1 und 2 SGG).
Fundstellen