Entscheidungsstichwort (Thema)

Vereinbarkeit mit dem GG. Dauernde Existenzgrundlage

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das GAL ist sowohl in seiner Gesamtheit als auch bezüglich seiner hier für die Beitragspflicht in Frage kommenden Vorschriften mit dem GG zu vereinbaren.

2. Eine dauernde Existenzgrundlage setzt lediglich voraus, daß die Erträgnisse der Landwirtschaft für sich allein ausreichen, um eine bäuerliche Familie zu ernähren.

 

Normenkette

GAL § 8 Abs. 1 Fassung: 1957-07-27, § 9 Abs. 1 Fassung: 1961-07-03; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; GAL § 1 Abs. 4 Fassung: 1961-07-03; GAL § 1 Abs. 4 Fassung: 1957-07-27

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 2. Oktober 1962 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger betreibt ein Weingut von 1,7 ha Größe sowie eine Weinbrennerei und eine Weingroßhandlung. Die Beklagte nahm ihn in seiner Eigenschaft als Inhaber des Weingutes zu Beitragszahlungen nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1063) - GAL - in Anspruch. Der Kläger erhob Widerspruch mit der Begründung, er betreibe den Weinbau nur nebenher, der Hauptbetrieb sei die Brennerei und die Weingroßhandlung. Widerspruch, Klage beim Sozialgericht (SG) und Berufung an das Landessozialgericht (LSG) blieben erfolglos. Zur Begründung führte das LSG aus, das GAL verstoße nicht gegen das Grundgesetz (GG). Da der Betrieb des Klägers eine dauerhafte Existenzgrundlage darstelle, sei der Kläger beitragspflichtig; dabei bleibe unerheblich, daß er den Weinbau nur nebenher betreibe. Das LSG ließ Revision zu.

Der Kläger legte gegen das am 10. Oktober 1962 zugestellte Urteil am 8. November 1962 Revision ein und begründete sie nach Fristverlängerung am 9. Januar 1963. Er trägt vor, das GAL sei nicht mit dem GG zu vereinbaren.

Zunächst verletze es den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, weil es im Gegensatz zu anderen Berufen eine Zwangsversicherung der Landwirte eingeführt habe. Eine solche sei nicht erforderlich, da diese von ihrem Grund und Boden leben könnten.

Weiter liege ein Verstoß gegen Art. 9 GG vor; denn durch die effektive Verdrängung der Selbstversorgung durch staatliche Sozialversicherung werde die positive Vereinigungsfreiheit beschränkt. Diese Beschränkung sei aber gerade gegenüber einem selbständigen Berufsstand, dessen Recht zu eigenverantwortlicher Daseinsgestaltung und Daseinsversorgung verfassungsrechtlich geschützt sei, nicht vertretbar.

Die Pflichtversicherung der Landwirte beeinträchtige auch das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG, wodurch eine freiheitliche Berufsordnung gewährleistet sei. Zum Berufsbild der landwirtschaftlichen Unternehmereigenschaft gehöre die aus jahrhundertealter gesetzlicher und verfassungsmäßig anerkannter Tradition gewachsene Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Landwirte.

Das GAL stehe ferner im Widerspruch zu Art. 14 GG. Zwar sei durch diese Vorschrift das Vermögen nicht schlechthin gegen Eingriffe durch Auferlegung von Geldpflichten geschützt, schütze es sie aber dann, wenn ein Beitragszwang gleichheitswidrige Verhältnisse schaffe und den Eigentumsbereich des einen Versicherten zugunsten des anderen Versicherten unzumutbar belaste. Dieser Fall sei in der Altlastabbürdung zu erblicken. Damit liege eine entschädigungspflichtige Enteignung vor.

Das GAL sei im übrigen deshalb nichtig, weil es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels verstoße. Es greife nämlich erheblich in die eigenverantwortlichen Bereiche des landwirtschaftlichen Berufsstandes ein; dieser Eingriff könne auch durch mildere Maßnahmen ersetzt werden, beispielsweise durch die Möglichkeit fakultativer Versicherung.

Abgesehen von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes als Ganzes seien auch einzelne Vorschriften grundgesetzwidrig, insbesondere die Vorschrift, wonach der Beitragszwang sowohl den eigentlichen Landwirt wie den gewerblichen Unternehmer mit landwirtschaftlichem Nebenbesitz treffe. Diese künstliche Gleichbehandlung völlig verschiedener Tatbestände sei sachlich nicht gerechtfertigt. Das GAL erstrebe sozialen Schutz für die Existenz der Agrarbevölkerung. Der Kläger werde aber nur deshalb vom GAL erfaßt, weil er zufällig auch über Weinberge verfüge, obwohl er hauptsächlich eine Weingroßhandlung und eine Weinbrennerei betreibe. Damit liege ein weiterer Verstoß gegen Art. 3 GG vor. Das gleiche gelte für die Vorschrift, wonach der Versicherte, der am 1. Januar 1957 eine Lebensversicherung mit Rentenklausel abgeschlossen habe, von der Beitragspflicht befreit werden könne.

Die Eigentumsgarantie sei auch dadurch verletzt, daß der Beitragspflichtige den Hof abgeben müsse, um in den Genuß der Leistung zu kommen; anderenfalls zahle er zeitlebens verlorene Gelder.

Schließlich berücksichtige das LSG nicht, daß ein 65-jähriger Arbeitnehmer das Altersruhegeld ohne Rücksicht darauf erhalte, ob er noch arbeite oder nicht. Dagegen solle der 65-jährige Landwirt vor Erhalt der Rente den Hof übergeben. Ebenso übersehe das Urteil, daß der vorgezogene Versicherungsfall nach § 1248 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht eintrete, wenn der 60-jährige Arbeitnehmer freiwillig auf die Verwendung seiner Arbeitskraft verzichte; er müsse vielmehr unfreiwillig arbeitslos werden, um die Versicherungsleistung zu erhalten. Der Landwirt solle dagegen freiwillig auf Eigentum oder Verfügungsgewalt verzichten.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Hessischen LSG vom 2. Oktober 1962 und des SG Wiesbaden vom 27. September 1961 sowie die Bescheide der Beklagten vom 10. Juni und 3. November 1960 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig, konnte aber keinen Erfolg haben, weil das GAL nicht gegen das GG verstößt und der Kläger als Unternehmer eines eine Existenzgrundlage darstellenden landwirtschaftlichen Betriebes nach dem GAL beitragspflichtig ist.

Zunächst hat das LSG zutreffend angenommen, daß das GAL sowohl in seiner Gesamtheit als auch bezüglich seiner hier für die Beitragspflicht in Frage kommenden Vorschriften mit dem GG zu vereinbaren ist.

Daß das GAL nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG verstößt, hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 20. März 1962 (SozR GAL § 1 Nr. 2) mit näherer Begründung ausgeführt. Auch nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. Februar 1960 (NJW 1960, 619) ist der Gesetzgeber durch Art. 3 GG nicht gehindert, Sondergesetze für bestimmte Lebensbereiche zu erlassen, wenn die besonderen Verhältnisse es fordern oder rechtfertigen. Eine solche Rechtfertigung ist in dem Umstand zu erblicken, daß der Gesetzgeber aus agrarpolitischen Gründen eine frühzeitige Abgabe des Hofes für erwünscht hält, andererseits aber diese Abgabe dem früheren Unternehmer dadurch erleichtern will, daß er ihm nach der Abgabe eine kleinere Barleistung zukommen läßt, die zusammen mit den Erträgnissen aus der Pacht oder den Altenteilansprüchen seinen Lebensunterhalt sicherstellt.

Ein Verstoß gegen Art. 9 GG ist gleichfalls nicht gegeben. Dies hat das BVerfG in der genannten Entscheidung bezüglich der Pflichtmitgliedschaft von Ärzten bei der Bayerischen Ärzteversicherung ausgesprochen, für die die gleichen Erwägungen gelten.

Auch mit Art. 12 GG ist das GAL zu vereinbaren. Das BVerfG hat in dem schon erwähnten Urteil gerade auf die Handwerkerversorgung und die landwirtschaftliche Altershilfe verwiesen, um darzutun, daß eine Zwangsmitgliedschaft für Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung mit dem GG in Einklang steht (NJW 1960, 621).

Ebenso hat das BVerfG wiederholt ausgesprochen (BVerfG 4, 7; 10, 89; NJW 1960, 621), daß die Auferlegung von Zwangsbeiträgen keine Verletzung des Eigentums darstellt.

Auch eine Verletzung des Art. 9 GG ist nicht gegeben. Denn eine Einschränkung eines Grundrechts ist nicht anzunehmen, wie bereits zu den einzelnen Vorschriften dargelegt ist. Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß das GAL in seiner Gesamtheit nicht gegen das GG verstößt.

Aber auch Einzelvorschriften des GAL, insbesondere die hier in Frage kommenden über die Beitragspflicht, sind nicht grundgesetzwidrig. Es ist bereits dargelegt, daß die Heranziehung nur derjenigen Unternehmer zu Beiträgen, deren Hof eine Existenzgrundlage bildet, nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG verstößt. Wenn in § 8 Abs. 2 ff und in § 26 GAL aF gewisse landwirtschaftliche Unternehmer nicht beitragspflichtig sind, so handelt es sich um andere Tatbestände. Denn das GAL will nur diejenigen Unternehmer von der Beitragspflicht befreien, die durch Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung usw. oder durch Abschluß einer Lebensversicherung auf Rentenbasis bereits für das Alter vorgesorgt haben. Der Abschluß einer Kapitalversicherung hingegen reicht nicht aus, weil es dem Gesetzgeber gerade darauf ankam, dem abgebenden Unternehmer eine laufende Geldleistung zukommen zu lassen. Daher sind z. B. auch Handwerker, die wegen Abschlusses einer Kapitallebensversicherung von der Beitragspflicht nach dem Handwerkerversorgungsgesetz befreit sind, nicht auch gleichzeitig beitragsfrei nach dem GAL. Aus den gleichen Gründen reicht die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung nicht aus; denn eine solche könnte jederzeit beendet werden (vgl. BSG 12, 88).

Die Auferlegung der Altenlast (Rentenleistungen an Unternehmer, die nicht 180 Kalendermonate Beiträge gezahlt haben) auf die übrigen Beitragszahler ist ebenfalls nicht grundgesetzwidrig. Einmal werden gerade zu diesem Zweck aus öffentlichen Mitteln erhebliche Beträge aufgebracht, zum anderen mußte man aber auch, sollte das Gesetz nicht erst 15 Jahre nach seinem Inkrafttreten praktisch wirksam werden, in Form von Übergangsvorschriften denjenigen Unternehmern Leistungen zukommen lassen, die bis zur Abgabe noch überhaupt keine oder nur weniger als die geforderten 180 Monatsbeiträge entrichten konnten. Insofern handelt es sich um verschiedene Tatbestände, die eine unterschiedliche Regelung rechtfertigen.

Daß ein landwirtschaftlicher Unternehmer den Hof abgeben muß, wenn er in den Genuß des Altersgeldes kommen will, stellt ebensowenig eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes dar wie die Tatsache, daß in der gesetzlichen Rentenversicherung Voraussetzung für die Gewährung der Rente die Erreichung des 65. Lebensjahres oder die Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit des Antragstellers ist.

Die Hofabgabe bedeutet auch keinen entschädigungslosen Verlust des Eigentums; denn bei Verkauf erhält der Abgebende den Kaufpreis, bei Übertragung an den Nachfolger handelt es sich um vorweggenommene Erbfolge, die den Lebensunterhalt des Abgebenden im allgemeinen durch Wohnrecht und andere Altenteilsansprüche sichert. Außerdem genügt als Abgabe nach dem GAL bereits eine Verpachtung, so daß der bisherige Unternehmer dann sogar das Eigentum selbst behält. Schließlich kann der Kläger nicht damit gehört werden, daß ein Arbeitsloser in der Rentenversicherung nach § 1248 Abs. 2 RVO nur bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit Leistungen erhalte, während ein Landwirt freiwillig auf seine Arbeitstätigkeit verzichten müsse. Das vorgezogene Altersruhegeld wird gewährt, wenn der Versicherte mindestens 1 Jahr arbeitslos war und wegen seines Alters nicht mehr mit einer Arbeitsstelle rechnen kann. Er muß aus der Rentenversicherung versorgt werden, weil die Leistungen der Arbeitslosenversicherung nur befristet zur Verfügung stehen und ihm nicht zugemutet werden soll, anschließend lediglich im Falle der Bedürftigkeit Arbeitslosenhilfe zu empfangen. Er kann aber nicht willkürlich den Versicherungsfall herbeiführen, indem er seine Bereitschaft, eine Arbeit anzunehmen, aufgibt. Bei dem Landwirt werden auch einige Mindestvoraussetzungen für das Altersgeld verlangt (u. a. Vollendung des 65. Lebensjahres und Abgabe des Unternehmens nach Vollendung des 50. Lebensjahres - § 2 GAL -). Der landwirtschaftliche Unternehmer kann also auch nicht jederzeit durch Abgabe des Betriebes den Versicherungsfall herbeiführen, sondern erst nach Erreichung des Alters, in dem normalerweise eine berufliche Tätigkeit nicht mehr üblich ist. Ferner erhält er alsdann nicht etwa eine Rente, die seinen Lebensunterhalt sichern soll, sondern nur einen kleineren Unterhaltsbeitrag in Form einer Barleistung. Beide Fälle können also nicht gleich beurteilt werden.

Nach alledem ist der Kläger gemäß § 8 Abs. 1 GAL aF bzw. § 9 Abs. 1 GAL nF beitragspflichtig, da das LSG - von der Revision nicht angegriffen und damit nach § 163 SGG bindend - festgestellt hat, daß das landwirtschaftliche Unternehmen des Klägers als solches eine dauerhafte Existenzgrundlage bildet. Befreiungsgründe nach dem GAL sind nicht gegeben. Unerheblich ist, daß nicht der Weinbaubetrieb die Haupteinnahmequelle des Klägers darstellt, sondern seine Weingroßhandlung und seine Weinbrennerei. Denn eine dauerhafte Existenzgrundlage setzt lediglich voraus, daß die Erträgnisse der Landwirtschaft für sich allein ausreichen, um eine bäuerliche Familie zu ernähren (Urteil des Senats vom 21. März 1962 - SozR GAL § 1 Nr. 3).

Die Revision des Klägers mußte daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2375117

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