Leitsatz (redaktionell)

Die Witwe hat keinen Anspruch auf die erhöhte Ausgleichsrente, wenn ihr verschleppter Ehemann seine Existenzgrundlage schon lange vor dem gerichtlich festgestellten Todestag durch Enteignung in der SBZ verloren hatte und auch sein mutmaßliches Einkommen nicht die nach BVG § 41 Abs 3 S 2 idF des 1. NOG KOV erforderliche Höhe erreicht hätte.

 

Normenkette

BVG § 41 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. April 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin bezieht Witwenrente aus der Angestelltenversicherung und Hinterbliebenenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz - BVG - (Grund- und Ausgleichsrente). Sie begehrt mit ihrem Antrag vom 28. Oktober 1960 erhöhte Witwenausgleichsrente gemäß § 41 Abs. 3 BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) nach ihrem 1897 geborenen, seit November 1945 verschollenen und zum 31. Dezember 1950 für tot erklärten Ehemann. Dieser hatte das elterliche Anwesen in der Sowjetzone bewirtschaftet und 1943 nach einem noch vorhandenen Steuerbescheid RM 14.399,- steuerbare Einkünfte aus Landwirtschaft gehabt. Das Versorgungsamt lehnte mit Bescheid vom 22. November 1962 den Antrag ab. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt: Der Verlust des landwirtschaftlichen Hofes beruhe nicht auf dem Kriegsgeschehen, sondern auf politischen Gründen, nämlich der Enteignung im Oktober 1945. Damit fehle der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Schaden und einem schädigenden Vorgang im Sinne des BVG. Ein wirtschaftlicher Schaden wäre aber voraussichtlich nicht in erheblichem Umfang entstanden, wenn die Klägerin das Anwesen nach dem Tode ihres Ehemanns selbst bewirtschaftet, verpachtet oder verkauft hätte. Daher könne das im Jahre 1943 erzielte Einkommen nicht Grundlage des Einkommensvergleichs sein. Auch im Falle des Überlebens hätte der Verstorbene kein Einkommen erzielt, das viermal so hoch gewesen wäre wie die Renteneinkünfte der Klägerin. Er wäre im übrigen seit Marz 1962 ohnehin Ruhegeldempfänger. In einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis hätte der Ehemann der Klägerin mit mehr als zwölf Berufsjahren bestenfalls 912.- DM (seit März 1964) an Dienstbezügen erlangen können. Auch bei anderer Arbeitnehmertätigkeit hätte er nicht das Vierfache dessen verdient, was die Klägerin an Renteneinkommen habe.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 19. Mai 1965 zugestellte Urteil des LSG am 26. Mai 1965 Revision mit dem Antrage eingelegt,

das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Detmold vom 11. Mai 1964 sowie die Bescheide des Beklagten vom 22. November 1962 und 29. April 1963 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin vom 1. Juni 1960 an die erhöhte Witwenausgleichsrente zu gewähren,

hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.

Die Revision rügt Verletzung des § 41 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG. Das LSG habe diese Vorschrift dadurch verletzt, daß es noch Tatbestände berücksichtigt habe (Enteignung und Vertreibung), welche nach dem Tod des Ehemanns der Klägerin eingetreten sind. Zutreffend habe das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 9. April 1965 (BVBl 1965, 53 Nr. 36) diese Frage behandelt, und zwar für die Fassung der Vorschriften nach dem 1. und 2. NOG.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Todeserklärung des Ehemannes der Klägerin sei mit Ablauf des 31. Dezember 1950 wirksam geworden. Bis dahin müsse er als lebend behandelt werden (§§ 9 und 10 des Verschollenheitsgesetzes). Der Hof sei im Oktober 1945 enteignet worden, damit seien auch die Vertreibungsschäden eingetreten. Sie lägen somit vor dem Tod des Verstorbenen. Es könne daher keinen Streit um die Kausalität geben; aus dem gleichen Grund könne auch der Runderlaß des BMA vom 9. April 1965 nicht angewandt werden. Über die Ansprüche nach § 40 a BVG idF des 2. NOG habe das Berufungsgericht zu Recht nicht entschieden, weil es sich um einen Neuanspruch handele, der nach Art. VI § 1 Abs. 3 des 2. NOG von Amts wegen festzustellen sei.

Während des Revisionsverfahrens hat das Versorgungsamt Soest mit Bescheid vom 24. September 1965 auch einen Anspruch auf Schadensausgleich nach § 40 a BVG idF des 2. NOG abgelehnt. Die Klägerin hat ihre Angriffe im Revisionsverfahren gegen diesen Bescheid, der als mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) angefochten gilt (§ 171 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), nicht mehr aufrechterhalten.

Die zugelassene, auf die Geltungsdauer des § 41 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG beschränkte Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Das 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) ist am 1. Juni 1960 in Kraft getreten. Der Antrag der Klägerin vom 28. Oktober 1960 bewirkt, daß ihr ein etwaiger Anspruch nach § 41 Abs. 3 BVG vom 1. Juni 1960 an zusteht; denn sie hat binnen sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes die in § 41 Abs. 3 BVG für die Witwenrente eingeführte Leistung beantragt (Art. IV § 1 Abs. 2 Satz 1 des 1. NOG). Es kommt also darauf an, ob die Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG erfüllt sind.

Nach § 41 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG erhöht sich die volle Ausgleichsrente (110,- DM) auf 150,- DM, wenn die Witwe durch den Verlust ihres Ehemannes wirtschaftlich besonders betroffen ist. Sie ist besonders betroffen, wenn ihre Einkünfte einschließlich der Grund- und Ausgleichsrente nicht ein Viertel des Einkommens ihres Ehemannes erreichen, das dieser erzielt hat oder voraussichtlich erzielt hätte. Voraussetzung einer Erhöhung der Ausgleichsrente ist also, daß Grund- und Ausgleichsrente zuzüglich anderer Einkünfte der Klägerin zusammen weniger betragen als ein Viertel des erzielten oder voraussichtlich erzielten Einkommens des verstorbenen Ehemannes. Durch den Tod ihres Ehemannes ist für die Klägerin ein wirtschaftlicher Schaden entstanden, der weiter fortwirkt. Es muß daher geprüft werden, wie es das LSG getan hat, ob die durch den Tod entstandenen wirtschaftlichen Schäden während der Geltungsdauer des § 41 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG (1. Juni 1960 bis 31. Dezember 1963) in Höhe des Unterschieds zwischen einem Viertel des Einkommens des Ehemannes und den eigenen Einkünften der Klägerin fortbestanden.

Wie sich aus den Feststellungen das LSG und dem eigenen Vorbringen der Klägerin in der Klageschrift vom 16. Mai 1963 ergibt, ist ihr Ehemann verschleppt worden. Er war Kreisbauernführer und Ortsbürgermeister. Das landwirtschaftliche Besitztum wurde im Oktober 1945 durch die russische Besatzungsmacht enteignet. Über die Größe des Anwesens ist keine Feststellung getroffen. Durch das Kreisgericht Wolmirstedt (sowjetisch besetzte Zone) wurde der Ehemann der Klägerin durch Beschluß vom 2. April 1953 für tot erklärt und der Zeitpunkt des Todes auf den 31. Dezember 1950, 24 Uhr, festgestellt. Der Todestag war Grundlage des Rentenänderungsbescheides vom 16. Oktober 1958, mit dem der Klägerin statt der bisher gezahlten Verschollenenrente Witwenrente gewährt worden ist. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (SozR BVG § 41 aF Nr. 11) ist der besondere wirtschaftliche Schaden der Witwe nur dann mit der erhöhten Ausgleichsrente zu entschädigen, wenn für ihn der Verlust des Ehemannes ursächlich gewesen war. Der durch den Tod des Ehemannes entstandene wirtschaftliche Schaden besteht allein in dem Verlust des Ernährers, nicht in dem Verlust des Grundeigentums. Dieser landwirtschaftliche Besitz ist nämlich vor dem festgestellten Todestag (31. Dezember 1950) schon im Oktober 1945 durch die Besatzungsmacht enteignet worden. Dies ist zwar nicht vom LSG festgestellt worden, ergibt sich aber aus der Prozeßgeschichte; denn die Klägerin hat sich darauf in der Klageschrift vom 16. Mai 1963 berufen. Die Einkünfte des Ehemannes der Klägerin im Jahre 1943, welche mit RM 14.399,- bezeichnet worden sind, können daher im Hinblick auf den Wegfall der Einkommensquelle durch die Enteignung nicht Vergleichsmaßstab zu den gegenwärtigen Renteneinkünften der Klägerin seit 1960 und später sein. Ist aber für die Beurteilung der Einkommensverhältnisse der Zeitraum des Einkommenbezugs im Jahre 1943 ungeeignet, so fehlt es an dem Maßstab, welches Einkommen der verstorbene Ehemann erzielt hat. Daher ist nach § 41 Abs. 3 Satz 2 BVG idF des 1. NOG das Einkommen als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, das der Ehemann der Klägerin voraussichtlich in der Gegenwart erzielt hätte. Derartige Feststellungen hat auch das LSG getroffen. Danach betragen die tariflichen Bezüge eines landwirtschaftlichen Verwalters in Westfalen und Niedersachsen in der Spitze 912,- DM. Diesen Teil der Feststellungen hat die Revision nicht angegriffen. Sie sind daher für das LSG bindend (§ 163 SGG). Die Klägerin hatte danach vom 1. Juni 1960 bis 31. Dezember 1963 folgende monatlichen Einkünfte an Rentenbezügen:

1960

134,60 DM Angestelltenversicherungsrente (AV-Rente) 100,- DM Grundrente ab 1. Juni 1960

= 234,60 DM

1961

141,90 DM AV-Rente 100,- DM Grundrente

= 241,90 DM

1962

158,90 DM AV-Rente 100,- DM Grundrente

= 258,90 DM

1963

172,- DM AV-Rente 100,- DM Grundrente

= 272,- DM

Da ein Viertel des mutmaßlichen Einkommens des Ehemannes in Höhe von 912,- DM sich auf 228,- DM beläuft, hat das Einkommen der Klägerin die Grenze überschritten, von der die Annahme eines besonderen wirtschaftlichen Schadens abhängt. Dabei kann das Einkommen aus dem neu erworbenen Hausbesitz der Klägerin (Einheitswert 6.900,- DM) unberücksichtigt bleiben, weil die Aufwendungen für die Unterhaltung des Hausbesitzers höher sind als die daraus bezogenen Einkünfte. Wie das LSG - gleichfalls unangegriffen - festgestellt hat, wäre auch das Angestelltenruhegeld, das der am 12. März 1897 geborene Ehemann der Klägerin voraussichtlich mit Vollendung seines 65. Lebensjahres bezogen hätte, nicht höher gewesen als sein mutmaßliches Arbeitseinkommen. Damit steht fest, daß die Klägerin ein höheres Einkommen hat, als daß sie noch eine erhöhte Ausgleichsrente nach § 41 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG beanspruchen könnte. Das LSG hat mithin zutreffend für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis zum 31. Dezember 1963 die beantragte Erhöhung der Versorgungsrente abgelehnt.

Mit Wirkung vom 1. Januar 1964 ist § 41 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG durch § 40 a BVG idF des 2. NOG ersetzt worden (2. NOG vom 21. Februar 1964, BGBl I 85). Der Beklagte hat über diese Vorschrift mit Bescheid vom 24. September 1965 entschieden. Dieser Bescheid wird vom Revisionsverfahren nicht erfaßt (§ 171 Abs. 2 SGG).

Der Anspruch der Klägerin auf erhöhte Ausgleichsrente für die Zeit vor dem 1. Januar 1964, der unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des 1. NOG zu beurteilen war, ist mithin nicht begründet, wie das LSG ohne Rechtsirrtum entschieden hat. Die Revision der Klägerin war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2347527

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?