Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragspflicht zur Familienausgleichskasse. Unternehmereigenschaft eines Hauseigentümers
Orientierungssatz
1. Wer Unternehmer iS des 3. Buches der RVO ist und sich als solcher freiwillig versichern kann, ist zur Zahlung von Beiträgen an die Familienausgleichskasse verpflichtet.
2. Ein Hauseigentümer kann durch die für ihn verrichtete abhängige Tätigkeit eines Dritten Unternehmer iS der UV werden.
Normenkette
KGG § 10 Abs. 1 Fassung: 1964-04-14, § 2 Abs. 3 Fassung: 1964-04-14; RVO § 539 Fassung: 1942-03-09, § 545 Fassung: 1963-04-30, § 658 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 29.11.1963) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 20.02.1963) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. November 1963 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Kläger hat neben einer Rente Einkünfte aus mehreren ihm gehörenden Miethäusern in H, deren Hauswarte ("Vize") er zur gesetzlichen Unfallversicherung angemeldet hat und für die er Beiträge an die zuständige Berufsgenossenschaft (BG) entrichtet. Durch Beitragsrechnungen vom 10. November 1959 und 13. Oktober 1961 verlangte die Familienausgleichskasse (FAK) vom Kläger in seiner Eigenschaft als selbständiger Unternehmer Beiträge für die Jahre 1956 bis 1960, sowie für das Jahr 1961 einen Beitragsvorschuß. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1962).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage, mit der die Aufhebung der Bescheide vom 10. November 1959 und 13. Oktober 1961 sowie des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 1962 erstrebt wird, durch Urteil vom 20. Februar 1963 abgewiesen, weil zwar an sich die Verwaltung eigenen Vermögens beitragsfrei sei, hier aber die Beschäftigung eines Hauswarts oder Hausbesorgers den Kläger zum Unternehmer im Sinne des Gesetzes und damit beitragspflichtig mache.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Beweis erhoben durch Vernehmung mehrerer für den Kläger tätiger Hausbesorger als Zeugen. Durch Urteil vom 29. November 1963 hat es die Entscheidung des SG und die angefochtenen Verwaltungsbescheide aufgehoben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Ein Hauseigentümer sei grundsätzlich nur dann als selbständiger Unternehmer im Sinne der Kindergeldgesetzgebung anzusehen, wenn er die Geschäfte der Hausverwaltung durch einen hauptberuflich tätigen Verwalter oder eine Firma erledigen lasse, die das Besorgen von Hausverwaltungen gewerbsmäßig übernehmen. Die für den Kläger arbeitenden "Vize" seien weder gewerbsmäßige Hausverwalter noch echte Arbeitnehmer, vielmehr Mieter, welche einzelne Nebenverpflichtungen übernommen hätten, ohne den Kläger von allen Verwaltungsgeschäften zu entlasten. Zwar sei der Umfang ihrer Tätigkeiten und auch ihre Entlohnung verschieden, nur im Falle M sei die Vergütung erwähnenswert gewesen, aber rechtlich seien doch sämtliche Hausbesorger gleichmäßig nicht als Arbeitnehmer zu beurteilen. Das LSG hat die Revision zugelassen, weil es der Frage grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat, wie die beschränkte Führung von Hausverwaltungsgeschäften durch einzelne Mieter rechtlich zu bewerten sei.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und sinngemäß beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. November 1963 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 20. Februar 1963 zurückzuweisen;
hilfsweise,
das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Sie rügt mit näherer Begründung, das Berufungsgericht habe verkannt, daß die Beitragspflicht in der Unfallversicherung die nach dem Kindergeldgesetz (KGG) nach sich ziehe. Daher hätte die Verwaltungs-BG beigeladen werden müssen. Ferner habe die Vorinstanz den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt und die Grenzen des Rechts zur freien Beweiswürdigung überschritten, weil es die Verschiedenartigkeit der von den Hausbesorgern verrichteten Tätigkeiten nicht gebührend berücksichtigt habe. Auf jeden Fall hätten die Eheleute M in einem echten Beschäftigungsverhältnis zum Kläger gestanden.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel mußte auch Erfolg haben.
Revisionsklägerin ist die Rechtsnachfolgerin der nach §§ 33 Abs. 2 Satz 1, 47 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) vom 14. April 1964 (BGBl I 265) mit Ablauf des 30. Juni 1965 aufgelösten beklagten FAK. Sie ist nach § 33 Abs. 2 Satz 2 BKGG in deren Rechte und Verbindlichkeiten sowie in den vorliegenden, von ihr aufgenommenen Rechtsstreit eingetreten.
Wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben, bilden die Beitragsregelungen der FAK vom 10. November 1959 und 13. Oktober 1961 idF des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 1962 den Gegenstand des Rechtsstreits. Streitig ist danach die Beitragsschuld des Klägers als Unternehmer für die Jahre 1956 bis 1961. Das LSG hat an sich den Kreis der nach dem KGG beitragspflichtigen Personen nicht verkannt. Er wird durch § 10 dieses Gesetzes festgelegt.
Danach ist beitragspflichtig, wer für Arbeitnehmer, Selbständige oder mithelfende Familienangehörige Beiträge zu den Berufsgenossenschaften nach dem 3. Buch der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufzubringen hat oder hätte, wenn diese Personen versichert wären (§ 10 Abs. 1 KGG).
Wenn auch der Wortlaut dieser Vorschrift nicht genau den entsprechenden Bestimmungen der RVO angeglichen ist, so bestehen doch über ihren Zweck und Inhalt keine Zweifel: Beitragspflichtig sind die Unternehmer (§ 10 Abs. 1, § 2 Abs. 3 KGG) sowohl hinsichtlich ihrer eigenen Person ("für Selbständige") als auch hinsichtlich ihrer versicherten Arbeitnehmer und mithelfenden Familienangehörigen (so hM vgl. Witting/Meier, Kindergeld-Handbuch, § 10 KGG Anm. 3; Käß, Kindergeld-Gesetz, § 10 Anm. 1; Sixtus/Haep, Die Kindergeldgesetze, § 10 KGG; Schieckel, Kindergeldgesetze, § 10 KGG Anm. 1; vgl. auch BT II 1953 Drucks. 708 S. 4).
Da die Beklagte ihre früher erhobene Forderung von Beiträgen für die Hauswarte des Klägers in ihre endgültigen Bescheide nicht übernommen hat, ist, wie von den Vorinstanzen richtig erkannt wurde, nur noch darüber zu entscheiden, ob der Kläger wegen seiner eigenen Person als selbständiger Unternehmer für den fraglichen Zeitraum Beiträge zur FAK zu entrichten hat. Dies ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. SozR KGG § 10 Bl. Aa 2 Nr. 2 und BSG 16, 207, 208; 18, 46, 47) nicht erst dann der Fall, wenn der Kläger tatsächlich als Unternehmer bei der fachlich zuständigen BG pflichtversichert war. Es genügt vielmehr bereits die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung nach der hier noch maßgebenden Vorschrift des § 539 RVO aF (jetzt § 545 idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963). Nach § 539 RVO aF können sich mit alleiniger Ausnahme der Haushaltungsvorstände alle Unternehmer freiwillig gegen die Folgen von Arbeitsunfällen versichern. Allerdings ergibt sich die für den vorliegenden Rechtsstreit somit ausschlaggebende Unternehmereigenschaft des Klägers noch nicht, wie die Revisionsklägerin meint, mit einer die Beteiligten und das Gericht bindenden Wirkung aus der Tatsache, daß er seine Hauswarte zur Unfallversicherung angemeldet hat, für sie hierzu Beiträge zahlt und von der Verwaltungs-BG in das Unternehmerverzeichnis eingetragen wurde. Zwar wurde dadurch für die Unfallversicherung die Unternehmereigenschaft des Klägers unwidersprochen festgestellt. Dies kann jedoch, da die Familienausgleichskassen selbständige, von den Trägern der Unfallversicherung unabhängige Körperschaften waren, allenfalls zwischen der BG als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung und dem Kläger, nicht aber auch zwischen diesem und der FAK bindende Wirkung haben. Zudem macht § 10 Abs. 1 KGG die Beitragspflicht zur Familienausgleichskasse nicht von der rein tatsächlichen Zahlung von Beiträgen zur Unfallversicherung abhängig. Die Beitragspflicht hängt vielmehr davon ab, ob jemand für Arbeitnehmer oder als Selbständiger Beiträge nach dem 3. Buch der RVO aufzubringen "hat" oder "hätte", wenn diese Personen versichert wären. Deshalb müssen die Gerichte in Beitragsstreitigkeiten nach dem KGG, ohne an die Beurteilung der Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung durch deren Träger oder an die Tatsache der Beitragsleistungen hierzu gebunden zu sein, selbst prüfen, ob eine derartige Rechtspflicht besteht oder nicht.
Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung war die Beiladung der für die gesetzliche Unfallversicherung zuständigen BG, die nunmehr selbst Revisionsklägerin ist, nach § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht erforderlich. Nach dieser Vorschrift ist ein Dritter dann notwendig beizuladen, wenn er an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Damit sollen die Fälle erfaßt werden, in denen sich die Rechtskraft einen gerichtlichen Entscheidung zwangsläufig auch auf Dritte erstreckt (BSG SozR § 75 SGG Nr. 6). Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch nicht die Beitragspflicht des Klägers zur gesetzlichen Unfallversicherung, sondern allein seine Beitragspflicht zur FAK.
Dafür ist zwar seine Unternehmereigenschaft als Vorfrage von Bedeutung, doch nimmt ihre Beurteilung durch das erkennende Gericht nicht an der Rechtskraftwirkung des Urteils teil (BSG 15, 127, 128; vgl. auch BSG 17, 1, 2). Da somit die Entscheidung über die Beitragspflicht des Klägers zur FAK keine unmittelbar rechtserhebliche Wirkung für die Verwaltungs-BG als Trägerin der Unfallversicherung hat, stellt es keinen Verfahrensfehler dar, wenn das LSG sie nicht beigeladen hat.
Das Berufungsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß der Kläger zur Zahlung von Beiträgen an die FAK verpflichtet wäre, wenn er "Selbständiger", d. h. Unternehmer im Sinne des 3. Buches der RVO gewesen wäre (§ 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 3 KGG) und sich als solcher nach § 539 aF RVO freiwillig hätte versichern können. Ebenfalls zutreffend hat das LSG die Unternehmereigenschaft des Klägers nicht schon deshalb angenommen, weil er seinen Hausbesitz verwaltet und Wohnungen vermietet. Das Berufungsgericht ist auch mit Recht davon ausgegangen, daß ein Hauseigentümer durch die für ihn verrichtete abhängige Tätigkeit eines Dritten Unternehmer im Sinne des § 633 RVO aF (jetzt § 658 Abs. 2 nF) werden kann. Die Auffassung der Vorinstanz ist jedoch insoweit nicht bedenkenfrei, als es angenommen hat, alle für ihn in der streitigen Zeit tätigen Hauswarte seien keine abhängigen Arbeitnehmer gewesen. Dies hat die Beklagte zu Recht gerügt. Die Zeugin M hat im einzelnen Art und Umfang der Verrichtungen geschildert, welche sie bezw. ihr Ehemann für den Kläger übernommen haben; sie hat auch Angaben über das ihr und ihrem Ehemann zu dessen Lebzeiten gewährte Entgelt gemacht. Da die Verhältnisse, über die sie berichtet hat, von denen der anderen Zeugen nicht unerheblich abweichen, hätte das LSG nicht summarisch ausführen dürfen, die Verhältnisse seien bei allen für den Kläger tätigen Hauswarten die gleichen und die übernommenen Verpflichtungen seien als bloße Nebenpflichten zum Mietvertrag aufzufassen. Es hätte vielmehr im einzelnen darlegen müssen, weshalb bei der Zeugin M bzw. ihrem Ehemann trotz des Umfanges der geleisteten Arbeiten und trotz der Höhe des gewährten Entgelts kein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat. Denn von bloßen Gefälligkeitsleistungen oder von üblichen Zusatzverpflichtungen im Rahmen eines Mietvertrages kann dann nicht gesprochen werden, wenn die von dem Mieter übernommene Verpflichtung nach Art und Umfang als Ausfluß eines mit dem Mietvertrag zusammenhängenden Beschäftigungsverhältnisses anzusehen ist. Infolgedessen hat die Beklagte zu Recht gerügt, daß das Berufungsgericht auf die Besonderheiten der Tätigkeit der Zeugin M oder ihres Ehemannes nicht eingegangen sei.
Hinsichtlich der Art und des Umfangs dieser Tätigkeit liegen keine wirksamen, das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindenden Feststellungen vor, so daß es dem Senat verwehrt ist, in der Sache selbst zu entscheiden. Infolgedessen muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Dieses wird in dem weiteren Verfahren auch zu prüfen haben, ob der Kläger etwa durch eine auf § 11 Abs. 1, Untergliederung 2 Satz 5 des KGG gestützte Satzungsbestimmung während der hier streitigen Zeit von der Beitragspflicht deshalb befreit ist, weil die von den Arbeitnehmern geleistete Zahl der Arbeitstage 300 im Jahre nicht übersteigt.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1; 124 Abs. 2 SGG erfüllt waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Fundstellen